Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 111 II 480



111 II 480

91. Urteil der I. Zivilabteilung vom 10. September 1985 i.S. F. gegen
die N. GmbH (Berufung) Regeste

    Haftung und Honoraranspruch des Geschäftsführers einer GmbH für die
Zeit nach der Abberufung, wenn die Abberufung nicht in das Handelsregister
eingetragen worden ist (Art. 932, 933, Art. 814 Abs. 3, Art. 754 ff. und
Art. 705 Abs. 1 OR).

    Haftung und Honoraranspruch vorliegend verneint:

    a) Im Innenverhältnis sind Abberufung und Kündigung analog den
aktienrechtlichen Regeln ohne Rücksicht auf einen entsprechenden Eintrag
im Handelsregister wirksam (E. 1).

    b) Der Eintrag im Handelsregister begründet weder Haftung noch
Honoraranspruch, wenn der Geschäftsführer den Geschäftsgang nicht
beeinflussen konnte; ein Honoraranspruch ist überdies ausgeschlossen, wenn
der Geschäftsführer das Fehlen der Löschung zu verantworten hat (E. 2).

Sachverhalt

    A.- Mit Vertrag vom 30. Mai 1967 ernannte die N. GmbH F. zu
ihrem Geschäftsführer mit Kollektivzeichnungsrecht nebst dem
einzelzeichnungsberechtigten Geschäftsführer H. Das Domizil der
Gesellschaft wurde an den Wohnsitz von F. verlegt, der dafür eine
monatliche Pauschalgebühr von Fr. 250.-- erhalten sollte, besondere
Bemühungen und Barauslagen nicht inbegriffen. Am 26. September 1977
kündigte H. namens der Gesellschaft den Geschäftsführervertrag mit F. per
31. Dezember 1977. Das Gesellschaftsdomizil blieb jedoch weiterhin bei
F., wofür ihm für die Zeit ab 1. Januar 1978 Domizilgebühren von jährlich
Fr. 1'000.-- ausbezahlt wurden.

    Nachdem F. festgestellt hatte, dass er nach wie vor als Geschäftsführer
der GmbH mit Kollektivunterschrift zu zweien im Handelsregister
eingetragen war, forderte er von der Gesellschaft für die Jahre 1978 bis
1981 ein Geschäftsführerhonorar von jährlich Fr. 2'000.--, gesamthaft
also Fr. 8'000.--. Am 27 Mai 1982 wurde das Ausscheiden von F. als
Geschäftsführer im Schweizerischen Handelsamtsblatt veröffentlicht,
und am 31. Dezember 1982 beschloss die Gesellschaft, sich aufzulösen und
zu liquidieren.

    B.- F. klagte hierauf gegen die N. GmbH in Liquidation auf Zahlung der
Geschäftsführerhonorare für die Jahre 1978 bis 1981 und für 1982 pro rata
temporis von insgesamt Fr. 8'732.-- nebst 5% Zins ab 2. Juni 1982. Das
Kantonsgericht und am 15. November 1984 auf Berufung des Klägers hin das
Obergericht des Kantons Zug wiesen die Klage ab.

    C.- Der Kläger hat Berufung eingereicht und beantragt, das Urteil
des Obergerichts aufzuheben und die Klage gutzuheissen.

Auszug aus den Erwägungen:

             Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

Erwägung 1

    1.- Das Obergericht äusserte sich zunächst zum Verhältnis zwischen
der Beklagten und dem Kläger (Innenverhältnis). Gestützt auf die
Lehre unterschied es zwischen dem gesellschaftsrechtlichen und dem
schuldrechtlichen Element dieses Verhältnisses. Das Schuldverhältnis sei
mit der Kündigung von H. beendet worden. Im gesellschaftsrechtlichen
Verhältnis sei die gleiche Wirkung mit dem Gesellschaftsbeschluss vom
3. Juni 1978 eingetreten; gemäss Protokoll der Universalversammlung von
diesem Tag habe die Gesellschafterversammlung nämlich bekundet, den Kläger
mit Wirkung ab 31. Dezember 1977 nicht mehr als Organ der Gesellschaft
zu betrachten. Nach Auffassung des Klägers hat die Vorinstanz damit
verkannt, dass die Kündigung eines Geschäftsführervertrages regelmässig
unter der Voraussetzung erfolge, dass gleichzeitig die Abberufung durch
Gesellschaftsbeschluss bestätigt, dem Geschäftsführer Décharge erteilt
und das Handelsregister veranlasst werde, den entsprechenden Eintrag
vorzunehmen.

    a) Mit Gesellschaftsbeschluss kann einem Geschäftsführer, der
nicht Gesellschafter ist, die Befugnis zur Geschäftsführung und
Vertretung jederzeit entzogen werden. Es finden insoweit die Regeln
des Aktienrechts zur Abberufung von Mitgliedern der Verwaltung analog
Anwendung (Art. 814 Abs. 3, Art. 705 Abs. 1 OR; PATRY, Précis du droit
suisse des sociétés, Bd. II, S. 301; VON STEIGER, N. 16 zu 814 OR). Die
Wirkungen des Gesellschaftsbeschlusses über die Abberufung beschlagen
in erster Linie das Organschaftsverhältnis zwischen der Gesellschaft
und dem Geschäftsführer; das Vertragsverhältnis zwischen diesen beiden
Parteien kann trotz Abberufung durchaus weiterbestehen und, falls es nicht
vertragsgemäss erfüllt wird, zu den in Art. 705 Abs. 2 und Art. 814 Abs.
3 OR vorbehaltenen Schadenersatzansprüchen führen (BGE 80 II 121, 25 II
346 E. 3; BÜRGI, N. 9 zu Art. 705 OR; DORSCHEID, Austritt und Ausschluss
eines Gesellschafters aus der personalistischen Kapitalgesellschaft,
Zürich 1984, S. 49 Anm. 16; FORSTMOSER/MEIER-HAYOZ, Einführung in das
schweizerische Aktienrecht, 2. Aufl., S. 172 N. 2; SCHUCANY, Kommentar zum
schweizerischen Aktienrecht, 2. Aufl., N. 1 zu Art. 705 OR; VON STEIGER,
Das Recht der Aktiengesellschaft in der Schweiz, 4. Aufl., S. 227).

    b) Der Kläger anerkennt die Wirksamkeit der Kündigung des
Vertragsverhältnisses im vorliegenden Fall und bestreitet zu Recht nicht,
dass ihn die Gesellschafterversammlung nach der zitierten Protokollstelle
rechtsgültig abberufen hat. Da die Abberufung jederzeit möglich sein muss,
kann sie entgegen der Auffassung des Klägers nicht erst wirksam werden,
wenn die Gesellschaftsversammlung dem Geschäftsführer Décharge erteilt
und wenn die Verwaltung den Entzug der Befugnisse im Handelsregister hat
eintragen lassen. Für den vergleichbaren Fall, dass ein Mitglied des
Verwaltungsrates einer Aktiengesellschaft demissioniert, ist das nach der
neueren Lehre und Rechtsprechung anerkannt. Die Demission muss für das
Verwaltungsratsmitglied jederzeit vorbehaltlos möglich sein; sie erfolgt
aufgrund einer einseitigen Willenserklärung, die nach anerkannter Lehre und
Rechtsprechung bedingungsfeindlich ist (BGE 104 Ib 323 E. b = Pra. 1979
Nr. 125; anders noch BGE 48 II 403 E. 4 a; BÜRGI, N. 8 zu Art. 705 OR;
SCHUCANY, aaO, N. 2 zu Art. 705 OR; VON STEIGER, Aktiengesellschaft,
S. 226 f.). Fest steht aufgrund der Rechtsprechung ausserdem, dass die
Wirksamkeit des Rücktritts aus dem Verwaltungsrat im Innenverhältnis
nicht davon abhängt, ob die Demission im Tagebuch des Handelsregisteramtes
eingetragen und im Schweizerischen Handelsamtsblatt veröffentlicht wird
(BGE 104 Ib 324 E. 3a = Pra. 1979 Nr. 125). Damit ist aber dem Einwand
des Klägers, sein Honoraranspruch sei so lange nicht untergegangen,
als die Abberufung im Handelsregister nicht eingetragen worden sei,
im wesentlichen die Grundlage entzogen.

Erwägung 2

    2.- Das Bundesgericht hielt nun freilich in BGE 104 Ib 322 ff. gestützt
auf Art. 932/33 OR fest, gutgläubigen Dritten gegenüber entfalte eine
Demission ihre Wirkung erst nach der Eintragung ins Handelsregister. Der
Kläger nimmt darauf Bezug und behauptet, als Geschäftsführer habe er ein
Haftungsrisiko getragen und mit seinem Namen den Wert, die Kreditwürdigkeit
und das Ansehen der Gesellschaft beeinflusst; dafür sei er mit einem
"Mindesthonorar" entschädigt worden. Da er infolge unterbliebener Änderung
des Registereintrags diese Leistungen gegenüber Dritten auch nach seiner
Abberufung weiterhin erbracht habe, könne ihm das Honorar bis zum Zeitpunkt
des tatsächlich erfolgten Eintrags nicht vorenthalten werden. Es dürfe
überdies nicht im Belieben der Gesellschaft stehen, wann sie die Abberufung
eines Geschäftsführers im Handelsregister eintragen lasse.

    a) Der Einwand nimmt auf die Rechtswirkungen der Abberufung im
Verhältnis der Gesellschaft zu Dritten (Aussenverhältnis) Bezug. Sie hangen
vorliegend vor allem von den Rechtswirkungen des Handelsregistereintrags
ab. Die Vorinstanz hielt dazu fest, Dritte könnten sich auf einen Eintrag
nur verlassen (sog. öffentlicher Glaube des Handelsregisters), wenn und
soweit das durch Einzelanordnung vorgesehen sei; als Beispiel erwähnte
sie Eintragungen mit konstitutiver Wirkung. Der Eintrag einer Abberufung
falle nicht darunter. Für den Kläger ist der Grundsatz des öffentlichen
Glaubens des Handelsregisters nach Lehre und Rechtsprechung anerkannt
und vorliegend zu bejahen.

    In der Lehre ist jedoch umstritten, inwieweit Eintragungen im
Handelsregister den öffentlichen Glauben geniessen (vgl. die Übersicht bei
BÄR, Der öffentliche Glaube des Handelsregisters, in Berner Festgabe zum
Schweizerischen Juristentag, 1979, S. 131 ff.). Der öffentliche Glaube
des Registers entscheidet darüber, inwieweit sich gutgläubige Dritte
auf die Richtigkeit der Eintragung verlassen dürfen. Vorliegend geht
es nur indirekt um Ansprüche Dritter; direkt sind Forderungen aus dem
Innenverhältnis umstritten. Diese können freilich eng mit Fragen des
öffentlichen Glaubens des Handelsregisters verbunden sein (vgl. BÄR,
S. 133 ff.). In diesem Sinn behauptet der Kläger, dass eine Person,
solange sie nicht als Geschäftsführer im Handelsregister gestrichen sei,
trotz Abberufung Dritten gegenüber hafte und deshalb für die Zeit bis zum
entsprechenden Eintrag im Handelsregister Anspruch auf das vereinbarte
Geschäftsführerhonorar habe.

    Eine Haftung des Geschäftsführers aus Art. 754 ff. OR lässt sich nicht
allein mit der Begründung annehmen, er sei zum Zeitpunkt der schädigenden
Handlung oder Unterlassung als Geschäftsführer im Handelsregister
eingetragen gewesen. Vielmehr ist vorausgesetzt, dass er tatsächlich die
Möglichkeit gehabt hat, den Schaden zu verursachen oder zu verhindern,
d.h. den Geschäftsgang der Gesellschaft zu beeinflussen. So haftet nach
BGE 109 V 94 f. das Verwaltungsratsmitglied einer Aktiengesellschaft aus
Art. 52 AHVG für nicht abgelieferte Sozialversicherungsbeiträge nur bis
zum tatsächlichen Ausscheiden aus dem Verwaltungsrat und nicht bis zum
Zeitpunkt, wo der Verlust der Organstellung im Handelsregister eingetragen
und publiziert wird.

    Ausnahmen von diesem Grundsatz sind nicht von vornherein
auszuschliessen. So kann man sich fragen, ob ein Geschäftsführer, der
weiss, dass er weiterhin im Handelsregister eingetragen ist und dass
Dritte gestützt auf diesen Eintrag die Bonität der Gesellschaft falsch
einschätzen, verpflichtet ist, die unverzügliche Löschung des Eintrags
zu veranlassen. Ein zu Unrecht eingetragener Geschäftsführer kann unter
Umständen auch verpflichtet sein, sich selbst um die Löschung zu kümmern,
falls er den anderen Organen der Gesellschaft misstraut. Anhaltspunkte
dafür, dass eine derartige Ausnahme hier vorliegt, bestehen indes
keine. Ausserdem wäre ein Anspruch auf Entschädigung immer dann
ausgeschlossen, wenn der Geschäftsführer es selbst in der Hand gehabt hat,
sich so zu verhalten, dass ihm keine Verletzung der Sorgfaltspflicht
vorgeworfen werden kann (so kann der Ausgeschiedene nach neuem Recht
die Anmeldung beim Handelsregisteramt allein vornehmen; Art. 25a HRegV,
in Kraft seit 1. Mai 1982; AS 1982 I 558 ff.).

    b) Für seinen gegenteiligen Standpunkt stützt sich der Kläger
zu Unrecht auf BGE 104 I 322 E. 2b und 3a (= Pra. 1979, Nr. 125). In
diesem Entscheid hielt das Bundesgericht zwar fest, die zurückgetretenen
Verwaltungsratsmitglieder einer Aktiengesellschaft hätten angesichts ihrer
Haftung gemäss Art. 718 und 754 OR in der Regel ein offenkundiges Interesse
an einer raschen Berichtigung unzutreffend gewordener Eintragungen, die zur
Täuschung interessierter Dritter Anlass geben könnten. Die hier massgebende
Frage der Haftung hatte das Bundesgericht dort indes nicht zu erörtern,
so dass aus jenem Entscheid nicht abzuleiten ist, die Haftung ergebe sich
allein aus einem zu Unrecht nicht gelöschten Eintrag im Handelsregister
(vgl. die Besprechung der Entscheidung bei KUMMER, in ZBJV 116/1980,
S. 50; abweichend FORSTMOSER/MEIER-HAYOZ, S. 171 N. 23).

    c) Sollte der Kläger daher zur fraglichen Zeit überhaupt ein
Haftungsrisiko getragen haben, so hätte er selbst die Verantwortung dafür
zu übernehmen, womit vorliegend die Grundlage für den Anspruch auf ein
Geschäftsführerhonorar für die Zeit nach seiner Abberufung entfällt.

Entscheid:

              Demnach erkennt das Bundesgericht:

    Die Berufung wird abgewiesen und das Urteil des Obergerichts des
Kantons Zug vom 15. November 1984 bestätigt.