Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 111 II 398



111 II 398

79. Auszug aus dem Urteil der I. Zivilabteilung vom 23. Oktober 1985
i.S. A. und B. gegen X. (Berufung und staatsrechtliche Beschwerde) Regeste

    Unzulässige Berufung.

    1. Art. 57 Abs. 5 OG. Umstände, die es rechtfertigen, über die
Zulässigkeit einer Berufung und einer staatsrechtlichen Beschwerde
gleichzeitig zu entscheiden (E. 1).

    2. Art. 55 Abs. 1 und 90 Abs. 1 OG. Beruht der angefochtene Entscheid
auf zwei selbständigen Begründungen, so müssen beide angefochten werden,
gegebenenfalls die eine mit Berufung und die andere mit staatsrechtlicher
Beschwerde (E. 2b).

Auszug aus den Erwägungen:

                      Aus den Erwägungen:

Erwägung 1

    1.- Berufung und Beschwerde richten sich gegen die gleichen
Entscheidungsgründe des Obergerichts. Die Rügen der Beschwerde
decken sich zudem inhaltlich weitgehend mit solchen in der Berufung,
auch wenn in diesem Rechtsmittel von Verletzung des Art. 8 ZGB und
von offensichtlichen Versehen, in jenem dagegen von willkürlicher
Beweiswürdigung, Aktenwidrigkeiten und Verweigerung des rechtlichen
Gehörs die Rede ist. Es rechtfertigt sich daher, die beiden Rechtsmittel
gleichzeitig zu beurteilen, statt gemäss Art. 57 Abs. 5 OG über die
Beschwerde vorweg zu entscheiden.

Erwägung 2

    2.- Das Obergericht hat die Klage mit zwei verschiedenen Begründungen
abgewiesen, wobei es zu deren Ergänzung wiederholt auf Feststellungen
und Erwägungen des Kantonsgerichts verweist. Das erstinstanzliche Urteil
ist insoweit als Teil des angefochtenen mitzuberücksichtigen. Die beiden
Begründungen des Obergerichts haben selbständigen Charakter.

    b) Berufung und Beschwerde richten sich ausschliesslich gegen die
erste Begründung des Obergerichts, wobei im ersten Rechtsmittel die
Auffassung der Vorinstanz gestützt auf Art. 8 ZGB und Art. 55 Abs. 1
lit. d OG, im zweiten hingegen gestützt auf Art. 4 BV kritisiert und
durch die "prozessentscheidenden Aussagen" des W. ersetzt wird. Art. 8
ZGB soll dadurch verletzt sein, dass das Obergericht die Zeugenaussagen
eines anerkannten Sachverständigen entweder im Widerspruch zu deren Inhalt
oder überhaupt nicht gewürdigt habe. Damit verkennen die Berufungskläger,
dass diese Bestimmung dem Richter nicht vorschreibt, wie die Beweise zu
würdigen sind (BGE 102 II 279 mit Hinweisen). Auch liegen keine "sofort
erkennbaren versehentlichen Feststellungen" im Sinne von Art. 55 Abs. 1
lit. d OG vor, welche das Bundesgericht angeblich anhand der Aussagen des
sachverständigen Zeugen W. mühelos richtigstellen könnte. Die Vorinstanz
hat die Aussagen dieses Zeugen nicht übersehen, sondern gewürdigt, aber
nicht in dem von den Berufungsklägern gewünschten Sinn.

    Entscheidend ist indes, dass die Berufungskläger die zweite Begründung
des Obergerichts weder mit dem einen noch mit dem andern Rechtsmittel
anfechten. Beruht ein Urteil wie hier auf verschiedenen Begründungen,
die unabhängig voneinander bestehen, so hat der Berufungskläger beide
anzufechten, wenn er das Urteil zu Fall bringen will; andernfalls läuft
die Berufung auf einen blossen Streit über Entscheidungsgründe hinaus,
die für sich allein keine Beschwer bedeuten und daher die Berufung zum
vornherein unzulässig machen (BGE 103 II 159 E. 3 mit Hinweisen). Wird
ein solches Urteil in tatsächlicher Hinsicht mit Rügen angefochten,
die über die Ausnahmen des Art. 63 Abs. 2 OG hinausgehen, so hat der
Berufungskläger dagegen auch staatsrechtliche Beschwerde einzureichen. Das
eine wie das andere Rechtsmittel ist zudem nach den dafür geltenden
Vorschriften zu begründen.

    Vorliegend bleibt die zweite Begründung des Obergerichts jedenfalls
bestehen, weshalb weder auf die Berufung noch auf die staatsrechtliche
Beschwerde einzutreten ist (siehe auch hiervor S. 397 f.).