Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 112 IB 256



112 Ib 256

42. Auszug aus dem Urteil der I. öffentlichrechtlichen Abteilung
vom 12. März 1986 i.S. Paulin Bergamin gegen Gemeinde Vaz/Obervaz und
Verwaltungsgericht des Kantons Graubünden (Verwaltungsgerichtsbeschwerde)
Regeste

    Eidg. Raumplanungsgesetz (RPG) und Rodungsbewilligung nach
eidg. Forstpolizeigesetzgebung.

    Die Erteilung einer Rodungsbewilligung für eine Waldparzelle schliesst
die Pflicht zur Einholung einer Ausnahmebewilligung nach Art. 24 RPG für
die zonenwidrige, auf der zur Rodung freigegebenen Parzelle zu erstellenden
Baute nicht aus.

Sachverhalt

    A.- Paulin Bergamin ist Eigentümer einer Parzelle in Valbella (Gemeinde
Vaz/Obervaz); diese ist mit einem Mehrfamilienhaus überbaut, in dem sich
mehrere Wohnungen, eine Arztpraxis und ein Gewerbehandel befinden. An diese
Parzelle schliesst ein Grundstück an, welches im Eigentum der Gemeinde
Vaz/Obervaz steht und gemäss Zonenplan in der Forstwirtschaftszone liegt.

    Bergamin beabsichtigt, auf der Nachbarparzelle Garagen zu
errichten. Das Eidgenössische Departement des Innern erteilte der Gemeinde
Vaz/Obervaz am 23. Dezember 1983 die Rodungsbewilligung zum Zwecke der
Erstellung der fraglichen Garagen, unter ausdrücklichem Vorbehalt einer
allfälligen Baubewilligung. In der Folge reichte Bergamin sein Baugesuch
ein. Das Departement des Innern und der Volkswirtschaft des Kantons
Graubünden und hernach auf Beschwerde hin das Verwaltungsgericht des
Kantons Graubünden verweigerten Bergamin die Bewilligung nach Art. 24
des eidgenössischen Raumplanungsgesetzes.

    Dagegen reichte Paulin Bergamin beim Bundesgericht
Verwaltungsgerichtsbeschwerde ein. Er macht zur Hauptsache geltend,
nach der gestützt auf das eidgenössische Forstpolizeirecht ergangenen
Rodungsbewilligung finde das eidgenössische Raumplanungsgesetz keine
Anwendung mehr. Das Bundesgericht weist die Beschwerde ab.

Auszug aus den Erwägungen:

                  Auszug aus den Erwägungen:

Erwägung 2

    2.- Der Beschwerdeführer macht mit seiner Beschwerde in erster
Linie geltend, das eidgenössische Raumplanungsrecht (RPG; SR 700)
sei im vorliegenden Fall nicht anwendbar; massgeblich sei vielmehr
ausschliesslich das Forstrecht als Spezialgesetzgebung. Nachdem
die zuständigen Behörden die Rodungsbewilligung erteilt und damit
insbesondere die Standortgebundenheit im Sinne von Art. 26 Abs. 3 FPolV
im Hinblick auf die Erstellung der streitigen Garagen bejaht hätten,
bedürfe es des Verfahrens und der Ausnahmebewilligung nach Art. 24 RPG
nicht mehr. Dies ergebe sich sowohl aus Art. 18 Abs. 3 RPG als auch aus
den Gesetzesmaterialien zum Raumplanungsgesetz.

    Nach Art. 18 Abs. 3 RPG ist das Waldareal durch die Forstgesetzgebung
umschrieben und geschützt. Mit diesem Verweis verzichtet das
Raumplanungsgesetz auf einen eigenen Waldbegriff und überlässt den Schutz
der Spezialgesetzgebung (vgl. Botschaft des Bundesrates zum eidgenössischen
Raumplanungsrecht, BBl 1978 I 1026). Wie sich aus der systematischen
Stellung und der Marginalie von Art. 18 RPG ergibt, legt diese Bestimmung
die anwendbare Nutzungsordnung fest. Die Forstpolizeigesetzgebung
umschreibt im einzelnen die Nutzungsart sowie die Voraussetzungen für
eine Rodung. Im Rodungsverfahren im speziellen sind die allgemeinen
Interessen an der Walderhaltung und die entgegenstehenden Interessen an
einer Rodung umfassend gegeneinander abzuwägen (Art. 26 FPolV). Da das
Raumplanungsgesetz eine umfassende Nutzungsordnung beansprucht, ist in
einem Verfahren, in welchem über die Bewilligung einer Baute im Waldareal
zu befinden ist, auch über die raumrelevanten Auswirkungen des Projektes
zu entscheiden. Richtigerweise sollte diese Prüfung bei der Beurteilung
der Standortgebundenheit nach Art. 26 Abs. 3 FPolV unter Mitwirkung
der Raumplanungsbehörden vorgenommen werden; andernfalls kann nicht von
einer umfassenden Interessenabwägung gesprochen werden. Der Aspekt der
raumrelevanten Auswirkungen ist indessen im vorliegenden Fall mit dem
Vorbehalt betreffend allfälliger Bewilligungen ausdrücklich offengelassen
worden, wie sich sowohl aus den Erwägungen als auch aus dem Dispositiv des
Entscheides des Eidgenössischen Departementes des Innern vom 23. Dezember
1983 ergibt. Bereits aus diesem Grunde ist es entgegen der Auffassung des
Beschwerdeführers keineswegs unsinnig, vielmehr unerlässlich, nach der
Durchführung des Rodungsverfahrens auch noch im Verfahren nach Art. 24
RPG über die raumrelevanten Auswirkungen des umstrittenen Projektes und
damit über dessen Standortgebundenheit zu befinden.

    Eine Ausnahmebewilligung nach Art. 24 RPG ist immer dann
erforderlich, wenn die projektierte Baute nicht der entsprechenden
Zone entspricht. Entgegen der Auffassung des Beschwerdeführers kann den
Materialien keineswegs entnommen werden, dass Bauprojekte auf Waldboden,
der zur Rodung freigegeben worden ist, dem Verfahren nach Art. 24
RPG nicht unterstellt seien (vgl. erwähnte Botschaft, S. 1028; HEINZ
AEMISEGGER/T. WETZEL, Wald und Raumplanung, Schweizerische Vereinigung
für Landesplanung (VLP), Schriftenfolge Nr. 38, Bern 1985, S. 120). Die
Bestimmung von Art. 24 RPG hat vielmehr umfassende Bedeutung. Im
vorliegenden Fall ist es unbestritten, dass die projektierten Garagen
der geltenden Zone nicht entsprechen. Aus diesem Grunde ist Art. 24 RPG
grundsätzlich anwendbar. Der vorliegende Fall unterscheidet sich damit
grundlegend von dem vom Beschwerdeführer erwähnten Fall aus dem Kanton Bern
(BVR 1981 S. 476): Hier handelte es sich um eine forstwirtschaftliche Baute
im Wald, die wegen ihrer Zonenkonformität keiner Ausnahmebewilligung nach
Art. 24 RPG, wohl aber einer Bewilligung im Sinne von Art. 22 bedurfte. Der
Beschwerdeführer kann daher aus diesem Entscheid nichts für seinen Fall
ableiten, der allenfalls anders zu beurteilen wäre, wenn die Gemeinde
Vaz/Obervaz zu einer entsprechenden Umzonung der Parzelle schreiten
würde. Demnach bedarf er im vorliegenden Fall einer Ausnahmebewilligung
nach Art. 24 RPG.

    Diese Auffassung steht mit der bisherigen Rechtsprechung des
Bundesgerichts im Einklang. In mehreren Entscheiden erklärte das
Bundesgericht ausdrücklich oder ging davon aus, dass neben der
Rodungsbewilligung auch eine Ausnahmebewilligung nach Art. 24
RPG erforderlich sei (ZBl 83/1982 S. 74 ff. und S. 554 ff.;
unveröffentlichte Urteile i.S. Ortsbürgergemeinde Rupperswil vom
23. Mai 1985 und i.S. Würgler vom 17. April 1985; vgl. zur Situation vor
Inkrafttreten des Raumplanungsgesetzes die unveröffentlichten Urteile i.S.
Würgler vom 2. August 1974 und i.S. Schweizerischer Bund für Naturschutz
vom 1. Dezember 1976). Dieselbe Meinung wird denn auch in der Doktrin
vertreten (AEMISEGGER/WETZEL, aaO, S. 82 ff., insbesondere S. 84 f. sowie
S. 117 ff.).

    Bei dieser Sachlage hat das Verwaltungsgericht kein Bundesrecht
verletzt, indem es Art. 24 RPG auf das streitige Projekt anwandte und
das Baugesuch nach den entsprechenden Kriterien prüfte.

Erwägung 3

    3.- / 4.- (Das Bundesgericht verneint eine Verletzung des
Grundsatzes von Treu und Glauben und bestätigt die Verweigerung einer
Ausnahmebewilligung nach Art. 24 RPG.)