Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 111 V 261



111 V 261

50. Auszug aus dem Urteil vom 17. Oktober 1985 i. S. Kühner
gegen Kantonales Amt für Industrie, Gewerbe und Arbeit, Abteilung
Arbeitslosenversicherung, Bern, und Versicherungsgericht des Kantons
Bern Regeste

    Art. 36 AVIG: Voranmeldung von Kurzarbeit.

    - Die für bestimmte Ausnahmefälle vorgesehene Regelung der verkürzten
Anmeldefristen für Kurzarbeit gemäss Art. 58 Abs. 1 und 2 AVIV ist
gesetzmässig (Erw. 1).

    - Mit der Voranmeldung von Kurzarbeit werden die Rechte auch in bezug
auf einen allfälligen Anspruch auf Schlechtwetterentschädigung gewahrt,
sofern sich aus der Begründung der Kurzarbeit hinreichende Anhaltspunkte
für wetterbedingte Arbeitsausfälle ergeben (Erw. 3).

Sachverhalt

    A.- Hans Kühner, Inhaber eines Sägereibetriebes in Gadmen, teilte
dem Gemeindearbeitsamt am 7. Februar 1984 telefonisch mit, dass er
für seine beiden Arbeitnehmer ab sofort Kurzarbeit einführen müsse. Am
27. Februar 1984 reichte er beim Kantonalen Amt für Industrie, Gewerbe und
Arbeit (KIGA) das Formular "Voranmeldung von Kurzarbeit" ein und gab als
voraussichtliche Dauer der Kurzarbeit die Zeit vom 7. Februar bis 31. März
1984 an. Zur Begründung machte er geltend, die Arbeit in seinem Betrieb
habe witterungsbedingt und aus wirtschaftlichen Gründen eingestellt werden
müssen; nach dem grossen Schneefall liege das Holz unter einer meterhohen
Schneedecke und sei so stark gefroren, dass es sich nicht mehr sägen lasse;
zudem seien momentan überhaupt keine Aufträge vorhanden. Gleichzeitig
ersuchte Hans Kühner um Einräumung der verkürzten Anmeldefristen gemäss
Art. 58 AVIV. Mit Verfügung vom 29. März 1984 erhob das KIGA gegen die
Auszahlung von Kurzarbeitsentschädigung für die Zeit bis zum 8. März 1984
Einspruch und stellte fest, der Arbeitsausfall sei infolge verspäteter
Meldung erst nach Ablauf der für die Meldung vorgeschriebenen Frist von
10 Tagen, d.h. ab 9. März 1984 anrechenbar.

    B.- Beschwerdeweise stellte Hans Kühner am 7. April 1984 den
Antrag, es seien ihm die verkürzten Anmeldefristen zu gewähren und die
Kurzarbeitsentschädigung sei ab 7. Februar 1984 auszurichten. Lite pendente
annullierte das KIGA die Verfügung vom 29. März 1984 wiedererwägungsweise
und erhob am 14. Mai 1984 verfügungsweise Einspruch gegen die Auszahlung
von Kurzarbeitsentschädigung für die Zeit bis 16. Februar 1984.
Mit Schreiben vom 18. Mai 1984 hielt Hans Kühner an seinen Anträgen fest.

    Das Versicherungsgericht des Kantons Bern wies die Beschwerde, soweit
sie sich gegen die Wiedererwägungsverfügung richtete, mit Entscheid vom
11. Januar 1985 ab.

    C.- Mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde erneuert Hans Kühner das vor der
Vorinstanz gestellte Begehren. Während das KIGA auf eine Vernehmlassung
zur Verwaltungsgerichtsbeschwerde verzichtet, schliesst das Bundesamt
für Industrie, Gewerbe und Arbeit auf deren Abweisung.

Auszug aus den Erwägungen:

                      Aus den Erwägungen:

Erwägung 1

    1.- Beabsichtigt ein Arbeitgeber, für seine Arbeitnehmer
Kurzarbeitsentschädigung geltend zu machen, so muss er dies der kantonalen
Amtsstelle mindestens 10 Tage vor Beginn der Kurzarbeit schriftlich
melden. Der Bundesrat kann für Ausnahmefälle kürzere Anmeldefristen
vorsehen (Art. 36 Abs. 1 AVIG). Er hat von dieser Kompetenz Gebrauch
gemacht und die Anmeldefrist für Kurzarbeit ausnahmsweise auf 3
Tage festgesetzt für Fälle, in denen der Arbeitgeber nachweist,
dass die Kurzarbeit wegen plötzlich eingetretener Umstände, die nicht
voraussehbar waren, eingeführt werden muss (Art. 58 Abs. 1 AVIV). Hängt
die Arbeitsmöglichkeit in einem Betrieb vom täglichen Auftragseingang ab
und ist es nicht möglich, auf Lager zu arbeiten, so kann Kurzarbeit bis
vor ihrem Beginn, allenfalls auch telefonisch, angemeldet werden. Der
Arbeitgeber muss die telefonische Meldung unverzüglich schriftlich
bestätigen (Art. 58 Abs. 2 AVIV). Diese für bestimmte Ausnahmefälle
vorgesehene Regelung der verkürzten Anmeldefristen für Kurzarbeit
gemäss den erwähnten Verordnungsbestimmungen erweist sich als sachlich
gerechtfertigt und ist gesetzmässig (vgl. in diesem Zusammenhang BGE 110
V 337 Erw. 3c und 341, 109 V 218 Erw. 5a).

Erwägung 2

    2.- (Ausführungen darüber, dass der Beschwerdeführer die verkürzten
Fristen für die Anmeldung von Kurzarbeit im Sinne von Art. 58 Abs. 1 und
2 AVIV nicht für sich in Anspruch nehmen kann.)

Erwägung 3

    3.- a) Hans Kühner hat in der Voranmeldung der Kurzarbeit vom
27. Februar 1984, welche aufgrund der zweiten Verfügung des KIGA
vom 14. Mai 1984 ab 7. Februar 1984 gilt, kein formelles Gesuch um
Ausrichtung von Schlechtwetterentschädigung gestellt, sich in der
Begründung der Kurzarbeit aber ausdrücklich auf wetterbedingten
Arbeitsausfall berufen. Das KIGA behandelte seine Anmeldung nur
unter dem Titel Kurzarbeitsentschädigung, nicht aber unter jenem
der Schlechtwetterentschädigung. Indem der Beschwerdeführer im
erstinstanzlichen Verfahren geltend machte, er habe im fraglichen
Zeitraum auf Lager gearbeitet, diese Arbeit aber witterungsbedingt
einstellen müssen, hat er zumindest sinngemäss die Verweigerung der
Schlechtwetterentschädigung gerügt. Die Vorinstanz verneinte daraufhin den
Anspruch auf Schlechtwetterentschädigung in ihrem Entscheid vom 11. Januar
1985 gestützt auf Art. 65 Abs. 1 AVIV in der damals geltenden Fassung,
nach welcher die Sägerei nicht in der Liste entschädigungsberechtigter
Erwerbszweige enthalten war. In der Verwaltungsgerichtsbeschwerde erwähnt
der Beschwerdeführer ausserordentliche Schneefälle, die den zur Verfügung
stehenden Lagerplatz unbenützbar gemacht hätten.

    Im Verlaufe des letztinstanzlichen Verfahrens trat auf den 1. Juli
1985 die Änderung der AVIV vom 25. April 1985 und damit der neue Art. 65
Abs. 1 lit. i AVIV in Kraft, gemäss welchem die Sägerei nunmehr zu den
Erwerbszweigen gehört, in denen Schlechtwetterentschädigung ausgerichtet
werden kann. Da diese Regelung nach Ziff. II der geänderten AVIV für
alle bei Inkrafttreten nicht rechtskräftig entschiedenen Fälle gilt,
stellt sich die Frage, ob der Beschwerdeführer mit seiner Voranmeldung
der Kurzarbeit seine Rechte auch in bezug auf einen allfälligen Anspruch
auf Schlechtwetterentschädigung gewahrt hat.

    b) Nach der Rechtsprechung zu Art. 46 IVG wahrt der Versicherte mit
der Anmeldung bei der Invalidenversicherungs-Kommission grundsätzlich
alle seine zu diesem Zeitpunkt gegenüber der Versicherung bestehenden
Leistungsansprüche, auch wenn er diese im Anmeldeformular nicht im
einzelnen angibt. Dieser Grundsatz findet nicht Anwendung auf Leistungen,
die in keinem Zusammenhang mit den sich aus den Angaben des Versicherten
ausdrücklich oder sinngemäss ergebenden Begehren stehen und für die auch
keinerlei aktenmässige Anhaltspunkte die Annahme erlauben, sie könnten
ebenfalls in Betracht fallen. Denn die Abklärungspflicht der Verwaltung
erstreckt sich nicht auf alle überhaupt möglichen Leistungsansprüche,
sondern nur auf die vernünftigerweise mit dem vorgetragenen Sachverhalt
und allfälligen bisherigen oder neuen Akten im Zusammenhang stehenden
Leistungen. Macht der Versicherte später geltend, er habe abgesehen
von der verfügungsmässig zugesprochenen bzw. verweigerten Leistung
noch Anspruch auf eine andere Versicherungsleistung und er habe sich
hiefür rechtsgültig angemeldet, so ist nach den gesamten Umständen des
Einzelfalles im Lichte des Grundsatzes von Treu und Glauben zu prüfen,
ob jene frühere ungenaue Anmeldung auch den zweiten, allenfalls später
substantiierten Anspruch umfasst (BGE 101 V 112 mit Hinweisen).

    Dies gilt analog auf dem Gebiet der Arbeitslosenversicherung, wenn ein
Arbeitgeber die Absicht, für seine Arbeitnehmer Kurzarbeitsentschädigung
geltend zu machen, nach Art. 36 Abs. 1 AVIG angemeldet hat und
nachträglich auch Anspruch auf Schlechtwetterentschädigung erhebt (nicht
veröffentlichtes Urteil Verag AG vom 10. September 1985). Dass sich die
ursprüngliche unpräzise Anmeldung auch auf einen allfälligen weiteren
Anspruch erstreckt, muss umso mehr gelten, wenn sich dessen sinngemässe
Geltendmachung - wie vorliegend - schon aus dem in jener Anmeldung
vorgetragenen Sachverhalt ergibt.

    c) In Anbetracht der seit dem 1. Juli 1985 geänderten Rechtslage wird
das KIGA, an welches die Sache zurückzuweisen ist, die von Hans Kühner mit
Wirkung ab 7. Februar 1984 eingereichte Voranmeldung von Kurzarbeit auch
als Meldung wetterbedingten Arbeitsausfalls im Sinne von Art. 45 Abs. 1
AVIG behandeln, bei Zweifeln an der Anrechenbarkeit des Arbeitsausfalls
nach Art. 45 Abs. 4 AVIG geeignete Abklärungen treffen und allenfalls durch
Verfügung Einspruch gegen die Ausrichtung der Schlechtwetterentschädigung
erheben. Dem Beschwerdeführer muss ferner die Möglichkeit eingeräumt
werden, den Entschädigungsanspruch seiner Arbeitnehmer gemäss Art. 47
Abs. 1 AVIG bei der von ihm bezeichneten Kasse nachträglich geltend
zu machen.

Entscheid:

        Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:

    Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird in dem Sinne gutgeheissen, dass
der Entscheid des Versicherungsgerichts des Kantons Bern vom 11. Januar
1985, soweit er die Schlechtwetterentschädigung betrifft, aufgehoben und
die Sache zur näheren Abklärung und allfälligen Verfügung im Sinne der
Erwägungen an das

KIGA zurückgewiesen wird. Im übrigen wird die Verwaltungsgerichtsbeschwerde
abgewiesen.