Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 111 II 236



111 II 236

49. Auszug aus dem Urteil der II. Zivilabteilung vom 6. August 1985 i.S.
Bruno Stefanini gegen Brauerei Schützengarten AG (Berufung) Regeste

    Art. 679 ZGB; Beseitigungsanspruch des aufgrund einer Dienstbarkeit
Bauberechtigten.

    Dem aufgrund einer Dienstbarkeit Bauberechtigten steht gegen den
Grundeigentümer, der sein Eigentumsrecht überschreitet, ein auf Art. 679
gestützter Beseitigungsanspruch zu.

Sachverhalt

    A.- Am 7. September 1965 kaufte die Brauerei Schützengarten AG von
Otto Nef die Liegenschaft Nr. 862 an der Thurgauerstrasse in Kronbühl
samt dem im Bau befindlichen Restaurant. Otto Nef behielt das Eigentum
an der angrenzenden Parzelle Nr. 793. Mit dem Kaufvertrag wurde eine
Dienstbarkeit folgenden Inhalts begründet:

    "Der jeweilige Eigentümer von Grundstück Nr. 793, derzeit Otto Nef,

    1931, Kaufmann, Niederbüren, räumt der jeweiligen Eigentümerin von

    Grundstück Nr. 862, derzeit Bierbrauerei Schützengarten AG, St. Gallen,
   das Baurecht für die Erstellung einer Kegelbahn unter dem Garagetrakt
   gemäss gelber Einzeichnung im beiliegenden Situationsplan ein.

    Erstellung und Unterhalt des Kegelbahnraumes und der Kegelbahnanlage
   gehen zulasten der Berechtigten.

    Diese Dienstbarkeit ist im Grundbuch einzutragen."

    Bei der Festsetzung des Kaufpreises für die Liegenschaft war dem
Umstand Rechnung getragen worden, dass der Rohbau des Restaurants und
der Kegelbahn grösstenteils erstellt waren.

    In der Folge wurden auch die geplanten Garagen über der Kegelbahn
erstellt. Im Januar 1967 wurde erstmals Wasserschaden an der Decke der
Kegelbahn festgestellt. Er rührte von Schneewasser her, welches von den
in der Garage abgestellten Automobilen abtaute. Otto Nef liess hierauf
den Boden der Garage über der Kegelbahn ausfugen; doch brachte diese
Massnahme nur eine vorübergehende Besserung.

    B.- Am 14. Januar 1976 erwarb Bruno Stefanini die Liegenschaft
Nr. 793. Ein Jahr später machte sich in der Kegelbahn wiederum
Wasserschaden bemerkbar, der durch verschiedene von Stefanini angeordnete
Flickarbeiten nicht behoben werden konnte. Dieser liess im Sommer 1981
eine Dilatationsfuge reparieren und Plastikbeläge auf dem Garageboden
auslegen, bestritt aber gleichzeitig, für die Undichte des Garagebodens
verantwortlich zu sein.

    Am 25. Januar 1982 reichte die Brauerei Schützengarten AG beim
Vermittleramt Wittenbach Klage gegen Bruno Stefanini ein, mit welcher
sie in erster Linie bauliche Massnahmen zur Vermeidung des Wasserschadens
verlangte. Ihre Begehren wurden vom Bezirksgericht St. Gallen und in der
Folge vom Kantonsgericht St. Gallen geschützt.

    C.- Gegen den Entscheid des Kantonsgerichts St. Gallen vom 2. Oktober
1984, welches den Beseitigungsanspruch der Klägerin gestützt auf
Art. 679 ZGB anerkannt hatte, erhob Bruno Stefanini Berufung an das
Bundesgericht. Dieses wies die Berufung ab mit folgenden

Auszug aus den Erwägungen:

                          Erwägungen:

Erwägung 2

    2.- Der Berufungskläger wirft der Vorinstanz vor, dass sie Art. 679
ZGB auf den vorliegenden Streitfall, dem eine Grunddienstbarkeit zugrunde
liegt, angewendet hat. Nach Lehre und Rechtsprechung sei das Nachbarrecht
im Verhältnis eines Grundeigentümers zu einem an seinem Grundstück
Dienstbarkeitsberechtigten nicht anwendbar.

    Damit übergeht der Berufungskläger indessen die Tatsache, dass mit
der hier zur Diskussion stehenden Dienstbarkeit ein Baurecht begründet
wurde, und übersieht, dass die Stellung des Bauberechtigten einerseits
diejenige eines Dienstbarkeitsberechtigten, anderseits diejenige eines
Grundeigentümers ist (Kommentar MEIER-HAYOZ, N. 13 ff. zu Art. 675
ZGB). Nach der Rechtsprechung untersteht der Bauberechtigte jedenfalls
hinsichtlich seiner Pflichten gleich einem Liegenschaftseigentümer dem
Nachbarrecht und somit auch der Verantwortlichkeit nach Art. 679 ZGB (BGE
88 II 263 f. E. 3). Er kann umgekehrt aber auch den Schutz beanspruchen,
welchen diese Norm dem nachbarrechtlich geschädigten oder mit Schaden
bedrohten Eigentümer verleiht; denn es unterliegt keinem Zweifel, dass
der auf Reziprozität angelegte Art. 679 ZGB sowohl Pflichten als auch
Rechte zum Inhalt hat.

    Dass hier eine im Grundbuch eingetragene Baurechtsdienstbarkeit
Gegenstand des Rechtsstreites ist, hat das Kantonsgericht St. Gallen
zu Recht angenommen und wird auch von den Parteien nicht bestritten. Es
handelt sich bei der Kegelbahn einerseits und den Garageboxen anderseits
um selbständige Anlagen ungeachtet der Tatsache, dass die Decke der
ersteren und der Boden der letzteren bautechnisch eine Einheit bilden. Von
einem Stockwerk im Sinne des Art. 675 Abs. 2 ZGB kann keine Rede sein
(vgl. LIVER, Das Eigentum, in: Schweizerisches Privatrecht V/1, S. 185 f.;
PIOTET, Dienstbarkeiten und Grundlasten, in: Schweizerisches Privatrecht
V/1, S. 594, Anm. 3).

Erwägung 3

    3.- Nun räumt auch der Berufungskläger ein, dass der
Dienstbarkeitsberechtigte gegenüber Dritten den Beschränkungen und der
Verantwortung des Grundeigentümers unterliege und ihm anderseits auch
die entsprechenden Rechte zuständen. Doch dass dies auch gegenüber
dem mit der Dienstbarkeit belasteten Eigentümer gelten solle,
betrachtet der Berufungskläger als keineswegs zwingend. Es liege ein
Sonderverhältnis zwischen dem aus der Dienstbarkeit Berechtigten und
dem daraus Belasteten vor. Trage man diesem Sonderverhältnis Rechnung,
so gelange man zu Folgerungen, welche den Erwägungen des Kantonsgerichts
genau entgegengesetzt seien.

    Der Standpunkt des Berufungsklägers hat insofern etwas für sich,
als das Bundesgericht in der Tat der Meinung Ausdruck gegeben hat,
im Verhältnis eines Grundeigentümers zu einem am Grundstück dinglich
Berechtigten sei das Nachbarrecht überhaupt nicht anwendbar und es seien
deshalb Streitigkeiten zwischen diesen ausschliesslich auf dem Boden des
Dienstbarkeitsrechts zu entscheiden (BGE 88 II 334 E. 4; ähnlich BGE 57 II
260 f. E. 1, 91 II 195 E. 3). Diese Auffassung ist von der Lehre geteilt
worden, während die davon abweichende Rechtsprechung in BGE 70 II 94 E. 4 -
hier schloss das Bundesgericht nicht aus, dass das Abgraben einer kraft
Dienstbarkeit auf einem Grundstück bestehenden Leitung der Haftung nach
Art. 679 ZGB ruft - auf Kritik gestossen ist (Kommentar MEIER-HAYOZ,
N. 83 zu Art. 679 ZGB; Kommentar LIVER, N. 120 zu Art. 737 ZGB). LIVER
weist jedoch an der zitierten Stelle zu Recht darauf hin, dass sich am
Resultat kaum etwas ändert, wenn dem Dienstbarkeitsberechtigten das Recht
zur Berufung auf Art. 679 ZGB abgesprochen wird. Der Berechtigte müsste
diesfalls zwar seinen Schadenersatzanspruch auf Art. 41 OR stützen und
somit das Verschulden des schädigenden Grundeigentümers nachweisen. Wegen
des im Zivilrecht weitgehend objektivierten Verschuldensbegriffes käme
man aber in den meisten Fällen praktisch zum gleichen Ergebnis, wie wenn
Art. 679 ZGB angewendet würde.

    Wie dem auch sei, es bleibt nach der Feststellung, dass dem
Bauberechtigten sowohl die Stellung eines Dienstbarkeitsberechtigten als
auch jene eines Grundeigentümers zukommt (oben E. 2), die Frage offen,
in welcher Eigenschaft er dem Eigentümer des belasteten Grundstückes
entgegentritt. Die Vorinstanz ist von der Eigenschaft des Bauberechtigten
als Grundeigentümer ausgegangen und hat ihm aus diesem Grund die aus
Art. 679 ZGB fliessenden Rechte zuerkannt. Sie kann sich mit ihrer
Auffassung auf STARK (Das Wesen der Haftpflicht des Grundeigentümers
nach Art. 679 ZGB, Zürich 1952, S. 195, 205) und ganz besonders auf
L'HUILLIER (La responsabilité du propriétaire foncier selon l'art. 679
du CCS, ZSR 71/1952 II Ia ff., 38 f.) berufen, der den durch eine
Baurechtsdienstbarkeit Berechtigten ausdrücklich anders behandelt wissen
will als die übrigen Dienstbarkeitsberechtigten. Aber auch MEIER-HAYOZ,
der ausführt, eine Überschreitung des Eigentumsrechts liege nicht vor,
wenn jemand innerhalb der Grenzen des schädigenden Grundstücks einen
Schaden erleide (aaO, N. 83 zu Art. 679 ZGB), sieht die Sache jedenfalls
bezüglich des altrechtlichen Stockwerkeigentums anders, indem er - unter
Berufung auf BGE 55 II 21 ff. - für die nachbarrechtlichen Rechte und
Pflichten die einschlägigen Bestimmungen des Zivilgesetzbuches gelten lässt
(Kommentar, N. 28 zu den Vorbemerkungen zu den Art. 646-654 ZGB). Ohne es
allerdings deutlich auszusprechen, gehen diese Autoren offenbar davon aus,
dass Rechte und Pflichten zweier sich als Dienstbarkeitsberechtigter und
Dienstbarkeitsverpflichteter gegenüberstehender Grundeigentümer nicht
allein aufgrund der Dienstbarkeit bestimmt werden können. Eine ähnliche
Überlegung hat auch das Kantonsgericht angestellt, wenn es meint,
es sei nicht einzusehen, weshalb der aus einer Baurechtsdienstbarkeit
Berechtigte in seiner Eigenschaft als Eigentümer der auf fremdem Boden
errichteten Anlage gegenüber dem Eigentümer des belasteten Grundstücks
nachbarrechtlich anders gestellt sein soll als gegenüber dem Eigentümer
eines anderen Nachbargrundstückes, mit welchem er nicht durch eine
Dienstbarkeit rechtlich verbunden ist. Als völlig unhaltbar bezeichnet
die Vorinstanz die Auffassung, dass Art. 679 im Verhältnis zwischen dem
aus der Baurechtsdienstbarkeit berechtigten und dem daraus belasteten
Eigentümer nicht anwendbar sein sollte, wenn bei einem über die Grenze
gebauten Werk dessen Eigentümer zugleich auf dem Nachbargrundstück
dienstbarkeitsberechtigt wäre und auf seiner eigenen Parzelle die Rechte
eines Eigentümers ausübte. Ein solcher Werkeigentümer müsste seine Klage
gegen den störenden Nachbarn und zugleich Dienstbarkeitsbelasteten teils
auf Art. 679 ZGB und teils auf Art. 41 OR (in Verbindung mit Art. 641
Abs. 2 ZGB) stützen, wobei mit der letzteren Klage das Verschulden vom
Geschädigten nachgewiesen werden müsste, mit der ersteren Klage indessen
nicht.

    Die soeben geschilderte Situation lässt sich auch in dem hier
zu beurteilenden Fall leicht ausdenken. Die Garagen, von denen der
Wasserschaden ausgeht, grenzen nämlich nicht nur an die Kegelbahn,
welche die Berufungsbeklagte gestützt auf eine Dienstbarkeit errichtet
hat, sondern auch an die im Eigentum der Berufungsbeklagten stehende
Liegenschaft Nr. 862 mit dem Restaurant. Würde auch diese Liegenschaft
vom Wasserschaden aus der Garage betroffen, würde sich unweigerlich die
Frage stellen, ob eine Klage der die Kegelbahn betreibenden Brauerei
einheitlich auf Art. 679 ZGB gestützt werden könnte oder nicht - dies
ungeachtet der Tatsache, dass die Kegelbahn mindestens funktional, wenn
nicht gar rechtlich als Bestandteil der Parzelle mit dem Restaurant zu
betrachten ist (vgl. LIVER, Das Eigentum, in: Schweizerisches Privatrecht
V/1, S. 187). Dieser - vorerst noch hypothetische - Aspekt darf zwar
nicht überbetont werden. Dennoch spricht das von der Vorinstanz ins
Feld geführte Argument der einheitlichen Haftungsgrundlage für die
Auffassung, dass der aus einer Baurechtsdienstbarkeit Berechtigte
gegenüber dem Dienstbarkeitsbelasteten auch als Eigentümer auftreten und
in dieser Stellung sich auf Art. 679 ZGB berufen kann. Der gegenüber dem
Kantonsgericht St. Gallen erhobene Vorwurf, es habe Bundesrecht dadurch
verletzt, dass es einen auf diese Vorschrift gestützten nachbarrechtlichen
Beseitigungsanspruch der Berufungsbeklagten anerkannt hat, ist demnach
unbegründet.

Erwägung 4

    4.- Nach der für das Bundesgericht verbindlichen Feststellung der
letzten kantonalen Instanz (Art. 62 Abs. 2 OG) rührt der Wasserschaden
in der Kegelbahn der Berufungsbeklagten von der Nutzung der Garage des
Eigentümers der Parzelle Nr. 793 her.

    Freilich dient diese Nutzung der normalen Bestimmung einer solchen
Garage. Ebenso liegt es auf der Hand, dass die hier zur Diskussion
stehende, nach dem Gesagten aufgrund von Art. 679 ZGB zu beurteilende
Schädigung technisch ausgeschlossen wäre, wenn sich die Garage nicht
über der Kegelbahn befände. Hieraus - zusammen mit dem Vorwurf, die
Eigentümerin der Kegelbahn habe keine Abwehrmassnahmen getroffen -
kann aber nicht ein Selbstverschulden der Berufungsbeklagten abgeleitet
und der Schluss gezogen werden, der adäquate Kausalzusammenhang sei
unterbrochen. Die Schadensursache ist eindeutig dem Eigentümer der Parzelle
Nr. 793 zuzuordnen; er trägt die Verantwortung dafür, dass der Nachbar
durch den Gebrauch der Garage keinen Schaden erleidet.

    Aus der Sicht des Schädigers stellt sich einzig die Frage, ob
die Einwirkung auf das Eigentum der Berufungsbeklagten allenfalls
als nicht übermässig im Sinne von Art. 684 ZGB zu bezeichnen sei
und deshalb von der Eigentümerin der Kegelbahn zu dulden wäre. Das
ist indessen klar zu verneinen. Es geht konkret um das Eindringen von
Wasser in die Kegelbahn. Dass ein solches Vorkommnis eine übermässige,
von der Geschädigten nicht zu duldende Einwirkung darstellt, würde
wohl auch die Berufungsklägerin nicht in Zweifel ziehen, wenn dieselbe
Schädigung von einem angebauten (Reihen-)Haus ausginge. Nun ändert
sich aber offensichtlich nichts an der Einwirkung, wenn diese von
oben und nicht von der Seite kommt. Entscheidend ist einzig, dass beim
Nachbarn eine übermässige Einwirkung eintritt, welche bei Beachtung der
gegenüber den Nachbarn gebotenen Rücksicht nicht eintreten dürfte. Von
einem Selbstverschulden der Geschädigten und einer Unterbrechung des
Kausalzusammenhangs kann, wie bereits erwähnt, nicht die Rede sein. Zwar
wusste die Berufungsbeklagte, dass oberhalb ihrer Kegelbahn Einstellhallen
für Automobile errichtet und entsprechend genutzt würden. Sie durfte aber
damit rechnen, dass diese Nutzung keine schädigende Einwirkung nach sich
ziehen werde, weil der Eigentümer der Garagen alle zumutbaren Vorkehren
treffen werde, um dies zu verhindern. Daran vermag auch die mit der
Dienstbarkeit getroffene Vereinbarung nichts zu ändern, dass Erstellung
und Unterhalt des Kegelbahnraumes und der Kegelbahnanlage zulasten der
Berechtigten gehen.