Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 112 IA 107



112 Ia 107

19. Auszug aus dem Urteil der I. öffentlichrechtlichen Abteilung vom 16.
April 1986 i.S. B. gegen Staatsanwaltschaft und Obergericht des Kantons
Aargau (staatsrechtliche Beschwerde) Regeste

    Art. 4 BV, Begründungspflicht; Grundsatz "nulla poena sine lege".

    1. Aus Art. 4 BV folgt die grundsätzliche Pflicht der Behörden,
ihren Entscheid zu begründen. Die Begründungsdichte lässt sich aber nicht
einheitlich festlegen. Sie ist vielmehr unter Berücksichtigung aller
Umstände des Einzelfalles sowie der Interessen des Betroffenen im Blick
auf die in der Rechtsprechung des Bundesgerichts entwickelten Grundsätze
festzulegen (E. 2).

    2. Das Prinzip "nulla poena sine lege" ist verletzt, wenn die Exekutive
ein Verhalten untersagt und unter Strafe stellt, das der Gesetzgeber
nicht verbieten wollte (E. 3).

Sachverhalt

    A.- Gemäss § 19 der aargauischen Verordnung zum Wirtschaftsgesetz vom
16. August 1976 (VV WG) ist Jugendlichen, welche das 16. Altersjahr noch
nicht zurückgelegt haben, der Aufenthalt in Spiellokalen untersagt. Das
Bezirksgericht Zofingen erklärte am 8. Dezember 1983 B. in Anwendung dieser
Bestimmung des Duldens eines Jugendlichen unter 16 Jahren im Spielsalon
X. in A. schuldig und büsste sie mit Fr. 100.--.

    B. gelangte an das Obergericht des Kantons Aargau mit dem Antrag auf
Aufhebung des bezirksgerichtlichen Urteils und Freisprechung von Schuld
und Strafe. Die 1. Strafkammer dieses Gerichts wies mit Entscheid vom
29. März 1984 die Berufung ab, wobei sie bloss auf das Berufungsbegehren
eintrat, nicht aber auf dessen Begründung in der Annahme, diese sei durch
eine nicht zur Ausübung der Advokatur im Kanton Aargau befugte Person
unterzeichnet worden. Eine dagegen erhobene staatsrechtliche Beschwerde
hiess das Bundesgericht mit Urteil vom 22. Oktober 1984 wegen überspitzten
Formalismus gut. Die 1. Strafkammer des Obergerichts des Kantons Aargau
wies die Berufung von B. mit Entscheid vom 22. November 1984 erneut
ab. Dabei erwog sie im wesentlichen, § 19 VV WG biete eine hinreichende
gesetzliche Grundlage eines Zutrittverbotes für Jugendliche unter 16
Jahren in Spiellokalen, genüge dem strafrechtlichen Legalitätsprinzip
und gestatte, auch die Aufsichtsperson über das Lokal zu bestrafen,
sofern diese schuldhaft den Aufenthalt Unbefugter dulde.

    B. führt auch gegen dieses Urteil staatsrechtliche Beschwerde mit dem
Antrag, es wegen Verletzung von Art. 4 BV aufzuheben. Sie rügt einerseits
eine Verletzung ihres Anspruchs auf rechtliches Gehör mangels hinreichender
Begründung des angefochtenen Entscheides, anderseits eine Verletzung des
Grundsatzes "nulla poena sine lege".

Auszug aus den Erwägungen:

                  Auszug aus den Erwägungen:

Erwägung 2

    2.- Die Beschwerdeführerin rügt eine Verletzung ihres Anspruchs
auf rechtliches Gehör. Sie wirft der kantonalen Instanz vor, sich im
angefochtenen Entscheid nicht einlässlich mit den von ihr vorgetragenen
Berufungsgründen auseinandergesetzt zu haben. Insbesondere äussere sich
das Obergericht weder im ersten noch im zweiten Urteil zur zentralen
Frage, ob der als Grundlage für die Verurteilung dienende § 19 VV WG
durch eine Delegationsnorm des Gesetzes über das Wirtschaftswesen und den
Handel mit geistigen Getränken (Wirtschaftsgesetz) vom 2. März 1903 (WG)
abgedeckt sei.

    a) Der Umfang des Anspruchs auf rechtliches Gehör bestimmt sich in
erster Linie nach den kantonalen Verfahrensvorschriften. Wo sich jedoch der
kantonale Rechtsschutz als ungenügend erweist, greifen die unmittelbar aus
Art. 4 BV folgenden Verfahrensregeln zur Sicherung des rechtlichen Gehörs
Platz. Das Gesetz über die Strafrechtspflege (Strafprozessordnung - StPO)
vom 11. November 1958 regelt die Begründung von Berufungsurteilen nicht
ausdrücklich (vgl. § 223). Die Beschwerdeführerin macht deshalb auch
nicht geltend, eine Norm des kantonalen Rechts verpflichte die Behörde
zu einer einlässlicheren Begründung ihres Entscheides, als dies Art. 4 BV
gebiete. Es ist daher einzig - und zwar mit freier Kognition - zu prüfen,
ob das Obergericht des Kantons Aargau mit der gegebenen Begründung den
Anspruch der Beschwerdeführerin auf rechtliches Gehör, wie er unmittelbar
aus Art. 4 BV fliesst, verletzt hat (BGE 110 Ia 81 E. 5b, 85 E. 3b,
101 E. 4a; mit Hinweisen).

    b) Das rechtliche Gehör als persönlichkeitsbezogenes Mitwirkungsrecht
verlangt, dass die Behörde die Vorbringen des vom Entscheid in seiner
Rechtsstellung Betroffenen auch tatsächlich hört, sorgfältig und ernsthaft
prüft und in der Entscheidfindung berücksichtigt (vgl. dazu BGE 112
Ia 3 E. 3c mit Hinweisen). Daraus folgt die grundsätzliche Pflicht der
Behörden, ihren Entscheid zu begründen (BGE 111 Ia 1 E. 2a; 107 Ia 248
E. 3a; JÖRG PAUL MÜLLER/STEFAN MÜLLER, Grundrechte. Besonderer Teil,
Bern 1985, S. 250 ff.; vgl. dazu auch Art. 35 VwVG; BGE 104 V 154; 99 V
188; 98 Ib 195 E. 2). Der Bürger soll wissen, warum die Behörde entgegen
seinem Antrag entschieden hat. Zudem kann durch die Verpflichtung zur
Offenlegung der Entscheidgründe verhindert werden, dass sich die Behörde
von unsachlichen Motiven leiten lässt. Die Begründungspflicht erscheint
so nicht nur als ein bedeutsames Element transparenter Entscheidfindung,
sondern dient zugleich auch der wirksamen Selbstkontrolle der Behörde
(vgl. dazu BGE 103 Ia 205 E. 4c; Urteil vom 26. Januar 1977, E. 2b, in
EuGRZ 1977, S. 108; THOMAS COTTIER, Der Anspruch auf rechtliches Gehör
(Art. 4 BV), in recht 1984, S. 126).

    Aufgrund dieses allgemeinen verfassungsrechtlichen Anspruchs lassen
sich allerdings keine generellen Regeln aufstellen, denen eine Begründung
zu genügen hätte. Es wäre deshalb auch verfehlt, das von Art. 4 BV
geforderte Mass, die Begründungsdichte, im Sinne eines Minimalstandards
einheitlich festzulegen (THOMAS COTTIER, aaO, S. 126 f.). Die Anforderungen
sind vielmehr unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles sowie
der Interessen des Betroffenen im Blick auf folgende, in der Rechtsprechung
des Bundesgerichts entwickelte Grundsätze festzulegen: Da dem Anspruch
gestützt auf Art. 4 BV gegenüber dem kantonalen Verfahrensrecht nur
subsidiäre Bedeutung zukommt, dürfen an die Begründung eines kantonalen
Entscheides keine zu hohen Anforderungen gestellt werden, insbesondere
dann nicht, wenn das kantonale Recht selbst keine Pflicht zur Begründung
vorsieht (BGE 104 Ia 322 E. 3a mit Hinweisen sowie 111 Ia 1 E. 2a; 101 Ia
305 E. 4c, 99 Ia 692 E. 5 mit Hinweis). Die Begründung eines Entscheides
muss so abgefasst sein, dass der Betroffene ihn gegebenenfalls sachgerecht
anfechten kann. Dies ist nur dann möglich, wenn sowohl er wie auch die
Rechtsmittelinstanz sich über die Tragweite des Entscheides ein Bild
machen können. In diesem Sinne müssen wenigstens kurz die Überlegungen
genannt werden, von denen sich die Behörde leiten liess und auf welche
sich ihr Entscheid stützt (BGE 105 Ib 248 E. 2a; 101 Ia 48 E. 3; vgl.
auch 107 Ia 248 E. 3a). Das bedeutet indessen nicht, dass sich diese
ausdrücklich mit jeder tatbeständlichen Behauptung und jedem rechtlichen
Einwand auseinandersetzen muss. Vielmehr kann sie sich auf die für
den Entscheid wesentlichen Gesichtspunkte beschränken (BGE 99 V 188 mit
Hinweisen). Weiter ist die verfassungsmässige Begründungsdichte abhängig
von der Entscheidungsfreiheit der Behörde und der Eingriffsintensität
des Entscheides. Je grösser der Spielraum, welcher der Behörde infolge
Ermessen und unbestimmter Rechtsbegriffe eingeräumt ist (BGE 104 Ia 213
E. 5g; 98 Ia 465 E. 4a; mit Hinweisen; vgl. auch 108 Ib 195 E. 5d sowie VPB
1977 Nr. 114, S. 123), und je stärker ein Entscheid in die individuellen
Rechte eingreift (BGE 101 Ia 305 E. 4c), desto höhere Anforderungen sind
an die Begründung eines Entscheides zu stellen.

    c) Im vorliegenden Falle hat sich das Obergericht des Kantons Aargau
mit dem Einwand der Beschwerdeführerin, § 19 VV WG biete keine hinreichende
gesetzliche Grundlage für ihre Bestrafung, auseinandergesetzt. Es
hat erwogen, die Vollziehungsverordnung als Gesetz im materiellen
Sinne könne die Grundlage eines Übertretungstatbestandes abgegeben
und der Regierungsrat sei gestützt auf § 49 Abs. 2 WG, der ihn unter
anderem beauftrage, für den Schutz der Minderjährigen zu sorgen, befugt
gewesen, dieses Verbot zu erlassen. Damit hat die kantonale Instanz
hinreichend dargelegt, weshalb ihrer Auffassung nach das strafrechtliche
Legalitätsprinzip nicht verletzt sei. Der angefochtene Entscheid wahrt
deshalb die aus Art. 4 BV abgeleiteten Anforderungen an die Begründung
eines Entscheides. Unerheblich ist dabei, dass die gerichtlichen Motive
weniger ausführlich ausgefallen sind als die Berufungsbegründung der
Beschwerdeführerin. Dass sie ausreichten, die Erwägungen des Gerichtes
zu erkennen und sich mit ihnen im Rahmen eines Rechtsmittelverfahrens
sachgerecht auseinanderzusetzen, zeigt auch gerade die Rüge der
Beschwerdeführerin, welche sich in bezug auf die Verletzung des Prinzips
"nulla poena sine lege" als berechtigt erweist (vgl. E. 3). Das Gericht
war auch deshalb nicht zu einer ausführlicheren Begründung verpflichtet,
weil die der Beschwerdeführerin auferlegte Busse keinen schweren Eingriff
in ihre persönlichen Rechte bedeutet. Zudem war eine reine Rechtsfrage zu
beantworten, nämlich, ob § 19 VV WG eine genügende gesetzliche Grundlage
für die verhängte Busse darstellt. Der Vertreter der Beschwerdeführerin war
als Jurist ohne weiteres in der Lage, zu erkennen, warum die Argumentation
des Obergerichts zweifelhaft sein könnte.

    Unbehelflich ist in diesem Zusammenhang auch der Einwand der
Beschwerdeführerin, das Obergericht des Kantons Aargau habe sich
im wesentlichen darauf beschränkt, die Begründung seines ersten, im
staatsrechtlichen Beschwerdeverfahren aufgehobenen Entscheides vom 29. März
1984 wiederzugeben. Das Bundesgericht hat diesen nicht aus materiellen
Gründen, sondern ausschliesslich wegen überspitzten Formalismus aufgehoben
und das Obergericht verpflichtet, die Berufungsbegründung zu beachten. Kam
dieses in der Sache trotzdem zu keinem anderen Ergebnis, so durfte es ohne
weiteres auf die Erwägungen seines ersten Entscheides zurückgreifen. Ein
Anspruch der Beschwerdeführerin auf eine erweiterte oder geänderte
Begründung bestand nicht. Die zu beurteilenden Rechtsfragen blieben
unbesehen der Berücksichtigung der Ausführungen in der Berufungsschrift
dieselben.

    Genügt demnach die Begründung des angefochtenen Entscheides
den Anforderungen von Art. 4 BV, so erweist sich die Rüge einer
Gehörsverletzung als unbegründet.

Erwägung 3

    3.- Die Beschwerdeführerin macht geltend, sie sei bestraft worden,
ohne dass dafür eine hinreichende gesetzliche Grundlage bestehe, weshalb
das Obergericht des Kantons Aargau das Prinzip "Keine Strafe ohne Gesetz"
verletzt habe.

    a) Der Grundsatz "nulla poena sine lege" folgt aus Art. 4 BV und
ist dann verletzt, "wenn ein Bürger wegen einer Handlung, die im Gesetze
überhaupt nicht als strafbar bezeichnet ist, strafrechtlich verfolgt wird,
oder wenn eine Handlung, derentwegen ein Bürger strafrechtlich verfolgt
wird, zwar in einem Gesetz mit Strafe bedroht ist, dieses Gesetz selber
aber nicht als rechtsbeständig angesehen werden kann, oder endlich, wenn
der Richter eine Handlung unter ein Strafgesetz subsumiert, die darunter
auch bei weitestgehender Auslegung nach allgemeinen strafrechtlichen
Grundsätzen nicht subsumiert werden kann" (BGE 27, S. 339 E. 1). Der
Bundesgesetzgeber hat dieses Prinzip in Art. 1 StGB übernommen. Würde
es sich um die Anwendung eidgenössischen Strafrechts handeln, so könnte
nur noch die Verletzung der genannten Regel des Strafgesetzbuches mit
eidgenössischer Nichtigkeitsbeschwerde geltend gemacht werden. Das
Obergericht hat jedoch kantonales, nicht eidgenössisches Strafrecht
angewendet, sodass sich die Beschwerdeführerin auf Art. 4 BV berufen
kann mit der Behauptung, das angefochtene Urteil verletze den Satz "Keine
Strafe ohne Gesetz" (BGE 103 Ia 96 E. 4 mit Hinweisen).

    Die Beschwerdeführerin behauptet nicht, es bestehe für ihre Bestrafung
gar keine gesetzliche Grundlage, noch rügt sie, das Obergericht habe
ihre Handlung bzw. Unterlassung in willkürlicher Weise unter § 19 VV WG
subsumiert. Es ist deshalb einzig zu prüfen, ob diese Bestimmung einer
verfassungsrechtlichen Überprüfung standhält. Soweit im Rahmen einer
staatsrechtlichen Beschwerde geltend gemacht wird, eine kantonale Norm
sei verfassungswidrig, kann diese Rüge auch noch bei der Anwendung der
fraglichen Bestimmung mit der Beschwerde gegen einen gestützt darauf
ergangenen Entscheid erhoben werden; sie führt zu einer inzidenten
Normenkontrolle (BGE 109 Ia 99 E. 1b mit Hinweisen).

    b) Jede Strafe, welche einen Freiheitsentzug mit sich bringt, bedarf
als schwerer Eingriff in die persönliche Freiheit einer klaren Grundlage
in einem formellen Gesetz (BGE 99 Ia 269 E. 5; vgl. auch 64 I 375 E. 5;
63 I 330 E. 2 sowie 90 I 39 E. 4 und 5; THOMAS COTTIER, Die Verfassung
und das Erfordernis der gesetzlichen Grundlage, Diessenhofen 1983, S. 53
ff., 64; JÖRG PAUL MÜLLER/STEFAN MÜLLER, aaO, S. 16 f.; ANDRÉ GRISEL,
La liberté personnelle et les limites du pouvoir judiciaire, in Revue
internationale de droit comparé, 1975, S. 549 ff.; vgl. auch PETER NOLL,
Schweizerisches Strafrecht. Allgemeiner Teil I, Allgemeine Voraussetzungen
der Strafbarkeit, Zürich 1981, S. 41). Für andere Strafen genügt nach der
Rechtsprechung des Bundesgerichts eine Verordnung, die sich im Rahmen von
Verfassung und Gesetz hält (BGE 96 I 29 E. 4a mit Hinweisen; vgl. auch 64
I 375 E. 5). Eine materiell hinreichende gesetzliche Grundlage vermag die
Verordnung somit nur abzugeben, wenn sie die Schranken wahrt, die ihrem
Regelungsbereich insbesondere durch die Prinzipien der Gewaltenteilung
und der Normenhierarchie gesetzt sind. Aber auch auf dieser Normstufe
müssen die Merkmale strafbaren Verhaltens und dessen Folgen im Zeitpunkt
seiner Ausführung bestimmt und für jedermann klar erkennbar gewesen sein
(HANS SCHULTZ, Einführung in den allgemeinen Teil des Strafrechts, Band
1, 4. Auflage, Bern 1982, S. 52; GÜNTHER STRATENWERTH, Schweizerisches
Strafrecht. Allgemeiner Teil I: Die Straftat, Bern 1982, S. 72 ff.; ROBERT
HAUSER/JÖRG REHBERG, Grundriss Strafrecht I, Verbrechenslehre, Zürich 1983,
S. 34 f.). In älteren Entscheiden hat das Bundesgericht festgehalten,
es sei auf dem Gebiete des Verwaltungsrechts nicht erforderlich,
dass das formelle Gesetz den Verordnungsgeber ausdrücklich ermächtige,
Strafandrohungen zur Durchsetzung von Geboten und Verboten zu erlassen. In
der Befugnis der Behörde, solche Normen aufzustellen, sei beim Fehlen
einer abweichenden positiven Anordnung die Kompetenz eingeschlossen,
auf die Übertretung dieser Vorschriften Strafe anzudrohen (BGE 63 I 330
E. 2 mit Hinweisen; vgl. auch 64 I 375 E. 5). Es kann hier offenbleiben,
ob diese Rechtsprechung aufgrund der neueren Praxis zur Delegation der
gesetzgebenden Gewalt an die Exekutive neu überdacht werden müsste, denn
wie die folgenden Erwägungen zeigen, erweist sich bereits die Behauptung
der Beschwerdeführerin, der Gesetzgeber habe das vom Regierungsrat in §
19 VV WG unter Strafe gestellte Verhalten gar nicht verbieten wollen,
als zutreffend.

    c) § 49bis des Wirtschaftsgesetzes regelt den Betrieb von
Spielapparaten in Gastwirtschaften und Spiellokalen. Das Aufstellen und
der Betrieb solcher Geräte ist bewilligungspflichtig (Abs. 1). Das Gesetz
unterscheidet zwischen Geldspielautomaten, d.h. solchen, welche einen
Geld- oder Sachgewinn abgeben, sowie einfachen Spielapparaten, welche nicht
der materiellen Gewinnerzielung dienen. Sowohl in Gastwirtschaftsbetrieben
wie in Spiellokalen ist bloss ein Geldspielapparat zulässig (Abs. 2). Im
weiteren enthält das Gesetz eine Jugendschutzvorschrift, indem es
Jugendlichen unter 16 Jahren das Spielen an Geldspielautomaten untersagt
und den Anschlag dieser Ordnung am Eingang des Lokales verlangt (Abs.
4 und 5). Die Patentinhaber und veranwortlichen Organe sind verpflichtet,
in Zweifelsfällen einen Altersnachweis zu verlangen (Abs. 5).

    Der Regierungsrat hat seinerseits in § 19 VV WG unter der Marginale
"Jugendschutz" Jugendlichen, welche das 16. Altersjahr nicht zurückgelegt
haben, den Aufenthalt in Spiellokalen untersagt. Es ist zu prüfen,
ob der Regierungsrat damit etwas verboten hat, was der Gesetzgeber
erlauben wollte.

    aa) Bereits nach dem Wortlaut ist zu vermuten, dass § 19 VV WG über
§ 49bis Abs. 4 WG hinausgeht. Das Verbot, Spiellokale zu betreten, geht
klarerweise weiter als das Verbot, an Geldspielautomaten zu spielen. Die
Benützung von einfachen Spielapparaten ist dem Jugendlichen unter 16
Jahren nach dem Gesetz nicht untersagt. Solche Geräte aber dürften die
hauptsächlichste Einrichtung jeden Spiellokales ausmachen, sind doch auch
dort die Geldspielautomaten auf eine Anlage pro Lokal beschränkt. Der
Gesetzgeber wollte somit nur die Benützung von Geldspielapparaten durch
Jugendliche unter 16 Jahren untersagen, nicht auch weitergehend das
Betreten von Spiellokalen schlechthin. Die Vermutung, es handle sich
hier um ein qualifiziertes Schweigen des Gesetzgebers, wird durch die
Materialien bestätigt.

    bb) Der Gesetzesentwurf des Regierungsrates sah vor, Jugendlichen
unter 18 Jahren das Spielen an Geldspielautomaten zu verbieten und ihnen
den Zutritt zu Spiellokalen nur in Begleitung des Inhabers der elterlichen
Gewalt zu gestatten. Anlässlich der ersten Lesung des Gesetzes im Grossen
Rat des Kantons Aargau am 7. Mai 1980 gaben sowohl die Altersgrenze wie die
Begleitungspflicht Anlass zu Diskussionen (Verhandlungen des Grossen Rates
des Kantons Aargau, 1980, S. 2126 ff.). Ergebnis dieser Lesung war, dass
die Altersgrenze von 18 Jahren für die Benützung von Geldspielautomaten
beibehalten, die Begleitungspflicht für jüngere Benützer von Spiellokalen
dagegen gestrichen wurde (S. 2130). Anlässlich der zweiten Lesung des
Gesetzes am 23. September 1980 beantragte der Präsident der vorberatenden
Kommission in deren Namen die Herabsetzung der Altersgrenze für die
Benützung von Geldspielapparaten auf 16 Jahre (S. 2433). Vorgeschlagen
wurde im Wortlaut die heutige Fassung von § 49bis Abs. 4 WG, welche nach
einer zusätzlichen Diskussion über die Altersgrenze zum Beschluss erhoben
wurde (S. 2434).

    Der Wille des Gesetzgebers ging somit nach den Materialien eindeutig
dahin, nur die Benützung von Geldspielautomaten von einer Altersgrenze
abhängig zu machen, nicht dagegen, Jugendlichen unter dieser Grenze
generell das Betreten von Spiellokalen zu verbieten.

    cc) Nach § 49bis Abs. 5 WG ist die Jugendschutzvorschrift, wonach
Jugendlichen unter 16 Jahren das Spielen an Geldspielautomaten untersagt
ist, durch entsprechenden Anschlag am Eingang des Lokals deutlich bekannt
zu geben. Auch diese Vorschrift verträgt sich nicht mit einem absoluten
Betretungsverbot für diese Jugendlichen. Wäre ihnen der Zutritt zum Lokal
schlechthin verwehrt, verlöre der Hinweis, wonach sie die Geldspielapparate
nicht benützen dürfen, jeden Sinn. Auch die systematische Gesetzesauslegung
führt dazu, in bezug auf die Frage, ob der Gesetzgeber den Jugendlichen
unter 16 Jahren das Betreten von Spiellokalen verbieten wollte, ein
qualifiziertes Schweigen anzunehmen.

    dd) Eine durch Vollziehungsverordnung schliessbare Gesetzeslücke liegt
somit offensichtlich nicht vor. Von einer echten Gesetzeslücke kann nur
gesprochen werden, wenn der Gesetzgeber etwas zu regeln unterlassen hat,
was er hätte regeln sollen, und dem Gesetz weder nach seinem Wortlaut noch
nach dem durch Auslegung zu ermittelnden Inhalt eine Vorschrift entnommen
werden kann (BGE 108 Ib 82 E. 4b). Das aargauische Wirtschaftsgesetz
ist in diesem Sinne nicht unvollständig. Der Gesetzgeber hat sich
darauf beschränkt, die Benützung bestimmter Automaten altersmässigen
Beschränkungen zu unterstellen. Dagegen hat er es ausdrücklich abgelehnt,
Jugendlichen unter 16 Jahren irgendwelche Betretungsbeschränkungen
aufzuerlegen. Er hat damit den Besuch solcher Lokale auch Jugendlichen
unter 16 Jahren grundsätzlich freigegeben, allerdings mit der
Einschränkung, dass sie von der Benützung von Geldspielapparaten
ausgeschlossen sind. Das generelle Betretungsverbot von § 19 VV WG hält
somit vor dem Gesetz nicht stand und verletzt dadurch den in Art. 4 BV
enthaltenen Grundsatz "nulla poena sine lege".

    ee) Das Obergericht vertritt indessen die Meinung, gemäss § 49 Abs. 2
WG habe der Regierungsrat für den Schutz der Minderjährigen zu sorgen. Er
habe diesen Auftrag erfüllt, indem er in § 19 VV WG Jugendlichen,
welche das 16. Altersjahr nicht zurückgelegt haben, den Aufenthalt in
Spiellokalen generell untersagt. Ist aber in bezug auf ein solches Verbot
auf ein qualifiziertes Schweigen des Gesetzgebers zu schliessen, so darf
der Regierungsrat ohne Verletzung des Grundsatzes der Gewaltenteilung
nicht gestützt auf eine allgemein gehaltene Ausführungsbestimmung das
erlaubte Verhalten trotzdem verbieten. Es lässt sich auch nicht sagen, das
umstrittene Verbot sei nicht so wichtig, dass es auf der Verordnungsstufe
hätte normiert werden können (vgl. dazu allgemein GEORG MÜLLER, Inhalt und
Formen der Rechtsetzung als Problem der demokratischen Kompetenzordnung,
Basel/Stuttgart 1979, S. 110 ff.) oder der Regierungsrat sei zu seinem
Erlass sachlich besser geeignet gewesen (THOMAS COTTIER, Die Verfassung
und das Erfordernis der gesetzlichen Grundlage, Diessenhofen 1983, S. 171
ff.). Zuständig zum wertenden Entscheid über die Regelungsstufe eines
Lebenssachverhaltes ist im demokratischen Staat der Gesetzgeber, sofern
Verfassung und Gesetz nicht bereits eine Lösung enthalten (vgl. dazu auch
BGE 103 Ia 381 E. 6; GEORG MÜLLER, aaO, S. 123 ff.).

    Die staatsrechtliche Beschwerde erweist sich somit in diesem Punkt
als begründet, und der angefochtene Entscheid ist aufzuheben.