Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 111 II 119



111 II 119

27. Auszug aus dem Urteil der II. Zivilabteilung vom 27. August
1985 i.S. M. E. gegen H. H. und Regierungsrat des Kantons Luzern
(staatsrechtliche Beschwerde) Regeste

    Art. 4 BV; Art. 310 Abs. 3 ZGB; Rücknahme eines bei Pflegeeltern
untergebrachten Kindes.

    Eltern, die sich trotz der Fremdplazierung um den Aufbau und die Pflege
einer persönlichen Beziehung zu ihrem Kind bemüht haben, brauchen nicht
zu befürchten, dass Art. 310 Abs. 3 ZGB mit Erfolg gegen ihre ernsthafte
Absicht, das Kind eines Tages wieder selbst zu betreuen und zu erziehen,
angerufen werden könnte (E. 5).

    Ausschlaggebend für die Frage der Zurücknahme des Kindes durch
die Mutter kann nur das Wohl des Kindes sein. Entscheidend ist dabei,
ob die seelische Verbindung zwischen Kind und Mutter intakt ist und ob
deren Erziehungsfähigkeit und Verantwortungsbewusstsein eine Übertragung
der Obhut an die Mutter unter Beachtung des Kindeswohls zu rechtfertigen
vermögen. Ein Entscheid, der die Verhältnisse auf seiten der Mutter nicht
prüft, verletzt Art. 4 BV (E. 6).

Sachverhalt

    A.- Der 1981 geborene Knabe M. E. lebt seit dem Spitalaustritt nach
seiner Geburt bei seinen Grosseltern väterlicherseits, der Familie H. Er
steht unter der elterlichen Gewalt seiner Mutter K. E.

    Die Mutter wohnte mit dem Kind und dem Vater H. H. vorerst bei
den Eltern des letzteren in B. Im Juli 1983 zog sie zu ihren Eltern
nach X. und versuchte, das Kind zu sich zu holen. Dieser Versuch,
der vom Gemeinderat X. unterstützt wurde, scheiterte am Widerstand der
Familie H. und des Beistandes des Kindes. Eine Beschwerde der Mutter
gegen den die Umplazierung ablehnenden Beistand wurde vom Gemeinderat
B. abgewiesen, während der Regierungsstatthalter eine weitere Beschwerde
von ihr guthiess. Beide Instanzen stützten sich bei ihrem Entscheid auf
kinderpsychiatrische Gutachten.

    Der Vater H. H. focht den Entscheid des Regierungsstatthalters
beim Regierungsrat des Kantons Luzern an. Er verlangte die Aufhebung
dieses Entscheides und die Abweisung des Begehrens um Umplazierung des
Knaben M. E. Zudem beantragte er die Befragung des Beistandes über die
neueste Entwicklung in den Erziehungsverhältnissen des Kindes und über
die Frage einer allfälligen Umplazierung. Die Mutter ihrerseits wollte
diese Anträge abgewiesen wissen und verlangte, dass vom Gemeinderat
X. sowie von einem von ihr bezeichneten Behördenmitglied ein Amtsbericht
eingeholt werde. Eventuell sei bei der Mutter und ihren Eltern sowie bei
ihrer Schwester ein Augenschein vorzunehmen. Auch der Regierungsstatthalter
beantragte die Abweisung der Beschwerde des H. H., während der Beistand auf
die optimale Unterbringung des Knaben in der Pflegefamilie H. hinwies. Der
Gemeinderat B. hielt grundsätzlich an seinem Entscheid fest.

    B.- Der Regierungsrat des Kantons Luzern hiess die Beschwerde von
H. H. gut und lehnte damit die Umplazierung des Kindes M. E. zu seiner
Mutter ab. Die hierauf von dieser erhobene staatsrechtliche Beschwerde
wurde vom Bundesgericht gutgeheissen.

Auszug aus den Erwägungen:

                      Aus den Erwägungen:

Erwägung 4

    4.- Der Regierungsrat des Kantons Luzern ist in seinem Entscheid davon
ausgegangen, dass es sich bei der Plazierung des Knaben M. E. um eine
Kindesschutzmassnahme im Sinne der Art. 308 und 310 ZGB handle. Sie
diene dem Kindeswohl und solle eine Gefährdung des Kindes abwenden. Im
vorliegenden Fall sei insbesondere zu beachten, dass die Kontinuität eines
guten Aufenthaltsortes für die Entwicklung eines Kindes von entscheidender
Bedeutung sei.

    Gestützt auf ein Gutachten und insbesondere ein Ergänzungsgutachten des
leitenden Arztes des Kinder- und Jugendpsychiatrischen Dienstes des Kantons
Luzern, gelangt der Regierungsrat sodann zur Feststellung, die Pflegemutter
H. sei sozialpsychisch als Mutter des Knaben zu betrachten. Dieser lebe
seit seiner Geburt in der Familie der Pflegemutter und erhalte von ihr
jene mütterliche Zuwendung, die für ein Kind im Säuglings- und frühen
Kindesalter nötig sei. Zur Pflegemutter stehe der Knabe in einer intensiven
emotionalen Resonanz, und er werde in der Pflegefamilie als eines der
"eigenen Kinder" gepflegt und gefördert. Eine Umplazierung aus dieser
Familie in völlig andere Lebensverhältnisse würde nach den Ausführungen des
Spezialarztes für den Knaben eine schwerwiegende Belastung bedeuten. Er
bedürfe für seine weitere Entwicklung dringend der Geborgenheit bei
der Pflegemutter und seinem leiblichen Vater. Wegen seiner allgemeinen
Empfindlichkeit sei der Knabe auf die Kontinuität in der Beziehung zu
Erwachsenen angewiesen. Werde diese Kontinuität unterbrochen, so müsse
mit einer ernsthaften Gefährdung des Knaben gerechnet werden. Es komme
zu Verunsicherungen, die nicht nur die Stabilität in der Entwicklung
der körperlichen Gesundheit des Kindes, sondern auch seine seelische
Widerstandskraft erheblich belasteten. Die ernstliche Gefährdung
bestehe im Hinblick auf die Persönlichkeitsentwicklung mit vorzeitiger
Verselbständigung, Labilität im gemüthaften Bereich, Erschwerung sozialer
Anpassung, unter anderem auch in der Gruppe anderer Kinder, sowie in einer
zunehmenden Retardierung, die sich zum Beispiel dahingehend auswirke,
dass der Knabe bis zur Erreichung des Schuleintrittsalters die Schulreife
nicht erlange. An sich könne bei jedem Kind, das im Alter von M. E. die
Bezugsperson wechsle, von einer Gefährdung gesprochen werden; doch bei
diesem scheine eine besondere Gefährdung vorzuliegen. Die Vorgeschichte
des Knaben weise bereits auf Empfindlichkeiten in psychosomatischer
Hinsicht. Durch die erschwerten Umstände bei der Geburt seien zusätzliche
Belastungen entstanden, die erst später (mit der Einschulung) in
der Form verminderter Leistungsfähigkeit und herabgesetzter sozialer
Anpassungsfähigkeit in Erscheinung treten würden. Um diese ernsthafte
Gefährdung auszuschliessen, die nicht nur die gegenwärtige Situation des
Knaben, sondern auch seine weitere Persönlichkeitsentwicklung bis ins
Erwachsenenalter hinein beeinträchtigen könnte, sollte eine Umplazierung
zu der in erwiesenermassen weniger stabilen Verhältnissen lebenden Mutter
vermieden werden.

    Der Erziehungsfähigkeit der leiblichen Mutter kommt nach der Auffassung
des Regierungsrats keine entscheidende Bedeutung zu. Ausschlaggebend
sei vielmehr, dass nicht die leibliche Mutter, sondern die Pflegemutter
sozialpsychisch für den Knaben als Mutter gelte. Der Knabe habe aber nicht
nur zu seiner Pflegemutter, sondern auch zu seinem leiblichen Vater, der
sich zur Zeit ebenfalls noch im gemeinsamen Haushalt aufhalte, und zum
Pflegevater starke Beziehungen. Zu bedenken sei auch, dass der Knabe, wenn
er zu seiner leiblichen Mutter umplaziert würde, während deren Arbeitszeit
von den Grosseltern mütterlicherseits betreut werden müsste. Damit verlöre
das Kind nicht nur den Kontakt zu seinen bisherigen Bezugspersonen,
sondern es würden überdies neue Personen in sein Leben treten, was nicht
im Interesse der für den Knaben so wichtigen Kontinuität läge.

Erwägung 5

    5.- Es fällt auf, dass der Regierungsrat in einer Weise
argumentiert, als ob es sich im vorliegenden Fall um eines der üblichen
Pflegeverhältnisse handeln würde, welches zum Wohl des Kindes nach
Massgabe von Art. 310 Abs. 3 ZGB aufrechterhalten werden muss. Der
Regierungsrat stützt denn auch seinen Entscheid auf die Art. 308 und 310
ZGB, insbesondere - wie vor allem der Vernehmlassung zu entnehmen ist -
auf Art. 310 Abs. 3 ZGB.

    Nun steht aber fest, dass die Beschwerdeführerin seit der Geburt
ihres Kindes mit diesem zusammen bei den Grosseltern väterlicherseits, den
heutigen Pflegeeltern, Aufnahme gefunden hat und während dreier Jahre mit
dem Kind zusammen dort gelebt und das Kind auch selbst betreut hat. Nicht
unter der Obhut seiner Mutter hat das Kind lediglich während der Dauer
des Umplazierungs- bzw. Beschwerdeverfahrens gelebt; in dieser Zeit blieb
der Knabe bei der Familie H., während seine Mutter zu ihren Eltern nach
X. zog. Der hier zu beurteilende Fall unterscheidet sich demnach wesentlich
von Pflegeverhältnissen, wie sie von Art. 310 Abs. 1 und 3 ZGB ins Auge
gefasst werden (HEGNAUER, Grundriss des Kindesrechts, 2. Auflage Bern
1983, S. 155; SCHNYDER, Kindesrecht, Supplement zu Tuor/Schnyder, ZGB,
Zürich 1977, S. 57 f.).

    Angesichts dieser von normalen Pflegeverhältnissen völlig verschiedenen
Ausgangslage erscheint der Vorwurf der Beschwerdeführerin berechtigt,
der Regierungsrat habe ihrer Erziehungsfähigkeit keine entscheidende
Bedeutung zugemessen und damit Art. 310 ZGB offensichtlich falsch und
demnach willkürlich angewendet. Art. 310 Abs. 3 ZGB will verhindern, dass
ein Kind, welches gestützt auf Art. 310 Abs. 1 ZGB oder vom Inhaber der
elterlichen Gewalt freiwillig bei Dritten in Pflege gegeben worden ist,
dort längere Zeit gelebt hat und am Pflegeort stark verwurzelt ist,
vom Pflegeplatz unversehens weggenommen wird, so dass seine weitere
seelisch-geistige und körperliche Entwicklung ernsthaft gefährdet
wird. Eltern, die sich trotz der Fremdplazierung um den Aufbau und
die Pflege einer persönlichen Beziehung zu ihrem Kind bemüht haben,
brauchen indessen nicht zu befürchten, dass Art. 310 Abs. 3 ZGB mit
Erfolg gegen ihre ernsthafte Absicht, das Kind eines Tages wieder
selbst zu betreuen und zu erziehen, angerufen werden könnte (vgl.
Botschaft des Bundesrates an die Bundesversammlung über die Änderung des
Schweizerischen Zivilgesetzbuches (Kindesverhältnis) vom 5. Juni 1974,
BBl 1974 II, S. 83; HEGNAUER, aaO, S. 155). Die Beschwerdeführerin bringt
deshalb grundsätzlich zutreffend vor, dass die elterliche Gewalt und die
daraus fliessenden Rechte und Pflichten sowie die elterliche Gemeinschaft
mit dem Kind den Kindesschutzmassnahmen vorgehen. Letztere sind - im
wohlverstandenen Kindesinteresse - nur anzuordnen, wenn die Eltern in
Pflege und Erziehung versagen oder wenn die alleinstehende Mutter aus
Gründen, die in ihrer Persönlichkeit oder in den äusseren Verhältnissen
liegen, ihren Elternpflichten nicht nachzukommen vermag. Liegen keine
solchen den Entzug der elterlichen Obhut rechtfertigenden Umstände vor,
so könnte der Mutter die Mitnahme ihres Kindes an ihren neuen Wohnort nur
verwehrt werden, wenn konkret dargetan wäre, dass wegen der Verwurzelung
des Kindes am bisherigen Wohnort und wegen der körperlichen oder seelischen
Konstitution des Kindes eine schwerwiegende Gefährdung seiner Entwicklung
zu befürchten wäre. Wenngleich die Interessen der Eltern hinter das Wohl
des Kindes zurückzutreten haben, sollen vorhandene lebendige Bande zwischen
Mutter und Kind nicht ohne Not zerrissen oder auch nur gefährdet werden
(vgl. HEGNAUER, Kommentar zu Art. 284 aZGB, N. 8, 8a).

    Bei der Umplazierung eines Kleinkindes, um die es im vorliegenden Fall
geht, ist deshalb einerseits das Kindeswohl wichtig, ja vorrangig, und
steht deshalb die Frage im Vordergrund, ob seine Entwicklung eine Rücknahme
durch die leibliche Mutter, in deren Obhut es bis zu deren Wegzug vom Heim
der Pflegefamilie stand, ohne ernsthafte Gefährdung erträgt. Neben dem
Kindeswohl ist aber auch dem natürlichen Recht der leiblichen Mutter,
ihr Kind weiterhin selbst zu betreuen, zu pflegen und zu erziehen,
Rechnung zu tragen. Entgegen der Auffassung des Regierungsrates ist es
deshalb entscheidend, ob die Beziehungen der Beschwerdeführerin zu ihrem
Kind auch seit der Trennung ungetrübt und genügend intensiv geblieben
sind. Sodann ist es wesentlich, ob die Beschwerdeführerin aufgrund ihrer
Persönlichkeit, ihres Verantwortungsbewusstseins und ihrer erzieherischen
Fähigkeiten wie auch aufgrund der äusseren Umstände, in denen sie lebt,
die Pflichten als Mutter zu erfüllen vermag.

    Ohne die Interessen des Kindes einerseits und jene der Mutter
anderseits gegeneinander abzuwägen, hat der Regierungsrat des
Kantons Luzern den angefochtenen Entscheid ausschliesslich unter dem
Blickwinkel des Kindeswohls gefällt. Dabei hat er Ausführungen des
kinderpsychiatrischen Experten, die recht allgemein, zum Teil höchst
vage gehalten sind und für irgendwelche Kinder im Alter von M. E. Geltung
beanspruchen könnten, zu seiner eigenen Argumentation gemacht, indessen
aber die besondere Ausgangslage - Zusammensein von Mutter und Kind während
dreier Jahre im Haushalt der Grosseltern väterlicherseits, Wegfall der
mütterlichen Obhut erst seit dem Wegzug der Beschwerdeführerin von B. -
ausser acht gelassen. Dadurch sowie durch das Ignorieren der wichtigen
Frage der Erziehungsfähigkeit der leiblichen Mutter und der Verhältnisse,
in denen sie lebt, hat der Regierungsrat einen Entscheid getroffen, der
vor Art. 4 BV nicht standhält. Zu Recht hatte die Beschwerdeführerin im
kantonalen Verfahren die Einholung eines Amtsberichtes des Gemeinderats von
X. und des von ihr bezeichneten Behördenmitgliedes, einen Augenschein oder
andere Abklärungen verlangt, wodurch die Fähigkeiten und Möglichkeiten der
Mutter zur Pflege und Erziehung ihres Kindes hätten festgestellt werden
können. Wenn der Regierungsrat die Beweisangebote der Beschwerdeführerin
allein mit der Begründung abgelehnt hat, nicht die leibliche Mutter,
sondern die Pflegemutter gelte für den Knaben sozialpsychisch als Mutter
und es komme deshalb nicht entscheidend auf die Erziehungsfähigkeit
der Beschwerdeführerin an, so wird er damit der Besonderheit des Falles
und der in der Tat nicht einfachen Abgrenzung zwischen dem Kindeswohl
einerseits und den berechtigten Ansprüchen der leiblichen Mutter, welche
die elterliche Gewalt ausübt, nicht gerecht. Der Beschwerdeführerin
muss deshalb auch unter dem bloss beschränkten Gesichtswinkel der
Willkürbeschwerde zugestanden werden, dass über ihre Erziehungsfähigkeit,
die Beziehungen zwischen ihr und dem Kind sowie über die Stabilität ihrer
Lebensverhältnisse tatsächliche Feststellungen getroffen werden.

Erwägung 6

    6.- Der Regierungsrat des Kantons Luzern hat vor allem der Kontinuität
des Aufenthaltsortes und der Beziehungen des Kindes zu Erwachsenen
entscheidende Bedeutung beigemessen. Dieser Standpunkt deckt sich
grundsätzlich mit der Absicht des Gesetzgebers, die er in Art. 310
Abs. 3 ZGB konkretisiert hat (vgl. Botschaft des Bundesrates, aaO,
S. 83). Er findet jetzt auch seinen Niederschlag in der Rechtsprechung
zum Scheidungsrecht und in der Lehre (vgl. HAUSHEER, Die Zuteilung der
elterlichen Gewalt im Scheidungsverfahren nach der neueren Rechtsprechung
des Bundesgerichts, ZVW 38/1983, S. 121 ff.). So ist dem Regierungsrat
denn auch beizupflichten, dass bei Kindern im allgemeinen, bei kleinen
Kindern im besonderen stabile äussere Verhältnisse und gefestigte innere
Beziehungen zu bestimmten Bezugspersonen von wesentlicher Bedeutung
für eine gesunde Entwicklung der gesamten Persönlichkeit sind. Sofern
daher der Regierungsrat nach Vornahme der notwendigen Abklärungen auf
seiten der Beschwerdeführerin und ihrer Eltern dazu käme, in Abwägung
des Kindeswohls und des Interesses der Beschwerdeführerin an einer
Gemeinschaft mit ihrem Sohn die äussere und innere Stabilität auf seiten
der heutigen Pflegefamilie und deren Erziehungsfähigkeit als wesentlich
grösser zu bezeichnen, liesse sich unter dem Blickwinkel von Art. 4 BV
ein entsprechender Entscheid kaum beanstanden. Er könnte vor allem dann
nicht umgestossen werden, wenn feststünde, dass die Umplazierung eine
ernsthafte Gefährdung des Kindes in seiner seelischen und körperlichen
Entwicklung befürchten liesse.

    Bloss allgemeine Überlegungen zur Gefahr, dass sich eine Umplazierung
für den Knaben nachteilig auswirken könnte, wie sie der Regierungsrat
durch Übernahme der Ausführungen des Experten angestellt hat, vermöchten
allerdings nicht zu genügen. Der Regierungsrat sagt nicht klar, worin diese
Nachteile im konkreten Fall bestehen. Lediglich materielle Vorzüge auf
seiten des heutigen Pflegeplatzes, die durch eine Umplazierung eingebüsst
würden, dürften nicht entscheidend ins Gewicht fallen (vgl. HEGNAUER,
Kommentar zu Art. 284 aZGB, N. 7). Ebensowenig kann ausschlaggebend sein,
dass der Knabe, wenn er wieder in die Obhut seiner leiblichen Mutter käme,
während deren Arbeitszeit von den Grosseltern betreut werden müsste,
was - so der Regierungsrat - bei Verlust der bisherigen Bezugspersonen
Bindungen an neue Personen zur Folge hätte, die in das Leben des
Kindes treten. Dieses Argument, mit dem der Regierungsrat wiederum
die Besonderheit der vorliegenden Umstände aus den Augen verliert,
lässt sich nicht halten. Der Knabe würde nämlich mit der Umplazierung
zu seiner Mutter die bisherigen Bezugspersonen - seine Grosseltern
väterlicherseits und auch den Vater - nicht notwendigerweise verlieren;
durch die Einräumung eines Besuchsrechtes (welches offenbar bereits zur
Diskussion stand) kann der Entfremdung gegenüber diesen Personen begegnet
werden. Anderseits treten mit den Grosseltern mütterlicherseits auch nicht
dem Kind völlig fremde Personen in sein Leben. Davon abgesehen, kann
ein seelisch gesundes Kind von nunmehr vier Jahren bei guter Beziehung
zu seiner Mutter auch die Begegnung und das Zusammenleben mit ihm
bisher nicht oder wenig bekannten Menschen verkraften. Die Psychologie
anerkennt heute, dass vielfältige Begegnungen im Kleinkindalter - unter
der selbstverständlichen Voraussetzung, dass sie positiv sind - sich sogar
fördernd auswirken. Ausschlaggebend könnte deshalb auch für einen neu
zu fällenden Entscheid wiederum nur sein, ob die seelische Verbindung
zwischen Kind und Mutter intakt ist und ob deren Erziehungsfähigkeit
und Verantwortungsbewusstsein - im Zusammenwirken mit den äusseren
Verhältnissen, in welchen die Mutter lebt - eine Übertragung der Obhut
an die Beschwerdeführerin im heutigen Zeitpunkt und unter Beachtung des
Kindeswohls zu rechtfertigen vermögen.

Erwägung 7

    7.- Wenn demnach der angefochtene Entscheid keine dem konkreten
Fall gerechte Beurteilung zulässt, weil die derzeitigen Verhältnisse
auf seiten der leiblichen Mutter nicht geklärt wurden, kann er nicht
geschützt werden. Der Entscheid verletzt offensichtlich den aus Art. 301
und Art. 310 Abs. 3 ZGB fliessenden Rechtsanspruch der Beschwerdeführerin
darauf, ihre eigene Erziehungsfähigkeit und ihre Fähigkeit, dem unter
ihrer elterlichen Gewalt stehenden Kind stabile äussere und innere
Verhältnisse zu schaffen, nachzuweisen. In diesem Sinne muss die Rüge,
der Entscheid des Regierungsrates des Kantons Luzern verletze Art. 4 BV,
als begründet betrachtet werden, was zu seiner Aufhebung führt.