Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 112 IB 538



112 Ib 538

81. Urteil der I. öffentlichrechtlichen Abteilung vom 24. September
1986 i.S. X gegen Kanton Y und Eidgenössische Schätzungskommission
(Verwaltungsgerichtsbeschwerde) Regeste

    "Enteignungsrechtliches Schiedsgerichtsverfahren."

    Es gibt kein "enteignungsrechtliches Schiedsgerichtsverfahren". Sind
die Voraussetzungen für die Einleitung eines Enteignungsverfahrens nicht
gegeben, so können die Eidgenössischen Schätzungskommissionen nur als
private Schiedsgerichte tätig werden und deren Entscheide mit keinem
Rechtsmittel direkt beim Bundesgericht angefochten werden (E. 1). Bei
der Erfüllung solcher schiedsrichterlicher Mandate dürfen keine amtlichen
Papiere verwendet werden (E. 2).

    Gesuch um vorläufige Vollstreckung im Sinne von Art. 86 Abs. 1 EntG
(E. 3).

Sachverhalt

    A.- X ist Eigentümer eines Grundstückes, das vom Kanton Y für
den Bau eines Autobahnzubringers beansprucht wird. Nachdem direkte
Landerwerbsverhandlungen gescheitert waren, gelangten die Parteien an die
Eidgenössische Schätzungskommission mit dem Begehren, die Entschädigung
für die Abtretung der Parzelle im Rahmen eines Schiedsgerichtsverfahrens
festzusetzen. Nach langwierigen Verhandlungen schlossen die Parteien Ende
September 1983 einen "Schiedsvertrag" ab, worin sie feststellten, dass
die rechtlichen Voraussetzungen für ein Enteignungsverfahren noch nicht
vorlägen. Gleichwohl wurde die Schätzungskommission mit der Festsetzung der
Entschädigung nach den Bestimmungen des Bundesgesetzes über die Enteignung
(EntG) betraut und vereinbart, im Falle eines Entscheides der Kommission
bleibe "das Recht zur Weiterziehung an das Bundesgericht gemäss den
Vorschriften des Enteignungsgesetzes vorbehalten und gewahrt".

    Mit Urteil vom 4. Juli 1985 erkannte die Eidgenössische
Schätzungskommission im "enteignungsrechtlichen Schiedsgerichtsverfahren",
das Grundstück des X werde zugunsten des Kantons Y enteignet,
der ermächtigt werde, den Eigentumsübergang dem Grundbuchamt
anzumelden, und welcher dem Enteigneten eine Entschädigung von
Fr. ... zu leisten habe. Mit förmlicher Rechtsmittelbelehrung machte die
Schätzungskommission die Parteien darauf aufmerksam, dass dieses Urteil mit
Verwaltungsgerichtsbeschwerde beim Bundesgericht angefochten werden könne.

    X hat gegen den Entscheid der Schätzungskommission
Verwaltungsgerichtsbeschwerde eingereicht und Erhöhung der Entschädigung
beantragt. Nach Abschluss des Schriftenwechsels stellte er zudem ein
Gesuch um vorläufige Vollstreckung im Sinne von Art. 86 EntG, um die
Auszahlung der seitens des Kantons unbestritten gebliebenen Entschädigung
zu erwirken. Der Regierungsrat hat sich diesem Gesuch mit der Begründung
widersetzt, das angefochtene Urteil sei noch nicht rechtskräftig, weshalb
für den Staat keine Zahlungspflicht bestehe.

Auszug aus den Erwägungen:

             Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

Erwägung 1

    1.- Entscheide der Eidgenössischen Schätzungskommissionen unterliegen
der Verwaltungsgerichtsbeschwerde an das Bundesgericht (Art. 77 EntG
i.V. mit Art. 97 ff. OG). Dabei wird als selbstverständlich vorausgesetzt,
dass die Schätzungskommission, deren Urteil vor Bundesgericht angefochten
werden soll, als Organ der staatlichen Verwaltungsrechtspflege geamtet
hat (vgl. etwa BGE 110 Ib 372 E. 1, 108 Ib 494). Ob diese Voraussetzung
hier erfüllt sei, ist - obschon von keiner Partei bestritten - vorweg zu
prüfen, da das Bundesgericht in Enteignungssachen das Recht von Amtes wegen
anzuwenden und seinen Aufsichtspflichten (Art. 63 EntG) nachzukommen hat
(BGE 106 Ib 233; vgl. auch BGE 111 Ib 25 E. 9 mit Hinweisen auf weitere
Urteile).

    Nach dem Bericht des Regierungsrates vom 2. Juni 1986 waren die
Voraussetzungen für die Einleitung eines Enteignungsverfahrens weder im
Herbst 1983, beim Abschluss des "Schiedsvertrages", noch im Zeitpunkt
des Urteils der Schätzungskommission gegeben, weil noch kein bereinigtes
und ordnungsgemäss genehmigtes Ausführungsprojekt für den fraglichen
Autobahnzubringer vorhanden war (Art. 39 Abs. 2 des Bundesgesetzes über die
Nationalstrassen/NSG); ein solches liegt offenbar auch heute noch nicht
vor. Damit war die Eidgenössische Schätzungskommission von vornherein
nicht befugt, die vom Kanton Y für die Übernahme des Grundstücks Nr. 521
zu leistende Entschädigung als staatliches Gericht festzusetzen. Die
Parteien waren sich dessen durchaus bewusst, denn anders wäre der
Abschluss des Schiedsvertrages vom September 1983 nicht zu erklären. Ein
"enteignungsrechtliches Schiedsverfahren" ist aber weder im Enteignungs-
noch in einem Spezialgesetz vorgesehen. Das angefochtene Urteil ist
auch keine Verfügung eines vertraglichen Schiedsgerichts, gegen die
nach Art. 116 lit. b OG ausnahmsweise die Verwaltungsgerichtsbeschwerde
offenstünde, da das schiedsgerichtlich zu beurteilende Rechtsverhältnis
im vorliegenden Fall nicht auf einem öffentlichrechtlichen Vertrag des
Bundes beruht (vgl. GYGI, Bundesverwaltungsrechtspflege, 2. Aufl. 1983,
S. 82 mit weiteren Hinweisen).

    Handelt es sich demnach beim angefochtenen Urteil nicht um
einen staatlichen Hoheitsakt, d.h. nicht um eine in Anwendung
von Enteignungsrecht des Bundes erlassene Verfügung (vgl. Art. 5
VwVG in Verbindung mit Art. 97 Abs. 1 OG), so erweist sich die
Verwaltungsgerichtsbeschwerde mangels eines tauglichen Anfechtungsobjekts
als unzulässig und kann auf sie nicht eingetreten werden. Daran ändert
auch die den Parteien erteilte Rechtsmittelbelehrung, die offensichtlich
falsch war und das Bundesgericht nicht zu binden vermag, nichts (BGE 100
Ib 119 f.; GYGI, aaO S. 82). Wie die Eidgenössische Schätzungskommission
in ihrem Bericht vom 2. Juni 1986 mit Recht bemerkt, kann die Ziffer
6 des Schiedsvertrags auch nicht als Prorogation im Sinne von Art.
118 OG gelten, welche das Bundesgericht verpflichten könnte, die
Verwaltungsgerichtsbeschwerde als Klage an die Hand zu nehmen. Art. 118
OG hat nicht den Sinn, den Parteien zu ermöglichen, über die gesamte
funktionelle und sachliche Zuständigkeitsordnung hinweg dem Bundesgericht
durch Vereinbarung alle Streitsachen des Bundesverwaltungsrechts zu
unterbreiten (GYGI, aaO S. 102 f.). Der angefochtene Entscheid der
Schätzungskommission erweist sich somit als Urteil eines privaten
Schiedsgerichtes, das mit keinem Rechtsmittel oder Rechtsbehelf direkt
beim Bundesgericht angefochten werden kann.

Erwägung 2

    2.- Der vorliegende Fall gibt zu folgenden zusätzlichen Bemerkungen
Anlass:

    Ob die Kantone befugt seien, im Rahmen des freihändigen Landerwerbs
für eine Nationalstrasse (Art. 30 Abs. 1 NSG) ein privates Schiedsgericht
mit der Festsetzung der Übernahmepreise zu betrauen, ist eine Frage des
kantonalen Rechts. Lässt dieses entsprechende Schiedsabreden zu, besteht
für das Bundesgericht kein Grund, den Mitgliedern der Eidgenössischen
Schätzungskommissionen die Tätigkeit als private Schiedsrichter zu
verbieten, solange nicht befürchtet werden muss, den betroffenen
Grundeigentümern werde der Zugang zum staatlichen Enteignungsrichter
ungebührlich erschwert. Das Bundesgericht kann indessen nicht zulassen,
dass die Schätzungskommissionen gleichsam als "staatliche Schiedsgerichte"
in einem vom Gesetzgeber nicht vorgesehenen Verfahren auftreten und - nicht
zuletzt durch die Verwendung amtlichen Papiers - den Eindruck erwecken,
in offizieller Funktion zu wirken. Den Präsidenten und weiteren Mitgliedern
der Eidgenössischen Schätzungskommissionen wird daher gestützt auf Art. 63
EntG untersagt, bei der Erfüllung schiedsrichterlicher Mandate amtliche
Akten und Formulare bzw. Briefpapier der Eidgenossenschaft zu verwenden
und für ihre Bemühungen und Auslagen nach der Verordnung über Gebühren
und Entschädigung im Enteignungsverfahren (SR 711.3) Rechnung zu stellen.

Erwägung 3

    3.- Nach diesen Erwägungen wird das vom Beschwerdeführer gestellte
Gesuch um vorläufige Vollstreckung im Sinne von Art. 86 Abs. 1 EntG
gegenstandslos. Da der Kanton Y zur Zeit noch über keinen Enteignungstitel
verfügt, hätte es im übrigen ohnehin abgewiesen werden müssen. Dagegen
wären die Vorbringen des Regierungsrates in der Vernehmlassung vom
14. April 1986 nicht geeignet gewesen, eine vorläufige Vollstreckung gemäss
Art. 86 EntG auszuschliessen. Diese Vorschrift bezweckt, den Enteigneten
sofort in den Genuss der Entschädigung kommen zu lassen, soweit sie
vom Enteigner anerkannt wird und sofern nicht mit einem nachträglichen
Verzicht auf die Enteignung gerechnet werden muss; dass der angefochtene
Entscheid noch nicht rechtskräftig geworden ist, spielt keine Rolle.

Erwägung 4

    4.- Mit Rücksicht darauf, dass dem Beschwerdeführer im Schiedsvertrag
- wenn auch zu Unrecht - im Falle einer Anfechtung des Schiedsurteils
die Anwendung des Enteignungsgesetzes in Aussicht gestellt worden ist,
besteht kein Anlass, beim Kostenentscheid abweichend von Art. 116 EntG zu
entscheiden. Die Kosten des bundesgerichtlichen Verfahrens, inbegriffen
eine Parteientschädigung an den Beschwerdeführer, sind daher dem Kanton
Y aufzuerlegen.