Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 112 IB 88



112 Ib 88

14. Urteil der II. öffentlichrechtlichen Abteilung vom 23. Mai 1986 i.S.
Kanton St. Gallen, Kantonale Verwaltung für die direkte Bundessteuer
gegen X. Y. und Verwaltungsrekurskommission für die direkte Bundessteuer
des Kantons St. Gallen (Verwaltungsgerichtsbeschwerde) Regeste

    Jahressteuer auf Kapitalgewinn (Art. 21 Abs. 1 lit. d WStB) bei
Vorliegen eines Zwischenveranlagungsgrundes (Art. 43 WStB); Einleitung der
Veranlagung (Art. 98 WStB); Fälligkeit und Verjährung des Steueranspruchs
(Art. 114, 128 WStB).

    1. Mit der Zustellung des Steuererklärungsformulars für die
Hauptveranlagung wird auch das Veranlagungsverfahren für den Kapitalgewinn
eröffnet; so jedenfalls dann, wenn die Steuerbehörden bei Zustellung des
Formulars noch nicht wissen, dass die Voraussetzungen einer Jahressteuer
im Sinne von Art. 43 WStB gegeben sind (E. 1).

    2. Die Steuer wird am Tage des allgemeinen Fälligkeitstermins, der
auf den Eintritt des Zwischenveranlagungsgrundes folgt, fällig (E. 2a).

    3. Erste Handlung zur Unterbrechung der Verjährung des
Anspruchs aus Art. 43 WStB bildet regelmässig die Zustellung des
Steuererklärungsformulars an den Pflichtigen. Dabei genügt die Aufforderung
zur ordentlichen Wehrsteuerdeklaration. Sobald aber den Steuerbehörden
der Eintritt des Zwischentaxationsgrundes bekannt gemacht wurde, können
als verjährungsunterbrechend nur noch Handlungen der Veranlagungsbehörden
angesehen werden, die speziell auf die Feststellung des Anspruchs aus
Art. 43 WStB gerichtet sind.

Sachverhalt

    A.- X. Y., St. Gallen, war als selbständiger, buchführungspflichtiger
Einzelkaufmann in der Spielautomatenbranche tätig. Im Jahre 1978 gab
er diese Tätigkeit auf. Für den dabei erzielten Liquidationsgewinn
von Fr. ... veranlagte ihn die Steuerverwaltung des Kantons St. Gallen
(kantonale Verwaltung für die direkte Bundessteuer) mit einer separaten
Jahressteuer gemäss Art. 43 WStB (Verfügung vom 30. Oktober 1984).
Gegen diese Veranlagung erhob der Steuerpflichtige Einsprache. Er machte
geltend, die Steuerforderung sei gemäss Art. 128 WStB verjährt. Mit
Schreiben vom 26. November 1984 gewährte der kantonale Steuerkommissär
für die Stadt St. Gallen dem Pflichtigen eine Notfrist für die
Einspracheergänzung. Gleichzeitig hielt er fest, Art. 128 WStB komme
nicht zur Anwendung, da die Forderung für die Jahressteuer aufgrund
eines speziellen Fälligkeitstermines erst am 30. November 1984 fällig
geworden und somit noch nicht verjährt sei. In der Einspracheergänzung vom
7. Dezember hielt der Pflichtige fest, es handle sich im vorliegenden Fall
um eine Veranlagungsverjährung (Art. 98 WStB). Dieser Standpunkt wurde
im Einspracheentscheid vom 21. Dezember 1984 verworfen. Zur Begründung
wurde vorgebracht, mit der Zustellung des Steuererklärungsformulars für
die Hauptveranlagung 1979/80 sei das Veranlagungsverfahren auch für den
Liquidationsgewinn eröffnet worden. Das Veranlagungsverfahren sei somit
fristgerecht eingeleitet worden. Für die Durchführung der Veranlagung sei
die Behörde an keine gesetzliche Frist gebunden, die Dauer des Verfahrens
berühre dessen Gültigkeit nicht.

    Auf Rekurs des Pflichtigen hin hat die Verwaltungsrekurskommission
des Kantons St. Gallen den Einspracheentscheid aufgehoben. Sie stellte
sich auf den Standpunkt, in der Zustellung der Steuererklärung für
die 20. Wehrsteuerperiode könne zwar die Einleitung der ordentlichen
Wehrsteuerveranlagung für die 20. Periode, nicht jedoch die Einleitung
des Veranlagungsverfahrens für die Jahressteuer gemäss Art. 43 WStB
erblickt werden. Die erste, an den Steuerpflichtigen gerichtete
Handlung der Steuerbehörden, aus welcher auf die Einleitung eines
Veranlagungsverfahrens für die Jahressteuer geschlossen werden könne,
stelle offenbar die Veranlagungsrechnung vom 28. September 1984 dar. Die
Veranlagung - die gemäss Art. 98 WStB bis Ende 1983 hätte erfolgen müssen -
sei somit zu spät eröffnet worden.

    Gegen diesen Entscheid (vom 1. Juli 1985) hat die kantonale
Steuerverwaltung des Kantons St. Gallen Verwaltungsgerichtsbeschwerde beim
Bundesgericht eingereicht. Sie beantragt die Aufhebung des angefochtenen
Entscheids und die Bestätigung des Einspracheentscheids vom 21. Dezember
1984. Das Bundesgericht weist die Beschwerde ab

Auszug aus den Erwägungen:

                  aus folgenden Erwägungen:

Erwägung 1

    1.- Gemäss Art. 98 WStB (Bundesratsbeschluss über die Erhebung einer
Wehrsteuer vom 9. Dezember 1940, SR 642.1; heute: Bundesratsbeschluss
über die Erhebung einer direkten Bundessteuer vom 29. November 1981,
BdBSt) erlischt das Recht, die Veranlagung einzuleiten, drei Jahre
nach Ablauf der Veranlagungsperiode. Gemeint ist die Periode, die den
jeweiligen, in Frage stehenden Steueranspruch betrifft. Eingeleitet wird
die Veranlagung mit der ersten, nach aussen wirksamen Amtshandlung,
die auf die Veranlagung des Steuerpflichtigen gerichtet ist. In
der Regel besteht diese Einleitungshandlung in der Zustellung des
Steuererklärungsformulars. Das bestreitet auch die Vorinstanz nicht. Sie
ist jedoch der Auffassung, im vorliegenden Fall könne die Zustellung der
Steuererklärung für die 20. Wehrsteuerperiode zwar als Einleitung der
ordentlichen Wehrsteuerveranlagung für die 20. Periode angesehen werden,
nicht jedoch als Einleitung des Veranlagungsverfahrens für die Jahressteuer
gemäss Art. 43 WStB.

    Dieser Auffassung kann nicht gefolgt werden. Nach der unbestrittenen
Beschwerdedarstellung findet im Kanton St. Gallen für die Veranlagung
der natürlichen Personen das gleiche Steuererklärungsformular sowohl für
die Staats- und Gemeindesteuern als auch für die direkten Bundessteuern
Verwendung. Nach beiden Steuerordnungen stellen Kapitalgewinne
aus der Veräusserung von Geschäftsvermögen einen Bestandteil des
Einkommens aus selbständiger Erwerbstätigkeit dar und unterliegen
somit der Einkommenssteuer; so jedenfalls dann, wenn die Gewinne im
Betrieb einer zur Buchführung verpflichteten Unternehmung erzielt werden
(Art. 21 Abs. 1 lit. d WStB). Die Wegleitung zur Steuererklärung weist
denn auch ausdrücklich darauf hin, dass "als Kapitalgewinne steuerbar
sind die Liquidationsgewinne, die bei Aufgabe einer selbständigen
Erwerbstätigkeit oder bei der Veräusserung von Anteilsrechten an einer
Personengemeinschaft erzielt werden (für die Wehrsteuer nur, wenn sie im
Betrieb eines buchführungspflichtigen Unternehmens erzielt werden)".

    Dass nur der ordentlichen Einkommenssteuer unterliegende
Liquidationsgewinne zu deklarieren sind, kann weder dem
Steuererklärungsformular noch der Wegleitung entnommen werden. Im Gegenteil
ist davon auszugehen, dass beliebige Liquidationsgewinne zu deklarieren
sind. Dies muss schon daraus geschlossen werden, dass im Zeitpunkt der
Zustellung des Steuererklärungsformulars die Steuerbehörden meistens
weder vom Kapitalgewinn Kenntnis haben noch davon, ob der Gewinn der
ordentlichen Besteuerung unterliegt oder aber der Jahressteuer nach
Art. 43 WStB. Der Pflichtige hat denn auch im vorliegenden Fall den
Liquidationsgewinn auf dem ihm zugestellten Formular deklariert. Es
wäre unter diesen Umständen schwer einzusehen, weshalb die Zustellung
des Steuererklärungsformulars zwar hinsichtlich der ordentlichen
Einkommenssteuer als (erste) Veranlagungshandlung gelten soll, nicht jedoch
hinsichtlich der Jahressteuer nach Art. 43 WStB. Dass es sich bei dieser
Steuer um eine gesonderte Steuer handelt, die selbständig veranlagt wird,
ist entgegen der Auffassung der Vorinstanz nicht entscheidend. Jedenfalls
nicht in Fällen wie dem vorliegenden, in denen die Steuerbehörden bei
Zustellung des Steuererklärungsformulars noch gar nicht wissen, dass
die Voraussetzungen einer Jahressteuer im Sinne von Art. 43 WStB gegeben
sind. Ob die Zustellung des Steuererklärungsformulars dem Art. 98 WStB
auch dann genügt hätte, wenn die Steuerbehörden diese Kenntnis gehabt
hätten, braucht hier nicht entschieden zu werden.

Erwägung 2

    2.- Die Steuerforderungen verjähren gemäss Art. 128 WStB in fünf
Jahren, gerechnet ab dem Zeitpunkt der Fälligkeit. Der Lauf der Verjährung
wird durch jede Einforderungshandlung unterbrochen (Art. 128 WStB).

    a) Gemäss Art. 114 Abs. 1 WStB bestimmt das Eidgenössische
Finanzdepartement den allgemeinen Fälligkeitstermin der jährlich zu
entrichtenden Steuer. An dem vom Departement festgesetzten allgemeinen
Fälligkeitstermin werden grundsätzlich (Ausnahmen in Art. 114 Abs. 2
und 3) alle für das jeweils in Frage stehende Steuerjahr geschuldeten
Steuerbeträge fällig (KÄNZIG, Wehrsteuer, N 3 zu Art. 114). Die
Sondersteuer gemäss Art. 43 WStB wird demnach in den Fällen, in denen
sie an eine Zwischenveranlagung anknüpft, am Tage des allgemeinen
Fälligkeitstermins, der auf den Eintritt des Zwischenveranlagungsgrundes
folgt, fällig. Dass bis zu diesem Zeitpunkt eine definitive Einschätzung
oder wenigstens eine provisorische Veranlagung eröffnet sein muss, wie
in der Lehre zum Teil angenommen wird (KÄNZIG, aaO, 1. Band, 2. Aufl.,
N 27 zu Art. 43; 2. Band, 1. Aufl., N 3 zu Art. 114; vgl. auch MASSHARDT,
Kommentar zur direkten Bundessteuer, 2. Aufl., N 19 zu Art. 43), trifft
nicht zu. Die gegenteilige Auffassung wäre mit dem gesetzlichen System
der Fälligkeit kaum in Einklang zu bringen (BGE 75 I 177 f.). Sie
hätte auch unhaltbare Konsequenzen hinsichtlich der Verjährung. Diese
würde jedenfalls so lange nicht eintreten, als die Steuerbehörden keine
Veranlagung vorgenommen haben. Die Behörden hätten es somit in der Hand,
Steuerforderungen noch nach Jahren zu veranlagen und gegen den Willen
des Pflichtigen durchzusetzen. Das kann nicht dem Willen des Gesetzgebers
entsprechen (AGVE 1979, S. 401; BINDER, Die Verjährung im schweizerischen
Steuerrecht, Zürich 1985, S. 178, mit Hinweisen in Anm. 50).

    Der allgemeine Fälligkeitstermin wurde in der hier interessierenden
Zeitspanne jeweilen auf den 1. März der einzelnen Steuerjahre
festgesetzt. Die vom Beschwerdegegner nach Art. 43 WStB geschuldete
Jahressteuer wurde demnach, wie die Eidgenössische Steuerverwaltung
in ihrer Beschwerdevernehmlassung zutreffend festhält, am 1. März 1979
fällig. Dass bis zu diesem Zeitpunkt keine (provisorische oder definitive)
Veranlagung vorgenommen wurde, ändert hieran nach dem oben Gesagten nichts.

    b) Die Verjährung des fraglichen Jahressteueranspruchs begann somit
am 1. März 1979. Die Veranlagung erfolgte erst am 30. Oktober 1984,
also mehr als fünf Jahre später. Der Anspruch ist demnach verjährt,
falls nicht rechtzeitig eine Unterbrechungshandlung vorgenommen wurde.

    Verjährungsunterbrechende Einforderungshandlungen im Sinne von
Art. 128 WStB sind alle dem Steuerpflichtigen zur Kenntnis gebrachten,
auf Feststellung des Steueranspruchs gerichteten Amtshandlungen der
Steuerbehörde (KÄNZIG, aaO, N 8 zu Art. 128). Erste Unterbrechungshandlung
bildet regelmässig die Zustellung des Steuererklärungsformulars. Das
gilt auch hinsichtlich der Jahressteuer nach Art. 43 WStB. Dabei muss
im Lichte des oben (E. 1) Gesagten die Aufforderung zur ordentlichen
Wehrsteuerdeklaration genügen. Sobald aber den Steuerbehörden der
Eintritt des Zwischentaxationsgrundes bekannt gemacht wurde, können als
verjährungsunterbrechend nur noch Handlungen der Veranlagungsbehörden
angesehen werden, die speziell auf die Feststellung des Anspruchs aus
Art. 43 WStB gerichtet sind.

    Im vorliegenden Fall wurden der Kapitalgewinn und der Grund für
dessen separate Veranlagung den Steuerbehörden in der Steuererklärung
vom 24. Februar 1979 mitgeteilt. Ab diesem Zeitpunkt bis zur
Veranlagungsverfügung vom 30. Oktober 1984 nahmen die Steuerbehörden keine
Handlungen vor, die auf die Feststellung der nach Art. 43 WStB geschuldeten
Jahressteuer gerichtet waren; eine solche Handlung kann namentlich auch
nicht in der Zwischenveranlagung vom 19. April 1980 gesehen werden. Es
wurden somit mehr als fünf Jahre lang keine Unterbrechungshandlungen
vorgenommen. Der Steueranspruch ist demzufolge verjährt.