Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 111 V 209



111 V 209

41. Urteil vom 20. August 1985 i.S. Zimmermann gegen Ausgleichskasse des
Kantons Schaffhausen und Obergericht des Kantons Schaffhausen Regeste

    Art. 21 Abs. 1 IVG, Ziff. 13.05* und 13.06* HVI Anhang.

    - Es ist nicht gesetzwidrig, dass die Hilfsmittelliste (in der
ab 1. Januar 1983 geltenden Fassung) die Gewährung von Beiträgen an
Hebebühnen, Treppenlifts, Rampen und das Verbreitern der Eingangstüre
vom Erfordernis einer existenzsichernden Erwerbstätigkeit abhängig macht,
darauf jedoch bei Treppenfahrstühlen verzichtet (Erw. 1).

    - Hat der Versicherte Anrecht auf Beiträge an einen Treppenlift auf
der Grundlage einer Beitragsgewährung an einen Treppenfahrstuhl, wenn er
die Anspruchsvoraussetzungen nur für das letztere Hilfsmittel erfüllt?
Voraussetzungen einer solchen Leistungszusprechung (Präzisierung der
Rechtsprechung). In casu Voraussetzungen für Beiträge auf der Grundlage
der Kosten für einen Treppenfahrstuhl bejaht (Erw. 2).

Sachverhalt

    A.- Die 1975 geborene, bei ihren Eltern wohnhafte Marion
Zimmermann leidet seit Geburt u.a. an schweren zerebralen Lähmungen. Die
Invalidenversicherung erbrachte deswegen seit 1975 verschiedene Leistungen,
so u.a. Beiträge an die Sonderschulung, in deren Rahmen Marion Zimmermann
eine heilpädagogische Schule besucht.

    Am 14. Juli 1983 teilte ihr Vater der Invalidenversicherungs-Kommission
mit, er beabsichtige, im Haus seiner Schwiegereltern einen Treppenlift
einzubauen, dessen Kosten sich auf rund Fr. 30'000.-- belaufen würden;
zur Begründung führte er u.a. an, er könne es nicht länger verantworten,
dass seine Frau die gehunfähige Marion "täglich im Hause und zum
Schulbus tragen" müsse; die Kommission werde deshalb um Prüfung ersucht,
inwieweit die Invalidenversicherung einen Beitrag an die Baukosten leisten
könne. Dieses Begehren lehnte die Ausgleichskasse des Kantons Schaffhausen
gestützt auf einen Beschluss der Invalidenversicherungs-Kommission vom
29. September 1983 ab, weil nach Ziff. 13.05* HVI Anhang Beiträge an
Treppenlifts nur zugesprochen werden könnten, sofern damit die Überwindung
des Arbeitsweges zur Ausübung einer existenzsichernden Tätigkeit ermöglicht
werde; dies treffe jedoch bei der minderjährigen nichterwerbstätigen
Versicherten nicht zu (Verfügung vom 27. Oktober 1983).

    B.- Das Obergericht des Kantons Schaffhausen wies die hiegegen erhobene
Beschwerde mit Entscheid vom 30. Dezember 1983 ab.

    C.- Marion Zimmermann lässt Verwaltungsgerichtsbeschwerde führen
mit dem Antrag, es sei die Invalidenversicherung, unter Aufhebung des
vorinstanzlichen Entscheides, zu verpflichten, "einen Kostenbeitrag an den
Einbau eines Treppenliftes im Sinne von 13.05* HVI Anhang zuzusprechen";
eventualiter wird beantragt, es sei die Invalidenversicherung zu
verpflichten, "einen Kostenbeitrag an den Einbau eines Treppenliftes in
Höhe der Anschaffungskosten eines Treppenfahrstuhles zuzusprechen".

    Während die Ausgleichskasse auf Abweisung der
Verwaltungsgerichtsbeschwerde schliesst, beantragt das Bundesamt
für Sozialversicherung (BSV) deren Gutheissung in dem Sinne, dass der
Versicherten an die Anschaffung des Treppenliftes ein Kostenbeitrag von
Fr. 6000.-- zuzusprechen sei.

Auszug aus den Erwägungen:

       Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:

Erwägung 1

    1.- a) Gestützt auf Art. 21 Abs. 1 IVG, Art. 14 IVV und nach Massgabe
der Art. 2 ff. HVI gewährte Ziff. 13.05* HVI Anhang in der bis Ende
1982 gültig gewesenen Fassung "Beiträge an Hebebühnen, Treppenlifts,
Treppenfahrstühle, Rampen und das Verbreitern der Eingangstüre,
sofern damit die Überwindung des Arbeitsweges zur Ausübung einer
existenzsichernden Tätigkeit ermöglicht wird".

    Demgegenüber ist die Hilfsmittelliste, soweit vorliegend von Bedeutung,
aufgrund der Verordnungsänderung vom 21. September 1982 (in Kraft seit 1.
Januar 1983) folgendermassen ausgestaltet worden:

    "13.05* Beiträge an Hebebühnen, Treppenlifts, ..., Rampen und das

    Verbreitern der Eingangstüre, sofern damit die Überwindung des

    Arbeitsweges zur Ausübung einer existenzsichernden Tätigkeit ermöglicht
   wird.

    13.06* Treppenfahrstühle, sofern damit die Überwindung des Weges zur

    Arbeits-, Schulungs- oder Ausbildungsstätte ermöglicht wird."

    Kraft dieser Verordnungsänderung ist es seit dem 1. Januar 1983
möglich, Beiträge an Treppenfahrstühle auch Versicherten zu gewähren, die
keine existenzsichernde Tätigkeit im Sinne der Rechtsprechung (BGE 105 V
63; vgl. auch 110 V 269 Erw. 1c) ausüben, wie dies etwa bei Schülern oder
Lehrlingen regelmässig zutrifft. Dagegen ist der Anspruch auf Gewährung
von Beiträgen an einen Treppenlift nach wie vor vom Erfordernis einer
existenzsichernden (Erwerbs-)Tätigkeit abhängig.

    b) Soweit die Beschwerdeführerin wie bereits im vorinstanzlichen
Verfahren rügt, die Verordnungsbestimmungen der Ziff. 13.05* und 13.06*
HVI Anhang seien gesetzwidrig, kann ihr angesichts der dem Bundesrat
bzw. dem Eidgenössischen Departement des Innern (Art. 14 IVV) zustehenden
weitgehenden Freiheit in der Ausgestaltung der Hilfsmittelliste (vgl. BGE
105 V 258 Erw. 2) nicht beigepflichtet werden. Unter diesem Gesichtspunkt
ist es nicht zu beanstanden, wenn das Departement die Gewährung von
Beiträgen an Hebebühnen, Treppenlifts, Rampen und das Verbreitern der
Eingangstüre vom Erfordernis einer existenzsichernden Erwerbstätigkeit
abhängig macht, darauf jedoch in bezug auf Treppenfahrstühle mit der
erwähnten Verordnungsänderung verzichtet hat, um damit die Eingliederung
jugendlicher, in Ausbildung befindlicher Versicherter zu erleichtern
(vgl. ZAK 1982 S. 429 f.).

Erwägung 2

    2.- a) Das kantonale Gericht erwog, einer Beitragsgewährung stehe
entgegen, dass die Beschwerdeführerin den eingebauten Treppenlift nicht
primär zur Überwindung des Schulweges brauche, sondern in erster Linie für
eine bessere Mobilität innerhalb des Hauses. Das Eidg. Versicherungsgericht
hat jedoch, wie das BSV richtig bemerkt, im Urteil Blaser vom 3. Februar
1982 festgehalten, es liege in der Natur der Sache, dass ein Treppenlift
(neben seiner Eignung zur Überwindung des Arbeitsweges) praktisch
stets auch der Beweglichkeit des Invaliden innerhalb der Wohnung zugute
komme und dennoch in die Hilfsmittelliste aufgenommen worden sei; nach
geltendem Recht könne deshalb der Anspruch auf einen Kostenbeitrag nicht
mit dem Hinweis darauf verneint werden, der Treppenlift diene vorwiegend
der besseren Beweglichkeit im Hause; entscheidend sei vielmehr, ob ein
Skalator in Anbetracht der jeweiligen konkreten baulichen Verhältnisse
(nebst seiner hausinternen Verwendungsweise) auch tatsächlich der
Überwindung des Arbeitsweges dient (ZAK 1982 S. 230 oben). An diesen
Erwägungen ist festzuhalten. Vorliegend steht aufgrund der Akten fest,
dass der Treppenlift zum Besuch der heilpädagogischen Schule Verwendung
findet, indem die Beschwerdeführerin aus der elterlichen Wohnung zum
Schulbus gebracht werden muss.

    Nach dem Gesagten könnte die Beschwerdeführerin zur Überwindung
des Schulweges gestützt auf Ziff. 13.06* HVI Anhang Beiträge an einen
Treppenfahrstuhl beanspruchen, auf dessen Anschaffung indessen verzichtet
wurde.

    Anderseits hat sie nach Ziff. 13.05* HVI Anhang kein Anrecht auf
Beiträge an den Treppenlift, weil sie diesen nicht für die Bewältigung
des Arbeitsweges zur Ausübung einer existenzsichernden Erwerbstätigkeit
braucht.

    Zu prüfende Rechtsfrage ist somit, ob der Beschwerdeführerin an den
von ihrem Vater eingebauten Treppenlift Leistungen auf der Grundlage
einer Beitragsgewährung für den Treppenfahrstuhl zustehen, wie in
der Verwaltungsgerichtsbeschwerde eventualiter unter Berufung auf das
Urteil Elsener vom 27. März 1981 (BGE 107 V 89) beantragt wird. Das BSV
schliesst sich diesem Antrag unter Hinweis auf seine seit anfangs 1984
geübte Verwaltungspraxis an. Danach bewillige es die Zusprechung eines
Kostenbeitrages in der Höhe der Kosten eines Treppenfahrstuhles, wenn
der Versicherte es vorgezogen habe, einen Treppenlift einzubauen; denn
in diesen Fällen sei die von der Rechtsprechung (BGE 107 V 89) verlangte
Voraussetzung erfüllt, dass das vom Versicherten effektiv angeschaffte,
ihm Rechtens zustehende Hilfsmittel dem gleichen Zweck diene wie jenes
Hilfsmittel, das er an sich beanspruchen könnte. Sowohl Treppenfahrstuhl
als auch Treppenlift würden für ein und denselben Zweck eingesetzt,
nämlich zur Überwindung von Treppenstufen bei der Zurücklegung des
Weges zur Arbeits-, Schulungs- oder Ausbildungsstätte. Das BSV sei
deshalb gestützt auf Art. 8 HVI dazu übergegangen, in solchen Fällen die
Beitragsleistung an den Treppenlift in der Höhe der durchschnittlichen
Kosten eines Treppenfahrstuhles auf Fr. 6000.-- anzusetzen, um eine
rechtsgleiche Behandlung der Versicherten zu gewährleisten.

    b) In den Urteilen Gschwend vom 24. Juli 1979 (ZAK 1979 S. 564)
und Furginé vom 29. November 1979 hat das Eidg. Versicherungsgericht
festgehalten, dass der Versicherte, der auf eigene Kosten einen
strassenverkehrstauglichen Elektrofahrstuhl (Ziff. 10.03* HVI
Anhang) gekauft hatte, Anspruch auf einen für den Strassenverkehr
nicht zugelassenen Elektrofahrstuhl (Ziff. 9.02 HVI Anhang) hat,
weshalb Amortisationsbeiträge auf der Basis des Anschaffungspreises
eines derartigen Hilfsmittels zu gewähren sind. Diesen Rechtsgedanken,
welcher in der Lehre als Austauschbefugnis des Versicherten bezeichnet
worden ist (MEYER-BLASER, Zum Verhältnismässigkeitsgrundsatz im
staatlichen Leistungsrecht, Diss. Bern 1985, S. 87 ff.), hat das Eidg.
Versicherungsgericht in dem von den Verfahrensbeteiligten mehrfach
erwähnten Urteil Elsener vom 27. März 1981 (BGE 107 V 89) folgendermassen
umschrieben: Umfasst das selber angeschaffte Hilfsmittel auch die Funktion
eines dem Versicherten an sich zustehenden Hilfsmittels, so steht einer
Gewährung von Amortisationsbeiträgen nichts entgegen; diese sind alsdann
auf der Basis der Anschaffungskosten des Hilfsmittels zu berechnen, auf
das der Versicherte an sich Anspruch hat (BGE 107 V 93). Diesen Grundsatz
hat das Gericht in den unveröffentlichten Urteilen Gilomen vom 5. April
1982 und Krüttli vom 21. April 1982 bestätigt, und zwar im Verhältnis
des Treppenfahrstuhles bzw. -lifts nach Ziff. 13.05* HVI Anhang (in
der bis Ende 1982 gültig gewesenen Fassung) zum normalen Personenlift,
welcher nicht auf der Hilfsmittelliste figuriert (vgl. MEYER-BLASER, aaO,
S. 92 f.).

    c) An dieser Rechtsprechung ist grundsätzlich festzuhalten; doch
ist sie in folgendem Sinne zu präzisieren: Massgeblich für die Bejahung
der Austauschbefugnis im Sinne von BGE 107 V 89 ist, dass das vom
Versicherten angeschaffte Hilfsmittel nicht nur unter den Voraussetzungen
der unmittelbaren Gegenwart, sondern auch unter den Voraussetzungen,
mit denen auf weitere Sicht gerechnet werden muss, die Funktion des dem
Versicherten Rechtens zustehenden Hilfsmittels erfüllt.

    Unter diesem Gesichtspunkt ist die Gewährung von Leistungen an einen
Treppenlift auf der Grundlage der Beitragszahlung an einen Treppenfahrstuhl
grundsätzlich möglich. Doch muss nach dem Gesagten die Gewähr bestehen,
dass der Versicherte den Treppenlift auf weitere Sicht tatsächlich zur
Überwindung des Weges zur Arbeits-, Schulungs- oder Ausbildungsstätte
im Sinne von Ziff. 13.06* HVI Anhang benutzt. Diese Voraussetzung
ist im vorliegenden Fall erfüllt. Denn in Anbetracht des Alters der
Beschwerdeführerin (im Zeitpunkt der angefochtenen Verfügung erst
8 1/2 Jahre), ihrer Betreuungsbedürftigkeit, der Wohnverhältnisse
und der Schulsituation darf davon ausgegangen werden, dass der
eingebaute Treppenlift während längerer Zeit zur Überwindung des
Weges zur Sonderschule und später zu einer anderen Ausbildungsstätte
eingesetzt wird. Damit ist mit überwiegender Wahrscheinlichkeit
erstellt, dass der eingebaute Treppenlift auf weitere Sicht die Funktion
eines Treppenfahrstuhles übernimmt. Folglich ist das oben umschriebene
Erfordernis für einen Beitrag an den Treppenlift auf der Grundlage einer
Beitragsleistung an den Treppenfahrstuhl erfüllt.

Erwägung 3

    3.- Was die Höhe des Beitrages anbelangt, sieht das BSV für
solche Fälle praxisgemäss eine Leistung von Fr. 6000.-- vor, was
nach seinen Abklärungen dem durchschnittlichen Anschaffungspreis eines
Treppenfahrstuhles entspricht. Diese Verwaltungspraxis hält sich im Rahmen
von Art. 8 HVI und ist nicht zu beanstanden. Der Beschwerdeführerin steht
deshalb ein Beitrag in der Höhe von Fr. 6000.-- zu.

Entscheid:

        Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:

    In teilweiser Gutheissung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde werden
der Entscheid des Obergerichts des Kantons Schaffhausen vom 30. Dezember
1983 und die Verfügung der Ausgleichskasse des Kantons Schaffhausen
vom 27. Oktober 1983 aufgehoben, und es wird festgestellt, dass die
Beschwerdeführerin gegen die Invalidenversicherung Anspruch auf einen
Beitrag von Fr. 6000.-- an die Kosten des Einbaues eines Treppenliftes hat.