Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 111 V 307



111 V 307

57. Auszug aus dem Urteil vom 17. Dezember 1985 i.S. Ausgleichskasse des
Kantons Schwyz gegen Schmid und Verwaltungsgericht des Kantons Schwyz
Regeste

    Art. 30 Abs. 2bis AHVG: Berechnungsgrundlagen einer ordentlichen
Invalidenrente. Als volles Beitragsjahr im Sinne dieser Bestimmung gilt
ein Kalenderjahr, in welchem der Versicherte gemäss Art. 3 Abs. 1 AHVG
während mindestens elf Monaten der Beitragspflicht unterstellt war und
den Mindestbeitrag entrichtet hat.

Auszug aus den Erwägungen:

                      Aus den Erwägungen:

Erwägung 2

    2.- Im vorliegenden Fall ist streitig, ob der Berechnung der
ordentlichen Invalidenrente des Beschwerdegegners das nach Massgabe des
Art. 30 Abs. 2 AHVG oder das gemäss Art. 30 Abs. 2bis AHVG ermittelte
durchschnittliche Jahreseinkommen zugrundezulegen ist. Dies ist davon
abhängig, ob der Beschwerdegegner vom 1. Januar nach Vollendung des
20. Altersjahres bis zum 31. Dezember vor Entstehung des Rentenanspruchs
im Sinne von Art. 30 Abs. 2bis AHVG während eines vollen Jahres Beiträge
geleistet hat. Massgebend ist dabei für den am 24. Oktober 1960 geborenen
und seit dem 1. Juli 1982 rentenberechtigten Beschwerdegegner der Zeitraum
vom 1. Januar bis 31. Dezember 1981.

    a) Die Vorinstanz vertritt die Auffassung, das massgebende
durchschnittliche Jahreseinkommen sei gestützt auf Art. 30 Abs. 2bis AHVG
zu ermitteln. Sie begründet ihren Standpunkt damit, dass gemäss Art. 50
AHVV ein volles Beitragsjahr vorliege, wenn der Versicherte insgesamt
länger als 11 Monate der Beitragspflicht unterstellt gewesen sei und die
entsprechenden Beiträge entrichtet worden seien. Der Beschwerdegegner
habe in der massgeblichen Zeitspanne von Januar bis Dezember 1981 aber
nur während rund drei Monaten Beiträge geleistet, weshalb in Anwendung
von Art. 30 Abs. 2bis AHVG auch die Erwerbseinkommen der Jahre 1978 bis
1980 zu erfassen seien.

    Die beschwerdeführende Ausgleichskasse macht demgegenüber
geltend, dass der Beschwerdegegner ab 1. Januar 1981 der allgemeinen
Beitragspflicht unterstellt gewesen sei. Dabei spiele es keine Rolle,
dass er nur während eines Teils des Jahres 1981 eine Erwerbstätigkeit
ausgeübt habe. Eine Erfassung als Nichterwerbstätiger sei nicht notwendig
gewesen, weil er den Mindestbeitrag als Erwerbstätiger entrichtet und
damit die einjährige Mindestbeitragsdauer erfüllt habe. Das Bundesamt
für Sozialversicherung schliesst sich dieser Auffassung an und führt
zusätzlich aus, dass - entgegen der Meinung des kantonalen Gerichts -
die effektive Beitragsdauer nur bei denjenigen Versicherten massgebend
sei, welche als Nichterwerbstätige von der Beitragspflicht befreit seien,
was für Jugendliche vor dem 1. Januar nach Vollendung des 20. Altersjahres
und für Ehefrauen von Versicherten zutreffe.

    b) Art. 30 Abs. 2bis AHVG ist im Rahmen der 9. AHV-Revision ins
Gesetz aufgenommen worden und steht seit dem 1. Januar 1979 in Kraft. Er
regelt die Ermittlung des durchschnittlichen Jahreseinkommens des
Versicherten, der vom 1. Januar nach Vollendung des 20. Altersjahres
bis zum 31. Dezember vor Entstehung des Rentenanspruchs nicht während
eines vollen Jahres Beiträge geleistet hat. Gemäss der Botschaft des
Bundesrates über die 9. Revision der AHV vom 7. Juli 1976 handelt es sich
bei dieser Bestimmung um eine Anpassungsvorschrift für den Fall, in dem ein
jugendlicher Versicherter beim Eintritt des Versicherungsfalles (Tod oder
Invalidität) die einjährige Mindestbeitragsdauer für eine ordentliche Rente
erfüllt hat, sein Jahrgang aber noch nicht während mindestens eines vollen
Jahres der Beitragspflicht unterstellt war. Zweck der neuen Bestimmung
ist es, sachlich nicht gerechtfertigte Überentschädigungen zu vermeiden,
die sich dadurch ergaben, dass nach der Rechtsprechung in solchen
Fällen Vollrenten zuzusprechen waren, wobei das für die Rentenberechnung
massgebende durchschnittliche Jahreseinkommen ermittelt wurde, indem alle
Einkommen, von denen Beiträge geleistet worden waren, zusammengezählt
und durch 1 geteilt wurden. Nach der Neuregelung werden alle Einkommen,
von denen ein junger Versicherter vor Eintritt des Versicherungsfalls
Beiträge geleistet hat, pauschal aufgewertet, zusammengezählt und durch
die entsprechende Beitragsdauer geteilt (BBl 1976 III 56).

    Die Verwaltungspraxis umschreibt den Begriff der Beitragsdauer
allgemein als denjenigen Zeitabschnitt, in dem ein Versicherter der
Beitragspflicht unterstellt war und für den die geschuldeten Beiträge ganz
oder doch teilweise entrichtet worden sind oder noch entrichtet werden
können. War der Rentenansprecher während eines Jahres versichert und der
Beitragspflicht unterstellt, so zählt das ganze Jahr als Beitragsdauer,
wenn der Versicherte für dieses Jahr den Mindestbeitrag entrichtet hat
(vgl. Rz. 354, 355, 361, 363, 382, 410, 410.1, 426 und 430 der Wegleitung
über die Renten vom 1. Januar 1980). Das Eidg. Versicherungsgericht hat
diese Verwaltungspraxis in einem Anwendungsfall zu Art. 30 Abs. 2 AHVG
geschützt und festgestellt, dass dann, wenn ein Versicherter im Sinne
von Art. 3 Abs. 1 AHVG während eines ganzen Jahres der Beitragspflicht
unterstanden und in diesem Jahr jedenfalls den Mindestbeitrag entrichtet
habe, das ganze Jahr als Beitragsjahr zähle. Diese Ordnung entspreche der
Verwaltungspraxis (Rz. 363 und 374.6 der Wegleitung über die Renten),
in welche einzugreifen kein Anlass bestehe (nicht veröffentlichtes
Urteil Favetto vom 12. November 1984). Das Eidg. Versicherungsgericht hat
sodann wiederholt entschieden, dass der Rechtsbegriff des Beitragsjahres
einheitlich, im Sinne des Art. 50 AHVV, ausgelegt werden müsse. Nach
dieser konstanten Rechtsprechung liegt ein volles Beitragsjahr vor,
wenn der Versicherte insgesamt länger als 11 Monate der Beitragspflicht
unterstellt war und jedenfalls den Mindestbeitrag entrichtet hat (BGE 99 V
26 Erw. 2; EVGE 1960 S. 316 Erw. 1, 1958 S. 197 Erw. 2; in ZAK 1982 S. 222
nicht veröffentlichter Teil der Erw. 2 des Urteils M. vom 9. Oktober 1981).

    c) Es besteht kein Grund dafür, den Begriff des vollen Beitragsjahres
gemäss Art. 30 Abs. 2bis AHVG nicht ebenfalls im Sinne der Rechtsprechung
und Verwaltungspraxis zu Art. 50 AHVV auszulegen. Eine entsprechende
Auslegung erscheint umso mehr angebracht, als diese Betrachtungsweise
auch in der Botschaft des Bundesrates über die 9. AHV-Revision eine
Stütze findet. Die Anwendung der Sonderregelung des Art. 30 Abs. 2bis
AHVG auf Fälle wie den vorliegenden würde nämlich dem genannten Zweck
dieser Bestimmung, sachlich nicht gerechtfertigte Überentschädigung u
vermeiden, zuwiderlaufen. Als volles Beitragsjahr im Sinne des Art. 30 Abs.
2bis AHVG gilt nach dem Gesagten somit ein Kalenderjahr, in welchem
der Versicherte gemäss Art. 3 Abs. 1 AHVG während mehr als 11 Monaten
beitragspflichtig war und den Mindestbeitrag entrichtet hat. Wollte man
den im Bereiche der AHV-Gesetzgebung zentralen Begriff des Beitragsjahres,
welcher verschiedene Funktionen zu erfüllen hat, allgemein im Sinne der
Vorinstanz verstehen, hätte dies Auswirkungen auf das ganze Beitrags-
und Rentensystem. Versicherte, die während einiger Monate im Jahr wegen
Krankheit oder Unfalls ein nicht AHV-pflichtiges Ersatzeinkommen beziehen,
sowie Versicherte, die einen unbezahlten Urlaub antreten, müssten für
einzelne Monate als Nichterwerbstätige erfasst werden. Eine Praxis, die
auf die effektive Beitragsdauer abstellt, hätte für die Verwaltung einen
unverhältnismässigen Mehraufwand zur Folge und würde sich zudem auf den
Rentenanspruch eines grossen Teils der Versicherten nachteilig auswirken.