Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 112 IB 99



112 Ib 99

16. Auszug aus dem Urteil der I. öffentlichrechtlichen Abteilung vom 29.
Januar 1986 i.S. M. und Mitb. gegen Stiftung "Puureheimet Brotchorb",
Gemeinde Stallikon, Regierungsrat und Verwaltungsgericht des Kantons Zürich
(Verwaltungsgerichtsbeschwerde) Regeste

    Art. 24 RPG; Ausnahmebewilligung.

    Bejahung der (sog. "positiven") Standortgebundenheit im Sinne
von Art. 24 Abs. 1 lit. a RPG für einen Landwirtschaftsbetrieb mit
sozialtherapeutischer Zielsetzung. Dass mit dem Betrieb in erster
Linie die Heilung von Personen bezweckt wird, steht der Annahme der
Standortgebundenheit nicht entgegen, da die landwirtschaftliche Nutzung
in den Dienst des Heilungsprozesses gestellt wird. Entscheidend ist, dass
Landwirtschaft, wenn auch nicht rationell und auch nicht gewinnstrebig,
so doch ernsthaft betrieben werden wird (E. 4a).

    Dem hier vorgesehenen Betrieb stehen keine überwiegenden Interessen
im Sinne von Art. 24 Abs. 1 lit. b RPG entgegen (E. 4b).

Sachverhalt

    A.- Die Bau- und Planungskommission Stallikon erteilte der Stiftung
"Puureheimet Brotchorb" am 28. Juni 1983 die baurechtliche Bewilligung für
die Erstellung einer landwirtschaftlichen Siedlung auf dem Grundstück
Kat. Nr. 5010 und für den Umbau und die Renovation des Wohnhauses
Assek. Nr. 573 auf dem Grundstück Kat. Nr. 5123 am Bodenackerweg,
Hinterbuchenegg, Stallikon. Die Siedlung soll anstelle einer 1974
abgebrannten Scheune errichtet werden. Der Hausteil der Siedlung umfasst
gemäss der kommunalen Baubewilligung im Erdgeschoss eine Wohnung für den
Betriebsleiter und dessen Familie mit einem Wohn- sowie einem Esszimmer,
und überdies vier Schlafräume, Küche und Bad. Ausserhalb dieser Wohnung
sind ein grösserer Raum mit Dusche, WC und Waschgelegenheiten sowie
ein Angestelltenzimmer mit Dusche/WC vorgesehen. Von der Wohnung des
Betriebsleiters führt eine Treppe ins Obergeschoss, wo rund um Vorplatz und
Aufenthaltsraum fünf weitere Schlafräume sowie ein Waschraum mit WC und ein
Raum mit Dusche/WC geplant sind. Der Ökonomieteil enthält nebst Ställen
und verschiedenen Räumen im Keller eine Käserei mit Käsekeller (Fläche
25,1 und 14,3 m2) sowie im Erdgeschoss einen Raum für die Holzbearbeitung
(Fläche 47,1 m2). Ställe sind für Kühe, Rinder, Kälber, Pferde, Ziegen und
Schafe vorgesehen. In der bestehenden Wohnbaute Assek. Nr. 573 bewilligte
die Gemeinde im Erdgeschoss einen Konferenz- und einen Wohnraum sowie eine
Küche, im Obergeschoss zwei Wohnzimmer und ein Bad. Beide Bauparzellen
liegen gemäss Zonenplan zur Bauordnung der Gemeinde Stallikon im übrigen
Gemeindegebiet. Insgesamt umfasst der landwirtschaftliche Betrieb rund
17 ha Land.

    Die im Handelsregister eingetragene Stiftung "Puureheimet Brotchorb",
deren Stifter und Stiftungsratspräsident der Zürcher Pfarrer Ernst Sieber
ist, hat nach Ziffer 2 der Stiftungsstatuten folgenden Zweck:

    "Zweck der Stiftung ist der Erwerb und Betrieb eines Bauernhofes als

    Heimwesen für obdachlose, einsame, aber noch arbeitsfähige
Menschen. Sie
   sollen dort, im Rahmen einer christlichen Grossfamilie und unter
   Leitung eines ausgewiesenen Landwirtes, Existenz und Heimat finden. Sie
   sollen wieder eine Bodenverbundenheit erleben dürfen, die ihnen die
   Möglichkeit gibt, zu sich selber zu kommen und an sich selbst eine
   Erneuerung zu erfahren."

    Gemäss Schreiben des Stifters und Stiftungsratspräsidenten vom
22. April 1983 an das Bundesamt für Sozialversicherung wurde der
Stiftungszweck wie folgt abgeändert:

    "Zweck der Stiftung ist der Erwerb und Betrieb eines Bauernhofes als

    Heimwesen für, im weitesten Sinne, invalide und obdachlose jüngere und
   ältere Menschen. Sie sollen dort, im Rahmen einer christlichen

    Grossfamilie und unter Leitung eines ausgewiesenen Landwirtes, Existenz
   und Heimat finden. Sie sollen wieder eine Bodenverbundenheit erleben
   dürfen, die ihnen die Möglichkeit gibt, zu sich selber zu kommen und
   an sich selbst eine Erneuerung zu erfahren."

    Ob diese Zweckänderung im Handelsregister eingetragen worden ist,
lässt sich den Akten nicht entnehmen.

    Entsprechend dem Stiftungszweck ist vorgesehen, im geplanten
Landwirtschaftsbetrieb (Siedlung und bestehendes Wohngebäude) obdachlose
Menschen zur Rehabilitierung und Resozialisierung unterzubringen, Menschen,
die - wie es der Stifter formuliert - "durch irgendein Schicksal verkürzt
sind". Dem Betrieb soll eine Meisterfamilie mit ausgebildetem Landwirt
vorstehen. Die Obdachlosen sollen entsprechend ihren Möglichkeiten
als Arbeitskräfte eingesetzt werden, wobei das Raumprogramm von einer
fünfzigprozentigen Arbeitsfähigkeit ausgeht.

    Gegen das Bauvorhaben wandten sich zahlreiche, in der nächsten und
näheren Umgebung wohnhafte Nachbarn. Sie gelangten mit Rekursschriften vom
8. August 1983 an die Baurekurskommission II und beantragten Aufhebung
der Baubewilligung. Sie machten vor allem geltend, das vorgesehene
Bauvorhaben sei als Resozialisierungs- und Rehabilitierungsheim für
Obdachlose nicht standortgebunden und daher zonenwidrig. Der projektierte
Landwirtschaftsbetrieb sei in der vorgesehenen Art weder existenzsichernd
noch rentabel. Ferner rügten die Rekurrenten die Zufahrt als unzureichend.

    Mit Entscheid vom 9. Mai 1984 hiess die Baurekurskommission II
die Rekurse teilweise gut, indem sie die Bewilligung für den Umbau
und die Renovation des Wohnhauses Assek. Nr. 573 aufhob. Im übrigen
wies sie die Rekurse ab. Sie stützte sich auf Art. 24 Abs. 1 RPG
und erwog im wesentlichen, das Projekt sei zwar als Unterkunft für
Obdachlose nicht auf einen Standort ausserhalb der Bauzone angewiesen
(d.h. nicht "negativ standortgebunden"), wohl aber bei Reduktion auf
das betriebswirtschaftlich notwendige Ausmass als Landwirtschaftsbetrieb
("positiv") standortgebunden. Die Bewilligung eines landwirtschaftlichen
Anwesens mit nicht voll arbeitsfähigen oder hiezu nicht ausgebildeten
Personen hebe die Standortgebundenheit nicht auf.

    Während die Stiftung diesen Entscheid nicht anfocht, erhoben 13
Nachbarn Beschwerde beim Verwaltungsgericht des Kantons Zürich, welche
mit Urteil vom 6. Februar 1985 abgewiesen wurde.

    Gegen dieses Urteil führen 12 Nachbarn Verwaltungsgerichtsbeschwerde
an das Bundesgericht. Sie beantragen, soweit hier wesentlich, der
angefochtene Entscheid und damit die von der Bau- und Planungskommission
Stallikon am 28. Juni 1983 erteilte Baubewilligung sei zu verweigern. Das
Bundesgericht weist die Beschwerde ab.

Auszug aus den Erwägungen:

                      Aus den Erwägungen:

Erwägung 4

    4.- Eine Ausnahmebewilligung nach Art. 24 Abs. 1 RPG kann erteilt
werden, wenn der Zweck der Baute einen Standort ausserhalb der Bauzone
erfordert (lit. a) und wenn dem Vorhaben keine überwiegenden Interessen
entgegenstehen (lit. b). Beide Voraussetzungen müssen kumulativ erfüllt
sein (BGE 108 Ib 363 E. 4d, 366 f. E. 6).

    a) Wie dargelegt worden ist, genügt der Nachweis, dass sich der Zweck
des Bauwerks seiner Art nach nur innerhalb eines verhältnismässig kleinen
örtlichen Umkreises umsetzen lässt - sei es aus technischen, betrieblichen
oder Gründen der Bodenbeschaffenheit (BGE 102 Ib 79 E. 4a; vgl. EJPD/BRP,
Erläuterungen RPG, N. 15 zu Art. 24).

    Diesen Nachweis hat die Beschwerdegegnerin erbracht. Zwar rechtfertigt
das an Rehabilitationsstätten für sozial geschädigte Personen bestehende
öffentliche Interesse für sich allein eine Ausnahmebewilligung nach Art. 24
RPG noch nicht. Die Beschwerdegegnerin will aber nicht einfach ein -
im übrigen Gemeindegebiet klarerweise zonenwidriges - Obdachlosenasyl
schaffen (vgl. den ein Pflegeheim betreffenden BGE vom 13. April 1983
in ZBl 84/1983 S. 453 ff., ferner das nicht veröffentlichte Urteil des
Bundesgerichts vom 19. April 1984 i.S. Associazione Centri di Vacanze
"Leone XIII"/TI). Vielmehr liegt ihrem Vorhaben ein durchdachtes
geschlossenes Konzept zugrunde, das entwurzelten Menschen Geborgenheit
einer überschaubaren Wohn-, Lebens- und Arbeitsgemeinschaft, einer Art
Grossfamilie verschaffen und sie durch hergebrachte Bodenbearbeitung und
Tierhaltung Bodenverbundenheit erleben lassen will. Die Beschwerdegegnerin
will also einen Landwirtschaftsbetrieb mit sozialtherapeutischer
Zielsetzung führen. Somit ist die landwirtschaftliche Nutzung klar
ausgewiesen. Dass im vorliegenden Fall in erster Linie die Heilung von
Personen bezweckt wird, schliesst die ("positive") Standortgebundenheit
nicht aus, wird doch die landwirtschaftliche Nutzung - wie aufgezeigt -
in den Dienst des Heilungsprozesses gestellt. Entscheidend ist, dass
Landwirtschaft, wenn auch nicht rationell und auch nicht gewinnstrebig,
so doch ernsthaft betrieben werden wird. Insoweit unterscheidet sich
der vorliegende Fall klar von den beiden erwähnten, ein Pflege- und
ein Ferienheim betreffenden Fällen, in welchen eine landwirtschaftliche
Nutzung nicht zur Diskussion stand.

    Zweckentfremdung oder Missbräuche sind nicht zu befürchten. Stiftungen
sind, wenn sie einmal errichtet sind, auf Dauer angelegt. Zweckänderungen
sind nur in sehr beschränktem Masse möglich (Art. 86 ZGB). Zudem ist
bereits in der kommunalen Baubewilligung ein im Grundbuch anzumerkender
Revers vorgesehen, wonach die bewilligten Wohnungen ohne entsprechende
Baubewilligung nicht zweckentfremdet und insbesondere nicht in ein Heim
für betriebsfremde Personen umgewandelt werden dürfen (Baubewilligung
Ziff. 1.3.2).

    Ist nach dem Gesagten der von der Beschwerdegegnerin beabsichtigte
Betrieb somit als ("positiv") standortgebunden zu erachten (BGE 108 Ib
133 mit Hinweisen; EJPD/BRP, Erläuterungen RPG, N. 15/16 zu Art. 24),
so erübrigen sich weitere Ausführungen zum betrieblich notwendigen
Raumbedarf, wie sie das Verwaltungsgericht angestellt hat. Es genügt,
dass das auf dem Betriebe lebende Personal im Verhältnis zur beworbenen
Fläche nicht übermässig zahlreich ist. Im übrigen wird sich der Raumbedarf
für das sozialtherapeutische Unternehmen nach den Anforderungen des
Betriebskonzepts auszurichten haben. Entsprechend liegt darin, dass das
Verwaltungsgericht den im alten Wohnhaus vorhandenen Wohnraum ausser
acht liess und lediglich feststellte, dass zur Zeit keine Bewilligung
für bauliche Massnahmen an diesem Haus bestehe, entgegen der Auffassung
der Beschwerdeführer keine Bundesrechtsverletzung; eine allfällige
Bewilligung wird allerdings ihrerseits nur wieder gestützt auf Art. 24
RPG ergehen können.

    Ob der beabsichtigte Betrieb auch "negativ" standortgebunden sei
(vgl. EJPD/BRP, Erläuterungen RPG, N. 17/18 zu Art. 24; BGE 111 Ib 217
E. 3b, sowie BGE 108 Ib 367 E. 6a), kann ebenfalls offenbleiben, da -
wie ausgeführt - jedenfalls "positive" Standortgebundenheit gegeben ist.

    b) Damit eine Ausnahmebewilligung erteilt werden kann, dürfen der
fraglichen Baute keine überwiegenden Interessen entgegenstehen (Art. 24
Abs. 1 lit. b RPG).

    Durch die Bewilligung einer Ausnahme soll das Gleichgewicht der
Ortsplanung nicht gestört werden (EJPD/BRP, Erläuterungen RPG, N. 26
Abs. 1 zu Art. 24). Dieser Grundsatz deckt sich im wesentlichen mit der
von der Zürcher Praxis aufgestellten Forderung, dass das Bauvorhaben mit
den für den konkreten Standort massgebenden planerischen Vorstellungen
im Einklang steht (ZBl 86/1985 S. 268 f. E. 5b). Das Projekt der
Beschwerdegegnerin hält diesen Kriterien stand, indem es - wie aus den vom
landwirtschaftlichen Architekturbüro des Bauernverbandes ausgearbeiteten
Plänen hervorgeht - dem Charakter eines Landwirtschaftsbetriebes auch
äusserlich nicht widerspricht.

    Solange das Heim das bewilligte Ausmass einhält, werden sich ebenfalls
die Auswirkungen auf die Struktur der Einwohnerschaft des Weilers
Hinterbuchenegg in Schranken halten, zumal dieser Weiler offenbar schon
heute durchaus nicht nur von Personen bewohnt ist, die Landwirtschaft
treiben. Im übrigen hat das Verwaltungsgericht zu Recht erwogen, dass
diese Sorge der Beschwerdeführer gegen den schutzwürdigen Zweck des Heimes
nicht aufzukommen vermag.

    Es ist auch nicht zu befürchten, dass die Gewährung einer
Ausnahmebewilligung im vorliegenden Fall ein gefährliches Präjudiz
schaffen wird, kann doch eine Standortgebundenheit - wie ausgeführt -
nicht schon allein durch einen an sich schutzwürdigen Zweck begründet
werden. Jedenfalls wird jedes weitere Vorhaben wieder streng auf seinen
Zweck und auf die Gewähr hin, die es für dessen Erfüllung bietet, zu
prüfen sein.

    Die vorstehende Interessenabwägung hat zur Voraussetzung, dass
der Zweckartikel der Stiftung "Puureheimet Brotchorb" im Sinne der
Ausführungen in ihren Vernehmlassungen an das Verwaltungsgericht und an
die Baurekurskommission sowie im Lichte der ursprünglichen Fassung der
Stiftungsurkunde interpretiert wird. Entsprechend wird davon ausgegangen,
dass die Stiftung auf Menschen ausgerichtet ist, die grundsätzlich
arbeitsfähig und durch die vorgesehene manuelle landwirtschaftliche Arbeit
eine wirkliche Chance zur Rehabilitierung und Resozialisierung haben,
und dass nicht Personen aufgenommen werden, die wegen Drogensucht oder
aus andern Gründen derart gravierend geschädigt sind, dass sie intensiver
oder fachkundiger Pflege bedürfen oder für die Umgebung eine Gefahr bilden.