Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 112 IB 1



112 Ib 1

1. Auszug aus dem Urteil der II. öffentlichrechtlichen Abteilung
vom 23. April 1986 i.S. X. gegen Regierungsrat des Kantons Zürich
(Verwaltungsgerichtsbeschwerde) Regeste

    Erlöschen der Niederlassungsbewilligung (Art. 9 Abs. 3 lit. c ANAG).

    1. Die Abmeldung des ausreisenden Ausländers führt nur dann zum
Erlöschen der Niederlassungsbewilligung, wenn sie gegenüber einer Behörde
mit fremdenpolizeilichen Aufgaben und ausdrücklich erfolgt (E. 3a).

    2. Der Ausländer kann eine förmliche Abmeldung unterlassen und dadurch
die Niederlassungsbewilligung bis zu 6 Monaten aufrechterhalten.

    3. Das Erwirken einer Barauszahlung der
Pensionskassen-Austrittsleistung kann weder als fremdenpolizeiliche
Abmeldung gelten, noch an und für sich Anlass zu einer Ausweisung geben
(E. 3b).

Sachverhalt

    A.- X. hat die Niederlassungsbewilligung im Kanton Zürich seit
1983, seine Ehefrau und ein Kind seit 1982; ein zweites Kind lebt
in Jugoslawien. Als X. auf Ende Mai 1984 gekündigt wurde, äusserte er
gegenüber seiner Arbeitgeberfirma die Absicht, endgültig nach Jugoslawien
zurückkehren zu wollen und erhielt demzufolge sein Pensionskassenkapital
ausbezahlt. Die Eheleute X. verliessen die Schweiz Ende Mai/Anfangs
Juni 1984, ohne sich abzumelden; die Einwohnerkontrolle erhielt hiervon
Kenntnis durch die Arbeitgeberfirma und den Wohnungsvermieter. Im
Oktober 1984 reisten die Eheleute X. wieder in die Schweiz ein und
stellten am 25. Oktober 1984 ein Gesuch um "Wiedererteilung" der
Niederlassungsbewilligung, welches die Polizeidirektion des Kantons
Zürich abwies. Einen gegen diesen Entscheid gerichteten Rekurs wies der
Regierungsrat des Kantons Zürich ebenfalls ab. Das Bundesgericht heisst die
dagegen erhobene Verwaltungsgerichtsbeschwerde gut, dies aufgrund folgender

Auszug aus den Erwägungen:

                          Erwägungen:

Erwägung 2

    2.- Ausgangspunkt für die Beurteilung des vorliegenden Falles bildet
Art. 9 Abs. 3 lit. c ANAG. Danach erlischt die Niederlassungsbewilligung
durch Abmeldung oder tatsächlichen Aufenthalt im Ausland von 6 Monaten;
diese Frist kann bis auf zwei Jahre verlängert werden, wenn der Ausländer
rechtzeitig ein entsprechendes Begehren stellt.

    a) Nach dem angefochtenen Entscheid sind die
Niederlassungsbewilligungen des Beschwerdeführers und seiner Angehörigen
hauptsächlich deswegen erloschen, weil sie zufolge definitiver Ausreise
ihren Lebens-Mittelpunkt ins Ausland verlegt hätten. Das Gesetz stellt
indessen nicht darauf ab, ob der Lebens-Mittelpunkt verlegt, bzw. der
Wohnsitz in der Schweiz aufgegeben oder im Ausland ein neuer Wohnsitz
begründet wurde. Der Gesetzgeber hat offensichtlich den Wohnsitzbegriff
(mit all seinen Schwierigkeiten) gemieden und aus Praktikabilitätsgründen
zwei möglichst eindeutige und formale Kriterien gewählt: Abmeldung und
sechsmonatiger Aufenthalt im Ausland. Diese Regelung weist keine Lücke
auf, die bei der Rechtsanwendung ausgefüllt werden müsste oder könnte. Ob
die behauptete Verlegung des Lebens-Mittelpunktes ins Ausland wirklich
stattgefunden habe, ist bei dieser Rechtslage nicht zu prüfen.

    b) Der angefochtene Entscheid und die Stellungnahme des Bundesamtes
für Ausländerfragen gehen davon aus, dass der Beschwerdeführer sich hätte
abmelden müssen.

    Nach Art. 2 Abs. 12 ANAV ist der "Ausländer, der eine Bewilligung
besitzt ..., verpflichtet, sich abzumelden, wenn er ... aus der Schweiz
wegzieht." Diese Verordnungsbestimmung ist gesetzeskonform auszulegen:
Der in der Schweiz niedergelassene Ausländer kann zunächst ohne
Abmeldung - probeweise - das Land verlassen, ohne bereits dadurch die
Niederlassungsbewilligung zu verlieren, und innert 6 Monaten zurückkehren,
wenn es ihm bis dahin nicht gelungen ist, im Ausland eine Bleibe zu finden;
er kann sich in einem solchen Fall die Frist zur Rückkehr mit rechtzeitigem
Gesuch bis auf zwei Jahre verlängern lassen (unveröffentlichter BGE
vom 22. November 1985 i.S. V.N.M.). An dieser sich klar aus dem Gesetz
ergebenden Regelung konnte die Verordnung nichts ändern; bei bloss
probeweisem Wegzug besteht keine Abmeldepflicht.

    Auch der Ausländer, der eigentlich fest entschlossen ist, definitiv
aus der Schweiz wegzuziehen, kann sich für den Fall, dass er im Ausland
auf unerwartete Schwierigkeiten stossen sollte, die Möglichkeit der
Rückkehr dadurch offenhalten, dass er die Abmeldung unterlässt; er ist
nicht zur Abmeldung verpflichtet. Nach dem Gesagten geht es nicht an,
eine nicht erfolgte Abmeldung als doch erfolgt zu unterstellen.

    Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus BGE 99 Ib 1 ff. Jener
Entscheid betraf einen Ausländer, der keine Niederlassungs-, sondern nur
eine befristete Aufenthaltsbewilligung hatte. Aufenthaltsbewilligungen
erlöschen jedoch bereits, wenn der Aufenthalt in der Schweiz tatsächlich
aufgegeben wird (Art. 9 Abs. 1 lit. c ANAG). Die Rechtslage ist also eine
andere (BGE 99 Ib 1 ff. erwähnt die Niederlassungsbewilligung als nicht
vergleichbares Gegenbeispiel).

Erwägung 3

    3.- a) Der Beschwerdeführer hatte wahrscheinlich den Willen, die
Schweiz definitiv zu verlassen. Er hatte keine Arbeit mehr, gab seine
Wohnung auf und hat nach seinen Angaben bescheidenes Umzugsgut nach
Jugoslawien mitgenommen.

    Grosses Gewicht wird im angefochtenen Entscheid und in der
Vernehmlassung des Bundesamtes für Ausländerfragen dem Umstand
beigemessen, dass der Beschwerdeführer bei der Pensionskasse seiner letzten
Arbeitgeberfirma die Barauszahlung der Austrittsleistung erwirkte, indem
er unter Vorlage einer konsularischen Bestätigung erklärte, die Schweiz
definitiv verlassen zu wollen. Das Bundesamt für Ausländerfragen ist der
Ansicht, dieses Vorgehen habe als Abmeldung im Sinne von Art. 9 Abs. 3
lit. c ANAG zu gelten.

    Dieser Auffassung kann nicht zugestimmt werden. Pensionskasse
bzw. berufliche Vorsorge und Fremdenpolizei sind verschiedene, vom
Gesetzgeber vollständig getrennt geregelte Sachgebiete. Die in Frage
stehende fremdenpolizeiliche Abmeldung hat eine grosse Tragweite; mit ihr
erlischt die Niederlassungsbewilligung, die ein Ausländer nicht leicht,
sondern in der Regel erst nach langjährigem Aufenthalt in der Schweiz
erhält. Auf eine einmal erfolgte Abmeldung kann grundsätzlich nicht
zurückgekommen werden. Anderseits bewirkt das Unterlassen der Abmeldung,
dass die Niederlassungsbewilligung vorübergehend erhalten bleibt. Wegen
der Tragweite der Abmeldung ist es unerlässlich, dass der Ausländer sie
gegenüber einer Behörde mit fremdenpolizeilichen Aufgaben ausdrücklich
erklärt. Eine "Abmeldung" gegenüber dem Arbeitgeber oder Wohnungsinhaber,
die zu andern als fremdenpolizeilichen Zwecken geschieht, genügt dazu
nicht.

    b) Es kann stossend erscheinen, dass ein Ausländer gegenüber der
Pensionskasse im Hinblick auf die Barauszahlung der Austrittsleistung
behauptet, definitiv ausreisen zu wollen, aber dann die fremdenpolizeiliche
Abmeldung trotzdem unterlässt. Doch darin ist nicht ohne weiteres ein
widersprüchliches, missbräuchliches oder bösgläubiges Verhalten zu
sehen. Ein Ausländer kann durchaus den festen Willen zur Ausreise haben
und sich dennoch durch Unterlassen der fremdenpolizeilichen Abmeldung
eine Rückkehrmöglichkeit offenhalten, wie dies das Gesetz zulässt.

    Selbst wenn ein Ausländer sich die Austrittsleistung der Pensionskasse
nicht in guten Treuen, sondern unter unzutreffenden Angaben bar auszahlen
lässt, ist es nicht Sache des Fremdenpolizeirechts, dafür indirekt eine
Sanktion zu verhängen. Ein sanktionsweiser Niederlassungsbewilligungsentzug
könnte nur durch Ausweisung gemäss Art. 10 ANAG erfolgen. Dass die
unkorrekte Erwirkung einer Barauszahlung einen Ausweisungsgrund darstelle,
ist aber weder geltend gemacht noch ersichtlich. Es trifft zwar zu,
dass der Ausländer, der nach der Barauszahlung in der Schweiz bleibt,
seine Altersvorsorge vermindert hat, aber damit ist der Ausweisungsgrund
von Art. 10 Abs. 1 lit. d ANAG (Belastung der öffentlichen Wohlfahrt)
noch keineswegs erfüllt.

    Abgesehen davon ist es Sache der Pensionskassen bzw. der für die
berufliche Vorsorge zuständigen Behörden, Vorkehren zu treffen für
den Fall der missbräuchlichen Erwirkung einer Barauszahlung durch einen
Ausländer. Sie könnten etwa prüfen, ob die Barauszahlung an einen Ausländer
nicht erst dann erfolgen soll, wenn er durch eine fremdenpolizeiliche
Bestätigung nachweist, dass sein Anwesenheitsrecht in der Schweiz definitiv
erloschen ist.

    Ob der Ausländer, der nach einer Barauszahlung in der Schweiz
niedergelassen bleibt, verhalten werden kann, die Barauszahlung
in der einen oder anderen Weise rückgängig zu machen, ist keine
fremdenpolizeiliche Frage und hier daher offenzulassen.

    Auf jeden Fall kann das Erwirken einer Barauszahlung der
Pensionskassenaustrittsleistung weder als fremdenpolizeiliche Abmeldung
gelten, noch an und für sich Anlass zu einer Ausweisung geben.