Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 112 III 81



112 III 81

20. Urteil der Schuldbetreibungs- und Konkurskammer vom 5. September 1986
i.S. A. (Rekurs) Regeste

    1. Ergänzung des Sachverhalts (Art. 79 Abs. 1 OG).

    Die Voraussetzungen für eine Ergänzung des Sachverhalts sind nicht
erfüllt, wenn die angeblich neuen Tatsachen bereits vor der kantonalen
Aufsichtsbehörde hätten vorgetragen werden können und sollen (E. 1).

    2. Keine Wiederholung eines mangelhaft zugestellten Zahlungsbefehls
bei fehlendem Rechtsschutzinteresse.

    Eine mangelhafte Zustellung ist nicht zu wiederholen, wenn die erneute
und ordentliche Zustellung des Zahlungsbefehls am Wohnsitz dem Rekurrenten
keine zusätzlichen Erkenntnisse über die angehobene Betreibung verschafft
und dessen Rechte trotz der mangelhaften Zustellung gewahrt worden sind
(E. 2).

    3. Ort der Betreibung gegen den Arrestgläubiger (Art. 52 und 46
Abs. 1 SchKG).

    Eine Arrestnahme eröffnet dem Arrestschuldner in einer gegen den
Arrestgläubiger gerichteten Betreibung nicht den Betreibungsort des
Arrestes, im Unterschied zum umgekehrten Fall (E. 3).

Sachverhalt

    A.- Am 24. März 1986 stellte S. beim Betreibungsamt Saanen das
Begehren, A. für Fr. 1'075'000.-- nebst Zins zu 5% seit dem 10. Juli 1985
zu betreiben. Das Betreibungsamt fertigte den Zahlungsbefehl Nr. 4815
am 25. März 1986 aus und versuchte, ihn A. an dessen Wohnsitz in Gstaad
persönlich zuzustellen. Diese Zustellung scheiterte jedoch, da niemand
angetroffen wurde. Zwei weitere Zustellungen vom 5. und 12. April
1986 scheiterten ebenfalls. Daraufhin stellte das Betreibungsamt den
Zahlungsbefehl am 22. April 1986 Rechtsanwalt X. in Zürich zu, welcher in
einer anderen Sache Vertreter von A. gewesen war. Rechtsanwalt X. erhob
gegen den Zahlungsbefehl gleichentags Rechtsvorschlag, wobei er sich auf
eine Vollmacht von A. berief.

    In der Folge leitete S. beim Gerichtspräsidenten von Saanen das
Rechtsöffnungsverfahren ein. Mit Schreiben vom 12. Juni 1986 teilte
Fürsprecher Y. dem Richteramt Saanen mit, dass ihn A. in bezug auf das
Rechtsöffnungsverfahren mit der Wahrung seiner Interessen beauftragt habe,
und ersuchte um Zustellung des Rechtsöffnungsgesuchs zur Beantwortung. Das
Richteramt Saanen liess das Aktendossier, in dem sich auch eine Fotokopie
des Zahlungsbefehls befand, Fürsprecher Y. am 16. Juni 1986 zugehen.

    B.- Am 14. Juli 1986 reichte Fürsprecher Y. für A. bei der kantonalen
Aufsichtsbehörde in Betreibungs- und Konkurssachen für den Kanton Bern
Beschwerde ein und beantragte die Nichtigerklärung der Betreibung Nr. 4815
des Betreibungsamtes Saanen.

    Er machte hauptsächlich geltend, dass A. den Zahlungsbefehl Nr. 4815
nie zu Gesicht bekommen habe und Rechtsanwalt X. hinsichtlich der in
Betreibung gesetzten Forderung kein Mandat besessen habe.

    Mit Entscheid vom 6. August 1986 trat die Aufsichtsbehörde für
den Kanton Bern auf die Beschwerde nicht ein. Sie erachtete zwar die
Zustellung des Zahlungsbefehls an Rechtsanwalt X. als mangelhaft. Aus den
Rechtsöffnungsakten ergebe sich jedoch, dass das Richteramt Saanen das
Aktendossier Fürsprecher Y. als dem im Rechtsöffnungs- und dem vorliegenden
Beschwerdeverfahren mit der Interessenwahrung von A. beauftragten Anwalt
am 16. Juni 1986 habe zugehen lassen. In diesem Aktendossier habe sich
auch eine Kopie des Zahlungsbefehls befunden. Der Anwalt von A. habe
somit spätestens am 16. Juni 1986 vom Zahlungsbefehl Kenntnis erhalten,
weshalb mit der Anfechtung der Zustellung vom 14. Juli 1986 die zehntägige
Beschwerdefrist verpasst worden sei.

    C.- Gegen diesen Entscheid hat A. bei der Schuldbetreibungs-
und Konkurskammer des Bundesgerichts Rekurs gemäss Art. 19 SchKG
erhoben. Er beantragt die Aufhebung des angefochtenen Entscheides und
die Nichtigerklärung der Betreibung Nr. 4815 des Betreibungsamtes
Saanen. Eventuell sei festzustellen, dass die Zustellung des
Zahlungsbefehls erst am 8. Juli 1986 erfolgt sei.

    Das Bundesgericht weist die Beschwerde ab

Auszug aus den Erwägungen:

                  aus folgenden Erwägungen:

Erwägung 1

    1.- Der Rekurrent ersucht darum, zum Beweis über die neue Tatsache
zugelassen zu werden, dass er persönlich erst am 8. Juli 1986 anlässlich
einer Unterredung mit seinem Anwalt vom Zahlungsbefehl Kenntnis erhalten
habe. Dieser Beweisantrag sei zulässig, weil die kantonale Aufsichtsbehörde
ihrem Entscheid einen neuen Gesichtspunkt zugrunde gelegt habe, indem sie
die Beschwerdefrist gegen den Zahlungsbefehl von da an berechnet habe,
als der Anwalt im Rahmen des Rechtsöffnungsverfahrens vom Zahlungsbefehl
Kenntnis erhalten habe.

    Die Tatsache, dass der Rekurrent persönlich allenfalls erst am 8. Juli
1986 vom Zahlungsbefehl Kenntnis erhalten hat, war diesem jedenfalls am
14. Juli 1986, als er bei der Aufsichtsbehörde die Beschwerde einreichte,
bereits bekannt. Nachdem er seine Beschwerde damit begründete,
die Zustellung des Zahlungsbefehls an Rechtsanwalt X. sei nichtig
gewesen, hätte er allen Grund gehabt, diese behauptete Tatsache dort
vorzubringen. Um darzutun, dass er die Beschwerde rechtzeitig eingereicht
habe, hätte es ihm nämlich obgelegen vorzubringen, wann er tatsächlich
vom Zahlungsbefehl Kenntnis erhalten habe. Weiter hätte er Gründe dafür
namhaft machen müssen, weshalb für den Beginn des Fristenlaufs gerade
diese Kenntnisnahme entscheidend sei, mit anderen Worten, warum nicht
auf den Zeitpunkt abgestellt werden könne, als das Aktendossier mit dem
Zahlungsbefehl seinem Anwalt zugestellt worden sei. Die angeblich neuen
Tatsachen hätten somit bereits der kantonalen Aufsichtsbehörde vorgetragen
werden können und sollen. Die Voraussetzungen für eine Ergänzung des
Sachverhalts gemäss Art. 79 Abs. 1 OG sind infolgedessen nicht erfüllt.

Erwägung 2

    2.- Die kantonale Aufsichtsbehörde hat zu Recht ausgeführt, dass
dem Rekurrenten aus der mangelhaften Zustellung des Zahlungsbefehls kein
Rechtsnachteil erwachsen ist. Die Beschwerde hätte daher auch dann nicht
gutgeheissen werden können, wenn sie rechtzeitig eingereicht worden wäre.

    a) Die Zustellung des Zahlungsbefehls Nr. 4815 entsprach nicht den
gesetzlichen Vorschriften. Das Betreibungsamt Saanen, in dessen Kreis sich
der Wohnsitz des Rekurrenten befindet, versuchte zwar richtigerweise, die
erste Zustellung am Wohnsitz des Rekurrenten vorzunehmen (Art. 46 Abs. 1
SchKG), wobei das genaue Datum allerdings nicht mehr bestimmt werden kann;
doch war es jedenfalls nicht der auf dem Zahlungsbefehl vermerkte 21. März,
nachdem der Zahlungsbefehl erst am 25. März 1986 ausgestellt worden
ist. Eine weitere Zustellung am Wohnsitz des Rekurrenten vom 5. April
1986 misslang ebenfalls, da wiederum niemand angetroffen wurde. Beide
Zustellungen wären indessen ohnehin mangelhaft gewesen, da sie in die
Betreibungsferien vom 23. März bis 6. April 1986 fielen.

    Am 12. April 1986 unternahm das Betreibungsamt Saanen einen dritten
Zustellversuch. Dieser scheiterte aber erneut, weil niemand zuhause
war. In dieser Situation hätte das Betreibungsamt den Zahlungsbefehl für
einen neuen Zustellversuch einem Gemeinde- oder Polizeibeamten übergeben
(Art. 64 Abs. 2 SchKG) oder eine postalische Zustellung versuchen müssen
(Art. 72 Abs. 1 SchKG). Unzulässig war es hingegen, den Zahlungsbefehl
einem Rechtsvertreter des Rekurrenten in Zürich zuzustellen, da im
vorliegenden Fall die Voraussetzungen von Art. 66 SchKG nicht gegeben
waren. Ebensowenig hatte der Rekurrent den betreffenden Rechtsvertreter
gegenüber dem Betreibungsamt ausdrücklich als zur Entgegennahme von
Betreibungsurkunden befugt bezeichnet oder jenem eine Generalvollmacht
ausgestellt (vgl. BGE 43 III 22).

    b) Trotz dieser gescheiterten bzw. mangelhaften Zustellungen
steht im vorliegenden Fall nun aber fest, dass der Rekurrent mit der
Aktenübermittlung an Rechtsanwalt Y. vom ganzen Inhalt des Zahlungsbefehls
Kenntnis erhalten hat. Eine erneute und ordentliche Zustellung des
Zahlungsbefehls am Wohnsitz des Rekurrenten würde diesem somit keine
zusätzlichen Erkenntnisse über die angehobene Betreibung vermitteln und
liefe daher auf einen überspitzten Formalismus hinaus.

    Zudem hat der Rekurrent um so weniger ein Interesse an der
erneuten Zustellung des Zahlungsbefehls, als Rechtsanwalt X. gegen den
Zahlungsbefehl rechtsgültig Rechtsvorschlag erhoben hat. Zwar war jene
Zustellung mangelhaft und Rechtsanwalt X. nicht der wirkliche Vertreter
des Rekurrenten im vorliegenden Streitfall. Die Rechtsprechung lässt
jedoch auch einen Rechtsvorschlag gelten, der gegen einen mangelhaft
zugestellten Zahlungsbefehl gerichtet war (BGE 91 III 6 E. 3) und von
einem Geschäftsführer ohne Auftrag ausging (FRITZSCHE/WALDER, N 30 zu §
17). Die Frage, ob der Rekurrent mangels eines solchen Rechtsvorschlages
noch innerhalb von zehn Tagen von der effektiven persönlichen Kenntnisnahme
an hätte Rechtsvorschlag erheben können (vgl. BGE 104 III 13), stellt
sich daher nicht. Es bleibt somit bei der Feststellung, dass die Rechte
des Betriebenen trotz der fehlerhaften Zustellung gewahrt wurden und der
Betriebene kein Interesse an der weiteren Feststellung der Fehlerhaftigkeit
der Zustellung hat (BGE 61 III 158 f.).

    Im übrigen könnte entgegen der Auffassung des Rekurrenten wegen der
fehlerhaften Zustellung nicht die ganze Betreibung für nichtig erklärt
werden, da das Betreibungsbegehren korrekt gestellt und an das zuständige
Betreibungsamt gerichtet worden ist. Das Betreibungsamt könnte einzig
dazu angehalten werden, im Rahmen einer an sich zulässigen Betreibung
den Zahlungsbefehl am Wohnsitz des Rekurrenten noch einmal zuzustellen.

Erwägung 3

    3.- Die Auffassung des Rekurrenten, die Betreibung sei aufgrund
verschiedener zwischen den Parteien anhängiger Prozesse zweckmässigerweise
in Genf anzuheben, ist unzutreffend. Dass der Rekurrent am 5. Mai 1986
(also ohnehin nach der Stellung des Betreibungsbegehrens am 24. März 1986)
gegen den Rekursgegner in Genf einen Arrest bewirkt hat, eröffnet zwar dem
Rekurrenten in Genf den Betreibungsort des Arrestes gegen den Rekursgegner
(Art. 52 SchKG), doch erlaubt dies dem Rekursgegner nicht, den Rekurrenten
anderswo als an dessen schweizerischem Wohnsitz zu betreiben (Art.
46 Abs. 1 SchKG). Ebenso spielt es weder für das Betreibungsamt noch für
die Aufsichtsbehörden eine Rolle, wo sich allenfalls der Gerichtsstand für
das Rechtsöffnungsverfahren befindet. Die Behörden haben sich hinsichtlich
des Betreibungsortes vorliegend auf die Feststellung zu beschränken, dass
sich der Wohnort des Betriebenen in Gstaad befindet und die Betreibung
daher in Anwendung von Art. 46 Abs. 1 SchKG an diesem Ort anzuheben
ist. Daran vermöchte im Gegensatz zum Zivilprozessrecht auch eine
allfällige Vereinbarung der Parteien über den Ort der Betreibung nichts
zu ändern (AMONN, N 16 zu § 10; FAVRE, S. 105 unten; FRITZSCHE/WALDER,
N 2 und 16 zu § 11; GILLIÉRON, S. 78; Schreiben der Schuldbetreibungs-
und Konkurskammer an die Aufsichtsbehörde in Schuldbetreibungs- und
Konkurssachen des Kantons Genf vom 13. Februar 1984, in: Semaine judiciaire
1984, S. 246).