Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 112 IA 369



112 Ia 369

58. Auszug aus dem Urteil der I. Zivilabteilung vom 28. November 1986
i.S. X. gegen Y. und Kantonsgericht von Graubünden (staatsrechtliche
Beschwerde) Regeste

    Zivilprozess; Beweisaussage. ZPO des Kantons Graubünden vom 1. Dezember
1985.

    1. Voraussetzungen für die Anordnung der Beweisaussage (E. 2a, c).

    2. Anforderungen an die Protokollierung (E. 2b).

    3. Verhältnis zur freien Beweiswürdigung (E. 3).

Auszug aus den Erwägungen:

                      Aus den Erwägungen:

Erwägung 1

    1.- Das Kantonsgericht stellt entscheidend auf das Ergebnis der
Beweisaussage des Beschwerdegegners ab. Es stellt fest, dass der
Zeuge B. wegen schwerer Erkrankung nicht mehr befragt werden könne
und deshalb für den Beschwerdegegner ein Beweisnotstand bestehe. Der
Beschwerdegegner erscheine als glaubwürdig, und es sprächen auch Indizien
für seine Darstellung. Es bestehe kein Anlass, auch den Beschwerdeführer
zur Beweisaussage anzuhalten, da dieser Antrag erst vor Kantonsgericht
gestellt worden sei. Auf dieser Grundlage kommt das Kantonsgericht zum
Schluss, der Beschwerdeführer habe dem Beschwerdegegner die Übernahme
der Kosten der Malerarbeiten versprochen, wie sie vom Beschwerdegegner
bezahlt worden seien.

Erwägung 2

    2.- Nach Art. 201 ZPO/GR kann das Gericht von Amtes wegen oder auf
Antrag eine Partei zur Beweisaussage anhalten, wenn dies nach dem Ergebnis
der formfreien Befragung und des übrigen Beweisverfahrens geboten und die
zu befragende Person unverdächtig erscheint; vor der Beweisaussage wird
die Partei zur Wahrheit ermahnt und auf die Straffolgen des Art. 306 StGB
hingewiesen. Nach Art. 208 ZPO/GR sind die gestellten Fragen und deren
Beantwortung genau zu protokollieren. Soweit das Kantonsgericht gegen
den Wortlaut dieser Bestimmungen verstossen hat, liegt darin Willkür,
es sei denn es sprächen triftige Gründe dafür, dass der Wortlaut nicht
den wahren Sinn des Gesetzes wiedergebe (BGE 108 Ia 297 mit Hinweisen).

    a) Der Beschwerdeführer beanstandet, dass der Beweisaussage keine
formfreie Parteibefragung vorausgegangen sei, bei der auch er hätte befragt
werden müssen. Die Rüge trifft offensichtlich zu. Sachliche Gründe sprechen
klar für und nicht gegen das gesetzlich geforderte Vorgehen. Dass eine
Partei ihre Darstellung mit ihrer eigenen Beweisaussage voll beweisen darf,
kann zwar ausnahmsweise zur Abwendung eines Beweisnotstandes gerechtfertigt
sein; im Verfahren muss aber dem offenkundigen Interessenkonflikt und der
Bedeutung dieser Aussage Rechnung getragen werden, was an sich schon eine
genaue Beachtung der Prozessvorschriften verlangt. Wenn wie im vorliegenden
Fall nur eine der beiden Parteien zur Beweisaussage zugelassen wird,
erscheint eine vorausgehende formlose Befragung beider Parteien erst recht
als unerlässlich, weil nur danach in Verbindung mit weiteren Umständen
entschieden werden kann, welche der Parteien als glaubwürdiger erscheint
(vgl. zur entsprechenden Regelung nach § 150 ZPO/ZH STRÄULI/MESSMER N. 2
und 4).

    b) Der Beschwerdeführer rügt sodann, dass nur die Antworten des
Beschwerdegegners, nicht aber die Fragen protokolliert worden sind. Auch
das ist unbestritten. Dass dergestalt die Fragen in die Antworten verwoben
und nicht selbständig protokolliert werden, entspricht zwar dem Vorgehen
bei Zeugenbefragung (Art. 182 ZPO/GR); für die Beweisaussage gilt aber
ausdrücklich eine andere Regelung. Das hat seinen guten Sinn, weil damit
nicht nur eine gewisse Förmlichkeit des Verfahrens unterstrichen, sondern
auch die Würdigung der Aussagen erleichtert wird (vgl. in diesem Sinn
STRÄULI/MESSMER N. 6 zu § 150 ZPO/ZH). Auch diesbezüglich hat deshalb
das Kantonsgericht gegen Wortlaut und Sinn des Gesetzes verstossen.
Dass der Beschwerdeführer nicht sofort gegen diese Art der Protokollführung
remonstriert hat, kann ihm nicht zum Nachteil gereichen, weil das Gericht
sich auch im Einvernehmen mit den Parteien nicht über diese Prozessformen
hinwegsetzen kann und gerade derartige spezielle überdies erst kurz zuvor
revidierte Regelungen einem Anwalt nicht sofort bewusst werden müssen. Die
Beschwerde ist daher auch insoweit gutzuheissen.

    c) Zutreffend beanstandet der Beschwerdeführer sodann, dass das
Kantonsgericht auch hinsichtlich der erfolgten Zahlung der Malerrechnung
durch den Beschwerdegegner ausschliesslich auf dessen Beweisaussage
abstellt. Das Kantonsgericht geht selbst davon aus, dass die Beweisaussage
nur zur Abwendung eines Beweisnotstandes gegeben sei. Dass ein solcher
hinsichtlich dieser Zahlung des Beschwerdegegners an das Malergeschäft
F. gegeben wäre, wird im angefochtenen Urteil nicht dargelegt und ist
auch nicht erkennbar. Insoweit erweist sich die Beschwerde daher ebenfalls
als begründet.

Erwägung 3

    3.- Dem Kantonsgericht kam die freie Beweiswürdigung auch hinsichtlich
der Beweisaussage des Beschwerdegegners zu (Art. 158 ZPO/GR).
Dabei stand ihm zwar ein erheblicher Ermessensspielraum zu (BGE 101
Ia 306 E. 5 mit Hinweisen); doch ist eine Beweiswürdigung, welche
einseitig einzelne Beweise berücksichtigt, als willkürlich untersagt
(BGE 100 Ia 127). Besonders sorgfältig ist vorzugehen, wenn nach den
Umständen zu prüfen ist, ob sich eine Beweisaussage rechtfertigt und
welche Partei dazu zuzulassen ist (Art. 201 ZPO/GR). In diesem Sinn rügt
der Beschwerdeführer willkürliche Beweiswürdigung. Dass es sich dabei
um Rechtsanwendung handle, die im Berufungsverfahren zu beurteilen sei,
wie der Beschwerdegegner meint, trifft nicht zu...