Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 111 IV 1



111 IV 1

1. Urteil des Kassationshofes vom 6. Februar 1985 i.S. A. gegen
Polizeikommando Basel-Stadt (Nichtigkeitsbeschwerde) Regeste

    Art. 3 StGB; Territorialprinzip und Anrechnung.

    1. Die Schweiz beansprucht gemäss Art. 3 Ziff. 1 Abs. 1 StGB auch dann
die Gerichtsbarkeit, wenn bei einer einheitlichen Tathandlung nur ein Teil
in der Schweiz begangen wurde und ein ausländischer Staat sich wegen des
auf seinem Gebiet begangenen Tatanteils ebenfalls als zur Strafverfolgung
zuständig erachtet (E. 2a).

    2. Die Anerkennung eines ausländischen Urteils als definitive
Erledigung ergibt sich aus Art. 3 Ziff. 2 StGB für den Fall, dass ein
Ausländer (wegen der in der Schweiz begangenen Tat) auf Ersuchen der
schweizerischen Behörde im Ausland verfolgt worden ist (E. 2b).

    3. Grundsätze für die Anrechnung einer im Ausland verhängten Geldstrafe
auf eine in der Schweiz auszusprechende Freiheitsstrafe (Art. 3 Ziff. 1
Abs. 2 StGB; E. 3).

Sachverhalt

    A.- A. fuhr am 8. Oktober 1983 um 03.35 Uhr mit seinem Personenwagen
von Lörrach/BRD kommend bis zum schweizerischen Zollamt Grenzacherstrasse
in Basel. Dort wurde er wegen des Verdachts der Angetrunkenheit
zurückgehalten. Die Blutprobe ergab einen Blutalkoholgehalt von minimal
1,93%o bis maximal 2,18%o.

    B.- Das Amtsgericht Lörrach verurteilte A. am 22. November 1983 wegen
dieser Fahrt gemäss § 316 des deutschen StGB (Trunkenheit im Verkehr)
zu einer Geldbusse von DM 700.--.

    Weil die in Lörrach begonnene Trunkenheitsfahrt auf schweizerischem
Gebiet fortgesetzt wurde, sprach der Polizeigerichtspräsident
Basel-Stadt A. am 18. Mai 1984 nach schweizerischem Recht des Führens
eines Motorfahrzeuges in angetrunkenem Zustand schuldig und verurteilte
ihn unter Berücksichtigung der in Deutschland wegen der gleichen Fahrt
schon ausgefällten und als vollstreckt zu betrachtenden Strafe zu einer
Restfreiheitsstrafe von 10 Tagen Gefängnis. Wegen früherer gleichartiger
Verfehlungen wurde die Gewährung des bedingten Strafvollzuges abgelehnt.

    Das Appellationsgericht schloss sich am 28. November 1984 den
tatsächlichen und rechtlichen Ausführungen der ersten Instanz an und
bestätigte das Urteil.

    C.- A. führt gegen den Entscheid des Appellationsgerichtes
Nichtigkeitsbeschwerde mit dem Antrag, das angefochtene Urteil
sei aufzuheben und die Sache sei zum Freispruch an die Vorinstanz
zurückzuweisen.

Auszug aus den Erwägungen:

             Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

Erwägung 1

    1.- In der Nichtigkeitsbeschwerde wird geltend gemacht, der
Beschwerdeführer sei auf Ersuchen der Basler Behörden wegen des
Vorfalles vom 8. Oktober 1983 in Lörrach verfolgt und mit Strafbefehl des
Amtsgerichtes vom 22. November 1983 zu einer Geldstrafe von 55 Tagessätzen
zu je DM 20.--, insgesamt DM 700.--, verurteilt worden. Diese Geldstrafe
werde aus der in der Schweiz geleisteten Kaution von Fr. 1100.-- gedeckt
und sei somit als verbüsste Strafe zu behandeln. Die Fahrt von Lörrach bis
zum Grenzposten sei eine einheitliche Tat, die rechtskräftige Verurteilung
durch das Amtsgericht Lörrach beziehe sich nicht nur auf das Fahren
auf deutschem Gebiet, sondern auch auf das Fahren auf schweizerischem
Gebiet. Nach dem Grundsatz "ne bis in idem" könne der Beschwerdeführer
wegen dieser Angelegenheit in der Schweiz nicht mehr bestraft werden.

Erwägung 2

    2.- a) In tatsächlicher Hinsicht steht fest, dass der Beschwerdeführer
nicht nur auf deutschem Gebiet, sondern auch auf schweizerischem
Territorium seinen Personenwagen in angetrunkenem Zustand gelenkt
hat. Ist aber ein Verbrechen oder Vergehen in der Schweiz verübt worden,
so beansprucht die Schweiz gemäss Art. 3 Ziff. 1 StGB grundsätzlich die
Gerichtsbarkeit (vgl. BGE 108 IV 146). Dies gilt auch, wenn bei einer
einheitlichen Tathandlung nur ein Teil in der Schweiz begangen wurde
und ein ausländischer Staat sich wegen des auf seinem Gebiet begangenen
Tatanteils ebenfalls nach Territorialitätsprinzip als zur Strafverfolgung
zuständig erachtet.

    Ein ausländisches Strafurteil, das in der gleichen Sache bereits
ergangen ist, hindert in solchen Fällen eine Bestrafung in der Schweiz
nicht von vornherein. Eine im Ausland wegen der gleichen Sache bereits
verbüsste Strafe ist gemäss Art. 3 Ziff. 1 Abs. 2 StGB vom schweizerischen
Richter auf die hier auszufällende Sanktion anzurechnen. Dass in der zu
beurteilenden Angelegenheit die in Lörrach verhängte Geldstrafe gemäss
dieser Bestimmung berücksichtigt werden soll, ist unbestritten.

    b) Eine eigentliche Anerkennung des ausländischen Urteils als
definitive Erledigung ergibt sich aus Art. 3 Ziff. 2 StGB für den Fall,
dass ein Ausländer (wegen der in der Schweiz begangenen Tat) auf Ersuchen
der schweizerischen Behörde im Ausland verfolgt worden ist.

    In der Beschwerdeschrift wird geltend gemacht, der Beschwerdeführer
sei auf Ersuchen der Basler Behörden in Lörrach verfolgt worden. Wie
bereits der Polizeigerichtspräsident in seinem Urteil feststellte,
kann von einem Übernahmebegehren an die deutschen Behörden nicht die
Rede sein. Am 17. Oktober 1983 hat die Verkehrsabteilung Basel-Stadt
die Zweigstelle Lörrach der Staatsanwaltschaft Freiburg i/Br. über das
gegen den Beschwerdeführer in Basel eingeleitete Ermittlungsverfahren
orientiert. In diesem Brief wird mitgeteilt, dass der Fall dem
Polizeigerichtspräsidenten überwiesen werde. Die Meldung sollte
offensichtlich den deutschen Behörden ermöglichen, gegenüber dem in
Deutschland wohnhaften fehlbaren Motorfahrzeugführer die naheliegende
Sanktion eines Ausweisentzuges für das deutsche Gebiet zu prüfen. Ein
Ersuchen um Übernahme der Strafverfolgung im Sinne von Art. 3 Ziff. 2
StGB lässt sich dem Schreiben der Verkehrsabteilung nicht entnehmen. Dass
die Strafverfolgung in der Schweiz durchgeführt wird, ist eindeutig zum
Ausdruck gebracht.

    Damit erweist sich die auf Art. 3 Ziff. 2 StGB gestützte Einwendung
als unbegründet.

    c) Entgegen der Behauptung in der Beschwerdeschrift ging der
Polizeigerichtspräsident in dem vom Appellationsgericht bestätigten
Urteil nicht etwa von einer nach der Länge der gefahrenen Strecken
zwischen Deutschland und der Schweiz aufgeteilten Strafkompetenz aus und
begründete seine Zuständigkeit nicht damit, dass die Verfehlung, soweit
sie auf schweizerischem Gebiet begangen worden sei, durch den Strafbefehl
des Amtsgerichtes Lörrach gar nicht erfasst werde. Er stellte im Gegenteil
fest, dass die ununterbrochene Fahrt in angetrunkenem Zustand von Lörrach
bis zum Zollamt Grenzacherstrasse eine einheitliche Handlung bilde. Der
angefochtene Entscheid beruht auf der Erwägung, dass diese einheitliche
(über die Staatsgrenze sich erstreckende) Handlung von beiden betroffenen
Staaten verfolgt werde und dass die zeitlich nachfolgende Beurteilung in
der Schweiz unter Beachtung von Art. 3 Ziff. 1 Abs. 2 StGB vorzunehmen
sei. Diese Argumentation ist zutreffend und verletzt das Bundesrecht nicht.

Erwägung 3

    3.- Erscheint somit die Beurteilung gemäss Art. 3 Ziff. 1 Abs. 2 StGB
als richtig, so bleibt zu prüfen, ob die Strafzumessung unter Anrechnung
der Geldstrafe von DM 700.-- gesetzeskonform erfolgte.

    a) Der Polizeigerichtspräsident ging davon aus, dass die übliche Strafe
bei einer Fahrt in einem mittleren Rauschzustand (Blutalkoholgehalt von
mindestens 1,93%o) 20 Tage Gefängnis betrage.

    Gegen diesen Ansatzpunkt der Strafzumessung wird nichts
eingewendet. Die kaum begründete, eventualiter beigefügte Rüge geht
sinngemäss einfach dahin, die vom Amtsgericht Lörrach verhängte Geldstrafe
von DM 700.-- sei der nach schweizerischem Recht angemessenen Bestrafung
äquivalent und die Ausfällung einer Reststrafe von 10 Tagen Gefängnis
daher nicht gerechtfertigt.

    b) Im Urteil des Polizeigerichtspräsidenten wird das Problem der
Anrechnung einer Geldstrafe auf eine Freiheitsstrafe in überzeugender
Weise erörtert: Weder eine schematische Anrechnung der Geldstrafe in
analoger Anwendung von Art. 49 Ziff. 3 Abs. 3 StGB (Fr. 30.-- = 1 Tag),
noch das Abstellen auf die nach deutschem Recht bestimmten Tagessätze
(i.c. 35 Tagessätze à DM 20.--) erscheint für den hier notwendigen
Anrechnungsentscheid als wirklich angemessen und befriedigend. Der
Richter muss im konkreten Fall nach eigenem Ermessen darüber befinden,
ob die ausländische Geldstrafe der nach schweizerischem Recht verwirkten
Freiheitsstrafe gleichzusetzen ist oder nicht. Erscheint ein gänzlicher
Verzicht auf die Freiheitsstrafe nicht als gerechtfertigt, so muss
bestimmt werden, in welchem Mass wegen der ausländischen Geldstrafe eine
Herabsetzung der Freiheitsstrafe nach billigem Ermessen angezeigt ist
und welche Restfreiheitsstrafe folglich in der Schweiz noch ausgefällt
werden soll. Diese "Anrechnung" ohne schematische Richtlinie räumt dem
Richter im Einzelfall ein grosses Ermessen ein; doch dürfte auf diesem
Wege - unter Vermeidung einer unbilligen Doppelbestrafung - am ehesten
gewährleistet sein, dass die Bestrafung in der Schweiz im Ergebnis etwa
so ausfällt wie bei vergleichbaren, rein inländischen Sachverhalten.

    Im vorliegenden Fall wurde vom Polizeigerichtspräsidenten
hervorgehoben, dass bei diesem Grad der Angetrunkenheit und unter
Berücksichtigung früherer Verurteilungen wegen gleichartiger Verfehlungen
in der Schweiz regelmässig Freiheitsstrafen ausgesprochen werden. Indem die
nach der Schwere der Verfehlung angemessene Strafe von 20 Tagen Gefängnis
in "Anrechnung" der Busse von DM 700.-- auf 10 Tage Gefängnis herabgesetzt
wurde, haben die kantonalen Gerichte im Rahmen des ihnen zustehenden
Ermessens einen vertretbaren Entscheid gefällt und die Vorschrift von
Art. 3 Ziff. 1 Abs. 2 StGB nicht verletzt.

Entscheid:

              Demnach erkennt das Bundesgericht:

    Die Nichtigkeitsbeschwerde wird abgewiesen.