Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 112 IA 350



112 Ia 350

55. Auszug aus dem Urteil der I. Zivilabteilung vom 9. Dezember 1986
i.S. H. gegen R. (staatsrechtliche Beschwerde) Regeste

    Art. 36 des Konkordats über die Schiedsgerichtsbarkeit (SR 279).

    Kognition des Bundesgerichts bei Überprüfung des kantonalen
Rechtsmittelentscheides. Freie Kognition betreffend die richtige
Anwendung von Art. 36 KSG. Deshalb Überprüfung, ob die kantonale Instanz
zu Unrecht Willkür im Sinne von Art. 36 lit. f KSG verneint hat (Änderung
der Rechtsprechung) (E. 1).

    Der Nichtigkeitsgrund der offenbaren Verletzung des Rechts gemäss
Art. 36 lit. f KSG betrifft nur das materielle, nicht aber Verfahrensrecht
(E. 2).

Auszug aus den Erwägungen:

                      Aus den Erwägungen:

Erwägung 1

    1.- Bei staatsrechtlichen Beschwerden gemäss Art. 84 Abs. 1 lit. b OG
überprüft das Bundesgericht die Auslegung und Anwendung von Konkordatsrecht
grundsätzlich frei (BGE 112 Ia 169 E. 3b mit Hinweisen). Zwei
veröffentlichte Entscheide gehen davon aus, dass das Bundesgericht nur
unter dem beschränkten Gesichtswinkel der Willkür prüfe, in welcher Art und
Weise die kantonale Instanz die ihr gemäss Art. 36 des Konkordats über die
Schiedsgerichtsbarkeit (SR 279; nachstehend KSG) zukommende Aufgabe erfüllt
habe (BGE 110 Ia 57 E. 1b und 107 Ib 65 E. 1). In dieser allgemeinen
Form stimmt die Aussage indessen nicht mit der ständigen Rechtsprechung
des Bundesgerichts überein, die nur für einen, allenfalls zwei (lit. f
und i) der neun in Art. 36 KSG genannten Beschwerdegründe vom Prinzip
der freien Überprüfbarkeit abweicht. Nach der Praxis zu Art. 36 lit. f
KSG hat das Bundesgericht, wenn die kantonale Instanz den Schiedsspruch
lediglich auf Willkür geprüft hat, nur noch untersucht, ob die kantonale
Instanz nicht ihrerseits in Willkür verfallen ist ("doppelte Willkür"
oder "Willkür im Quadrat": BGE 103 Ia 358; 105 Ib 436 E. b; 107 Ib 65
E. 1 und 67 E. 2c; 110 Ia 57). Neuerdings hat das Bundesgericht Zweifel
geäussert, ob diese Praxis mit Art. 84 Abs. 1 lit. b OG, wonach Rügen wegen
Verletzung von Konkordatsrecht frei überprüfbar sind, vereinbar sei (BGE
112 Ia 170). An ihr kann nach erneuter Prüfung nicht festgehalten werden;
die richtige Anwendung von Art. 36 KSG ist ausnahmslos frei zu prüfen,
gleich wie das Bundesgericht - wenn geltend gemacht wird, der angefochtene
Entscheid habe zu Unrecht Willkür verneint - frei prüft, ob die kantonale
Instanz die Verfassungsverletzung zu Unrecht verneint hat (BGE 111 Ia 354
f.). Diese freie Kognition bedeutet jedoch nicht, dass dem Bundesgericht
weitergehende Überprüfungsbefugnis zukomme als der kantonalen Instanz
auf Nichtigkeitsbeschwerde hin; es prüft lediglich frei, ob die kantonale
Instanz zu Unrecht Willkür im Sinne von Art. 36 lit. f KSG verneint habe.

Erwägung 2

    2.- a) Vorab rügt die Beschwerdeführerin, das Appellationsgericht
habe Art. 36 lit. f KSG willkürlich ausgelegt, indem es die geltend
gemachten Verfahrensmängel, insbesondere die unhaltbare Verletzung der
Eventualmaxime, nicht überprüft habe.

    Im angefochtenen Entscheid erwägt das Appellationsgericht, das
Schiedsverfahren werde in erster Linie durch Parteivereinbarung und
subsidiär durch Beschluss der Richter bestimmt. Gemäss Art. 36 KSG
sei die Nichtigkeitsbeschwerde nur bei bestimmten - in Art. 36 und
25 KSG aufgezählten - Verfahrensmängeln zulässig. Die Verletzung der
Eventualmaxime sei dort nicht erwähnt und falle auch nicht unter Art. 36
lit. f KSG, der nur das materielle Recht betreffe. Die diesbezüglichen
Vorbringen seien daher unbehelflich.

    b) Art. 36 lit. f nennt als Beschwerdegrund eine "offenbare Verletzung
des Rechts" (französischer Text: parce qu'elle constitue une violation
évidente du droit; italienischer Text: una manifesta violazione del
diritto). In der Literatur vertritt JOLIDON (Kommentar, N. 91 zu
Art. 36, S. 515) die Auffassung, auch eine offensichtliche Verletzung
von Prozessrecht könne zur Aufhebung des Schiedsspruchs wegen Willkür
im Sinne der genannten Bestimmung führen. Das Appellationsgericht beruft
sich demgegenüber auf DUTOIT/KNÖPFLER/LALIVE/MERCIER (Répertoire de droit
international privé suisse, Bd. 1 S. 351 N. 492). Die genannten Autoren
sind in der Tat der Auffassung, Art. 36 lit. f KSG habe in erster Linie
Verletzungen des materiellen Rechts im Auge, ohne indessen das Prozessrecht
ausdrücklich davon auszunehmen. Dasselbe gilt für RÜEDE/HADENFELD,
Schweizerisches Schiedsgerichtsrecht, S. 346 lit. c und d. In beiden
zitierten Werken wird zudem keine Begründung für eine Auslegung im Sinne
des angefochtenen Urteils gegeben.

    Im Konkordat werden verschiedene Verfahrensmängel ausdrücklich genannt,
die mit Nichtigkeitsbeschwerde bei einem ordentlichen Gericht gerügt
werden können (vgl. Art. 36 bzw. 25). Die Systematik spricht somit dafür,
dass gestützt auf Art. 36 lit. f KSG von den kantonalen Instanzen nur
offenbare Verletzungen des materiellen Rechts zu beheben sind. Ziel eines
Schiedsverfahrens ist die rasche Erledigung eines Rechtsstreits, was unter
anderem durch Beschränkung der Rechtsmittel und Rechtsbehelfe zu erreichen
versucht wird (BGE 110 Ia 130 E. 5d). Parteien, die eine Schiedsklausel
vereinbaren, engen somit bewusst ihre Anfechtungsmöglichkeiten ein. Ein
lückenloses Rechtsmittelsystem ist weder vorgesehen noch anzustreben,
da es dem Zweck einer Schiedsvereinbarung zuwiderlaufen würde. Das
Konkordat enthält eine ausführliche und detaillierte Regelung
der Nichtigkeitsgründe. Es ist allgemein anerkannt, dass Art. 36
KSG eher einschränkend auszulegen ist (BGE 110 Ia 124 E. 1, 100 Ia
423 E. 5a; RÜEDE/HADENFELD, aaO, S. 342 lit. b). Die Auffassung des
Appellationsgerichts, wonach mit Nichtigkeitsbeschwerde gemäss Art. 36
lit. f KSG die willkürliche Anwendung von Verfahrensrecht, hier der
Eventualmaxime, nicht geltend gemacht werden kann, ist demnach richtig
und die Beschwerde in diesem Punkt abzuweisen.