Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 112 IA 119



112 Ia 119

21. Auszug aus dem Urteil der I. öffentlichrechtlichen Abteilung
vom 24. Juli 1986 i.S. X. gegen Firma Y., Baukommission Meilen und
Verwaltungsgericht des Kantons Zürich (staatsrechtliche Beschwerde) Regeste

    Art. 4 BV; Legitimation des Nachbarn zur Anfechtung einer
Baubewilligung.

    1. Kantonale Vorschriften, welche das Erfordernis der
Zugangsmöglichkeiten zu Bauten näher umschreiben, stellen kein
Ausführungsrecht zum RPG dar. Dementsprechend richtet sich die
Legitimation zur Anfechtung einer Baubewilligung ausschliesslich nach
kantonalem Recht.

    2. Die Zürcher Praxis, wonach die Rechtsmittelbefugnis des Nachbarn
in Bausachen davon abhängt, ob für ihn einerseits eine hinreichend
enge nachbarliche Raumbeziehung zum Baugrundstück bestehe und ob er
anderseits durch die Erteilung der Baubewilligung mehr als irgend jemand
oder die Allgemeinheit in eigenen Interessen berührt sei, ist nicht
verfassungswidrig; sie deckt sich mit der Praxis des Bundesgerichts zu
Art. 103 lit. a OG.

Sachverhalt

    A.- X. ist Mieter einer Wohnung an der Strasse "Auf der Hürnen"
in Meilen. Diese Strasse ist nach seiner Darstellung 5 m bis 5,30 m
breit. Sie zweigt von der Burgstrasse ab und dient in erster Linie
der Feinerschliessung der angrenzenden, überwiegend bereits überbauten
Wohnhausliegenschaften. Sie endet mit einem Kehrplatz nach ungefähr 300
m. An den Kehrplatz schliesst die Zufahrt zum Wohnhaus Nr. 83 der Firma
Y. an. Dieses Haus soll teilweise umgebaut und mit einem Dachaufbau
versehen werden. Der von der Baukommission Meilen am 10. Juli 1984
bewilligte Um- und Aufbau bezweckt, ohne Einrichtung einer neuen Wohnung
zusätzliche Wohnfläche von rund 80 m2 zu schaffen.

    X., dessen Wohnung ohne Sichtverbindung rund 150 m vom Haus
Nr. 83 entfernt ist, erhob Einsprache und Beschwerde gegen das Um- und
Ausbauvorhaben der Firma Y. Zur Begründung machte er im wesentlichen
geltend, die Strasse "Auf der Hürnen" stelle eine ungenügende
Erschliessung dar; die Zugänglichkeit sei nicht hinreichend im Sinne von
§ 237 des Zürcher Planungs- und Baugesetzes (PBG). Namentlich genüge
die Fahrbahnbreite von 5 m nicht. Zufolge der parkierten Autos sei ein
Kreuzen erschwert, wenn nicht gar verunmöglicht. Wegen des Fehlens eines
Trottoirs seien die Fussgänger, namentlich die Kinder, die zur Hauptsache
gefährdeten Personen. Als Anwohner werde er durch das beanstandete Um-
und Ausbauvorhaben mehr als irgend jemand berührt, da es einen Mehrverkehr
von 1 bis 2 Autos nach sich ziehe.

    Die Baurekurskommission II trat auf den von X. erhobenen Rekurs ein,
wies ihn jedoch als unbegründet ab. Das Verwaltungsgericht des Kantons
Zürich stellte demgegenüber fest, dass die Rekurskommission auf die
Beschwerde gar nicht hätte eintreten dürfen. Es bezeichnete diese als
Popularbeschwerde und verneinte ein schutzwürdiges Anfechtungsinteresse
des Beschwerdeführers im Sinne von § 338a PBG.

    Gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts vom 31. Januar 1986
gelangte X. mit staatsrechtlicher Beschwerde wegen Verletzung von Art. 4
BV an das Bundesgericht. Er ist der Meinung, das Verwaltungsgericht sei
in willkürlicher Weise auf seine Beschwerde nicht eingetreten und habe
damit seinen Anspruch auf rechtliches Gehör missachtet. Er beantragt die
Aufhebung des Beschlusses und die Rückweisung der Sache zur materiellen
Beurteilung.

Auszug aus den Erwägungen:

                      Aus den Erwägungen:

Erwägung 3

    3.- Der Beschwerdeführer beruft sich bei seiner Kritik des
angefochtenen Entscheids u.a. auf den Grundsatz des eidgenössischen
Raumplanungsrechts, wonach Baubewilligungen nur erteilt werden dürfen,
wenn das Land erschlossen ist (Art. 22 Abs. 2 lit. b des Bundesgesetzes
vom 22. Juni 1979 über die Raumplanung, RPG). Es ist nicht klar, ob er
damit zum Ausdruck bringen will, die von ihm angefochtene Baubewilligung
der Baukommission Meilen vom 10. Juli 1984 sei eine Verfügung, die sich
auf das RPG und seine kantonalen Ausführungsbestimmungen stütze (Art. 33
Abs. 2 RPG). Sollte dies der Fall sein, so könnte seiner Auffassung
nicht gefolgt werden. Die Baubewilligung für den Um- und Aufbau des
bestehenden Wohnhauses auf der erschlossenen Liegenschaft "Auf der
Hürnen" 83 ist ausschliesslich in Anwendung kommunalen und kantonalen
öffentlichen Baurechts erteilt worden. Kantonale Ausführungsbestimmungen
im Sinne von Art. 33 RPG sind solche, die zur Hauptsache raumplanerische
Züge tragen, indem sie der zweckmässigen Nutzung des Bodens und der
geordneten Besiedlung des Landes dienen (vgl. EJPD/BRP, Erläuterungen zum
RPG, N. 16 zu Art. 33). Dies trifft für die von den Baubehörden in der
vorliegenden Sache angewandten Bauvorschriften, die den Um- und Ausbau
eines bestehenden, in der Wohnzone W 3 gelegenen Wohnhauses regeln,
nicht zu.

    Auch wenn das betreffende kantonale und kommunale Recht die
Zugänglichkeit zu Bauten und Anlagen im Sinne von § 237 PBG
näher umschreibt, wird es deswegen nicht zu Ausführungsrecht
zur Grundsatzgesetzgebung des Bundes. Es stellt weder die
Baubewilligungspflicht (Art. 22 Abs. 1 RPG) noch die Mindestvoraussetzungen
für die Bewilligung (Art. 22 Abs. 2 RPG) in Frage. Dass das der Wohnzone
W 3 zugewiesene, fast vollständig überbaute Quartier beidseits der Strasse
"Auf der Hürnen" erschlossen ist, anerkennt der Beschwerdeführer. Er ist
aber der Meinung, der Ausbau der Strasse vermöge den heutigen Anforderungen
des Strassenverkehrs nicht zu genügen. Die Festlegung der Ausmasse der
Erschliessungsanlagen und die Umschreibung der genügenden Zugänglichkeit
ist indes Sache des in Art. 22 Abs. 3 RPG vorbehaltenen kantonalen Rechts.

    Verhält es sich so, hat das kantonale Recht nicht bereits von
Bundesrechts wegen die Legitimation im gleichen Umfange wie für die
Verwaltungsgerichtsbeschwerde an das Bundesgericht zu gewährleisten
(ALFRED KUTTLER, Fragen des Rechtsschutzes gemäss dem Bundesgesetz über
die Raumplanung, ZBl 83/1982, S. 334). Auch steht das Bundesrecht einer
kantonalen Praxis, die eine mit Art. 103 lit. a OG im wesentlichen
übereinstimmende Vorschrift des kantonalen Prozessrechts in einem
gegenüber der Rechtsprechung des Bundesgerichts engeren Sinne anwendet,
nicht entgegen, sofern die Schranke der Willkür respektiert wird (BGE
vom 26. Februar 1982, ZBl 83/1982, S. 302 E. 2b).

Erwägung 4

    4.- Der Ausgang der Sache hängt somit davon ab, ob das
Verwaltungsgericht in willkürlicher Anwendung von § 338a PBG die
Beschwerdelegitimation des Beschwerdeführers verneint hat. Nach der
Rechtsprechung liegt Willkür nicht schon dann vor, wenn eine andere Lösung
in Betracht zu ziehen oder sogar vorzuziehen wäre; das Bundesgericht weicht
nur vom Entscheid der kantonalen Behörde ab, wenn dieser offensichtlich
unhaltbar ist, mit der tatsächlichen Situation in klarem Widerspruch steht,
eine Norm oder einen unumstrittenen Rechtsgrundsatz krass verletzt oder in
stossender Weise dem Gerechtigkeitsgedanken zuwiderläuft (BGE 111 Ia 19,
178, mit Hinweisen). Von Willkür in diesem Sinne kann nicht die Rede sein.

    a) Wie im angefochtenen Entscheid dargelegt wird, hängt nach der
Rechtsprechung des Zürcher Verwaltungsgerichts die Rechtsmittelbefugnis des
Nachbarn in Bausachen davon ab, ob für ihn einerseits eine hinreichend enge
nachbarliche Raumbeziehung zum Baugrundstück bestehe und ob er anderseits
durch die Erteilung der Baubewilligung mehr als irgend jemand oder die
Allgemeinheit in eigenen Interessen berührt sei. Eine hinreichend enge
räumliche Beziehung zum Baugrundstück ist dabei dann gegeben, wenn sich das
streitige Bauvorhaben im Sinn des geltend gemachten Anfechtungsinteresses
auszuwirken vermag. Ein schutzwürdiges Anfechtungsinteresse setzt sodann
voraus, dass die Auswirkungen des beanstandeten Bauvorhabens auf seine
Liegenschaft nach Art und Intensität so beschaffen sind, dass sie auch
bei objektivierter Betrachtungsweise als Nachteil empfunden werden müssen;
eine besondere subjektive Empfindlichkeit des Betroffenen verdient keinen
Rechtsschutz.

    Diese Rechtsprechung deckt sich in grundsätzlicher Hinsicht mit
der Praxis des Bundesgerichts zu Art. 103 lit. a OG. Auch für das
Bundesgericht vermag nicht jedes beliebige Interesse das ausreichende
"Berührtsein" in schutzwürdigen Interessen zu begründen. Mit den Worten
der Rechtsprechung muss eine besondere, beachtenswerte, nahe Beziehung zur
Streitsache vorliegen. Besondere und andere Interessen als das allgemeine
öffentliche Interesse an der richtigen Durchsetzung und einheitlichen
Anwendung des Bundesrechts müssen gegeben sein, damit das unmittelbare
Berührtsein bejaht werden kann (BGE 111 Ib 160; 110 Ib 100 f. E. 1a,
je mit Hinweisen).

    b) Im Lichte dieser Regel durfte das Verwaltungsgericht die
Rechtsmittelbefugnis des Beschwerdeführers verneinen, ohne in Willkür zu
verfallen. In seinen entscheidenden Erwägungen führte das Gericht aus,
dass bei der Beurteilung der Eintretensfrage summarisch zu untersuchen
sei, ob die Einwendungen des Beschwerdeführers überhaupt geeignet sein
können, allenfalls eine Rechtsverletzung durch das bekämpfte Bauvorhaben
aufzuzeigen. Auch das Bundesgericht geht so vor (BGE vom 2. November
1983, ZBl 85/1984 S. 378 ff. mit redaktioneller Bemerkung). Bei dieser
summarischen Prüfung gelangte das Gericht zum Ergebnis, dass die
allenfalls mögliche Verkehrszunahme, welche das Um- und Ausbauvorhaben
des Beschwerdeführers nach sich ziehen könne, gegenüber dem heute bereits
bestehenden Verkehr und gegenüber den auch ohne baurechtlich bedeutsame
Veränderung möglichen Verkehrsschwankungen nicht ins Gewicht falle.
Diese tatsächliche Feststellung des Verwaltungsgerichts, die vom
Bundesgericht nur unter dem Gesichtswinkel der Willkür zu prüfen ist,
ist nicht zu beanstanden.

    c) In Wirklichkeit wendet sich der Beschwerdeführer im Sinne
einer Popularbeschwerde gegen die nach seiner Meinung untragbaren
Verkehrsverhältnisse, die auf der 5 m breiten Strasse "Auf der Hürnen"
namentlich zufolge der parkierten Autos bestehen. Er ist der Meinung,
die Gemeinde sollte einen Strassenausbau mit Anlegung eines Trottoirs
anordnen. Damit macht er jedoch öffentliche Interessen geltend, die er dem
verhältnismässig bescheidenen Bauvorhaben der privaten Beschwerdegegnerin
gegenüber nicht geltend machen kann. Die aufgrund dieses Vorhabens mögliche
Verkehrszunahme durfte das Verwaltungsgericht ohne Willkür als nicht kausal
für eine weitere Verschlechterung der Verkehrsverhältnisse bezeichnen. Im
übrigen wäre es in erster Linie Sache der Verkehrspolizei, mit in ihren
Zuständigkeitsbereich fallenden Anordnungen - etwa Parkierungsverboten -
einzugreifen, wenn sich die Verhältnisse als wirklich untragbar erweisen
sollten.

    Die Beschwerde erweist sich somit klarerweise als unbegründet und
ist abzuweisen, soweit darauf eingetreten werden kann.