Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 111 V 269



111 V 269

52. Auszug aus dem Urteil vom 30. September 1985 i.S. Wiedmer gegen
Arbeitslosenkasse des Kantons Bern, Zweigstelle Burgdorf-Emmental, und
Versicherungsgericht des Kantons Bern Regeste

    Art. 52 Abs. 1 AVIG: Insolvenzentschädigung. Anspruch des
Arbeitnehmers, der vor dem Konkurs des Arbeitgebers noch in einem
Arbeitsverhältnis stand und nur wegen Annahmeverzugs des Arbeitgebers
keine Arbeit mehr leisten konnte.

Auszug aus den Erwägungen:

       Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:

Erwägung 1

    1.- a) Nach Art. 51 AVIG haben beitragspflichtige Arbeitnehmer
u.a. dann Anspruch auf Insolvenzentschädigung, wenn gegen ihren Arbeitgeber
der Konkurs eröffnet wird und ihnen in diesem Zeitpunkt Lohnforderungen
zustehen (lit. a).

    Die Insolvenzentschädigung deckt Lohnforderungen für die letzten drei
Monate vor der Konkurseröffnung (Art. 52 Abs. 1 AVIG).

    Die Insolvenzentschädigung soll dem Arbeitnehmer im Konkursfall
des Arbeitgebers den Lebensunterhalt garantieren (Botschaft zum
Bundesgesetz über die obligatorische Arbeitslosenversicherung und die
Insolvenzentschädigung vom 2. Juli 1980; BBl 1980 III S. 535, 606).

    b) Das Eidg. Versicherungsgericht hat entschieden, dass Ansprüche des
Arbeitnehmers wegen vorzeitiger Auflösung des Arbeitsverhältnisses nicht
durch die Insolvenzentschädigung gedeckt werden. Denn im Unterschied zur
Insolvenzentschädigung, die den Lohnanspruch für geleistete Arbeitszeit
deckt, während welcher der Arbeitnehmer der Vermittlung nicht zur
Verfügung steht, handelt es sich im Falle der ungerechtfertigten fristlosen
Entlassung um Ansprüche eines Versicherten für eine Periode, während der er
wie jeder andere Arbeitslose der Vermittlung voll zur Verfügung gestanden
hat. Er ist daher dem vermittlungsfähigen Arbeitnehmer gleichzustellen,
der nach Eröffnung des Konkurses die Arbeit einstellen muss und Anspruch
auf den Kündigungslohn hat. Bestehen über die Erfüllung der Ansprüche
solcher Versicherter begründete Zweifel, ist daher die Ausrichtung der
Arbeitslosenentschädigung zwar nach Art. 28 Abs. 2 AlVG bzw. Art. 29
Abs. 1 AVIG möglich, nicht aber als Insolvenzentschädigung gestützt auf
Art. 52 Abs. 1 AVIG (BGE 110 V 30).

    Das entscheidende Kriterium für die Abgrenzung eines Anspruchs auf
Insolvenzentschädigung von demjenigen auf Arbeitslosenentschädigung ist
somit, ob ein Versicherter in der fraglichen Zeit der Vermittlung zur
Verfügung stehen und die Kontrollvorschriften erfüllen konnte.

Erwägung 2

    2.- Aus den Akten ergibt sich, dass der Beschwerdeführer mit der
Firma X einen unbefristeten Arbeitsvertrag bei einer wöchentlichen
Normalarbeitszeit von 40 Stunden abgeschlossen hatte. Fest steht auch,
dass das Arbeitsverhältnis nicht gekündigt, sondern erst durch den
Konkurs der Arbeitgeberin aufgelöst wurde. Schliesslich ist unbestritten,
dass der Beschwerdeführer vom 9. Januar 1984 bis zur Konkurseröffnung am
1. Februar 1984 sich bei der Arbeitgeberin mehrfach um Arbeitszuweisung
bemüht hat und nur wegen Annahmeverzugs der Arbeitgeberin keine Arbeit
mehr leisten konnte. Demnach stand der Beschwerdeführer bis zum Konkurs
der Firma X in einem Arbeitsverhältnis. Er war also nicht arbeitslos
(Art. 10 Abs. 1 und 2 AVIG) und damit auch nicht vermittlungsfähig (Art. 15
Abs. 1 AVIG). Folglich scheidet ein Anspruch nach Art. 29 Abs. 1 AVIG aus,
während ein solcher nach Art. 51 ff. AVIG zu bejahen ist.

Erwägung 3

    3.- Die Vorinstanz verneint den Anspruch auf Insolvenzentschädigung
mit der Begründung, der Beschwerdeführer wäre aus der
Sicht der Arbeitslosenversicherung (Schadenverhinderungs- und
Schadenminderungsprinzip) verpflichtet gewesen, eine neue Arbeitsstelle
zu suchen. Bald nach dem 9. Januar 1984 habe er erkennen müssen, dass
der Arbeitgeber in Annahmeverzug geraten sei und ihn offensichtlich nicht
mehr beschäftigen wolle.

    Nach den unwidersprochen gebliebenen Ausführungen des Beschwerdeführers
ist er indessen von der Arbeitgeberin ab Montag, dem 9. Januar 1984,
mit dem Versprechen auf Arbeitszuweisung hingehalten worden. Weil die
Konkurseröffnung bereits am 1. Februar 1984 stattfand, kann von einer
rechtsmissbräuchlichen Geltendmachung des Anspruchs nicht die Rede sein.

Erwägung 4

    4.- Zusammenfassend ist festzustellen, dass der Beschwerdeführer
Anspruch auf Insolvenzentschädigung hat. Da er bis und mit 6. Januar 1984
entlöhnt wurde, beginnt der Anspruch am 7. Januar 1984; dieser endet mit
der Auflösung des Arbeitsverhältnisses am 1. Februar 1984. Die Verwaltung,
an welche die Sache zurückzuweisen ist, wird die Höhe der Entschädigung
festzusetzen haben.