Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 111 IV 12



111 IV 12

3. Urteil des Kassationshofes vom 16. Januar 1985 i.S. X. gegen
Staatsanwaltschaft des Kantons Zürich (Nichtigkeitsbeschwerde) Regeste

    Art. 55 StGB; Landesverweisung.

    Der Strafrichter hat bei der Anordnung der Landesverweisung nicht
vorfrageweise zu prüfen, ob die Nebenstrafe sich nach den Bestimmungen
des Asylrechts durchsetzen lässt oder ob der Täter nach AsylG die
weitere Tolerierung seines Aufenthaltes in der Schweiz beanspruchen
kann. Allenfalls aus dem Asylrecht sich ergebende Einwände sind erst in
jenem Zeitpunkt zu prüfen, in welchem feststeht, dass die angeordnete
Landesverweisung nicht infolge Bewährung bei probeweisem Aufschub
weggefallen ist, sondern vollzogen werden muss.

Sachverhalt

    A.- X. wurde vom Obergericht des Kantons Zürich am 1. Oktober 1984
wegen unvollendeten Versuchs der vorsätzlichen Tötung, Herausforderung
zum Zweikampf und einfacher Körperverletzung zu fünf Jahren Zuchthaus
sowie zu einer Busse von Fr. 250.-- verurteilt. Als Nebenstrafe hat das
Gericht die Landesverweisung für die Dauer von acht Jahren angeordnet.

    B.- X. führt gegen dieses Urteil Nichtigkeitsbeschwerde mit dem
Hauptantrag, die Anordnung der Landesverweisung sei aufzuheben und die
Sache an die Vorinstanz zurückzuweisen, damit diese keine oder allenfalls
eine bedingte Landesverweisung ausspreche; subeventuell sei von der
Vorinstanz festzustellen, dass die Landesverweisung jedenfalls nicht
durch die Heimschaffung nach Libyen vollzogen werden dürfe.

Auszug aus den Erwägungen:

             Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

Erwägung 1

    1.- Gegenstand der Nichtigkeitsbeschwerde ist nur die Nebenstrafe
der Landesverweisung.

    Dass Art und Schwere der begangenen Delikte die Landesverweisung
an sich rechtfertigen, wird mit der Beschwerdebegründung nicht in
Frage gestellt. Bindungen zur Schweiz, welche im Hinblick auf die
Resozialisierungschancen einen Verzicht auf die Landesverweisung nahelegen
würden, hat der Beschwerdeführer nicht. Es wird denn auch mit gutem Grund
nicht geltend gemacht, die angefochtene Nebenstrafe verstosse gegen Sinn
und Zweck von Art. 55 StGB.

Erwägung 2

    2.- Die Rüge einer Bundesrechtsverletzung wird ausschliesslich mit
Erwägungen des Asylrechts begründet.

    a) X. behauptet, er habe Libyen 1980 aus politischen Gründen
verlassen; bei einer Rückkehr würde er verfolgt und wahrscheinlich
hingerichtet. Gemäss Art. 45 Abs. 1 AsylG (SR 142.31) dürfe er zur
Ausreise nach Libyen nicht gezwungen werden. Ein besonders schweres
Verbrechen oder Vergehen im Sinne von Art. 45 Abs. 2 AsylG habe er nicht
begangen, der Grundsatz der Nichtrückschiebung (Art. 45 Abs. 1 AsylG)
komme daher zur Anwendung. Wollte man hingegen annehmen, Abs. 2 von
Art. 45 AsylG treffe zu und Abs. 1 sei daher nicht anwendbar, so wäre
eine Rückschiebung gemäss Art. 3 EMRK verboten, weil dem Beschwerdeführer
in Libyen eine schwere unmenschliche Behandlung drohe (vgl. W. KÄLIN,
Das Prinzip des Non-Refoulement, Diss. Bern 1982, S. 261).

    b) Diese Beschwerdebegründung geht davon aus, dass X. als "Flüchtling"
im Sinne von Art. 3 AsylG zu betrachten sei, was die zuständigen
schweizerischen Asylbehörden bis jetzt nicht anerkannt haben, und dass
ihm eine Ausreise in ein anderes Land als Libyen nicht möglich sei,
was im eingeleiteten, aber negativ verlaufenen Asylverfahren umstritten
blieb. Zudem beruht die Argumentation verfahrensrechtlich auf der These,
der Strafrichter habe bei Anordnung der Landesverweisung vorfrageweise
zu prüfen, ob die Nebenstrafe sich nach den Bestimmungen des Asylrechtes
durchsetzen lasse oder ob der Täter allenfalls gemäss AsylG die weitere
Tolerierung seines Aufenthaltes in der Schweiz beanspruchen könne.

    c) Die Zuständigkeit des Strafrichters zur Beurteilung der
asylrechtlichen Einwendungen ist vorweg zu prüfen. Bei diesen
asylrechtlichen Argumenten geht es nicht um eigentliche Vorfragen, deren
Entscheidung für die Anwendung von Art. 55 StGB notwendig wäre, sondern
es handelt sich um Hindernisse, welche gemäss Asylrecht aus humanitären
Gründen dem Vollzug einer Landesverweisung im konkreten Fall eventuell
entgegenstehen können (ähnlich wie das Fehlen der Hafterstehungsfähigkeit
dem Vollzug einer rechtskräftigen Freiheitsstrafe).

    Aus prinzipiellen und aus praktischen Gründen erscheint es
weder notwendig noch zweckmässig, dass der Strafrichter sich mit
der ihm nicht vertrauten Problematik des Asyl- und Flüchtlingsrechts
auseinandersetzt. Die Beurteilung solcher Fragen würde die Gefahr von
Widersprüchen zu bereits getroffenen Entscheidungen der zuständigen
Asylbehörden mit sich bringen. Wie in der Beschwerdeschrift zutreffend
erwähnt wird, kann zwischen der Anordnung der Landesverweisung (im
Strafurteil) und deren Vollzug nach Verbüssung einer Freiheitsstrafe ein
recht langer Zeitraum liegen, in welchem sich die Verhältnisse in bezug
auf Ausreisemöglichkeiten in andere Länder, aber auch in bezug auf die
Situation im ursprünglichen Verfolgerstaat grundlegend ändern können. Es
wäre verfehlt, die humanitären Gesichtspunkte, welche nach Asylgesetz zu
berücksichtigen sind, schon bei der Anordnung der Landesverweisung als
mögliche Hindernisse der nach schweizerischem Recht gebotenen Sanktion zu
beachten. Viel naheliegender und den wirklichen Erfordernissen besser
angepasst ist es, wenn allenfalls aus dem Asylrecht sich ergebende
Einwände in jenem Zeitpunkt geprüft werden, in welchem feststeht,
dass die angeordnete Landesverweisung nicht etwa infolge Bewährung bei
probeweisem Aufschub weggefallen ist, sondern vollzogen werden muss. Dann
ist abzuklären, wie die Nebenstrafe durchgeführt werden kann, ohne dass
der Grundsatz der Nichtrückschiebung (Art. 45 AsylG) verletzt oder gegen
Art. 3 EMRK verstossen wird.

Erwägung 3

    3.- Die Vorinstanz hat somit gegen keine bundesrechtliche Vorschrift
verstossen, indem sie in korrekter Anwendung von Art. 55 StGB die
Nebenstrafe der Landesverweisung ausfällte und auf asylrechtliche
Einwendungen nicht eintrat. Vor dem effektiven Vollzug der Landesverweisung
wird rechtzeitig abzuklären sein, in welches Land eine Ausreise möglich
ist (vgl. BGE 110 IV 7).

Entscheid:

              Demnach erkennt das Bundesgericht:

    Die Nichtigkeitsbeschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten
ist.