Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 111 II 230



111 II 230

47. Urteil der II. Zivilabteilung vom 18. September 1985 i.S. X. (Berufung)
Regeste

    Adoption eines Unmündigen (Art. 264 ZGB).

    Das mindestens zweijährige Pflegeverhältnis zwischen den künftigen
Adoptiveltern und dem Kind muss in Form einer eigentlichen Hausgemeinschaft
bestanden haben. Dass das zu adoptierende Kind in 17 Jahren insgesamt
262 Ferienwochen beim adoptionswilligen Stiefvater verbracht hat, genügt
dieser Anforderung nicht.

Sachverhalt

    A.- Mit Eingabe vom 30. Mai 1984 stellte A. X. beim kantonalen
Justizdepartement ein Gesuch um Adoption des am 10. September 1964
geborenen B. Y., des vorehelichen Sohnes seiner Ehefrau. Bis Mitte 1983
hatte B. Y. in Deutschland bei seiner Grossmutter, C. Y., gelebt.

    Durch Beschluss vom 17. April 1985 wies der Staatsrat das
Adoptionsgesuch ab.

    Gegen diesen Entscheid hat A. X. beim Bundesgericht Berufung
eingereicht mit dem Antrag, der angefochtene Beschluss sei aufzuheben
und es sei die Adoption von B. Y. durch ihn auszusprechen.

    Der Staatsrat schliesst auf Abweisung der Berufung.

Auszug aus den Erwägungen:

             Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

Erwägung 1

    1.- Gemäss Art. 264 ZGB darf ein Kind adoptiert werden, wenn ihm
die künftigen Adoptiveltern während wenigstens zweier Jahre Pflege und
Erziehung erwiesen haben und nach den gesamten Umständen zu erwarten ist,
die Begründung eines Kindesverhältnisses diene seinem Wohl, ohne andere
Kinder der Adoptiveltern in unbilliger Weise zurückzusetzen. Ein Ehegatte
darf das Kind des andern adoptieren, wenn er zwei Jahre verheiratet gewesen
ist oder das 35. Altersjahr zurückgelegt hat (Art. 264a Abs. 3 ZGB).

Erwägung 2

    2.- Zur Begründung seines Entscheides hat der Staatsrat auf den Bericht
des kantonalen Justiz- und Polizeidepartements (Abteilung Zivilstandswesen)
vom 15. April 1985 verwiesen, worin die Auffassung vertreten worden war,
das Erfordernis des mindestens zweijährigen Pflegeverhältnisses sei im
Falle des Berufungsklägers nicht erfüllt. In ihrer Vernehmlassung vom 23.
Juli 1985 hat die Vorinstanz diesen Standpunkt ausdrücklich bestätigt.

    Dass vor der Adoption ein Pflegeverhältnis von mindestens zwei Jahren
bestanden haben muss, ist eine zwingende gesetzliche Voraussetzung
(vgl. Botschaft des Bundesrates vom 12. Mai 1971 über die Änderung
des Zivilgesetzbuches, Adoption und Art. 321 ZGB, BBl 1971 I/2,
S. 1217). Durch das zweijährige Pflegeverhältnis soll der Beweis dafür
erbracht werden, dass es nicht nur zu einer bloss oberflächlichen,
sondern zu einer dauerhaften seelisch-geistigen Beziehung zwischen
Adoptiveltern und Adoptivkind gekommen ist, wie sie in der Regel dem
Verhältnis zwischen einem Kind und seinen natürlichen Eltern eigen ist. Es
soll das Zusammenleben im Alltag erprobt worden sein; die Beteiligten
sollen die Gelegenheit gehabt haben, sich aneinander zu gewöhnen. Diese
Funktion kann das vom Gesetz verlangte Pflegeverhältnis naturgemäss
nur dann erfüllen, wenn die Adoptiveltern das Kind im eigenen Heim
aufnehmen und es persönlich betreuen. Die Adoption eines Unmündigen
ist deshalb offensichtlich unstatthaft, wenn die Adoptiveltern das Kind
wohl finanziell unterstützt, es aber nur gelegentlich, etwa während der
Ferien, zu sich genommen haben (BGE 101 II 9 E. 2). Die Auffassung, dass
aus den erwähnten Gründen ein Kind mit seinen künftigen Adoptiveltern
in einer eigentlichen Hausgemeinschaft gelebt haben müsse, wird von der
Lehre geteilt (vgl. SCHNYDER, Supplement Kindesrecht zu TUOR/SCHNYDER,
Das Schweizerische Zivilgesetzbuch, 9. Aufl., S. 27; HEGNAUER, N. 29
und 35 zu Art. 264 ZGB und Grundriss des Kindesrechts, 2. Aufl., S. 69;
HESS, Die Adoption in rechtlicher und sozialpädagogischer Sicht, S. 14;
EICHENBERGER, Die materiellen Voraussetzungen der Adoption Unmündiger
nach neuem schweizerischem Adoptionsrecht, Diss. Freiburg, S. 127 ff.).

Erwägung 3

    3.- Nach den Vorbringen in der Berufungsschrift ist B. Y.
erst seit dem 31. Juli 1984 in O., dem Wohnort des Berufungsklägers,
angemeldet. Die kantonale Fremdenkontrolle stellte ihm am 28. August 1984
eine Niederlassungsbewilligung aus. Der Berufungskläger macht demnach zu
Recht nicht geltend, sein Stiefsohn habe während mindestens zweier Jahre
mit ihm und seiner Ehefrau in Hausgemeinschaft gelebt.

    Er beruft sich indessen darauf, dass B. Y. seit April 1967,
d. h. seit der Heirat der Eheleute X.-Y., insgesamt 262 Ferienwochen bei
ihnen verbracht habe. Dieses Vorbringen ist indessen unbehelflich. Da
sich diese Aufenthalte jeweils nur über eine verhältnismässig kurze
Dauer erstreckt haben, können sie in qualitativer Hinsicht nicht mit
einem zweijährigen Pflegeverhältnis im Sinne des oben Angeführten
verglichen werden. Dass sie zusammengerechnet weit mehr als zwei Jahre
ausmachen, vermag daran ebensowenig etwas zu ändern, wie der Umstand,
dass die elterliche Gewalt über B. Y. seiner Mutter, der Ehefrau des
Berufungsklägers, zustand und dass sich dessen gesetzlicher Wohnsitz
somit seit Jahren in O. befand. Unbehelflich ist nach dem Gesagten auch
der Hinweis des Berufungsklägers darauf, dass er all die Jahre hindurch
mit B. Y. in engem persönlichem Kontakt gestanden habe.

    Es ist richtig, dass kürzere Abwesenheiten des zu adoptierenden
Kindes (Ferien, Spital- oder Studienaufenthalt usw.), wie sie bei
jedem Eltern-Kind-Verhältnis vorkommen können, die zweijährige Frist
des Art. 264 ZGB nicht zu unterbrechen vermögen (vgl. HEGNAUER, N. 37
zu Art. 264 ZGB). Indessen lassen sich die hier gegebenen Umstände mit
einem Fall der erwähnten Art in keiner Weise vergleichen.

    Aus dem Gesagten erhellt, dass die Vorinstanz mit der Abweisung des
Adoptionsgesuches nicht gegen Bundesrecht verstossen hat.