Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 111 V 215



111 V 215

42. Auszug aus dem Urteil vom 20. August 1985 i.S. Bonomo gegen
Ausgleichskasse des Kantons Zürich und AHV-Rekurskommission des Kantons
Zürich Regeste

    Art. 21 Abs. 1 IVG, Ziff. 13.05* und Ziff. 13.06* HVI Anhang.

    - Zeitliche Anwendbarkeit der ab 1. Januar 1983 in Kraft stehenden
Ziff. 13.05* und 13.06* HVI Anhang (Erw. 1b).

    - Hat der Versicherte Anrecht auf Beiträge an eine Rampe auf der
Grundlage einer Beitragsgewährung an einen Treppenfahrstuhl, wenn er die
Anspruchsvoraussetzungen nur für das letztgenannte Hilfsmittel erfüllt?
Voraussetzungen einer solchen Leistungszusprechung (Präzisierung der
Rechtsprechung); in casu Voraussetzungen verneint (Erw. 2d).

Sachverhalt

    A.- Der 1967 geborene, bei seinen Eltern in Greifensee wohnhafte
Reno Bonomo besuchte das Freie Gymnasium in Zürich, als er sich am
24. April 1982 bei einem Sportunfall eine schwere Kompressions- und
Luxationsfraktur BWK 5/6 mit kompletter Paraplegie unterhalb Th 6 zuzog. Er
ist seither auf die Benutzung eines Rollstuhles angewiesen, den ihm die
Invalidenversicherung in zwei Exemplaren abgab. Auf Anmeldung vom 26.
Mai 1982 hin übernahm die Invalidenversicherung ferner nach Abklärung
durch den Berufsberater die invaliditätsbedingten Reisekosten für die
Fahrten zum Schulbesuch von Greifensee nach Zürich, ebenso die Kosten für
vorbereitende Sprachlektionen vom 1. Juli 1982 bis zum Wiedereintritt in
das Freie Gymnasium im Oktober 1982.

    Am 7. September 1982 teilte der Vater des Versicherten der
Regionalstelle mit, bei seiner Liegenschaft in Greifensee bestehe zwischen
dem Hauseingang und dem Zugangsweg eine Treppe von vier Stufen, welche mit
dem Rollstuhl nicht ohne fremde Hilfe zu überwinden sei; mittels einer
Rampe durch den Garten könnte die Höhendifferenz von 74 cm bei einer
Steigung von maximal 3,6% bewältigt werden, dies bei einem Kostenaufwand
von insgesamt Fr. 11'313.10. Die Invalidenversicherungs-Kommission
unterbreitete das von der Regionalstelle befürwortete Leistungsgesuch
dem Bundesamt für Sozialversicherung (BSV) zur Stellungnahme,
welches am 26. November 1982 antwortete, eine Finanzierung der Rampe
gemäss Ziff. 13.05* HVI Anhang falle vorliegend ausser Betracht, da
der Versicherte kein existenzsicherndes Erwerbseinkommen habe. Die
Ausgleichskasse lehnte deshalb das Leistungsgesuch mit Verfügung vom
9. Februar 1983 ab.

    B.- Die AHV-Rekurskommission des Kantons Zürich wies die hiegegen
erhobene Beschwerde mit Entscheid vom 25. Februar 1984 ab.

    C.- Reno Bonomo lässt Verwaltungsgerichtsbeschwerde führen mit dem
Antrag, es sei ihm "ein angemessener Beitrag an die Kosten der von ihm
angeschafften Rampe zuzusprechen".

    Während die Ausgleichskasse, unter Hinweis auf eine ablehnende
Stellungnahme der Invalidenversicherungs-Kommission, auf Abweisung der
Beschwerde schliesst, beantragt das BSV deren Gutheissung in dem Sinne,
dass dem Versicherten ein Kostenbeitrag von Fr. 6000.-- zugesprochen werde.

Auszug aus den Erwägungen:

                      Aus den Erwägungen:

Erwägung 1

    1.- a) (Vgl. BGE 111 V 211 Erw. 1a)

    b) Wäre in intertemporalrechtlicher Hinsicht, wie die
Invalidenversicherungs-Kommission meint, auf die vorliegende Sache
Ziff. 13.05* HVI Anhang in der bis Ende 1982 gültig gewesenen Fassung
anwendbar, würde der streitige Beitragsanspruch sowohl unter dem Titel
der Rampe wie unter dem Titel des Treppenfahrstuhles von vornherein
dahinfallen; denn als Gymnasiast ist der Beschwerdeführer auf keinen dieser
Behelfe angewiesen, um ausser Hause einer existenzsichernden Tätigkeit
nachgehen zu können. Anders verhält es sich, was den Treppenfahrstuhl
anbelangt, unter der seit anfangs 1983 geltenden Ziff. 13.06* HVI
Anhang. Es ist deshalb vorerst zu prüfen, welches Recht vorliegend zeitlich
zur Anwendung gelangt.

    Das BSV verweist auf den Nachtrag 3 (gültig ab 1. Januar 1983)
zu seiner Wegleitung über die Abgabe von Hilfsmitteln, "in welchem die
Anwendung des neuen Rechts geregelt" werde; der Nachtrag enthalte "die
Inkrafttretens- und Übergangsbestimmung", wonach die revidierten bzw. neu
eingeführten Ziff. 13.05* und 13.06* HVI Anhang "auf alle Leistungsbegehren
anwendbar" seien, die bei Inkrafttreten der neuen Verordnungsregelung
am 1. Januar 1983 noch nicht rechtskräftig erledigt seien, was im
vorliegenden Fall - die angefochtene Verfügung datiert vom 9. Februar
1983 - zutreffe. Der bundesamtlichen Auffassung kann indes in dieser Form
nicht beigepflichtet werden. Wenn das Eidgenössische Departement des
Innern die Änderungen der HVI vom 21. September 1982 auf den 1. Januar
1983 in Kraft setzte (Abschnitt II der Verordnungsänderung), so hat
es damit bezüglich der zeitlichen Geltung der revidierten Bestimmungen
eine Rechtsregel auf der Stufe einer Departementsverordnung aufgestellt,
die nicht einfach durch eine bundesamtliche Weisung abgeändert werden
kann (BGE 107 V 154 Erw. 2b mit Hinweisen auf Lehre und Rechtsprechung;
vgl. auch BGE 110 V 267 mit Hinweisen).

    Auszugehen ist vielmehr vom Grundsatz, dass in zeitlicher
Hinsicht jene Rechtssätze massgebend sind, die bei Erfüllung des
zu Rechtsfolgen führenden Sachverhalts Geltung haben (BGE 110 V 254
Erw. 3a mit Hinweis). Im vorliegenden Fall haben die für den streitigen
Beitragsanspruch massgeblichen tatsächlichen Verhältnisse bereits 1982
bestanden, als der Beschwerdeführer ab Oktober 1982 den Schulbesuch im
Freien Gymnasium wieder aufnahm. Entscheidend ist indessen, dass diese
Verhältnisse sich unter der Herrschaft der bis Ende 1982 geltenden
Verordnungsregelung nicht abschliessend verwirklicht haben, vielmehr
auch nach dem 1. Januar 1983 fortbestanden und als solche von der
Verwaltung erstmals zu beurteilen waren. Daran ändert der Einwand der
Invalidenversicherungs-Kommission, die Rampe sei bereits im Herbst 1982
eingebaut worden, was im übrigen aufgrund der Zuschrift des Vaters des
Beschwerdeführers vom 26. Januar 1983 zweifelhaft ist, nichts. Denn nicht
der Einbau der Rampe ist für die Beurteilung des Beitragsanspruches
wesentlich, sondern der Umstand, dass der Beschwerdeführer wegen
seiner Gehunfähigkeit und im Hinblick auf die Überwindung des Weges zum
Schulbesuch die streitige Eingliederungsmassnahme benötigt (Art. 4 Abs. 2
IVG; BGE 108 V 63 oben). Der in diesem Sinne invalidisierende Zustand
hielt auch nach dem 1. Januar 1983 an, weshalb der bisher nie formell
rechtskräftig beurteilte Beitragsanspruch nach Massgabe der seit anfangs
1983 geltenden Verordnung zu prüfen ist.

Erwägung 2

    2.- a) Einerseits könnte der Beschwerdeführer zur Überwindung
des Schulweges gestützt auf Ziff. 13.06* HVI Anhang Beiträge an einen
Treppenfahrstuhl beanspruchen, auf dessen Anschaffung indessen bisher
verzichtet wurde.

    Anderseits hat er nach Ziff. 13.05* HVI Anhang kein Anrecht auf
Beiträge an die Rampe, weil er diese nicht für die Bewältigung des
Arbeitsweges zur Ausübung einer existenzsichernden Erwerbstätigkeit
braucht.

    Zu prüfende Rechtsfrage ist somit, ob dem Beschwerdeführer an die
von seinem Vater geplante (zwischenzeitlich eventuell eingebaute)
Rampe Leistungen auf der Grundlage einer Beitragsgewährung für den
Treppenfahrstuhl zustehen, was in der Verwaltungsgerichtsbeschwerde unter
Hinweis auf BGE 107 V 89 sinngemäss geltend gemacht wird.
   b) ...  c) (Vgl. BGE 111 V 213 Erw. b)

    d) An der bisherigen Rechtsprechung ist grundsätzlich festzuhalten;
doch ist sie in folgendem Sinne zu präzisieren: Massgeblich für die
Bejahung der Austauschbefugnis im Sinne von BGE 107 V 89 ist, dass das vom
Versicherten angeschaffte Hilfsmittel nicht nur unter den Voraussetzungen
der unmittelbaren Gegenwart, sondern auch unter den Voraussetzungen,
mit denen auf weitere Sicht gerechnet werden muss, die Funktion des dem
Versicherten Rechtens zustehenden Hilfsmittels erfüllt.

    Unter diesem Gesichtspunkt ist die Gewährung von Leistungen an eine
Rampe auf der Grundlage der Beitragszahlung für einen Treppenfahrstuhl
nicht schlechtweg ausgeschlossen. Doch muss nach dem Gesagten die Gewähr
bestehen, dass der Versicherte die Rampe auf weitere Sicht tatsächlich
zur Überwindung des Schulweges benutzt. Diese Voraussetzung ist im
vorliegenden Fall nicht gegeben. Die Verhältnisse des Beschwerdeführers
sind im Hinblick auf sein Alter, den Ausbildungsstand und den
Wohnort bei seinen Eltern labil und können kurzfristig ändern. Die
Invalidenversicherung kann deshalb nicht zur Zahlung von Beiträgen an die
Rampe verpflichtet werden, die einerseits definitiv und auf Dauer angelegt
ist und anderseits der Überwindung des Arbeitsweges nur und einzig dann
dient, wenn der Beschwerdeführer bei seinen Eltern wohnhaft bleibt -
was zweifelhaft ist -, wogegen der Treppenfahrstuhl die Überwindung
des Schulweges auch bei geänderten Verhältnissen sichert, indem er
andernorts eingesetzt werden kann. Es ist damit vorliegend nicht mit der
erforderlichen Wahrscheinlichkeit anzunehmen, dass die Rampe auf weitere
Sicht die Funktion eines Treppenfahrstuhles übernimmt. Damit ist das oben
umschriebene Erfordernis für eine Beihilfe an die Rampe auf der Grundlage
einer Beitragsleistung an den Treppenfahrstuhl nicht erfüllt.

Entscheid:

        Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:

    Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird abgewiesen.