Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 112 II 104



112 II 104

20. Auszug aus dem Urteil der II. Zivilabteilung vom 14. August 1986
i.S. M. (Berufung) Regeste

    Art. 397d ZGB, Art. 44 lit. f OG; fürsorgerische Freiheitsentziehung.

    Der richterlichen Beurteilung sind nur die Freiheit entziehende oder
beschränkende Massnahmen zugänglich, nicht aber behördliche Entscheide,
die eine solche Massnahme aufheben.

Sachverhalt

    A.- Die 1960 geborene, auf eigenes Begehren bevormundete Silvia T. war
gestützt auf die Bestimmungen über die fürsorgerische Freiheitsentziehung
in eine psychiatrische Klinik eingewiesen worden.

    Auf Empfehlung der behandelnden Ärzte und entgegen dem Antrag des
Vormundes hiess der Vormundschaftsrat des Kantons Basel-Stadt am 15. Januar
1986 ein Entlassungsgesuch der Silvia T. gut und hob den seinerzeitigen
Einweisungsentscheid auf. Hiegegen rekurrierte der Vormund M. an das
Appellationsgericht des Kantons Basel-Stadt als Verwaltungsgericht,
welches auf den Rekurs nicht eintrat.

    Der Vormund M. erhob gegen diesen Entscheid des Appellationsgerichts
des Kantons Basel-Stadt Berufung an das Bundesgericht.

Auszug aus den Erwägungen:

                     Aus den Erwägungen:

Erwägung 3

    3.- Gemäss Art. 397d ZGB kann die betroffene oder eine ihr nahestehende
Person "gegen den Entscheid" innert zehn Tagen nach der Mitteilung
schriftlich den Richter anrufen.

    a) Die Vorinstanz ist zur Auffassung gelangt, dass die hier vorgesehene
gerichtliche Beurteilung auf die Freiheit entziehende Massnahmen beschränkt
sei und nicht in Anspruch genommen werden könne für Entscheide, welche die
früher entzogene Freiheit wiederherstellen. Die rechtsstaatliche Garantie
der gerichtlichen Überprüfung sei nämlich durch den Beitritt der Schweiz
zur Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (SR
0.101) notwendig geworden und könne sich daher - entsprechend dem Sinn von
Art. 5 Ziff. 4 EMRK - nur auf die Freiheit entziehende Massnahmen, nicht
aber auf deren Aufhebung erstrecken. Das folge auch aus der Systematik des
Gesetzes einerseits, weil Art. 397d Abs. 1 ZGB Rechtsschutz bezüglich der
Art. 397a bis 397c ZGB gewähre, die durchweg von der Freiheitsentziehung
handeln, anderseits weil Art. 397d Abs. 2 ZGB das Recht auf richterliche
Beurteilung ausdrücklich für die Abweisung eines Entlassungsgesuches
einräume und damit ebenfalls erkennen lasse, dass der Gesetzgeber nur
die Freiheit entziehende Massnahmen ins Auge gefasst habe. Schliesslich
weisen nach den Ausführungen des Appellationsgerichts auch die
Gesetzesmaterialien, insbesondere die in der Botschaft des Bundesrates
genannten Fälle (BBl 1977 III, S. 36 f.), darauf hin, dass der Anspruch
auf gerichtliche Beurteilung bloss bei der Freiheitsentziehung, nicht
aber bei der Aufhebung einer die Freiheit entziehenden Massnahme bestehe.

    b) Gegen diese triftige Begründung des Appellationsgerichts vermögen
die Argumente des Berufungsklägers nicht aufzukommen. Die Vorschriften über
die fürsorgerische Freiheitsentziehung, vor allem auch Art. 397d Abs. 1
ZGB, gelten in gleicher Weise für nicht bevormundete Personen wie für
solche, die unter Vormundschaft stehen (vgl. Art. 397a Abs. 1 ZGB; RIEMER,
Grundriss des Vormundschaftsrechts, Bern 1981, § 8 N. 12). Daher kann
der Anspruch auf richterliche Beurteilung eines Entscheides nicht davon
abhängen, ob der Betroffene bevormundet ist oder nicht, und lässt sich der
Geltungsbereich von Art. 397d ZGB nicht durch Überlegungen begründen, die
ausschliesslich dem Vormundschaftsrecht entstammen. Das gilt unbeschadet
der Tatsache, dass die fürsorgerische Freiheitsentziehung als Teil des
Vormundschaftsrechts aufgefasst werden kann (SCHNYDER, Die fürsorgerische
Freiheitsentziehung als Teil des schweizerischen Vormundschaftsrechtes,
ZVW 35/1980, S. 121 ff.).

    Entgegen der Auffassung des Berufungsklägers liegt bezüglich Art. 397d
ZGB keine (echte) Lücke in dem Sinne vor, dass das Gesetz eine Frage
nicht beantwortet, die sich bei dessen Anwendung unvermeidlicherweise
stellt (Kommentar MEIER-HAYOZ, N. 251, 274 zu Art. 1 ZGB; HÄFELIN, Zur
Lückenfüllung im öffentlichen Recht, in: Festschrift zum 70. Geburtstag
von Hans Nef, Zürich 1981, S. 92, 94). Die historisch-teleologische
und systematische Auslegung durch das Appellationsgericht hat ergeben,
dass der Gesetzgeber bewusst nur jene Entscheide der richterlichen
Beurteilung zugänglich machen wollte, die eine die Freiheit entziehende
oder beschränkende Massnahme zum Gegenstand haben. Gegenüber behördlichen
Entscheiden, die eine solche Massnahme wiederaufheben, bedarf der
Betroffene dieses rechtsstaatlichen Schutzes nicht. Der Gesetzgeber hat
somit die sich stellende Frage beantwortet, allerdings negativ (Kommentar
MEIER-HAYOZ, N. 255 zu Art. 1 ZGB; HÄFELIN, aaO, S. 116).

    c) Entzieht sich eine Verfügung, welche die Aufhebung einer Massnahme
der fürsorgerischen Freiheitsentziehung anordnet, der Überprüfung durch
den Richter, so lässt sich ein diesbezüglicher Rechtsmittelentscheid
der kantonalen Instanz auch nicht mit Berufung an das Bundesgericht
weiterziehen. Der Rechtsschutz, den Art. 44 lit. f OG gewährt, kann nicht
weitergehen als die rechtsstaatliche Garantie des Art. 397d ZGB.