Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 111 II 375



111 II 375

74. Urteil der I. Zivilabteilung vom 12. Dezember 1985 i.S. Inama
Trading GmbH gegen Justizdepartement des Kantons Basel-Stadt
(Verwaltungsgerichtsbeschwerde) Regeste

    Art. 813 Abs. 1 OR. Wohnsitz der zur Vertretung befugten
Geschäftsführer der Gesellschaft mit beschränkter Haftung.

    Mindestens ein in der Schweiz wohnender Geschäftsführer muss
einzelzeichnungsberechtigt oder gemeinsam mit weiteren in der Schweiz
wohnenden Geschäftsführern kollektivzeichnungsberechtigt sein.

Auszug aus den Erwägungen:

             Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

Erwägung 1

    1.- Die Inama Trading GmbH bezeichnete als Geschäftsführer mit
Kollektivunterschrift zu zweit den in Deutschland wohnenden A. und den
in der Schweiz wohnenden B. Mit Verfügung vom 14. Mai 1985 setzte das
Handelsregister des Kantons Basel-Stadt der Gesellschaft eine Frist an,
bis zum 28. Juni 1985 den gesetzmässigen Zustand herzustellen. Darunter
verstand es, dass der in der Schweiz wohnende Geschäftsführer entweder
einzelzeichnungsberechtigt oder kollektivzeichnungsberechtigt mit weiteren
in der Schweiz wohnenden Geschäftsführern erklärt werden müsse. Eine
Beschwerde gegen diese Verfügung wies das Justizdepartement des Kantons
Basel-Stadt mit Entscheid vom 24. Juni 1985 ab.

    Dagegen führt die Inama Trading GmbH beim Bundesgericht
Verwaltungsgerichtsbeschwerde mit dem Antrag, es sei festzustellen,
dass die bestehende Geschäftsführung und Vertretung den gesetzlichen
Bestimmungen entspreche, insbesondere dass bei zwei kollektiv zeichnenden
Geschäftsführern nur einer in der Schweiz Wohnsitz haben müsse. Das
Justizdepartement des Kantons Basel-Stadt und das Bundesamt für Justiz
beantragen Abweisung der Beschwerde.

Erwägung 2

    2.- Während Art. 711 Abs. 3 OR für die Aktiengesellschaft vorschreibt,
wenigstens "ein zur Vertretung der Gesellschaft befugtes Mitglied der
Verwaltung" müsse in der Schweiz wohnhaft sein, bestimmt Art. 813
Abs. 1 OR für die GmbH lediglich, "einer der Geschäftsführer"
müsse in der Schweiz wohnhaft sein. In einem Kreisschreiben vom
15. Mai 1940 hat das Eidgenössische Justiz- und Polizeidepartement
die Auffassung vertreten, den beiden Bestimmungen liege der gleiche
Wille des Gesetzgebers zugrunde, so dass auch bei der GmbH der oder
die in der Schweiz wohnenden Geschäftsführer zur alleinigen Vertretung
der Gesellschaft befugt sein müssten, ohne dass die Mitwirkung eines im
Ausland wohnenden Geschäftsführers erforderlich sei. Die Beschwerdeführerin
betrachtet die in diesem Kreisschreiben vertretene Auffassung als mit
dem Gesetzeswortlaut nicht vereinbar. Auf den ersten Blick scheint diese
Ansicht zuzutreffen. Konsultiert man indessen die Gesetzesmaterialien, so
ergibt sich ein anderes Bild. In der Tat beschlossen beide eidgenössischen
Räte in der parlamentarischen Gesetzesberatung, wenigstens eine zur
Vertretung der Gesellschaft ermächtigte Person müsse in der Schweiz
Wohnsitz haben. Erst die Redaktionskommission, die keinerlei Kompetenz
zu materiellen Änderungen hatte, führte den heute geltenden Wortlaut
ein. Protokolle der Redaktionskommission existieren nicht, und bei der
Behandlung in den eidgenössischen Räten wurde für diese Änderung keinerlei
Begründung gegeben. Demgegenüber wurde in den Redaktionslesungen bei jenen
Bestimmungen, wo doch noch materielle Änderungen vorgeschlagen wurden
oder jedenfalls Änderungen, über deren bloss redaktionelle Natur man
Zweifel hegen konnte, jeweils ausdrücklich auf diesen Umstand hingewiesen
und im Ständerat sogar Wiedereintreten auf die materielle Behandlung
der Vorlage beschlossen. So wurde zum Beispiel bei Art. 711 Abs. 2 OR
vorgegangen. Es ist daher mit dem Bundesamt für Justiz davon auszugehen,
dass der unterschiedliche Wortlaut von Art. 711 Abs. 3 und Art. 813 Abs. 1
OR auf einem redaktionellen Versehen des Gesetzgebers beruht. Es gibt
keinen Grund, weshalb die beiden Fälle unterschiedlich behandelt werden
sollten. Dass die GmbH gegenüber der Aktiengesellschaft ein stärkeres
personelles Element aufweist, ist einerseits kein ausreichender Grund;
andererseits berücksichtigte der Ständerat bei der Beratung diesen Umstand
ausdrücklich und beschloss trotzdem einen Wortlaut, der mit jenem für die
Aktiengesellschaft übereinstimmte (Sten.Bull. StR 1931 S. 632). Zutreffend
ist, dass die beiden Kommentare (W. VON STEIGER und JANGGEN/BECKER,
je N. 1 zu Art. 813 OR) eine abweichende Meinung vertreten, die sich
aber angesichts der klaren Gesetzesmaterialien und der ratio legis als
unzutreffend erweist.

    Letztlich spricht auch die über 45jährige Praxis, die die
Handelsregisterbehörden gestützt auf das genannte Kreisschreiben des
Eidgenössischen Justiz- und Polizeidepartements vom 15. Mai 1940 befolgt
haben, dafür, das Gesetz im Sinne dieser Praxis auszulegen. Jedenfalls
ist in keiner Weise dargetan, dass diese Praxis zu Unzulänglichkeiten
führte. Auch die Beschwerdeführerin unterlässt es, konkrete Umstände
oder Argumente ins Feld zu führen, die zu einer Änderung der
Praxis zwingend Anlass zu geben vermöchten. Dass die Wohnsitz- und
Nationalitätserfordernisse bei der Aktiengesellschaft und der GmbH immer
wieder starker Kritik ausgesetzt seien, ist eine blosse Behauptung. Diese
Erfordernisse haben nach wie vor ihre volle Berechtigung, und es ist
vorgesehen, sie auch im neuen Aktienrecht beizubehalten (Art. 708 des
bundesrätlichen Entwurfes, BBl 1983 II S. 918).

Entscheid:

              Demnach erkennt das Bundesgericht:

    Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird abgewiesen.