Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 111 III 77



111 III 77

19. Entscheid der Schuldbetreibungs- und Konkurskammer vom 18. Juli
1985 i.S. G. (Rekurs) Regeste

    Art. 128 Abs. 2 VZG.

    Die Verwertung von Grundstücken im Konkurs vor Erledigung der
Kollokationsprozesse ist angezeigt, wenn bei sofortigem Verkauf ein
bedeutend höherer Erlös erzielt werden kann als bei Zuwarten mit der
Verwertung bis nach Abschluss der Prozesse.

Sachverhalt

    A.- Das Konkursamt Oerlikon-Zürich amtet als Konkursverwaltung im
Konkurs der X. AG. Am 19. Oktober 1984 stellte das Konkursamt bei der
unteren kantonalen Aufsichtsbehörde über Schuldbetreibung und Konkurs
gestützt auf Art. 128 Abs. 2 VZG das Gesuch um Bewilligung der vorzeitigen
Verwertung der in Zürich-Schwamendingen gelegenen Liegenschaften der
Konkursitin. Die untere Aufsichtsbehörde hat diesem Gesuch mit Entscheid
vom 17. April 1985 entsprochen. Hiegegen erhob der Konkursgläubiger
G. Rekurs an die obere kantonale Aufsichtsbehörde, der am 26. Juni 1985
abgewiesen wurde.

    G. führt Rekurs an die Schuldbetreibungs- und Konkurskammer des
Bundesgerichts mit dem Antrag, den Beschluss der obern kantonalen
Aufsichtsbehörde aufzuheben und das Gesuch um Bewilligung der vorzeitigen
Verwertung der fraglichen Liegenschaften abzuweisen.

    Das Bundesgericht weist den Rekurs ab, soweit auf ihn einzutreten ist.

Auszug aus den Erwägungen:

Die Schuldbetreibungs- und Konkurskammer zieht in Erwägung:

Erwägung 1

    1.- Gemäss Art. 128 Abs. 1 VZG darf die Verwertung von Grundstücken
im Konkursverfahren, selbst im Falle der Dringlichkeit, erst stattfinden,
wenn allfällige Kollokationsprozesse über geltend gemachte Pfandrechte oder
andere beschränkte dingliche Rechte rechtskräftig erledigt sind. Diese
Bestimmung beruht auf der Überlegung, dass bei der Verwertung von
Grundstücken nur dann ein ihrem wahren Wert entsprechender Erlös erzielt
werden kann, wenn Klarheit über die zu überbindenden Lasten besteht (BGE
107 III 90). Indessen sieht Art. 128 Abs. 2 VZG eine Ausnahme von dieser
Regel vor, wenn ganz besondere Umstände eine unverzügliche Verwertung
erfordern. Ist diese Voraussetzung erfüllt, so können nur besonders
wichtige Interessen die Verweigerung der Bewilligung zur vorzeitigen
Verwertung rechtfertigen. Der Entscheid darüber, ob Art. 128 Abs. 2
VZG anzuwenden und die vorzeitige Verwertung nach diesen Grundsätzen
im einzelnen Fall gerechtfertigt sei, liegt weitgehend im Ermessen der
kantonalen Aufsichtsbehörden. Das Bundesgericht kann nur eingreifen,
wenn die kantonalen Behörden die erwähnten Grundsätze verkannt oder bei
ihrer Anwendung das ihnen zustehende Ermessen überschritten haben (BGE
96 III 84 E. 1).

Erwägung 2

    2.- Im vorliegenden Fall hat die obere kantonale Aufsichtsbehörde die
besondern Umstände, welche eine vorzeitige Verwertung der Liegenschaften
rechtfertigen, einmal darin erblickt, dass die laufenden Hypothekarzinsen
seit Beginn des Konkurses durch die Nettoeinnahmen aus der Vermietung
der Liegenschaften nur noch teilweise gedeckt werden können. Das
jährliche Defizit beträgt mindestens Fr. 270'000.--, auch wenn nur die
Zinsen von unbestrittenen Grundpfandrechten berücksichtigt werden. Im
weitern hat die Vorinstanz auch darauf hingewiesen, dass für die zu
verwertenden Liegenschaften eine rechtskräftige Baubewilligung vorliegt,
welche am 21. September 1985 erlischt. Dass eine Verwertung vor Ablauf
der Baubewilligung einen bedeutend höhern Verkaufserlös ergeben wird,
geht aus den Angeboten verschiedener Interessenten hervor, die mehrere
Hunderttausend Franken höher liegen für den Fall, dass die Baubewilligung
nicht verfällt. Die Aufsichtsbehörde hat daher angesichts des zu
erwartenden jährlichen Defizits und des Mindererlöses bei Verwirkung
der Baubewilligung die Verwertung der streitigen Liegenschaften als
besonders dringlich im Sinne von Art. 128 Abs. 2 VZG erachtet. Hingegen
hat die Vorinstanz den Einwand des Rekurrenten, die Bieter sollten vor
der Steigerung über den Bestand der dinglichen Rechte orientiert sein,
da sonst ein Zustand der Ungewissheit entstehe, der zu einem schlechteren
Verwertungserlös führen könne, im Hinblick auf den drohenden Verlust beim
Hinausschieben der Verwertung als nicht stichhaltig abgelehnt.

Erwägung 3

    3.- In der vorliegenden Rekursschrift beanstandet der Rekurrent
zunächst, dass sich die kantonale Aufsichtsbehörde zur Feststellung des
jährlichen Betriebsverlustes aus den fraglichen Liegenschaften lediglich
auf die vom Konkursamt eingereichte Verwaltungsabrechnung gestützt habe,
während sie den vom Rekurrenten ins Recht gelegten Mieterspiegel, der
jährliche Mietzinseinnahmen von Fr. 410'424.-- ausweise, ausser Betracht
gelassen habe. Bei einer sorgfältigen Verwaltung der Liegenschaften
könnten diese Mietzinseinnahmen nach Ansicht des Rekurrenten auch weiterhin
erzielt werden, so dass das Betriebsdefizit wesentlich geringer ausfallen
würde, als dies von der Vorinstanz angenommen wurde.

    Damit kritisiert der Rekurrent indessen die von der Vorinstanz
vorgenommene Beweiswürdigung, was im Rekursverfahren vor Bundesgericht
nicht zulässig ist. Er könnte höchstens geltend machen, der oberen
kantonalen Aufsichtsbehörde sei ein offensichtliches Versehen unterlaufen
oder sie habe bundesrechtliche Beweisvorschriften verletzt (Art. 63
Abs. 2 in Verbindung mit Art. 81 OG). Der Rekurrent bringt jedoch nichts
Derartiges vor. Er behauptet lediglich, dass die Liegenschaften vor dem
Konkurs mehr abgeworfen hätten, was er mit dem eingereichten Mieterspiegel,
der Mietzinseinnahmen von Fr. 410'424.-- pro Jahr ausweist, belegen
wollte. Die Vorinstanz hat dieses Aktenstück nicht übersehen; sie hat
sich vielmehr damit auseinandergesetzt, indem sie festgestellt hat, dass
die Berechnung des Rekurrenten nicht mehr der Realität entspreche. Der
Rekurrent habe nämlich in seinen Vorbringen nicht berücksichtigt, dass
er selber einen monatlichen Mietzins von Fr. 3'200.-- zu bezahlen,
seit Mai 1984 aber keine Miete mehr entrichtet habe. Ferner übersehe
er, dass aus den Mietzinseinnahmen neben den Grundpfandzinsen auch
die laufenden Unkosten wie Versicherungsprämien, Strom, Reparaturen
usw. beglichen werden müssten. Der Vorwurf des Rekurrenten, die
Vorinstanz sei auf seine diesbezüglichen Argumente nicht eingegangen,
trifft daher nicht zu. Die kantonale Aufsichtsbehörde hat im Gegenteil
seine Einwendungen geprüft, und das Ergebnis ihrer Beweiswürdigung ist
für das Bundesgericht verbindlich. Schliesslich bleibt zu bemerken, dass
selbst bei Übernahme des Standpunkts des Rekurrenten die Mietzinseinnahmen
von Fr. 410'424.-- nicht einmal genügen würden, die Grundpfandzinsen,
die gemäss Lastenverzeichnis sich jährlich auf mindestens Fr. 501'937.50
und auf höchstens Fr. 627'937.50 belaufen, zu decken, ohne dass dabei
den Unterhaltskosten noch Rechnung getragen würde.

Erwägung 4

    4.- Im weitern kritisiert der Rekurrent die Annahme der Vorinstanz,
dass eine Verwertung der Liegenschaften vor Ablauf der Baubewilligung
einen bedeutend höheren Verkaufserlös ergeben werde. Auch in diesem
Zusammenhang beruft sich der Rekurrent auf neue Tatsachen, ohne der
oberen Aufsichtsbehörde ein offensichtliches Versehen oder eine Verletzung
bundesrechtlicher Beweisvorschriften vorzuwerfen. Auf die vorgebrachten
neuen Tatsachen, die sich erst nach Erlass des angefochtenen Entscheides
ereignet haben sollen, ist nicht einzutreten. Im übrigen nützt es dem
Rekurrenten auch nichts, wenn er behauptet, die Gläubigerversammlung
vom 9. Juli 1985 habe beschlossen, aus der Konkursmasse die nötigen
Mittel bereitzustellen, um mit den notwendigen Arbeiten beginnen zu
können und dadurch den Verfall der Baubewilligung zu verhindern. Zwar
ist diese Massnahme durchaus geeignet, die Baubewilligung auch nach dem
21. September 1985 aufrechtzuerhalten, doch müssten diese Arbeiten ständig
weitergeführt werden, um auch ein späteres Erlöschen der Bewilligung
auszuschliessen. Niemand kann jedoch von der Konkursverwaltung verlangen,
dass sie während der ganzen Dauer der Kollokationsprozesse Arbeiten
ausführen lasse.

Erwägung 5

    5.- Die Vorbringen des Rekurrenten vermögen daher nichts an den für das
Bundesgericht verbindlichen tatsächlichen Feststellungen der Vorinstanz
zu ändern. Aus diesen ergibt sich, dass ein Aufschub der Verwertung der
Liegenschaften der Konkursitin bis nach Abschluss der Kollokationsprozesse
zu einem schlechteren Verkaufserlös führen würde. Zwar werden die
Grundpfandgläubiger vermutlich trotzdem gedeckt werden. Hingegen wird
der Verlust der Fünftklassgläubiger um so grösser werden, je länger die
Hypothekarzinsen laufen. Das Interesse dieser Gläubigerkategorie ist nicht
nur auf die Erzielung eines möglichst hohen Verkaufserlöses gerichtet,
sondern auch darauf, dass dieses Ergebnis durch die zu leistenden
Grundpfandzinsen nicht allzusehr geschmälert werde. Dazu kommt, dass
ein bedeutend höherer Erlös erreicht werden kann, wenn die Verwertung
stattfindet, solange die Baubewilligung noch gültig ist. Unter diesen
Umständen gelingt es dem Rekurrenten nicht darzutun, dass die Vorinstanz
ihr Ermessen überschritten habe, weil sie die vorzeitige Verwertung der
streitigen Liegenschaften als besonders dringlich bezeichnet hat. Die obere
kantonale Aufsichtsbehörde hat sich vielmehr bei ihrem Entscheid an die vom
Bundesgericht in seiner Rechtsprechung zu Art. 128 Abs. 2 VZG aufgestellten
Kriterien gehalten. Eine Bundesrechtsverletzung kann ihr daher nicht
vorgeworfen werden. Der Rekurs erweist sich damit als unbegründet.