Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 112 IB 263



112 Ib 263

44. Auszug aus dem Urteil der I. öffentlichrechtlichen Abteilung
vom 1. Oktober 1986 i.S. W. gegen Politische Gemeinde St. Gallen,
Regierungsrat und Verwaltungsgericht des Kantons St. Gallen
(Verwaltungsgerichtsbeschwerde) Regeste

    Art. 5 Abs. 2 RPG; materielle Enteignung; Unterschutzstellung eines
Gebäudes.

    Massgebender Zeitpunkt für die Beurteilung der Frage, ob die
Schutzmassnahme einer Enteignung gleichkommt (E. 2).

    Verneinung einer enteignungsähnlichen Wirkung, da die angeordnete
Massnahme für den Betroffenen weder den Entzug einer wesentlichen
Eigentümerbefugnis (E. 4) noch ein unzumutbares Sonderopfer zur Folge hat
(E. 5).

Sachverhalt

    A.- W. hatte im April 1953 zusammen mit F. als Miteigentümer je zur
Hälfte den an der Rorschacherstrasse St. Gallen gelegenen und heute aus
den Parzellen Nrn. 2394, 3425 und 3426 bestehenden Teil der Liegenschaft
"Reburg", Rorschacherstrasse Nr. 155, erworben. Die Parzellen Nrn. 3425
und 3426 wurden am 2. Oktober 1953 an die I. AG, für welche W. als
Verwaltungsrat handelte, verkauft und sodann mit den Mehrfamilienhäusern
Rorschacherstrasse 149 bis 151 und 159 bis 161 überbaut. Am 13. September
1954 wurden beide Liegenschaften zusammen mit der Restparzelle Nr. 2394,
auf welcher sich das um 1830 von Fürsprech Johann Baptist Gruber in
klassizistischem Stil erbaute ehemalige Sommerhaus mit der Bezeichnung
"Reburg" befindet, an die G. AG veräussert. W. kaufte am 1. September 1965
die Restparzelle Nr. 2394 mit dem Haus "Reburg" von der G. AG zurück und
baute es in der Folge im Innern um.

    Bereits in einem Beschluss des St. Galler Stadtrates vom 24. Juni
1952 über einen Überbauungs- und Zonenplan für das Grossackerareal war
ausgeführt worden, das klassizistische Sommerhaus "Reburg" solle als
besonders typisches St. Galler Bürgerhaus mit vorzüglichen Proportionen
erhalten bleiben. Im Kaufvertrag zwischen der durch W. vertretenen
I. AG und der G. AG vom 13. September 1954 war vorgesehen, dass die
"Reburg" gemäss den Plänen von W. umgebaut werden solle. In einem in
diesem Zusammenhang verfassten Baubeschrieb hielt W. fest, das alte
Patrizierhaus Rorschacherstrasse 155 gebe der Neuüberbauung einen
besonders ausgeprägten Rahmen. Im Jahre 1973 wurde das Haus "Reburg"
aufgrund des Bundesbeschlusses über dringliche Massnahmen auf dem Gebiet
der Raumplanung in das Inventar der schützenswerten Kulturobjekte
aufgenommen, daraus aber im August 1977 auf Einsprache von W. hin
entlassen. W. ersuchte im Februar 1980 um die Bewilligung zum Abbruch
der "Reburg". Das Gesuch wurde von der städtischen Baupolizeikommission
abgelehnt. Der Stadtrat St. Gallen wies einen hiergegen eingereichten
Rekurs mit Beschluss vom 26. Mai 1981 ab. Gleichzeitig verfügte er,
das Haus "Reburg" dürfe nicht abgebrochen werden und alle von aussen
wahrnehmbaren Veränderungen sowie Fassadenrenovationen und -anstriche seien
bewilligungspflichtig. W. verlangte in der Folge, es sei festzustellen,
dass diese Schutzmassnahme eine materielle Enteignung bewirke. Der Stadtrat
wies das Begehren ab. Der Regierungsrat des Kantons St. Gallen bejahte auf
einen Rekurs von W. hin das Vorliegen einer materiellen Enteignung unter
dem Gesichtspunkt des Sonderopfers. Eine dagegen erhobene Beschwerde der
Stadt St. Gallen hiess das Verwaltungsgericht des Kantons St. Gallen mit
Urteil vom 17. Dezember 1985 gut. Es verneinte eine enteignungsgleiche
Wirkung der Schutzmassnahme und hob den Regierungsratsentscheid auf.

    W. hat gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts staatsrechtliche
Beschwerde wegen Verletzung von Art. 22ter BV eingereicht. Das
Bundesgericht behandelt die Eingabe als Verwaltungsgerichtsbeschwerde
und weist sie ab.

Auszug aus den Erwägungen:

                      Aus den Erwägungen:

Erwägung 2

    2.- Das Verwaltungsgericht erachtete das Datum der Verfügung des
Stadtrates (26. Mai 1981), mit der das Haus "Reburg" unter Schutz
gestellt wurde, als massgebenden Zeitpunkt für die Beurteilung der
Frage, ob der Beschwerdeführer enteignungsähnlich betroffen worden
sei. Der Stadtrat hatte in seiner Beschwerde an das Verwaltungsgericht
die Ansicht vertreten, massgebend sei der 1. August 1972, d.h. das Datum
des Inkrafttretens des kantonalen Baugesetzes vom 6. Juni 1972 (BauG),
denn seit jenem Zeitpunkt stehe fest, dass die "Reburg" als künstlerisch
und geschichtlich wertvolle Baute aufgrund von Art. 98 Abs. 1 BauG zu
erhalten sei. In seiner Vernehmlassung an das Bundesgericht hält der
Stadtrat an dieser Auffassung fest, indem er geltend macht, Art. 98 BauG
sei für den Eigentümer eines Schutzobjektes bindend.

    Hiezu ist folgendes zu bemerken: Auch wenn davon ausgegangen wird,
das in Art. 98 BauG angeordnete Gebot der Erhaltung künstlerisch oder
geschichtlich wertvoller Bauten sei als gesetzliche Eigentumsbeschränkung
für jedermann verbindlich, so geht doch der Umfang des Schutzes und damit
das für die Beurteilung der enteignungsgleichen Wirkung wesentliche
Mass der Belastung erst aus der konkreten Schutzanordnung hervor. Das
Verwaltungsgericht hat daher zu Recht das Datum der Verfügung des
Stadtrates, mit der dieser das Haus unter Schutz gestellt hatte, als
Stichtag für die Abklärung der Frage der enteignungsähnlichen Wirkung
bezeichnet. Allgemein gilt, dass für die Beantwortung der Frage, ob eine
materielle Enteignung vorliege, nicht auf das Datum des Inkrafttretens der
Gesetzesbestimmung abzustellen ist, welche den Begriff der Schutzobjekte
in allgemeiner Weise umschreibt; massgebend ist vielmehr das Datum der
konkreten Verfügung, mit der ein bestimmtes Gebäude unter Schutz gestellt
wird, denn erst dadurch wird mit der erforderlichen Präzision bestimmt,
dass und in welchem Umfang die gesetzliche Schutznorm auf das betreffende
Objekt anwendbar ist.

Erwägung 4

    4.- Es ist zunächst zu prüfen, ob dem Beschwerdeführer - wie er
geltend macht - eine wesentliche aus dem Eigentum fliessende Befugnis
entzogen wurde. Zur Beantwortung dieser Frage ist von der Tragweite
der Schutzmassnahme auszugehen. Diese verbietet den Abbruch des
Hauses und erklärt "alle von aussen wahrnehmbaren Veränderungen sowie
Fassadenrenovationen und -anstriche" als bewilligungspflichtig. Die
Anordnung beschränkt sich somit auf den Schutz des äusseren Anblickes des
klassizistischen Gebäudes. Der Schutz erstreckt sich nicht - wie etwa
in dem im Urteil BGE 109 Ia 257 ff. behandelten Fall - auf die innere
Gestaltung des Hauses.

    Das Bundesgericht zählt die dem Altstadt- und Heimatschutz dienenden
Bauvorschriften, die dem Schutz der nach aussen sichtbaren Bausubstanz
dienen, seit jeher zu den herkömmlichen Eigentumsbeschränkungen
(BGE 91 I 341 E. 3 mit Verweisungen). Auch die Unterschutzstellung
der Fassaden und Dächer einzelner Häuser stellt - wie im angeführten
Entscheid festgestellt wurde - keinen ausserordentlich tiefgreifenden
Eingriff in das Eigentumsrecht am Hause dar. Freilich bleiben stets
die besonderen Umstände des Einzelfalles zu beurteilen. Als solche
führt der Beschwerdeführer den nach seiner Meinung wesentlich höheren
Wert an, welcher der Liegenschaft im Hinblick auf eine Neuüberbauung
zukommt. Entgegen seiner Ansicht kommt es jedoch nicht entscheidend auf die
Rendite an, die er bei einer Neuüberbauung erzielen könnte. Entscheidend
ist vielmehr, ob die herkömmlichen Eigentumsbeschränkungen, denen der
Beschwerdeführer unterliegt, eine bestimmungsgemässe, wirtschaftlich
sinnvolle und gute Nutzung weiterhin erlauben (BGE 111 Ib 264 f. E. 4a
mit Hinweisen). Diese Frage ist zu bejahen. Das Haus "Reburg" kann nach
wie vor als Mietobjekt - mithin seinem bestimmungsgemässen Gebrauch
entsprechend - genutzt werden. Nach den Angaben des Beschwerdeführers
vom 25. Februar 1982 betragen die Mietzinseinnahmen Fr. 63'792.--
pro Jahr. Der Marktwert des Hauses wird gemäss Expertise der St.
Galler Kantonalbank vom 23. Dezember 1983 auf Fr. 866'000.-- geschätzt
und die daraus resultierende Rendite mit 7,27% angegeben. Bei diesen
Gegebenheiten kann durchaus von einer wirtschaftlich sinnvollen und guten
Nutzung der Liegenschaft gesprochen werden. Auch ist eine weitergehende
bauliche Umgestaltung der "Reburg" im Innern möglich, so dass eventuell
eine Verbesserung der jetzigen Rendite erzielt werden kann. Der von der
Kantonalbank unter Annahme einer zonengemässen Ausnützungsmöglichkeit
ermittelte Wert ist demgegenüber nicht massgebend.

    Abgesehen hievon ist davon auszugehen, dass dem Beschwerdeführer
die historische und künstlerische Bedeutung der "Reburg" seit jeher
bewusst war, wurde doch beim Verkauf der Liegenschaft von der durch
den Beschwerdeführer vertretenen I. AG an die G. AG damit gerechnet,
dass das Haus zufolge seines baukünstlerischen und kulturellen Wertes in
seiner äusseren Gestaltung als prägendes Element innerhalb der Neubauten,
die gemäss den Plänen des Beschwerdeführers an der Rorschacherstrasse
erstellt wurden, erhalten bleibe. Unter diesen Umständen kann nicht
davon die Rede sein, dass dem Beschwerdeführer mit der Schutzanordnung,
mit deren Erlass er rechnen musste, wesentliche Eigentümerbefugnisse
entzogen worden wären. Durch die Schutzmassnahme, die sich auf die
nach aussen sichtbare historisch oder künstlerisch wertvolle Substanz
beschränkt, wird der Beschwerdeführer den im kantonalen Baurecht seit
langem bekannten und weit verbreiteten üblichen Eigentumsbeschränkungen
unterworfen, welche im Interesse des Altstadt- und Heimatschutzes in
Kauf genommen werden müssen. Erlauben diese Beschränkungen weiterhin eine
wirtschaftlich angemessene Nutzung, so führt das Gebot, Fassaden und Dach
zu erhalten, ebensowenig zu einem Entzug der wesentlichen aus dem Eigentum
sich ergebenden Befugnisse, wie dies nach einem Urteil des Bundesgerichts
bei einem Abbruchverbot im Interesse der Erhaltung preisgünstiger Wohnungen
der Fall war (BGE 99 Ia 41 E. 3c).

Erwägung 5

    5.- Im weiteren ist abzuklären, ob dem Beschwerdeführer mit der
Schutzmassnahme ein unzumutbares Opfer zugunsten der Allgemeinheit
auferlegt worden ist, so dass es mit der Rechtsgleichheit nicht vereinbar
wäre, wenn ihm hiefür keine Entschädigung geleistet würde.

    a) Diese Frage ist bereits deshalb zu verneinen, weil der
Beschwerdeführer sowohl beim ersten, im Jahre 1953 erfolgten Kauf eines
Abschnittes der Liegenschaft "Reburg" als auch bei dem im Jahre 1965
erfolgten Rückkauf der Restparzelle damit rechnen musste, der Abbruch des
klassizistischen Herrschaftshauses werde zufolge seines kulturellen und
künstlerischen Wertes nicht bewilligt. Andernfalls wäre nicht einzusehen,
warum er nicht auch die Restparzelle der "Reburg", auf der sich das
Herrschaftshaus befindet, in die von ihm geplante und verwirklichte
Neuüberbauung einbezogen hätte. Konnte der Beschwerdeführer nicht
damit rechnen, eine Neuüberbauung lasse sich auch auf der Restparzelle
Rorschacherstrasse 155 verwirklichen, so kann nicht von einem Sonderopfer
die Rede sein (BGE 109 Ib 15 f. E. 2 mit Verweisungen).

    b) Selbst wenn man aber davon ausgehen wollte, der Beschwerdeführer
habe mit einer Neuüberbauung rechnen dürfen, weil er den künstlerischen
oder geschichtlich wertvollen Charakter der "Reburg" habe in Frage
stellen dürfen, so könnte dennoch von einem entschädigungspflichtigen
Sonderopfer unter den gegebenen Umständen nicht gesprochen werden. Entgegen
der Auffassung des Beschwerdeführers hat das Verwaltungsgericht die
Rechtsprechung des Bundesgerichts keineswegs verkannt. Es hat vielmehr in
zutreffender Weise sowie in Übereinstimmung mit der Lehre (YVO HANGARTNER,
Grundsätzliche Probleme der Eigentumsgarantie und der Entschädigungspflicht
in der Denkmalpflege, in: Rechtsfragen der Denkmalpflege, St. Gallen
1981, S. 66 f.) auf den Kreis der Betroffenen abgestellt, die sich in
gleichen oder ähnlichen Verhältnissen befinden, um zu entscheiden, ob der
Beschwerdeführer als einzelner zugunsten der Allgemeinheit in unzumutbarer
Weise betroffen werde. Dabei durfte das Gericht aus dem von der Stadt St.
Gallen aufgestellten Inventar der schützenswerten Bauten ausserhalb der
Altstadt folgern, dass die dem Beschwerdeführer auferlegte Schutzmassnahme
in gleicher Weise die grosse Zahl aller Eigentümer von Bauten trifft, deren
nach aussen sichtbare Substanz im Interesse des Schutzes des überlieferten
Ortsbildes zu erhalten ist. Entgegen der Auffassung des Beschwerdeführers
lässt sich die Annahme des Verwaltungsgerichts, diese rund 250 Eigentümer
müssten mit gleichen Schutzmassnahmen rechnen und befänden sich daher
in der gleichen Lage, in keiner Weise beanstanden. Auch kann der
Beschwerdeführer aus der Bemerkung im Urteil BGE 108 Ib 355 f. E. 4a,
wonach die Unterschutzstellung eines Gebäudes in einem Strassenzug, der
mit einer grösseren Geschosszahl überbaut werden dürfte, möglicherweise
zu einem entschädigungspflichtigen Sonderopfer führen könnte, deshalb
nichts zu seinen Gunsten herleiten, weil eine solche Folgerung eine
stossende Rechtsungleichheit voraussetzt. Hievon könnte etwa dann
gesprochen werden, wenn in einer Strasse, deren bestehende Häuser in
gleicher Weise schutzwürdig sind, nur gerade ein Haus unter Schutz
gestellt wurde. So verhält es sich in der vorliegenden Sache nicht, in
der das klassizistische Gebäude der "Reburg" ursprünglich ausserhalb der
Stadt lag und der Beschwerdeführer die an das Haus anstossenden Flächen
abtrennen und mit mehrgeschossigen Wohnhäusern überbauen konnte.

    Von einem entschädigungspflichtigen Sonderopfer könnte sodann -
wie das Verwaltungsgericht zutreffend angenommen hat - allenfalls dann
gesprochen werden, wenn dem Beschwerdeführer weitergehende Schutzmassnahmen
auferlegt worden wären, die über die Erhaltung der äusseren Bausubstanz
hinausgingen, sofern solche Massnahmen zur Folge hätten, dass ihm
als einem einzelnen Eigentümer ein wirtschaftlich unzumutbares Opfer
zugunsten der Allgemeinheit auferlegt würde. Würden in einem solchen
Falle keine staatlichen Beiträge ausgerichtet, so wäre eine stossende
Rechtsungleichheit nicht auszuschliessen. Im vorliegenden Falle
unterliegt jedoch der Beschwerdeführer - wie bereits ausgeführt wurde -
bloss den im Interesse des Altstadt- und Heimatschutzes allgemein üblichen
Beschränkungen, wobei ihm diese keineswegs eine wirtschaftlich unzumutbare
Last auferlegen, konnte er doch die von ihm abparzellierten Teile der
Liegenschaft "Reburg" in wirtschaftlich guter Weise nutzen und bleibt
ihm auch eine bestimmungsgemässe und sinnvolle Nutzung des bestehenden
ehemaligen Herrschaftshauses erhalten.

    Nach dem Gesagten bedeutete es keine Verletzung von Bundesrecht, wenn
das Verwaltungsgericht zum Schluss gelangte, die Unterschutzstellung des
Hauses "Reburg" habe für den Beschwerdeführer keine materielle Enteignung
zur Folge. Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde ist daher abzuweisen.