Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 112 IB 51



112 Ib 51

8. Auszug aus dem Urteil der I. öffentlichrechtlichen Abteilung vom 22.
Januar 1986 i.S. St. gegen Regierungsrat des Kantons Schaffhausen
(Verwaltungsgerichtsbeschwerde) Regeste

    Art. 18 Abs. 1 Satz 2 GSchG. Ausnahmsweise Befreiung von der
Anschlusspflicht aus wichtigen Gründen.

    Eine solche Ausnahmebewilligung kann nur erteilt werden, wenn das
Beharren auf der Anschlusspflicht zu einer vom Gesetzgeber nicht gewollten
Härte führen würde oder offensichtlich unzweckmässig wäre. Dabei kommt
dem Gleichbehandlungsgebot nach Art. 4 BV erhebliches Gewicht zu. Im
vorliegenden Fall ist dieses durch die Verweigerung der Ausnahmebewilligung
nicht verletzt worden.

Sachverhalt

    A.- St. beabsichtigt, den Ökonomieteil seines Wohnhauses
teilweise abzubrechen und anschliessend die Wohnung im Erdgeschoss
zu sanieren und eine Werkstatt einzubauen. Das Stallgebäude zu seinem
Landwirtschaftsbetrieb befindet sich einige Meter westlich davon auf
demselben Grundstück. Eine Kanalisationsleitung führt in ca. 30 Metern
Entfernung am Umbauobjekt vorbei.

    St. beantragte am 25. August 1983 bei der Gemeinde O., er sei von der
Pflicht, sein Wohnhaus an die Kanalisation anzuschliessen, zu befreien. Das
Gesuch wurde abgelehnt, und die Bewilligung der Baudirektion des Kantons
Schaffhausen vom 11. April 1984 bestätigte, dass sämtliche Abwässer,
die aus dem umzubauenden Gebäude anfallen werden, in die öffentliche
Kanalisation abzuleiten seien. Der Regierungsrat des Kantons Schaffhausen
wies den Rekurs, den St. gegen diese Bewilligung erhoben hatte, mit
Beschluss vom 29. Mai 1984 vollumfänglich ab. Zur Begründung führte
er im wesentlichen aus, die Frage der Anschlusspflicht beurteile sich
gemäss Art. 18 der Allgemeinen Gewässerschutzverordnung vom 19. Juni 1972
(AGSchV) unter dem Gesichtswinkel der Zweckmässigkeit und Zumutbarkeit. Ein
Anschluss an die bestehende Kanalisation rechtfertige sich in beiderlei
Hinsicht. Näher zu prüfen bleibe lediglich, ob die Durchsetzung des
zweckmässigen und zumutbaren Kanalisationsanschlusses der Liegenschaft
von St. gegen den Grundsatz der Rechtsgleichheit verstosse, nachdem
anzunehmen sei, die technische Realisierbarkeit eines Anschlusses sei auch
im Fall der Nachbarliegenschaften "Wiesental" und "Freihof" gegeben. Dass
diese beiden Liegenschaften bisher noch nicht an die Kanalisation hätten
angeschlossen werden müssen, sei nicht auf eine schwankende Praxis der
zuständigen Behörden zurückzuführen; der Grund liege vielmehr darin, dass
die Frage des Kanalisationsanschlusses regelmässig erst im Zusammenhang
mit baulichen Veränderungen an einer Liegenschaft beurteilt und die
entsprechende Auflage mit der Baubewilligung verbunden werde. Es liege
demnach keine Verletzung des Rechtsgleichheitsgebotes vor.

    Gegen diesen Entscheid erhob St. Verwaltungsgerichtsbeschwerde beim
Bundesgericht. Er beantragt, sein Wohnhaus sei von der Anschlusspflicht
an die öffentliche Kanalisation zu befreien.

    Das Bundesgericht weist die Beschwerde ab.

Auszug aus den Erwägungen:

                  Auszug aus den Erwägungen:

Erwägung 4

    4.- ... (Der Anschluss an die örtliche Kläranlage ist zweckmässig,
da diese noch über unausgeschöpfte Reserven verfügt. Er ist auch zumutbar.)

Erwägung 5

    5.- Aufgrund der vorstehenden Erwägungen ist die Anschlusspflicht
grundsätzlich zu bejahen. Damit stellt sich die Frage, ob eine
Ausnahmebewilligung im Sinne von Art. 18 Abs. 1 Satz 2 GSchG erteilt werden
könnte. Wie im öffentlichen Baurecht stellt diese Ausnahmeregelung im
Gewässerschutzrecht ein allgemeines Rechtsinstitut dar, das bezweckt, im
Einzelfall Härten und offensichtliche Unzweckmässigkeiten zu beseitigen.
Derartige Härtefälle können als Folge besonderer Umstände auftreten,
mit denen die notwendigerweise generalisierenden und schematisierenden
Normen nicht gerechnet haben. Die strikte Anwendung der Norm in
diesen Fällen würde zu einem offensichtlich ungewollten Ergebnis
führen. Voraussetzung für die Erteilung einer Ausnahmebewilligung
ist daher immer, dass solche besondere Umstände vorliegen. Ob dies im
konkreten Fall zutrifft, ist sorgfältig zu prüfen, da eine leichtfertige
Erteilung von Ausnahmebewilligungen die verfassungsrechtlichen Gebote
der Gesetzmässigkeit der Verwaltung und der rechtsgleichen Behandlung der
Bürger verletzen würde. Das Institut der Ausnahmebewilligung darf nicht so
gehandhabt werden, dass damit im Ergebnis das Gesetz selbst geändert wird
(BGE 107 Ib 119 E. 2b; 107 Ia 216 E. 5; je mit Hinweisen). Die Anwendung
der in Art. 18 Abs. 1 Satz 2 GSchG enthaltenen unbestimmten Rechtsbegriffe
"wichtige Gründe" und "angezeigt" überprüft das Bundesgericht als
Rechtsfrage frei. Dabei übt es aber Zurückhaltung, da der Verwaltung
ein gewisser Beurteilungsspielraum zuzuerkennen ist, soweit vorwiegend
technische Fragen der Zweckmässigkeit zu lösen sind (BGE 107 Ib 121
E. 4a; 104 Ib 112 E. 3; je mit Hinweisen). Im vorliegenden Fall kommt
nur die zweite der beiden in Art. 18 Abs. 1 Satz 2 GSchG festgehaltenen
Ausnahmemöglichkeiten in Betracht: Es muss sich um Abwässer handeln,
für welche die zentrale Reinigung "aus anderen wichtigen Gründen
nicht angezeigt ist". Der Umstand, dass eine Baute im Zeitpunkt der
Inbetriebnahme einer Kanalisationsleitung bereits besteht, gilt nach der
Praxis nicht als Ausnahme-Sachverhalt im Sinne von Art. 18 Abs. 1 Satz
2 GSchG (BGE 107 Ib 120 E. 3a mit Hinweisen).

    Bei der Auslegung von Art. 18 Abs. 1 Satz 2 GSchG ist zu beachten, dass
mit der Anschlusspflicht nicht nur der technische Zweck der einwandfreien
Reinigung der Abwässer verfolgt wird, sondern wie schon in anderem
Zusammenhang ausgeführt auch eine ausgewogene, gemeinschaftliche und
rechtsgleiche Finanzierung der für den Gewässerschutz erforderlichen
Kanalisations- und Reinigungsanlagen (BGE 107 Ib 118 E. 2a). Die
Erteilung von Ausnahmebewilligungen an alle Landwirte, welche die in der
"Wegleitung für den Gewässerschutz in der Landwirtschaft" (herausgegeben
von den Bundesämtern für Landwirtschaft und Umweltschutz) genannten
Voraussetzungen erfüllen, würde gerade in kleinen Bauerndörfern die
Finanzierung der vom Gesetz verlangten Anlagen verunmöglichen oder doch
stark beeinträchtigen. Die Ausnahme würde zur Regel; es entstünde ein
Sonderrecht zugunsten eines Zweiges der Landwirtschaft, was der Gesetzgeber
gerade nicht wollte. Eine Ausnahmebewilligung kann deshalb nur dann erteilt
werden, wenn das Beharren auf der Anschlusspflicht zu einer vom Gesetzgeber
nicht gewollten Härte führen würde oder offensichtlich unzweckmässig
wäre, d.h. wenn besondere Umstände vorliegen, die ein Abweichen von der
Regel verlangen (BGE 107 Ib 122 E. 4b mit Hinweisen). Dass unter dem
Gesichtspunkt der Zweckmässigkeit kein Härtefall vorliegt, ergibt sich
aus den vorstehenden Erörterungen. Im Zusammenhang mit der Prüfung der
Frage einer Ausnahmebewilligung kommt sodann dem Gleichbehandlungsgebot
von Art. 4 BV erhebliches Gewicht zu (BGE 107 Ib 123 E. 4b, insbesondere
im Vergleich zu den übrigen landwirtschaftlichen Betrieben in derselben
Gemeinde. Am Augenschein wurde festgestellt, dass neben dem "Freihof" und
dem Hof "Wiesental" nur noch zwei Betriebe in der Gemeinde O. ausserhalb
der Bauzone und ausserhalb des GKP liegen. Der eine Betrieb ist an die
Kanalisation angeschlossen und der andere liegt höhenmässig derart tief,
dass er nur beim Einbau einer Pumpe angeschlossen werden könnte. Mit
Bezug auf den Hof "Wiesental" und den "Freihof" hat die Vorinstanz keine
rechtlichen Unterschiedungen getroffen, die nicht auf wichtige tatsächliche
Verschiedenheit zurückzuführen sind (BGE 107 Ia 228 E. 3, 96 I 16 E. 3;
je mit Hinweisen). Die Frage der Anschlusspflicht wird in der Gemeinde
O. nämlich generell nur dann geprüft, wenn bei einem landwirtschaftlichen
Betrieb ausserhalb von Bauzone und GKP bauliche Massnahmen vorgenommen
werden. Dies ist bei den beiden genannten Höfen im Gegensatz zum Betrieb
des Beschwerdeführers nicht der Fall. Ein nicht unwesentlicher Unterschied
liegt sodann darin, dass in Folge der grösseren Entfernung der Betriebe
"Freihof" und "Wiesental" vom Kanalisationsstrang ein Anschluss zwei-
bis dreimal mehr kosten würde als beim Wohnhaus des Beschwerdeführers,
sodass allenfalls die Prüfung der Zumutbarkeit im Sinne von Art. 18 AGSchV
zu einem anderen Ergebnis führen würde. Damit liegt auch keine Verletzung
des Grundsatzes der Rechtsgleichheit vor.