Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 111 V 51



111 V 51

14. Auszug aus dem Urteil vom 14. Februar 1985 i.S. Bavier gegen
Ausgleichskasse Schweizer Wirteverband und Verwaltungsgericht des Kantons
Graubünden Regeste

    Art. 85 Abs. 2 AHVG. Das Bundesrecht schreibt den Kantonen in
Art. 85 Abs. 2 lit. h AHVG nur den Grundsatz der Revisionsmöglichkeit
bei Vorliegen der beiden klassischen Revisionsgründe (neue Tatsachen oder
Beweismittel, Einwirken durch Verbrechen oder Vergehen) vor. Im übrigen
ist die Regelung des kantonalen Revisionsverfahrens ausschliesslich Sache
der Kantone. Die Verfahrensvorschriften in Art. 85 Abs. 2 lit. a bis g
AHVG betreffen allein das Beschwerdeverfahren und sind auf das kantonale
Revisionsverfahren nicht anwendbar.

Auszug aus den Erwägungen:

                      Aus den Erwägungen:

Erwägung 4

    4.- Die Vorinstanz hat der Beschwerdeführerin in ihrem
Revisionsentscheid vom 4. März 1983 ohne nähere Begründung Kosten
auferlegt. In der Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird diesbezüglich ein
Verstoss gegen Art. 85 Abs. 2 lit. a AHVG geltend gemacht. Zu prüfen ist,
ob diese Bestimmung auch auf das kantonale Revisionsverfahren Anwendung
findet.

    a) Im nicht veröffentlichten Urteil Jucker vom 15. November 1984
hat das Eidg. Versicherungsgericht festgestellt, dass das Bundesrecht
- abgesehen vom Grundsatz der Revisionsmöglichkeit als solchem -
keine Bestimmungen über die nähere Ausgestaltung des kantonalen
Revisionsverfahrens enthält. Allerdings war in diesem Fall (und auch
im Urteil Tschopp vom 5. November 1984, BGE 110 V 393) bloss die Frist
für die Einreichung eines Revisionsgesuchs streitig und damit ein Punkt,
dessen Regelung - mangels jeden Hinweises in Art. 85 Abs. 2 AHVG auf eine
bundesrechtliche Bestimmung - von vornherein im kantonalen Recht zu suchen
war. Im vorliegenden Verfahren ist die Lage insofern eine andere, als
Art. 85 Abs. 2 lit. a AHVG den Grundsatz der Kostenlosigkeit aufstellt. Es
fragt sich, ob den Ausführungen im Urteil Jucker eine allgemeine Tragweite
beizumessen ist in dem Sinne, dass die Ordnung prozessualer Fragen, die
sich - wie etwa diejenige der Verfahrenskosten - in gleicher Weise im
einen wie im andern Verfahren stellen können, für das Revisionsverfahren
auch dann in die Zuständigkeit der Kantone fällt, wenn das Bundesrecht
für das Beschwerdeverfahren eine entsprechende Bestimmung aufgestellt hat.

    b) In seiner ursprünglichen Fassung betraf Art. 85 Abs. 2 AHVG allein
das ordentliche Rechtsmittelverfahren und umfasste nur sehr rudimentäre
Minimalanforderungen an das von den Kantonen zu regelnde Verfahren, welche
sich im wesentlichen in dem heute in lit. a und g Enthaltenen erschöpften
(AS 1947 867). Weil sich diese Ordnung in der Folge als allzu knapp
erwies, wurde sie - bei grundsätzlichem Festhalten an der Zuständigkeit
der Kantone zur Regelung des Prozessverfahrens - auf den 1. Januar 1960
durch die heutigen lit. b bis f ergänzt (BBl 1958 II 1285). Zusätzlich
zu diesen Vorschriften zum ordentlichen Rechtsmittelverfahren der
Beschwerde stellte der Gesetzgeber mit lit. h neu auch eine Bestimmung
zum ausserordentlichen Rechtsmittelverfahren der Revision auf. Anlass
dazu war der Umstand, dass dieses damals nur in einer Minderheit der
kantonalen Prozessordnungen positivrechtlich geregelt war oder die
bestehenden Ordnungen zum Teil grundsätzliche Unterschiede aufwiesen (BBl
1958 II 1286). Somit ging es bei lit. h bloss darum, den Grundsatz der
Revisionsmöglichkeit kantonaler Entscheide im Bundesrecht zu verankern,
und zwar bei Vorliegen der beiden "klassischen" Revisionsgründe (GYGI,
Bundesverwaltungsrechtspflege, 2. Aufl., S. 262). Nichts spricht dafür,
dass mit der Einfügung von lit. h die Absicht verbunden gewesen wäre, das
kantonale Revisionsverfahren auch den - soweit angesichts grundsätzlicher
prozessualer Unterschiede überhaupt anwendbaren - bundesrechtlichen
Vorschriften über das Beschwerdeverfahren, insbesondere dem Grundsatz der
Kostenlosigkeit zu unterwerfen. Somit ist festzuhalten, dass Art. 85 Abs. 2
lit. a AHVG auf das kantonale Revisionsverfahren keine Anwendung findet.

    Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus der Entstehungsgeschichte des
Militärversicherungsgesetzes, welches in Art. 56 Abs. 1 lit. h bereits
seit 1950 eine dem Art. 85 Abs. 2 lit. h AHVG entsprechende Vorschrift
kennt. Der im Laufe der Kommissionsberatungen vom zuständigen Departement
ausgearbeitete Katalog von Prozessvorschriften betraf ursprünglich nur
das ordentliche Rechtsmittelverfahren (Protokoll der dritten Session der
nationalrätlichen Kommission vom 20. bis 22. Juli 1948, S. 1 ff.), wurde
jedoch in der Folge durch eine Bestimmung über das Revisionsverfahren
erweitert (erwähntes Protokoll S. 5 ff., 13; vgl. auch S. 108). Dabei
stand - wie später bei der Neufassung von Art. 85 Abs. 2 AHVG - ebenfalls
der Gedanke im Vordergrund, ungeachtet der Unterschiede in den kantonalen
Prozessordnungen wenigstens den Grundsatz der Revisionsmöglichkeit sowie
zwei Revisionsgründe bundesrechtlich abzustützen.

    c) Ist nach dem Gesagten Art. 85 Abs. 2 lit. a AHVG auf das
kantonale Revisionsverfahren nicht anwendbar, so bleibt die Regelung
der Kostenfrage dem kantonalen Recht vorbehalten. Mit diesem hat sich
das Eidg. Versicherungsgericht grundsätzlich nicht zu befassen (Art. 128
in Verbindung mit Art. 97 Abs. 1 OG und Art. 5 VwVG). Die Anwendung des
Verfahrensrechts in einem kantonalen Revisionsentscheid kann deshalb
vom Eidg. Versicherungsgericht nur daraufhin überprüft werden, ob die
hiefür massgeblichen kantonalen Bestimmungen zu einer Verletzung von
Bundesrecht geführt haben, wobei in diesem Bereich als Beschwerdegrund
praktisch nur das Willkürverbot des Art. 4 Abs. 1 BV in Betracht kommt
(BGE 110 V 58 mit Hinweisen).

    Gemäss Art. 74 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 79 VGG/GR ist das
kantonale Revisionsverfahren kostenpflichtig, wobei nebst besonderen
Auslagen und Kanzleigebühren eine Staatsgebühr von Fr. 10.-- bis
Fr. 8000.-- erhoben wird (Art. 1 lit. a der Gebührenverordnung für
das Verwaltungsgericht vom 25. August 1980). Offenbar hat sich die
Vorinstanz auf diese Bestimmungen gestützt, als sie der Beschwerdeführerin
Gerichtskosten (Staatsgebühr und Kanzleiauslagen) von insgesamt Fr. 312.--
auferlegte. Dies lässt sich weder als willkürlich noch als sonstwie
bundesrechtswidrig beanstanden. Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde gegen den
vorinstanzlichen Entscheid vom 4. März 1983 ist somit auch im Kostenpunkt
abzuweisen.