Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 111 II 81



111 II 81

19. Auszug aus dem Urteil der I. Zivilabteilung vom 5. März 1985 i.S. X. SA
gegen A., B., C. und D. (Berufung) Regeste

    Art. 756 Abs. 2 OR und Art. 260 SchKG. Tragweite der Abtretung für
die Aktivlegitimation im Verantwortlichkeitsprozess.

    Dem im Konkurs rechtskräftig kollozierten Gesellschaftsgläubiger,
der sich von der Konkursmasse das Klagerecht der Gesellschaft hat
abtreten lassen, kann das auf Verantwortlichkeitsansprüche belangte
Gesellschaftsorgan nicht entgegenhalten, die Kollokation sei zu Unrecht
erfolgt.

Sachverhalt

    A.- Über die Intertest AG wurde am 27. April 1981 der Konkurs
eröffnet. Die X. SA wurde gemäss Verfügung des Konkursamtes vom 16. Januar
1982 als Gläubigerin im 5. Rang mit einer Forderung von Fr. 201'000.--
kolloziert. Sie hatte sich diese Forderung am 9. November 1981 von
einem Dritten abtreten lassen, der im November 1980 der Intertest AG ein
Darlehen in der gleichen Höhe gewährt hatte, um der Gesellschaft eine
Kapitalerhöhung und die Liberierung neuer Aktien zu ermöglichen.

    Die X. SA verlangte von der Konkursverwaltung, dass ihr nach Art. 260
SchKG die "Schaden- und Verantwortlichkeitsansprüche gegen alle mit der
Gründung, Verwaltung, Geschäftsführung oder Kontrolle betrauten Personen
gemäss Art. 753 ff. OR" abgetreten werden; sie wollte diese Ansprüche
anstelle der Masse geltend machen. Ihrem Gesuch wurde am 8. Juni 1982
entsprochen.

    B.- Am 8. April 1983 klagte die X. SA beim Appellationshof des
Kantons Bern gegen A., B., C. und D., welche stets oder zeitweise dem
Verwaltungsrat der Intertest AG angehört hatten. Sie begehrte, dass die
Beklagten solidarisch zu verpflichten seien, ihr einen richterlich zu
bestimmenden Betrag von über Fr. 15'000.-- nebst Zins zu bezahlen.

    Der Appellationshof beschränkte das Hauptverfahren auf vier
Vorfragen. Dazu gehörte insbesondere die Einrede eines Beklagten, dass
die Forderung der Klägerin zu Unrecht kolloziert worden sei, weshalb die
Abtretung der eingeklagten Ansprüche durch die Konkursverwaltung als
nichtig anzusehen und die Aktivlegitimation der Klägerin zu verneinen
sei. Am 31. Januar 1984 wies der Appellationshof die Klage ab, weil die
Klägerin nicht aktivlegitimiert sei.

    C.- Die Klägerin hat gegen dieses Urteil Berufung eingelegt mit
den Anträgen, es aufzuheben, ihre Aktivlegitimation zu bejahen und die
Sache zur materiellen Beurteilung an die Vorinstanz zurückzuweisen. Das
Bundesgericht heisst die Berufung gut.

Auszug aus den Erwägungen:

                      Aus den Erwägungen:

Erwägung 2

    2.- Gegenstand der Klage sind Verantwortlichkeitsansprüche, welche die
Klägerin als Gläubigerin und Aktionärin der Intertest AG aus Art. 754 OR
gegen die beklagten Verwaltungsratsmitglieder der Gesellschaft ableitet.
Sie macht ausschliesslich Schaden geltend, der durch pflichtwidriges
Verhalten der Beklagten der Gesellschaft zugeführt worden sei. Die
Klägerin hält sich selber zu Recht bloss für mittelbar geschädigt. Dass
sie in anderem Zusammenhang behauptet, ihre Konkursforderung sei ein
Schadenersatzanspruch, weil der Verwaltungsrat der Gesellschaft mit
gefälschten Unterlagen ein Darlehen von Fr. 201'000.-- erwirkt habe,
ändert daran nichts.

    Im Konkurs der Aktiengesellschaft steht das Prozessführungsrecht
zunächst der Konkursverwaltung zu; sie kann nach Art. 756 Abs. 1 OR nicht
nur die Ansprüche der Gesellschaft geltend machen, sondern auch auf Ersatz
des mittelbaren Schadens klagen, der den Aktionären oder Gläubigern durch
die Schädigung der Gesellschaft verursacht worden ist. Verzichtet die
Konkursverwaltung aber darauf, von ihrem Recht Gebrauch zu machen, so
darf jeder Aktionär und Gläubiger gemäss Art. 756 Abs. 2 OR die Abtretung
verlangen (BGE 97 II 409, 86 III 160 E. 3). Einem solchen Verlangen hat
die Konkursverwaltung hier am 8. Juni 1982 mit dem Hinweis entsprochen,
dass die Klägerin im Konkurs der Intertest AG mit einer Forderung von
Fr. 201'000.-- im 5. Rang als Gläubigerin zugelassen worden sei.

Erwägung 3

    3.- Der Kollokationsplan ist von keiner Seite gemäss Art. 250 SchKG
angefochten worden und in Rechtskraft erwachsen. Der Appellationshof hält
aber die Kollokation der Forderung von Fr. 201'000.-- für offensichtlich
ungerechtfertigt und den Zivilrichter für berechtigt, vorfrageweise
darauf zurückzukommen, weil das Prozessführungsrecht als Nebenrecht der
Konkursforderung mit der Abtretung auf den Gläubiger übergehe und das
Schicksal dieser Forderung teile; es müsse verhindert werden, dass eine
Forderung, die gar nicht bestehe, wegen falscher Kollokation bezahlt
werden müsse.

    a) Die Abtretung von Rechtsansprüchen gemäss Art. 260 SchKG
unterscheidet sich vom gleichnamigen Institut der Art. 164 ff. OR
dadurch, dass sie sich inhaltlich in einem Prozessführungsrecht
erschöpft. Die abgetretenen Ansprüche gehören auch nach der Abtretung
zur Konkursmasse. Der Gläubiger wird durch die Abtretung lediglich
ermächtigt, die streitigen Ansprüche anstelle der Masse, in eigenem
Namen und auf eigene Rechnung und Gefahr geltend zu machen (BGE 109 III
29 mit Zitaten). Er kann sich nach aussen auf diese Ermächtigung berufen
und braucht sich von Dritten nur Einreden entgegenhalten zu lassen, die
ihnen gegenüber der Konkursmasse zustehen (BGE 106 II 145 mit Hinweisen).

    Die Abtretung gemäss Art. 260 SchKG dient der Feststellung von
streitigen Aktiven, der Kollokationsplan dagegen der Bereinigung
von Passiven der Konkursmasse; die entsprechenden Verfahren sind
auseinanderzuhalten, weshalb es insbesondere nicht angeht, dass derjenige,
der von einem Gläubiger aufgrund einer Abtretung belangt wird, nachträglich
die bereits in Rechtskraft erwachsene Kollokation des klagenden Gläubigers
wieder in Frage stellen kann. Ein Konkursgläubiger darf eine Abtretung
zwar selbst dann verlangen, wenn seine Konkursforderung angefochten ist,
namentlich in bezug auf ihre Höhe oder ihren Rang; die Abtretung bleibt
aber so lange bedingt, als die Forderung nicht endgültig kolloziert ist,
weil das Prozessführungsrecht im Sinne von Art. 170 OR als Nebenrecht
der Konkursforderung zu verstehen ist und vom Schicksal dieser Forderung
abhängt (BGE 109 III 29). Das heisst nicht, dass im Abtretungsprozess
sich auch die Gegenpartei auf dieses Nebenrecht berufen könne, um
eine kollozierte Forderung und damit die Gültigkeit der Abtretung zu
bestreiten. Das Recht, den Kollokationsplan anzufechten, ist gemäss
Art. 249 und 250 SchKG vielmehr den Konkursgläubigern vorbehalten; einem
Drittschuldner steht es nur zu, wenn er zugleich Gläubiger ist und im
Konkurs als solcher auftritt (BGE 103 III 50/51).

    Die Rechtsprechung hat freilich zugelassen, dass auf einen
rechtskräftigen Kollokationsplan zurückgekommen werden darf. Das gilt
insbesondere, wenn sich herausstellt, dass eine Forderung offensichtlich zu
Unrecht kolloziert oder nicht kolloziert worden ist, ein Rechtsverhältnis
sich seit der Kollokation geändert hat oder neue Tatsachen eine Revision
rechtfertigen (BGE 106 III 46 E. 4, 102 III 159 E. 3, 98 III 70,
96 III 79, 88 III 131, 87 III 84). Auch eine nachträgliche Änderung
des Kollokationsplanes hat indes keine über den Konkurs hinausgehenden
Rechtswirkungen, weil es im Kollokationsverfahren nicht um den Bestand
oder Nichtbestand einer Forderung, sondern bloss um die Frage geht,
inwieweit angemeldete Gläubigeransprüche bei der Verteilung der Aktivmasse
zu berücksichtigen sind (BGE 98 II 318 E. 4). Ein Dritter hat darauf keinen
Einfluss; ist er Schuldner der Konkursmasse, so kann er sich daher seiner
Verpflichtung gegenüber der Masse nicht mit dem Einwand entziehen, dass
er von einem Nichtberechtigten belangt werde, weil dessen Konkursforderung
zu Unrecht kolloziert worden sei.

    b) In einem nicht veröffentlichten Urteil vom 7. Juli 1982
i.S. C. gegen C. hat die I. Zivilabteilung allerdings beiläufig
angenommen, dass der Bestand einer kollozierten Forderung in einem
Abtretungsprozess nachgeprüft werden dürfe. In andern Fällen ist das
Bundesgericht dagegen stets davon ausgegangen, dass der Beklagte in
einem solchen Prozess seine Schuldpflicht gegenüber der Masse nicht mit
Einwänden gegen den Kollokationsplan bestreiten kann, weil sich daraus
ergebe, wer Konkursgläubiger sei, und zwar mit welchem Betrag, in welchem
Rang und mit welchen Vorzugsrechten (BGE 98 II 318 E. 4, 65 III 30 E.
1). Mit dem Kollokationsplan stehe auch fest, wer überhaupt die Abtretung
eines Prozessführungsrechts nach Art. 260 SchKG oder Art. 756 Abs. 2 OR
verlangen könne, denn das Recht auf Abtretung folge aus der Stellung des
Gläubigers im Konkurs und bestehe unabhängig davon, ob eine Forderung
zu Recht kolloziert worden sei oder nicht; es gehe daher nicht an,
den Bestand der Forderung gegen die Konkursmasse im Abtretungsprozess
nachprüfen zu wollen (BGE 55 III 65 E. 2; nicht veröffentlichte Urteile
vom 5. Mai 1960 i.S. I. gegen B., vom 31. März 1977 i.S. I. gegen W. (ZR
78/1979 S. 187 ff.) und vom 14. März 1978 i.S. R. gegen S.). Aus BGE 103
III 49/50, wo die Kläger sich über den rechtskräftigen Kollokationsplan
hinwegzusetzen suchten, ergibt sich nichts anderes; sie mussten sich
entgegenhalten lassen, dass sie den Plan im Kollokationsverfahren nicht
angefochten hatten.

    Die Auffassung des Appellationshofes, wonach der Richter die Einrede
des Beklagten, dass die zugunsten des Klägers kollozierte Forderung in
Wirklichkeit nicht bestehe, im Abtretungsprozess berücksichtigen dürfe,
überzeugt schon deshalb nicht, weil ein solcher Prozess bloss eine
besondere Möglichkeit ist, der Konkursmasse zu Aktiven zu verhelfen, die
zwar bestritten sind, aber zur Masse gehören. Dass das Ergebnis in erster
Linie dem Kläger zugute kommt, der das Risiko der Prozessführung übernommen
hat (Art. 260 Abs. 2 SchKG), ändert daran nichts. Die Abtretungsverfügung
der Konkursverwaltung auf ihre Gültigkeit hin zu prüfen, ist zudem
Sache der Aufsichtsbehörden, nicht des Richters; dieser hat bloss
festzustellen, dass die Legitimation des Klägers, der nicht persönliche,
sondern Rechtsansprüche der Masse geltend macht, sich aus einer solchen
Verfügung (Formular Nr. 7) ergibt (M. BRIDEL, Contribution à l'étude
de l'art. 260 LP, in JdT 87/1939 II 98, insbes. S. 120 ff.). Sind die
Parteien mit Einwänden gegen den rechtskräftigen Kollokationsplan nicht
zu hören, so fragt sich im Abtretungsprozess auch nicht, wer den Bestand
oder Nichtbestand einer kollozierten Forderung zu beweisen habe.

    Wer gestützt auf Art. 269 Abs. 3 SchKG belangt wird, kann zwar die
Aktivlegitimation des Klägers bestreiten. Aber selbst diesfalls ist der
Beklagte mit Kritik am Kollokationsplan ausgeschlossen; er kann bloss
einwenden, der abgetretene Rechtsanspruch stelle kein Vermögensstück dar,
das erst nach Konkursschluss entdeckt worden und der Konkursverwaltung
vorher unbekannt geblieben sei, weshalb das Konkursamt darüber zu Unrecht
verfügt habe (BGE 90 III 45, 74 III 74, 73 III 156). Trifft der Einwand
zu, so ist der Abtretung die Grundlage entzogen, die Aktivlegitimation
des Klägers folglich zu verneinen; geht er dagegen fehl, so bleibt es
bei der aufgezeigten Rechtslage gemäss Art. 260 SchKG.

    c) Entgegen der Annahme des Appellationshofes muss sich
somit ein Konkursgläubiger, dem im Konkurs einer Aktiengesellschaft
Verantwortlichkeitsansprüche im Sinne von Art. 756 Abs. 2 OR und Art. 260
SchKG abgetreten worden sind, in dem von ihm angehobenen Prozess nicht
entgegenhalten lassen, seine Konkursforderung sei zu Unrecht kolloziert
worden und es fehle ihm aus diesem Grunde die Aktivlegitimation. Die
II. Zivilabteilung hat sich dieser Auffassung angeschlossen (Art. 16 OG).

    Die Klägerin hat ihre Legitimation mit der Abtretungsverfügung
belegt, die ihr von der Konkursverwaltung am 8. Juni 1982 ausgestellt
worden und unangefochten geblieben ist. Ein weiterer Beweis für
ihre Klageberechtigung darf nicht verlangt werden, da sie nach dem
rechtskräftigen Kollokationsplan mit einer Forderung von Fr. 201'000.--
zugelassen worden ist und sich selber als Gläubigerin der Intertest
AG bloss für mittelbar geschädigt hält; sie macht ausschliesslich
Ersatzansprüche geltend, die ihr von der Konkursmasse abgetreten worden
sind und angeblich auf einer direkten Schädigung der Intertest AG durch
die Beklagten beruhen.

    Das angefochtene Urteil ist daher gestützt auf Art. 64 Abs. 1 OG
aufzuheben und die Sache zur weiteren Behandlung an die Vorinstanz
zurückzuweisen.