Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 112 IB 94



112 Ib 94

15. Auszug aus dem Urteil der I. öffentlichrechtlichen Abteilung
vom 22. Januar 1986 i.S. Regierung des Kantons Graubünden gegen
X., Gemeinde Malix und Verwaltungsgericht des Kantons Graubünden
(Verwaltungsgerichtsbeschwerde) Regeste

    Raumplanung; Ausnahmebewilligung.

    1. Art. 34 RPG, Art. 24 Abs. 2 RPG: selbständiges kantonales
Recht. Nach Art. 34 RPG ist auch die Verletzung kantonalen Rechts aus
dem Anwendungsbereich von Art. 24 RPG mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde
zu rügen (E. 2).

    2. Art. 24 Abs. 2 RPG; Bundesrecht, kantonales Recht. In dem eine
Ausnahmebewilligung gemäss Art. 24 Abs. 2 RPG betreffenden Verfahren ist
zu prüfen, ob die bundesrechtlichen und die sich an den bundesrechtlichen
Rahmen haltenden kantonalrechtlichen Voraussetzungen erfüllt sind (E. 2).

    3. Art. 24 Abs. 2 RPG, teilweise Änderung. Für die Beurteilung einer
teilweisen Änderung sind die realen Nutzflächen und Rauminhalte einander
gegenüberzustellen. Massgebend sind die gesamten Umstände und nicht
nur die erklärten Absichten des Bauwilligen. Die Vergrösserung eines
Ferienhauses um rund einen Drittel ist nicht mehr eine geringfügige
Erweiterung i.S. von Art. 24 Abs. 2 RPG (E. 3).

Sachverhalt

    A.- Die Eigentümerin eines Ferienhauses, das gemäss dem Zonenplan
von 1971/72 im übrigen Gemeindegebiet der Gemeinde Malix in Brambrüesch
liegt und dort mit fünf anderen Häusern eine kleine Siedlung bildet,
beabsichtigt, ihr Haus durch den Anbau eines Wohnraumes mit 17 m2
Geschossfläche und einer unterkellerten Terrasse zu erweitern. Der
Gemeindevorstand bewilligte das Baugesuch; die Regierung des Kantons
Graubünden versagte jedoch seine Zustimmung. Das Verwaltungsgericht
des Kantons Graubünden hob die Verfügung der Regierung auf und stimmte
dem Baugesuch zu. Die von der Regierung des Kantons Graubünden gegen den
Verwaltungsgerichtsentscheid erhobene Verwaltungsgerichtsbeschwerde heisst
das Bundesgericht gut.

Auszug aus den Erwägungen:

                      Aus den Erwägungen:

Erwägung 2

    2.- Das zu vergrössernde Ferienhaus liegt unstreitig ausserhalb
einer Bauzone und fällt demnach für eine ordentliche Bewilligung nach
Art. 22 RPG ausser Betracht. Für das zonenwidrige Bauvorhaben ist daher
eine Bewilligung nach Art. 24 RPG erforderlich. Zu prüfen ist zunächst,
ob das Bauvorhaben unter Art. 24 Abs. 1 oder Abs. 2 RPG fällt. Kann
es nicht einem der privilegierten Tatbestände von Art. 24 Abs. 2 RPG
zugeordnet werden, so ist es wie ein Neubau gemäss Art. 24 Abs. 1 RPG zu
behandeln. Nach der Vorschrift von Art. 24 Abs. 2 RPG kann das kantonale
Recht gestatten, Bauten und Anlagen zu erneuern, teilweise zu ändern oder
wieder aufzubauen, wenn dies mit den wichtigen Anliegen der Raumplanung
vereinbar ist. Ob ein Bauvorhaben unter Art. 24 Abs. 2 RPG fällt,
beurteilt sich ausschliesslich nach dieser Vorschrift. Erneuerung,
teilweise Änderung und Wiederaufbau sind bundesrechtliche Begriffe.
Sie stellen die Grenze für Bewilligungen nach Art. 24 Abs. 1 und Art. 24
Abs. 2 RPG dar. Das kantonale Recht kann diese bundesrechtlichen Begriffe
nicht - wie das Verwaltungsgericht anscheinend meint - im Sinne einer
Erweiterung näher definieren. Das kantonale Recht kann nur bestimmen, ob
und allenfalls inwieweit bauliche Massnahmen innerhalb des bundesrechtlich
begrenzten Rahmens im Sinne von Art. 24 Abs. 2 RPG bewilligt werden
dürfen. Dabei kann es den bundesrechtlich begrenzten Rahmen zulässiger
Baumassnahmen enger festlegen (BGE 108 Ib 54 E. 3b und c; 108 Ib 361 E. 3a;
107 Ib 240 E. 2b).

    Für die Rüge, es sei das in Art. 24 RPG enthaltene Bundesrecht
verletzt worden (Art. 104 OG), ist gemäss Art. 34 Abs. 1 RPG die
Verwaltungsgerichtsbeschwerde an das Bundesgericht gegeben. Die
Regierung macht geltend, zum Bundesrecht gehörten auch die zum Vollzug
von Art. 24 RPG erlassenen kantonalen Ausführungsvorschriften. Zwar
trifft zu, dass der kurze Kommentar in der Botschaft des Bundesrates vom
27. Februar 1978 zum RPG (BBl 1978 I S. 1032, Art. 35) in diesem Sinne
missverstanden werden kann. Doch ist zu präzisieren, dass nicht sämtliche
kantonalen Vorschriften, die vom RPG veranlasst geschaffen worden sind,
durchwegs als unselbständige Ausführungsbestimmungen angesehen werden
können. Das von den Kantonen im Rahmen von Art. 24 Abs. 2 RPG erlassene,
das Bundesrecht im Kanton konkretisierende Recht wird vom Bundesgericht als
Ergänzungsrecht, mithin als selbständiges kantonales Recht anerkannt (BGE
108 Ib 54 E. 3b und 55 E. 3c). Dies hat jedoch nicht - wie in BGE 105 Ib
108 E. 1c beschrieben - eine Gabelung des Rechtsweges zur Folge. Nach der
Spezialordnung in Art. 34 RPG kann auch die Verletzung kantonalen Rechts
aus dem Anwendungsbereich von Art. 24 RPG mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde
gerügt werden (BGE 107 Ib 234 E. 1a).

    Im Rahmen einer auf Art. 24 Abs. 2 RPG gestützten Beschwerde hat
das Bundesgericht somit nicht nur die von dieser Bestimmung genannten
Voraussetzungen zu überprüfen, sondern gegebenenfalls auch, ob sich das
kantonale Recht an den bundesrechtlichen Rahmen hält und schliesslich ob
die von der letzten kantonalen Instanz vorgenommene Gesetzesanwendung
dem Bundesrecht und dem einschlägigen kantonalen Recht genügt. Soweit
selbständiges kantonales Recht in Frage steht, beschränkt sich das
Bundesgericht indessen auf Willkürprüfung.

Erwägung 3

    3.- Das Ferienhaus auf Parzelle Nr. 702 enthält einen Wohnraum
mit Kochnische, drei Schlafzimmer und ein WC mit Dusche. Seine
Bruttogeschossfläche beträgt 69 m2. Die Beschwerdegegnerin beabsichtigt,
ihr Haus an der Südseite zu erweitern. Dadurch soll der Wohnraum um 17 m2
Fläche vergrössert werden. Östlich anschliessend soll eine unterkellerte
Terrasse errichtet werden.

    Das Verwaltungsgericht hat dieses Bauvorhaben als teilweise Änderung
gemäss Art. 24 Abs. 2 RPG anerkannt. Es hat das Bauprojekt indessen nicht
unter dieser bundesrechtlichen Vorschrift geprüft, sondern lediglich unter
den Regeln von Art. 10 der Verordnung der Regierung des Kantons Graubünden
vom 13. Dezember 1982 über Bewilligungen für Bauten ausserhalb der Bauzonen
und über Planungszonen (BAB). Es ist daher zunächst zu untersuchen, ob
das Bauvorhaben sich innerhalb des von Art. 24 Abs. 2 RPG abgesteckten
Bewilligungsrahmens hält.

    Im vorliegenden Fall scheiden ein Wiederaufbau und eine blosse
Erneuerung von vornherein aus. Es kann sich somit nur fragen, ob das
Bauvorhaben unter den Begriff der teilweisen Änderung fällt. Nach der
Rechtsprechung des Bundesgerichts gilt eine geringfügige Erweiterung als
teilweise Änderung. Es darf sich jedoch gemessen an der bestehenden Baute
nur um eine Änderung von untergeordneter Bedeutung handeln, welche die
Identität der Baute in den wesentlichen Zügen wahrt. Von der Festlegung
einer quantitativen Grenze (z.B. bis zu einem Viertel, vgl. Art. 25
der Allgemeinen Gewässerschutzverordnung in der Fassung vom 6. November
1974) hat die Rechtsprechung bis anhin abgesehen, da sich eine solche
unter dem Gesichtswinkel des Bundesrechts als zu starr erweisen könnte
(BGE 107 Ib 241 E. 2b/aa mit Hinweisen). Doch bedeutet dies nicht,
dass dem Bundesgesetzgeber die Absicht zu unterlegen wäre, mit dem RPG
eine gegenüber dem bisherigen Gewässerschutzrecht gelockerte Regelung
einzuführen. Gegenteils gehören die deutliche Trennung des Baugebietes
vom Nichtbaugebiet und alle Massnahmen, die diesem Ziele dienen, zu den
zentralen Anliegen des RPG (Art. 1-3 RPG). Das Bundesgericht bezeichnete
die Vergrösserung eines Restaurants um rund einen Drittel als nicht mehr
geringfügige Erweiterung (BGE 107 Ib 242 E. 2b/bb). In einem Urteil vom 15.
Juni 1983 (ZBl 85/1984, S. 78 ff.) verneinte es die Geringfügigkeit bei
einer Erweiterung des Gebäudevolumens von 910 m3 um rund 150 m3 und der
Nutzfläche von 200 m2 um wenigstens 73 m2.

    Die Vorinstanz setzt eine Erweiterungsfläche von 17 m2 in Beziehung
zur bisherigen Bruttogeschossfläche von 69 m2 und stellt fest, dass die
Vergrösserung nur 24,6%, also nicht ganz einen Viertel betrage. Diese
Betrachtungsweise entspricht jedoch nicht der Rechtsprechung des
Bundesgerichts, welche eine projektierte Vergrösserung nach allen
sachgerechten Kriterien zu erfassen sucht. Insbesondere sollen die realen
Nutzflächen und Rauminhalte einander gegenübergestellt werden. Unter dem
Gesichtswinkel des Bundesrechts fällt in Betracht, dass das Bauvorhaben
nicht nur eine Vergrösserung des Wohnraums im Hauptgeschoss um 17 m2
vorsieht, sondern dazu auch noch eine Terrasse und unter dieser Terrasse
einen als "Keller" bezeichneten Raum mit einer nutzbaren Fläche von
gleichfalls 17 m2. Dieser "Keller" ist indessen nach Osten ebenerdig
gelegen und hat auf dieser Seite eine Aussentüre. Auf der Südseite ist
er mit einem Fenster versehen, das in seinen Abmessungen demjenigen eines
Wohnraums entspricht und mit Klappläden verschliessbar sein wird. Dieser
"Keller" wird an einen bereits bestehenden Raum von etwa 30 m2 Fläche
anschliessen, der als "Keller bestehend" bezeichnet ist, aber ebenfalls
nach Osten ebenerdig liegt und dorthin eine Aussentüre und ein Fenster,
nach Norden ein weiteres Fenster normaler Grösse aufweist. Westlich
anschliessend befindet sich ein eigentlicher Keller von nochmals etwa 30
m2 Fläche, in dem sich (abgeteilt) Heizung und Öltank befinden.

    Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts haben die Baubehörden
bei der Prüfung eines Baubewilligungsgesuches hinsichtlich der in
Aussicht genommenen Nutzung nicht nur auf die erklärten Absichten
des Gesuchstellers, sondern auf die gesamten Umstände abzustellen
(nicht veröffentlichtes Urteil vom 7. Oktober 1981 i.S. Pfister,
E. 2a mit Verweisung). Das gleiche gilt bei bestehenden Bauten für
die gegenwärtige Nutzung. Für die Frage der Anrechenbarkeit bei der
Bestimmung der Ausnützung ist entscheidend, ob der fragliche Raum als
Wohnraum verwendbar ist (Provisorische Richtlinien zur Orts-, Regional-
und Landesplanung des ORL-Instituts ETHZ, Blatt 514 420, 1966, Ziffer 1.1).
Vorliegend ist die Verwendbarkeit der im Altbau und im Erweiterungsprojekt
nach Osten orientierten Räume des Untergeschosses als Wohnräume zu
bejahen. Bezieht man aber diese Räume in den Flächenvergleich mit ein,
so beträgt die nutzbare Fläche des Erweiterungsbaus rund einen Drittel
derjenigen des Altbaus. Das gleiche Verhältnis ergibt sich bei Betrachtung
der Kubatur. Eine Vergrösserung um einen Drittel kann aber nach der
Rechtsprechung des Bundesgerichts zu Art. 24 Abs. 2 RPG nicht mehr als
geringfügig gelten. Schon aus diesem Grund ist die Beschwerde gutzuheissen.