Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 112 IB 124



112 Ib 124

19. Auszug aus dem Urteil der I. öffentlichrechtlichen Abteilung
vom 23. April 1986 i.S. X. AG gegen Schweizerische Eidgenossenschaft
(Verwaltungsgerichtsbeschwerde) Regeste

    Einleitung eines Enteignungsverfahrens vor den eidgenössischen
Schätzungskommissionen durch Private.

    1. Welche Möglichkeiten hat ein Privater vor den eidgenössischen
Schätzungskommissionen ein Enteignungsverfahren einzuleiten? (E. 2)

    2. Die Beschwerdeführerin verlangt vorliegend eine Entschädigung
dafür, dass sie ihr Projekt eines Tanklagers ändern und zusätzliche,
sonst nicht notwendige Sicherheitsmassnahmen ergreifen musste, um
im Falle eines Tanklagerbrandes die Gefahren für den benachbarten
Armeemotorfahrzeugpark (AMP) zu verringern oder wenn möglich ganz
auszuschliessen. Die eidgenössische Schätzungskommission ist aber nicht
zuständig zum Entscheid über eine solche Entschädigungsforderung. Das EMD
hat deshalb die Eröffnung eines Enteignungsverfahrens zu Recht abgelehnt
(E. 3).

Sachverhalt

    A.- Die X. AG erstellte in der Gemeinde G. ein grösseres
Tanklager. Unmittelbar daneben befindet sich ein Armeemotorfahrzeugpark
(AMP) der Schweizerischen Eidgenossenschaft. Das Unternehmen macht geltend,
es habe auf Verlangen der eidgenössischen Kriegsmaterialverwaltung (KMV)
und unter Androhung der Enteignung verschiedene bauliche Massnahmen
vorkehren müssen, um den spezifischen Gefahren, welche das Tanklager für
den AMP mit sich bringt, Rechnung zu tragen. Die sich daraus ergebenden
Mehrkosten betragen nach Angaben der X. AG ca. 2,5 Millionen Franken. Die
Eidgenossenschaft lehnt es indessen ab, auch nur einen Teil dieser
Mehraufwendungen zu bezahlen.

    Am 13. März 1984 ersuchte die X. AG das Eidgenössische
Militärdepartement (EMD) beim Präsidenten der zuständigen
Schätzungskommission das Enteignungsverfahren einzuleiten, damit sie
ihre Entschädigungsansprüche gegen die Schweizerische Eidgenossenschaft
geltend machen könne. Der geschilderte Sachverhalt erfülle gemäss ihrem
Standpunkt den Tatbestand der materiellen Enteignung. Mit Verfügung vom
20. August 1984 lehnte das EMD diesen Antrag ab.

    Die X. AG führt gegen den Entscheid des EMD
Verwaltungsgerichtsbeschwerde beim Bundesgericht. Sie beantragt, er sei
aufzuheben und es sei die Eröffnung des Enteignungsverfahrens durch das
EMD anzuordnen; eventualiter sei die Sache zur neuen Beurteilung an die
Vorinstanz zurückzuweisen.

    Das Bundesgericht weist die Beschwerde ab aus folgenden

Auszug aus den Erwägungen:

                          Erwägungen:

Erwägung 2

    2.- Der Gesetzgeber hat die eidgenössischen Schätzungskommissionen als
richterliche Spezialinstanzen primär für die erstinstanzliche Beurteilung
von Ansprüchen auf dem Gebiet der formellen Enteignung geschaffen
(vgl. Art. 59 und 64 EntG). In der Regel kann einzig das Unternehmen,
das mit dem Enteignungsrecht ausgestattet oder welchem dieses noch zu
verleihen ist, dem zuständigen Präsidenten das Gesuch zur Einleitung des
Enteignungsverfahrens stellen.

    Die Privaten können ihre Entschädigungsforderungen erst dann bei
der Schätzungskommission anmelden, wenn das Verfahren bereits eröffnet
ist, d.h. wenn eine öffentliche Planauflage im Sinne von Art. 30 EntG
stattgefunden hat oder wenn ihnen im abgekürzten Verfahren nach Art. 33
f. EntG eine persönliche Anzeige zugestellt worden ist (BGE 106 Ib 234
E. 2a mit Hinweisen). Sind diese Voraussetzungen nicht gegeben, so hat
der Private, der eine Entschädigungsforderung geltend machen will, beim
Enteigner die Eröffnung eines Enteignungsverfahrens zu beantragen oder -
wenn das Enteignungsrecht noch übertragen werden muss (Art. 3 Abs. 3 EntG)
- bei der dazu zuständigen Behörde vorstellig zu werden (BGE 110 Ib 371
E. 1 mit Hinweis).

    Dagegen können sich die Privaten dort, wo es die Spezialgesetzgebung
ausdrücklich vorsieht, mit einem Gesuch um Eröffnung des
Schätzungsverfahrens direkt an den Präsidenten der Schätzungskommission
wenden; es handelt sich hiebei um Fälle der materiellen Enteignung,
deren Beurteilung der Gesetzgeber nach Erlass des Enteignungsgesetzes für
besondere Sachbereiche ebenfalls den eidgenössischen Schätzungskommissionen
übertragen hat (vgl. z.B. Art. 18 Abs. 2 und Art. 25 Abs. 3 des
Bundesgesetzes über die Nationalstrassen vom 8. März 1960; Art. 44 Abs. 1
und 4 des Bundesgesetzes über die Luftfahrt vom 21. Dezember 1948 sowie
Art. 18i des revidierten Eisenbahngesetzes vom 20. Dezember 1957).

Erwägung 3

    3.- Es ist unbestritten, dass die Schweizerische Eidgenossenschaft
zur Erfüllung ihrer Aufgaben im Zusammenhang mit der Landesverteidigung
das Enteignungsrecht besitzt (Art. 1 EntG) und dass das EMD die zu
seiner Ausübung zuständige Behörde ist (vgl. dazu BGE 109 Ib 134 E. c
und d mit Hinweisen). Ein Enteignungsverfahren vor der eidgenössischen
Schätzungskommission kann aber nur eröffnet werden, wenn diese zum
Entscheid über die geltend gemachte Entschädigungsforderung auch
tatsächlich kompetent ist. Es ist zu prüfen, ob dies im vorliegenden
Fall zutrifft.

    a) Die Beschwerdeführerin behauptet zu Recht nicht, sie erhebe ihre
Forderung gegenüber der Eidgenossenschaft als Entschädigung für den Entzug
oder die Beschränkung eines der Rechte, die gemäss Art. 5 Abs. 1 EntG
enteignet werden können. Es steht weder ein dingliches Recht an einem
Grundstück, das ihr gehört, noch ein aus dem Grundeigentum hervorgehendes
Nachbarrecht oder ein persönliches Recht von Mietern und Pächtern im
Sinne dieser Bestimmung auf dem Spiel. Die Beschwerdeführerin macht denn
auch nicht geltend, der Betrieb des AMP bewirke auf ihrem Grundstück
übermässige Immissionen, welche sie im Interesse der Landesverteidigung
dulden müsse. Im Gegenteil: Die X. AG verlangt eine Entschädigung
dafür, dass sie ihr Projekt für das Tanklager ändern und zusätzliche,
sonst nicht notwendige Sicherheitsmassnahmen ergreifen musste, um im
Falle eines Tanklagerbrandes die Gefahren für den AMP zu verringern
oder wenn möglich ganz auszuschliessen. Nicht die Eidgenossenschaft
verursacht somit übermässige Einwirkungen, sondern das Tanklager der
Beschwerdeführerin stellt eine Gefahrenquelle für den unmittelbar
benachbarten AMP dar. Der vorliegende Sachverhalt liegt ähnlich wie in
den Urteilen in Sachen Säurefabrik Schweizerhall (BGE 101 Ib 166 ff.) und
Maurino SA (BGE 108 Ib 492 ff.). In beiden Fällen hat das Bundesgericht
erkannt, dass der Grundeigentümer nicht gestützt auf Art. 5 Abs. 1 EntG
Entschädigungsforderungen geltend machen kann für Massnahmen, mit denen
Einwirkungen aus seinem Grundstück auf solche der Nachbarn verhindert oder
entsprechende Gefahren verringert werden sollen. Der Private kann auch
nicht gestützt auf Art. 7 Abs. 3 EntG vom Bund verlangen, er solle solche
Vorkehren auf eigene Rechnung vornehmen lassen (BGE 108 Ib 498 E. 5).

    b) Die Beschwerdeführerin vertritt jedoch die Ansicht, die finanziellen
Aufwendungen für die zusätzlichen, bei einem "gewöhnlichen" Nachbarn nicht
notwendig gewesenen Sicherheitsmassnahmen zum Schutz des AMP erfüllten den
Tatbestand der materiellen Enteignung. Sie nennt aber keine Bestimmung
des Bundesrechts, nach welcher die eidgenössische Schätzungskommission
zum Entscheid über einen solchen Anspruch zuständig wäre. Eine solche Norm
besteht - soweit ersichtlich - auch nicht, und die Beschwerdeführerin irrt,
wenn sie aus BGE 106 Ib 234 E. 2a am Ende eine allgemeine Kompetenz der
Schätzungskommission ableitet. Aus dieser Textstelle ergibt sich vielmehr,
dass die sachliche Zuständigkeit der eidgenössischen Schätzungskommission
nur durch besondere gesetzliche Vorschrift begründet werden kann (vgl. dazu
die Beispiele in E. 2 am Ende).

    c) Die eidgenössische Schätzungskommission ist somit offensichtlich
nicht zuständig zum Entscheid über die von der Beschwerdeführerin
erhobenen Ansprüche. Das EMD hat deshalb kein Bundesrecht verletzt,
wenn es den Antrag der X. AG auf Eröffnung eines Enteignungsverfahrens
abgelehnt hat. Die Schätzungskommission hätte auf ein entsprechendes
Gesuch des EMD wegen fehlender sachlicher Kompetenz ohnehin nicht
eintreten können. Zwar entscheidet diese gemäss Art. 64 Abs. 2 EntG
selbst über ihre Zuständigkeit, aber es würde im vorliegenden Fall einen
unnötigen Formalismus darstellen, diese Frage in erster Instanz von der
Kommission selbst beantworten zu lassen. Das Bundesgericht ist nicht
nur Aufsichtsbehörde über die eidgenössischen Schätzungskommissionen,
sondern es würde auch im Rahmen der in Art. 64 Abs. 2 EntG vorgesehenen
Verwaltungsgerichtsbeschwerde mit voller Kognition über dieselbe Frage
entscheiden wie im vorliegenden Urteil. Das Recht der Beschwerdeführerin,
das strittige Problem einem Gericht zur Lösung zu unterbreiten, ist somit
voll gewahrt (vgl. auch BGE 110 Ib 379 E. 3a).