Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 111 II 223



111 II 223

45. Auszug aus dem Urteil der II. Zivilabteilung vom 24. Oktober 1985
i.S. S. gegen S. und Justizkommission des Kantons Zug (staatsrechtliche
Beschwerde) Regeste

    Die Kinderzuteilung als vorsorgliche Massnahme im Scheidungsprozess
(Art. 145 ZGB).

    Für die Dauer des Scheidungsverfahrens sind die Kinder in der Regel
demjenigen Elternteil zuzusprechen, der in der Lage ist, sie weitgehend
persönlich und in der bisherigen Umgebung zu betreuen. In diesem
Verfahrensstadium ist noch nicht abzuklären, bei welchem Elternteil das
Recht der Kinder auf optimale Fürsorge und Erziehung für die Zukunft
besser gewährleistet sei.

Auszug aus den Erwägungen:

                      Aus den Erwägungen:

Erwägung 3

    3.- Die Justizkommission ist zutreffenderweise vom entscheidenden
Kriterium des Kindeswohls ausgegangen, das es bei der Zuteilung der
Kinder an den einen Elternteil im gesamten Verfahren auf Scheidung
oder Trennung einer Ehe zu wahren gilt. Ist aber vorerst nur die Frage
zu entscheiden, welchem Elternteil die Kinder während der Dauer des
Scheidungsverfahrens überlassen werden sollen, gilt der Grundsatz,
dass derjenige Elternteil den Vorzug verdient, der in der Lage ist, die
Kinder - ohne dass diese gefährdet werden - weitgehend persönlich und
in der bisherigen Umgebung zu betreuen. Es darf nicht übersehen werden,
dass das Verfahren nach Art. 145 ZGB lediglich summarisch ist und der
Richter in aller Regel noch nicht die nötigen Abklärungen getroffen hat,
um definitiv beurteilen zu können, welchem Elternteil im Scheidungsurteil
bei der Kinderzuteilung der Vorzug gegeben werden müsse (vgl. BGE 101
II 202 E. 2). Die Verfügung des Massnahmerichters hat nur vorläufigen
Charakter und darf den endgültigen Entscheid des Sachrichters nicht
vorwegnehmen. Dieser Gesichtspunkt muss im Hinblick auf die Tendenz
der neueren Rechtsprechung, der Stabilität der Verhältnisse bei der
definitiven Kinderzuteilung grösseres Gewicht beizumessen (HAUSHEER,
Die Zuteilung der elterlichen Gewalt im Scheidungsverfahren nach der
neueren Rechtsprechung des Bundesgerichts, ZVW 38 (1983) S. 126 ff.),
wieder hervorgehoben werden. Bei zu starker Betonung des Grundsatzes der
Stabilität bereits im Massnahmeverfahren besteht die Gefahr, dass dieser
vorläufigen Regelung präjudizielle Wirkung für die endgültige Zuteilung
der Kinder im Scheidungsurteil zukommt und dass der Kampf um die Kinder
in dieses Stadium des Verfahrens vorverlegt wird.

    Dem Massnahmerichter stellt sich vielmehr nur die Frage, ob die Kinder
für die Zeit des Scheidungsverfahrens besser bei der Mutter oder beim Vater
aufgehoben sind und ob die vorläufige Zuteilung an den einen oder andern
Elternteil grössere Gewähr dafür biete, dass die Kinder während der Dauer
des Prozesses in ihrer angestammten Umgebung verbleiben können. Es darf
nicht ausser Betracht bleiben, dass die Obhut immerhin einem der beiden
den Kindern vertrauten Elternteile übertragen wird. Der Richter hat daher
aufgrund von Art. 145 ZGB auch zu entscheiden, welcher Gatte während des
Scheidungsprozesses mit den Kindern in der ehelichen Wohnung verbleiben
darf. In diesem Verfahrensstadium ist noch keineswegs abzuklären, bei
welchem Elternteil unter den gegebenen Verhältnissen das Recht der Kinder
auf optimale Fürsorge und Erziehung für die Zukunft besser gewährleistet
sei. Diese Frage ist erst im endgültigen Urteil zu beantworten.