Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 112 IB 212



112 Ib 212

36. Auszug aus dem Urteil der I. öffentlichrechtlichen Abteilung vom
14. Juli 1986 i.S. E. AG und Mitbeteiligte gegen Bundesamt für Polizeiwesen
(Verwaltungsgerichtsbeschwerde) Regeste

    Rechtshilfevertrag mit den USA.

    1. Die amerikanischen Bestimmungen über die Ausfuhr von
Hochtechnologie-Produkten sind nicht nur militärisch und strategisch,
sondern auch wirtschaftspolitisch bedingt. Bei deren Verletzung ist daher
die Rechtshilfe nach Art. 2 Ziff. 1 lit. c Abs. 1 und 2 des Staatsvertrages
nicht ausgeschlossen.

    2. Die Verletzung von Ausfuhrbestimmungen fällt unter Art. 76 des eidg.
Zollgesetzes (Bannbruch).

    3. Die Verletzung von Ausfuhrbestimmungen ist nicht in der dem
Staatsvertrag angefügten Liste enthalten. Die Rechtshilfe kann nach Art. 4
Ziff. 3 des Vertrages gewährt werden. Das BAP hat in dieser Hinsicht sein
Ermessen nicht überschritten.

Sachverhalt

    A.- Die Behörden der Vereinigten Staaten von Amerika stellten
beim Bundesamt für Polizeiwesen (BAP) gestützt auf den Staatsvertrag
zwischen der Schweiz und den USA ein Gesuch um Rechtshilfe, mit dem
sie die Beschlagnahme von Urkunden bei Schweizer Firmen und deren
verantwortlichen Organen verlangen. Das Ersuchen steht im Zusammenhang
mit der Anschuldigung, dass Computersysteme, Einzelteile und Zubehör
ohne Genehmigung des US-Handelsministeriums aus den USA ausgeführt, über
Drittländer in die Schweiz transportiert und von hier in die DDR und die
Sowjetunion weitergeleitet worden sind.

    Das BAP bewilligte die Rechtshilfe. Dagegen reichten die betroffenen
Schweizer Firmen und deren verantwortliche Organe beim Bundesgericht
Verwaltungsgerichtsbeschwerde ein. Sie rügen u.a., es fehle an der
gegenseitigen Strafbarkeit. Das Bundesgericht weist die Beschwerde in
diesem Punkte ab.

Auszug aus den Erwägungen:

                  Auszug aus den Erwägungen:

Erwägung 4

    4.- a) Gemäss Art. 4 Ziff. 2 RVUS dürfen in Ausführung der Rechtshilfe
Zwangsmassnahmen (Hausdurchsuchung, Beschlagnahme) im ersuchten Staat
nur angewendet werden, wenn die Handlung, die das Ersuchen betrifft,
die objektiven Merkmale eines Straftatbestandes erfüllt, der in der
Liste im Anhang zum Staatsvertrag aufgeführt ist und der zudem nach
seinem eigenen Recht strafbar wäre; im Unterschied zum Auslieferungsrecht
muss der ersuchte Staat nicht untersuchen, ob der Sachverhalt auch einen
Straftatbestand nach dem Recht des ersuchenden Staates erfüllt (BGE 105
Ib 426 E. 5). Die Auffassung der Beschwerdeführer, auf beiden Seiten
müsse die beidseitige Strafbarkeit in dem Sinne vorhanden sein, dass die
Strafbarkeit den Schutz ähnlicher Rechtsgüter bezweckt, findet hingegen
im Vertragswortlaut keine Stütze. Sie würde zum Prinzip der identischen
Norm führen, welches nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung nicht
massgeblich ist (BGE 110 Ib 84 E. 4a, 109 Ib 181, mit Hinweis). Der Sinn
der Regel der beidseitigen Strafbarkeit besteht nach schweizerischer
Auffassung darin, dass für ausländische Strafverfahren in der Schweiz
nur dann Zwangsmassnahmen ergriffen werden sollen, wenn auch in der
Schweiz ein Strafverfahren zur Verfolgung eines Sachverhaltes, wie er im
Rechtshilfebegehren umschrieben wird, durchgeführt werden könnte (vgl. die
Ausführungen in der Botschaft des Bundesrates an die Bundesversammlung
über die Genehmigung von sechs Übereinkommen des Europarates, BBl 1966
I 456 ff., insbes. 479 ff.).

    Der weitere Einwand der Beschwerdeführer, die USA würden in
einem umgekehrten Fall die Rechtshilfe verweigern, ist durch nichts
belegt. Die im vorliegenden Fall massgeblichen Ausfuhrbestimmungen der
USA, d.h. das Verbot der Ausfuhr von Hochtechnologie-Produkten, sind
nicht rein militärisch und strategisch, sondern offensichtlich auch
wirtschaftspolitisch bedingt. Die Verletzung derartiger Ausfuhrverbote
stellt nach dem Recht der Schweiz kein politisches oder militärisches
Delikt dar, für das die Rechtshilfe nach Art. 2 Ziff. 1 lit. c Abs. 1
oder Abs. 2 RVUS verweigert werden könnte. Vielmehr fallen die im
Rechtshilfegesuch geschilderten Sachverhalte im Gegensatz zur Ansicht
der Beschwerdeführer unter Art. 76 des Zollgesetzes vom 1. Oktober 1925
(SR 631.0), der den Bannbruch, d.h. die Verletzung von Verboten oder
Beschränkungen der Ein-, Aus- oder Durchfuhr von Waren mit Strafe bedroht
(BGE 110 Ib 85). Nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung gestattet
denn Art. 2 RVUS dem ersuchten Staat nicht, die Rechtshilfe in Verfahren zu
verweigern, die Handlungen gegen wirtschaftspolitische Massnahmen betreffen
(BGE 110 Ib 85).

    b) Unbestritten ist, dass der fragliche Tatbestand nicht in der dem
Staatsvertrag beigegebenen Liste aufgeführt ist. In einem solchen Fall
entscheidet gemäss Art. 4 Ziff. 3 RVUS die Zentralstelle, ob die Bedeutung
der Tat Zwangsmassnahmen rechtfertige. Die Würdigung der Bedeutung der
Tat hat nach den konkreten Umständen des einzelnen Rechtshilfefalles zu
erfolgen. Dabei steht der Zentralstelle ein recht weites Ermessen zu. Das
Bundesgericht auferlegt sich daher bei der Prüfung ihres Entscheides eine
gewisse Zurückhaltung. Es greift nur ein, wenn die Verwaltungsbehörde
ihr Ermessen überschritten oder missbraucht hat (BGE 110 Ib 87 f.,
mit Hinweisen).

    Ein derartiger Vorwurf kann dem BAP nicht gemacht werden. Es ist darauf
hinzuweisen, dass es sich im vorliegenden Fall nicht um ein einmaliges
Vorkommnis handelt, sondern um ein fortgesetztes bzw. wiederholtes
Verhalten während rund drei Jahren, das zu nicht weniger als 23
Anklagepunkten führte. Nach amerikanischer Rechtsauffassung geht es um
Delikte, welche neben Geldstrafen mit fünf bzw. zehn Jahren Gefängnis als
Maximalstrafe bedroht sind. Ferner ist auch die wirtschaftliche Bedeutung
der getätigten Geschäfte zu beachten. Selbst wenn man Art. 4 Abs. 3 RVUS
nur auf Formen der Kriminalität anwenden wollte, die im Zeitpunkt des
Vertragsabschlusses noch nicht bekannt waren (vgl. ANDRÉ ALOIS WICKI,
Der Staatsvertrag zwischen der Schweizerischen Eidgenossenschaft und
den Vereinigten Staaten von Amerika über gegenseitige Rechtshilfe in
Strafsachen, in: SJZ 1974/70, S. 343), hätte das BAP sein Ermessen
nicht überschritten. Denn die hier in Frage stehende Kriminalität war
bei der Ausarbeitung des Staatsvertrages im Jahre 1973 kaum in ihrem
Umfang und ihrer Bedeutung, wie sie mit der ungeheuren Entwicklung der
Computertechnologie im Verlaufe der vergangenen zehn Jahre möglich wurde,
bekannt. Die Beschwerde erweist sich demnach auch in diesem Punkt als
unbegründet.