Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 111 IV 189



111 IV 189

48. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes vom 4. Oktober 1985
i.S. Eidg. Zollverwaltung gegen F. (Nichtigkeitsbeschwerde) Regeste

    1. Art. 268 Ziff. 1 BStP; anfechtbarer Zwischenentscheid.

    Der in einem Strafverfahren wegen Widerhandlung gegen das
Zollgesetz ergangene Beschluss einer letzten kantonalen Instanz,
mit welchem die Sache zum Erlass einer neuen Tarifierungsverfügung an
die Eidg. Zollrekurskommission zurückgewiesen wird, stellt einen mit
eidg. Nichtigkeitsbeschwerde anfechtbaren Zwischenentscheid dar (E. 2).

    2. Art. 77 Abs. 4 VStrR; Begriff der Verwaltung.

    Die Eidg. Zollrekurskommission gehört nicht zur Verwaltung im
Sinne von Art. 77 Abs. 4 VStrR, sondern ist eine verwaltungsunabhängige
Rechtspflegeinstanz, deren Tarifierungsentscheide den Strafrichter binden
(E. 3).

Sachverhalt

    A.- F. liess durch sein Unternehmen, die X. AG, von Dezember 1978
bis Mai 1979 rund 1300 t des Stärkeproduktes "Bindex-N" in die Schweiz
einführen. Die Zolldeklaration erfolgte jeweils gestützt auf eine
Tarifauskunft der Oberzolldirektion vom September 1978, derzufolge das
Produkt unter die Zolltarif-Nummer 3819.50 fiel und zum Normalzollansatz
von Fr. 1.50 pro 100 kg brutto zu verzollen bzw. als EG-Ware zollfrei
war. Als die Zollorgane feststellten, dass F. das Produkt im Inland als
Futtermittel bzw. -zusatz verkaufte, unterstellten sie es der Tarif-Nummer
2307.20 mit der Folge, dass es zu Fr. 20.-- pro 100 kg zu verzollen
war. Ihre Nachverzollungsverfügung über total Fr. 272'788.60 wurde von
der Eidg. Zollrekurskommission mit dem rechtskräftig gewordenen Entscheid
vom 8. Mai 1981 geschützt.

    B.- Am 23. Februar 1983 verurteilte das Bezirksgericht Andelfingen
F. wegen Zollübertretung (Art. 74 Ziff. 6 in Verbindung mit Art. 75 Ziff. 2
ZG) und Bannbruchs (Art. 76 Ziff. 1 in Verbindung mit Art. 77 Abs. 3 ZG)
zu einer bedingt aufgeschobenen Gefängnisstrafe von drei Monaten und zu
einer Busse von Fr. 30'000.--.

    Mit Beschluss vom 1. Oktober 1984 wies das Obergericht des Kantons
Zürich die Akten an die Eidg. Zollrekurskommission zum neuen Entscheid
über die Tarifierungsfrage zurück, wobei es in den Erwägungen bemerkte,
das Verfahren bleibe bei der Kammer bis zum Eingang des neuen Entscheides
pendent und es werde dannzumal über den weiteren Gang sowie über die
Kosten- und Entschädigungsfrage zu entscheiden sein.

    C.- Mit Eingabe vom 12. Oktober 1984 führt die Oberzolldirektion
eidgenössische Nichtigkeitsbeschwerde mit dem Antrag, der Beschluss des
Obergerichtes sei aufzuheben und es sei der Fall durch dieses Gericht
zu beurteilen, ohne dass von der Eidg. Zollrekurskommission ein neuer
Entscheid verlangt bzw. auf einen solchen neuen Entscheid abgestellt werde.

Auszug aus den Erwägungen:

                      Aus den Erwägungen:

Erwägung 2

    2.- Gegenstand der eidgenössischen Nichtigkeitsbeschwerde können nach
Art. 268 Ziff. 1 BStP nur Urteile sein. Gemäss der bundesgerichtlichen
Rechtsprechung fallen darunter nicht bloss strafrechtliche Haupturteile,
sondern auch Vor- und Zwischenentscheide über für den Ausgang der Sache
präjudizielle Fragen. Keine Urteile im Sinne dieser Bestimmung sind
Verfügungen, die den Gang des Verfahrens betreffen (z.B. selbständige
Beschlüsse über die Zulässigkeit einer Beweismassnahme; BGE 68 IV 113
ff., 102 IV 37 E. 1 mit Verweisungen, 103 IV 59). Entsprechend wurde
die Zulässigkeit des Weiterzugs von kantonalen letztinstanzlichen Vor-
und Zwischenentscheiden an das Bundesgericht davon abhängig gemacht,
dass die kantonalen Behörden eine Frage des Bundesrechts von grundlegender
Bedeutung verbindlich und endgültig entschieden haben (vgl. BGE 80 IV 178,
68 IV 113). Diese Voraussetzung erachtete der Kassationshof insbesondere
als gegeben, wo es um die Gewährung des bedingten Strafvollzugs (BGE 68
IV 113), die Gültigkeit des Strafantrags (BGE 102 IV 37) die Frage der
Verjährung und der Verantwortlichkeit (BGE 68 IV 115) ging (vgl. auch
HAUSER, Kurzlehrbuch des schweizerischen Strafprozessrechts S. 310).

    Vorliegend hat das Obergericht gefunden, der Entscheid der Eidg.
Zollrekurskommission über die Tarifierung der Ware und die Höhe der
geschuldeten Zollabgaben sei nicht ein Erkenntnis eines unabhängigen
Gerichts, sondern ein Entscheid der Verwaltung, der gemäss Art. 77 Abs. 4
VStrR wegen offensichtlicher Gesetzesverletzung nicht verbindlich sei;
es setzte deshalb die Hauptverhandlung aus und wies die Sache zum neuen
Entscheid an die Zollrekurskommission zurück. Damit hat die Vorinstanz
sowohl bezüglich der Stellung der Eidg. Zollrekurskommission als auch
hinsichtlich der Tarifierung nach Zollgesetz Fragen des Bundesrechts
entschieden. Mit ihrem Beschluss, wonach für die Beurteilung allfälliger
von F. begangener Widerhandlungen gegen das Zollgesetz nicht auf den
rechtskräftigen Entscheid der Eidg. Zollrekurskommission vom 8. Mai 1981
abgestellt werden könne und müsse, hat sie über eine materiellrechtliche
Präjudizialfrage von grundlegender Bedeutung geurteilt und nicht bloss
eine prozessleitende Verfügung getroffen. Dabei handelt es sich um einen
in dieser Sache endgültigen Entscheid, kann das Obergericht doch - wie
auch das Kassationsgericht des Kantons Zürich annimmt - darauf nicht
zurückkommen. Die Bemerkung des Obergerichts, das Verfahren werde bis zum
Eintreffen einer neuen Tarifierungsverfügung der Eidg. Zollrekurskommission
pendent gehalten, ändert am Gesagten nichts. Die Nichtigkeitsbeschwerde
gegen Vor- und Zwischenentscheide setzt nur voraus, dass über die damit
beurteilte Frage ein endgültiger Entscheid vorliegt, nicht aber, dass
dadurch auch das ganze Verfahren abgeschlossen werde.

    Die Zuständigkeit des Bundesgerichts zur Behandlung der
Nichtigkeitsbeschwerde gegen den angefochtenen Beschluss ergibt sich
im übrigen auch aus Sinn und Zweck der vom Kassationshof entwickelten
Rechtsprechung. Mit der Zulassung von Beschwerden gegen Vor- und
Zwischenentscheide sollte verhindert werden, dass ein Strafprozess durch
alle Instanzen hindurch materiell behandelt wird, wiewohl Zweifel über
eine Präjudizialfrage eidg. Rechts bestehen (BGE 70 IV 131). Wie in
den vorstehend aufgeführten - vom Bundesgericht entgegengenommenen -
Fällen müsste in concreto ein Nichteintretensentscheid des Kassationshofs
je nach Ausgang des Verfahrens vor Eidg. Zollrekurskommission zu einem
nicht verantwortbaren Leerlauf führen (vgl. dazu BGE 68 IV 114). Auf
die Nichtigkeitsbeschwerde der Eidgenössischen Zollverwaltung ist demnach
einzutreten.

Erwägung 3

    3.- Nach Art. 77 Abs. 4 VStrR ist der rechtskräftige Entscheid über
die Leistungs- oder Rückleistungspflicht für das Gericht verbindlich;
handelt es sich um einen Entscheid der Verwaltung und findet das
Gericht, er beruhe auf offensichtlicher Gesetzesverletzung oder auf einem
Ermessensmissbrauch, so setzt es die Hauptverhandlung aus und weist die
Akten zum neuen Entscheid an die beteiligte Verwaltung zurück.

    Im vorliegenden Fall steht einzig zur Entscheidung, ob die
Eidg. Zollrekurskommission, welche als Beschwerdeinstanz über die
Tarifierung der vom Beschwerdegegner eingeführten Ware befunden hatte,
als verwaltungsunabhängige Rechtspflegeinstanz anzusehen ist oder im Sinne
der vorgenannten Bestimmung zur Verwaltung gehört. Danach bestimmt sich, ob
der Tarifierungsentscheid für das Obergericht verbindlich ist oder nicht.

    a) Der Gesetzesentwurf des Bundesrates sah entsprechend der Praxis
zum früheren Art. 305 Abs. 2 BStP schlechthin die Verbindlichkeit
rechtskräftiger Entscheide über die Leistungs- und Rückleistungspflicht
für das Gericht vor (Art. 81 Abs. 4 des Gesetzesentwurfs; BBl 1971
I 1014/1053). Demgegenüber schlug die Kommission des Nationalrats
in Anlehnung an die Rechtsprechung des Bundesgerichts zu Art. 292
StGB vor, dass der gemäss Art. 73 ff. VStrR mit der Beurteilung
von Verwaltungsstrafsachen befasste Strafrichter die Verfügung der
Verwaltung, die nicht letztinstanzlich an ein Verwaltungsgericht
weitergezogen werden kann, auf offensichtliche Rechtsverletzung und
Ermessensmissbrauch überprüfen könne (Amtl.Bull. N 1973 I S. 489 ff.;
BGE 98 IV 106). Der Gedanke fand seinen Niederschlag in Art. 77 Abs. 4
Satz 2 VStrR. Damit ist allerdings noch nichts darüber ausgesagt, ob
Entscheide der Eidg. Zollrekurskommission Entscheide der Verwaltung seien.

    b) Unter der Herrschaft des ehemaligen Art. 101 lit. b OG
entschied das Bundesgericht, dass die Eidg. Zollrekurskommission eine
für die Verwaltungsrechtspflege besonders eingesetzte Instanz sei,
die u.a. Beschwerden gegen die Festsetzung des Zolls letztinstanzlich
beurteile, also gleiche Aufgaben erfülle wie das Bundesgericht als
Verwaltungsgerichtshof in bezug auf andere öffentlichrechtliche Abgaben;
sie habe daher neben diesem als Verwaltungsgericht im Sinne des Art. 299
BStP (inzwischen aufgehoben durch Ziff. 2 des Anhangs zum VStrR) zu
gelten (BGE 88 IV 94 E. 3). Mit der Revision des OG von 1968 wurden dann
allerdings die Entscheide der Rekurskommissionen des Bundes grundsätzlich
der Verwaltungsgerichtsbeschwerde an das Bundesgericht unterstellt (Art. 98
lit. c). Das rechtfertigt es indessen nicht, ihre Tätigkeit derjenigen der
Verwaltung gleichzustellen. Dies ist schon im Hinblick auf Art. 105 Abs. 2
OG nicht am Platz (BGE 97 I 480; s. auch Art. 74 lit. c VwVG). Dazu kommt,
dass in Art. 100 lit. h OG Verfügungen über die Veranlagung der Zölle,
soweit diese von der Tarifierung oder von der Gewichtsbemessung abhängt,
ausdrücklich von der Anfechtbarkeit mit der Verwaltungsgerichtsbeschwerde
ausgenommen wurden (BGE 106 Ib 271, 102 Ib 228 f.). Der hier in Frage
stehende Entscheid der Eidg. Zollrekurskommission betraf jedoch gerade
die Tarifierung der vom Beschwerdegegner eingeführten Ware und war damit
ein letztinstanzlicher (GYGI, Bundesverwaltungsrechtspflege, S. 96), was
die Vorinstanz übersehen hat. Freilich gibt auch diese Feststellung noch
kein zweifelsfreies Kriterium für die zur Entscheidung stehende Frage
ab, auch wenn sie die Folgerung, es erfülle die genannte Kommission auf
diesem beschränkten Gebiet die gleiche Aufgabe wie das Bundesgericht als
Verwaltungsgerichtshof in bezug auf andere öffentlichrechtliche Abgaben,
in die Nähe rückt.

    c) Diese Erkenntnis wird zur Gewissheit, wenn man die gesetzliche
Ordnung der Eidg. Zollrekurskommission des näheren überprüft. Der sechste
Abschnitt des Zollgesetzes regelt die Organisation des Zolls. Unter
einem ersten Titel werden die Zollbehörden aufgeführt (Bundesrat,
Finanz- und Zolldepartement, Zollverwaltung) und in einem dritten Titel
die Rekurskommission gesondert behandelt. Aus dem dortigen Art. 141
ZG (Fassung vom 24.6.1977) ergibt sich zwar, dass der Bundesrat die
Zollrekurskommission bestellt, ihre Organisation regelt und ihre Mitglieder
ernennt. Die genannte Bestimmung hebt aber anderseits auch ausdrücklich
hervor, dass die Kommission von der Verwaltung unabhängig ist und ihre
Mitglieder nicht der Bundesverwaltung angehören dürfen. Diese Grundsätze
werden in der Verordnung über verschiedene Rekurskommissionen vom
3. September 1975 (VVRK; SR 831.161) nochmals wiederholt und präzisiert.
Insbesondere ist darin vorgesehen, dass der Präsident, die Vizepräsidenten
und die Richter für eine feste Amtsdauer von vier Jahren gewählt werden,
dass die Kommission - mit Sitz in Lausanne - nur administrativ der
Aufsicht des Eidgenössischen Departements des Innern (EDI) untersteht
und dass sie "bei Ausübung ihrer richterlichen Tätigkeit... unabhängig
und nur dem Gesetz unterworfen" ist (Art. 3 VVRK). Auch wird das aus
Gerichtsschreibern, juristischen Sekretären usw. bestehende Sekretariat
vom EDI auf Antrag des Präsidenten der Kommission bestellt (Art. 9
VVRK), und es sind die Gerichtsschreiber in ihrer Tätigkeit nur dem
Präsidenten gegenüber verantwortlich (Art. 10 Abs. 2 VVRK). Damit
wurde den vom Bundesrat 1965 in seiner Botschaft über den Ausbau der
Verwaltungsgerichtsbarkeit im Bunde (BBl 1965 II S. 1278) geäusserten
Bedenken bezüglich der Unabhängigkeit der "Spezialverwaltungsgerichte"
des Bundes Rechnung getragen, denn wenn nach dieser Regelung der
Bundesrat auch die Richter wählt, so steht doch die den Charakter eines
Gerichts im wesentlichen kennzeichnende, aus der Trennung der Gewalten
fliessende sachliche Unabhängigkeit der Kommission ausser Frage. Die
Rekurskommission ist hinsichtlich ihrer rechtsprechenden Tätigkeit
hierarchisch weder dem Bundesrat noch einem Departement unterstellt;
sie hat weder von der einen noch der anderen Seite bezüglich ihrer
Entscheide Weisungen entgegenzunehmen. Ihre Mitglieder werden für eine
feste Amtsdauer gewählt und haben damit eine Entfernung aus dem Amt
durch den Bundesrat oder ein Departement nicht zu befürchten. Auch gelten
für sie die Bestimmungen über den Ausstand (Art. 12 VVRK in Verbindung
mit Art. 59 des Bundesgesetzes über das Verwaltungsverfahren), was eine
weitere Sicherung ihrer Unabhängigkeit darstellt. Sodann hat die Kommission
ihre Entscheide in einem gesetzlich geregelten Verfahren zu fällen, in
welchem die allfällig auftretende Verwaltung dem Privaten gleich- und
nicht übergeordnet ist, und schliesslich kann sie gleich einem Gericht
Bundesverordnungen auf ihre Rechtsmässigkeit überprüfen, wozu Beamte der
Bundesverwaltung grundsätzlich nicht befugt sind (GRISEL, Traité de droit
administratif, 1984, II S. 973). Alles in allem erweist sich damit die
Eidg. Zollrekurskommission, die zweifelsfrei ausserhalb der Verwaltung
steht, zumindest als eine gerichtsähnliche Instanz, deren Entscheide
keine solche der "Verwaltung" im Sinne des Art. 77 Abs. 4 VStrR sind.

    d) Dass der historische Gesetzgeber mit der Einführung des Art. 77
Abs. 4 Satz 2 VStrR etwas anderes gewollt hätte, lässt sich den Materialien
nicht entnehmen. Vielmehr sprechen die in den parlamentarischen Beratungen
sich findenden Hinweise gegen die Annahme, Beschwerdeentscheide der
Eidg. Zollrekurskommission hätten als Entscheide der Verwaltung für den
Strafrichter unverbindlich erklärt werden sollen (vgl. das Votum Kaufmann,
wo von "Verfügungen untergeordneter Funktionäre und Verwaltungsbeamter"
gesprochen wird oder das Votum Aubert (als Berichterstatter) in dem auf
die "simple décision administrative", die "décisions de l'administration,
qui sont passées en force parce qu'elles n'ont pas été attaquées par
voie de recours" und die deshalb "ne seront pas absolument soustraites
au réexamen du juge"; Amtl.Bull. N 1973 I S. 490/491).

Erwägung 4

    4.- War aber nach dem Gesagten der hier in Frage stehende Entscheid
der Zollrekurskommission über die Tarifierung der vom Beschwerdegegner
eingeführten Ware kein Entscheid der Verwaltung, dann war er für
das Gericht verbindlich (Art. 77 Abs. 4 Satz 1 VStrR). Indem die
Vorinstanz das Gegenteil annahm und die Sache zu neuer Entscheidung an die
Eidg. Zollrekurskommission zurückwies, verstiess sie gegen Bundesrecht. Die
Sache ist deshalb an das Obergericht zurückzuweisen, damit es unter
Zugrundelegung des Tarifierungsentscheides der Eidg. Zollrekurskommission
urteile.