Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 111 IV 49



111 IV 49

14. Urteil des Kassationshofes vom 17. April 1985 i.S. Staatsanwaltschaft
des Kantons Zürich gegen S. (Nichtigkeitsbeschwerde) Regeste

    Art. 139 Ziff. 1 und Ziff. 1bis StGB.

    Spielzeugwaffen, defekte Schusswaffen oder solche, für die der
Täter keine Munition greifbar hat, werden von Art. 139 Ziff. 1bis StGB
nicht erfasst, sofern sie nicht als "andere gefährliche Waffen" (d.h. als
Gegenstände, die nach ihrer Bestimmung zu Angriff oder Verteidigung dienen)
bezeichnet werden müssen.

Sachverhalt

    A.- S. verübte am 10. Mai 1983 mit vier Mittätern einen Raubüberfall
auf die SBB-Station Oberwinterthur. Die I. Strafkammer des Obergerichts
des Kantons Zürich verurteilte ihn am 22. November 1984 wegen Raubes im
Sinne von Art. 139 Ziff. 1 StGB zu 14 Monaten Gefängnis, unter Gewährung
des bedingten Strafvollzugs bei einer Probezeit von drei Jahren.

    Die Staatsanwaltschaft des Kantons Zürich führt eidgenössische
Nichtigkeitsbeschwerde mit dem Antrag, das obergerichtliche Urteil
sei aufzuheben und die Sache an die Vorinstanz zurückzuweisen, damit
diese den Verurteilten des Raubes im Sinne von Art. 139 Ziff. 1bis StGB
schuldig spreche.

Auszug aus den Erwägungen:

             Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

Erwägung 1

    1.- Nach den verbindlichen vorinstanzlichen Feststellungen
hat ein Mittäter des Beschwerdegegners beim Raubüberfall auf das
SBB-Stationsbüro einen Colt (Perkussionsrevolver, Vorderlader, Kal. 9 mm,
30,5 cm lang und 1,2 kg schwer), und zwar eine sogenannte Replika-Waffe
(einen "neuantiken" Revolver) mitgeführt, der weder schiesstauglich noch
geladen war und für den die Täter keine Munition besassen. In die Trommel
waren messingfarbene Polsternägel eingefügt und festgeklebt, um dadurch
Patronenhülsen vorzutäuschen. Mit dieser Waffe hielt ein Mittäter während
des Raubüberfalles den Stationsbeamten in Schach.

Erwägung 2

    2.- a) Dass der Beschwerdegegner sich der Mittäterschaft beim
Raubüberfall schuldig machte, ist nicht bestritten.

    b) Hinsichtlich der Qualifikation des Raubes gelangte die Vorinstanz
zum Ergebnis, weil die Waffe nicht schiesstauglich gewesen sei und die
Täter keine Munition besessen hätten, sei das Qualifikationsmerkmal
des Art. 139 Ziff. 1bis StGB (Schusswaffe bzw. gefährliche Waffe) nicht
erfüllt. Die Beschwerdeführerin vertritt demgegenüber die Meinung, der
Geschädigte habe geglaubt, die Täter verfügten über eine geladene und zum
Schuss geeignete Waffe; die eingeklagte Tat müsse deshalb unter Art. 139
Ziff. 1bis StGB subsumiert werden, denn das Gesetz spreche hier nur von
einer "Schusswaffe", nicht von einer "geladenen" Waffe; die Gefährlichkeit
eines solchen Raubes liege darin, dass der Täter das Opfer auf diese
Weise mit mehr Nachdruck in Schach halten könne, weil dieses damit rechnen
müsse, dass die Waffe geladen und schussbereit sei; eine solche Drohung
sei gefährlicher als eine Drohung mit blosser Gewalt im Sinne von Art.
139 Ziff. 1 StGB; auch ein Einsatz als Schlagwaffe sei denkbar.

Erwägung 3

    3.- Das Bundesgericht hat im Entscheid vom 28. September 1984
i.S. W. (BGE 110 IV 81 ff.), auf dessen Erwägungen verwiesen werden kann,
im wesentlichen ausgeführt: Ob das Qualifikationsmerkmal des Art. 139
Ziff. 1bis StGB gegeben sei, hänge vom objektiv gefährlichen Charakter
der Waffe und nicht vom subjektiven Eindruck ab, den das Opfer oder ein
Dritter von der Waffe haben könne; Schusswaffen oder andere gefährliche
Waffen im Sinne der genannten Bestimmung seien nur solche, mit denen
während der Tatausführung geschossen werden könne oder die zumindest
wegen ihrer Form oder ihres Gewichts für einen Dritten eine ähnliche
Gefahr darstellen, wie z.B. ein Schlagring; Spielzeugwaffen, defekte
Schusswaffen oder solche, für welche der Täter keine Munition greifbar
habe, würden von Art. 139 Ziff. 1bis StGB dagegen nicht erfasst, sofern
sie nicht als "andere gefährliche Waffen" bezeichnet werden müssten.

    Legt man dem vorliegenden Fall diese Rechtsprechung zugrunde, dann
hat die Vorinstanz das Qualifikationsmerkmal der "Schusswaffe" im Sinne
von Art. 139 Ziff. 1bis StGB zu Recht verneint. Dagegen hat sie nicht
geprüft, ob der 30,5 cm lange und 1,2 kg schwere Colt als eine "andere
gefährliche Waffe" im Sinne der genannten Bestimmung zu werten sei. Wohl
bemerkte sie zu Recht, dass ein Hammer nicht unter die fragliche Bestimmung
falle, doch ist damit für den vorliegenden Fall nichts gewonnen, weil
ein Hammer (gleich wie z.B. eine Vase), obwohl er (sie) als Wurfgeschoss
oder Schlaginstrument eingesetzt werden kann, weder begrifflich noch nach
allgemeiner Auffassung als "Waffe" gilt. Entgegen der dem angefochtenen
Urteil zugrundeliegenden Auffassung ist der Verwendungszweck einer
Scheinwaffe oder einer ungeladenen Waffe nicht unerheblich. Zu prüfen ist,
ob diese als gefährliche Schlagwaffe bezeichnet werden kann, d.h. als
ein Gegenstand, der nach seiner Bestimmung zu Angriff oder Verteidigung
dient. Diese Voraussetzung könnte beispielsweise dann gegeben sein, wenn
der "Revolver" mit besonderen Vorrichtungen für die Verwendung als Schlag-
oder Stichwaffe versehen wäre, nicht aber, wenn bloss Form und Gewicht
eine Verwendung als Schlaginstrument erlauben. Sollte er lediglich für
einen andern Zweck bestimmt sein (z.B. als Ziergegenstand), könnte er
höchstens als gefährliches Werkzeug qualifiziert werden, in welchem Fall
Art. 139 Ziff. 1bis StGB nicht zur Anwendung käme (vgl. dazu BGE 101
IV 285 ff., 96 IV 16 f.). Die Nichtigkeitsbeschwerde ist deshalb in dem
Sinne gutzuheissen, dass die Sache an die Vorinstanz zurückgewiesen wird,
damit diese die unterlassene Prüfung nachhole und ein neues Urteil fälle,
gegebenenfalls unter Korrektur des Strafpunktes. Das Bundesgericht kann
die erwähnte Prüfung nicht von sich aus vornehmen, weil sie wesentlich
von der Beschaffenheit des Revolvers und dessen Verwendungszweck als
Schlagwaffe, mithin von Fragen abhängt, die in erster Linie vom Sachrichter
zu beantworten sind.