Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 111 III 73



111 III 73

18. Auszug aus dem Urteil der I. Zivilabteilung vom 3. September 1985 i.S.
Bank F. gegen Konkursmasse H. (Berufung) Regeste

    Abgetretene künftige Forderungen im Konkurs des Zedenten.

    1. Umfang und Rechtswirkungen des Konkursbeschlags (Art. 92, 197
Abs. 1 und Art. 204 Abs. 1 SchKG) (E. 2).

    2. Abgetretene künftige Forderungen, die nach Eröffnung des Konkurses
über den Zedenten entstehen, fallen nicht in das Vermögen des Zessionars
sondern in die Konkursmasse (E. 3).

Sachverhalt

    A.- H., der in Bad Ragaz ein Maler- und Gipsergeschäft betrieb,
trat der Bank F. am 26. September 1979 seine gegenwärtigen und künftigen
Forderungen und am 30. Juni 1981 eine Forderung von Fr. 95'000.-- aus
dem beabsichtigten Verkauf seiner Eigentumswohnung in Miralago Morcote
ab. Am 1. Juni 1982 fiel er in Konkurs. Am 2. Juni 1982 verkaufte
er jene Eigentumswohnung für Fr. 151'300.--. Die Konkursverwaltung
erachtete den Kaufvertrag als ungültig und kündigte die Verwertung
des Grundstückes an. Die Bank F. erhob für diesen Fall aufgrund der
Abtretungen vom 26. September 1979 und 30. Juni 1981 Anspruch auf den
Verwertungserlös. Die Konkursverwaltung verkaufte die Eigentumswohnung in
der Folge freihändig. Die Käuferin tilgte den Preis von Fr. 151'300.--
durch Übernahme einer Grundpfandschuld von Fr. 90'000.-- sowie durch
Zahlung von Fr. 61'300.--, die bei der Bank U. hinterlegt wurden.

    B.- Später klagte die Bank F. gegen die Konkursmasse H. auf
Feststellung, dass sie an dem hinterlegten Betrag von Fr. 61'300.--
per 24. Juni 1983 nebst den aufgelaufenen Zinsen allein zuständig sei;
die Bank U. sei anzuweisen, ihr den Betrag samt Zinsen auszuzahlen. Die
Konkursmasse H. ersuchte widerklageweise um Feststellung, dass der Betrag
ihr zustehe; sie verlangte ferner, dass die Bank U. angewiesen werde,
ihr die Summe auszuzahlen.

    Das Bezirksgericht Sargans wies die Klage ab und hiess die Widerklage
gut. Das Kantonsgericht St. Gallen wies die von der Klägerin eingelegte
Berufung am 8. Februar 1985 ab.

    C.- Mit eidgenössischer Berufung beantragt die Klägerin, das Urteil
des Kantonsgerichts aufzuheben, die Klage gutzuheissen und die Widerklage
abzuweisen.

    Das Bundesgericht weist die Berufung ab und bestätigt das angefochtene
Urteil.

Auszug aus den Erwägungen:

                      Aus den Erwägungen:

Erwägung 2

    2.- Nach Art. 197 Abs. 1 SchKG bildet sämtliches Vermögen, das dem
Gemeinschuldner zur Zeit der Konkurseröffnung angehört, eine einzige Masse
(Konkursmasse), die der gemeinschaftlichen Befriedigung der Gläubiger
dient. Ausgenommen sind die in Art. 92 SchKG bezeichneten Vermögensteile
(Kompetenzstücke). Zur Konkursmasse gehört ferner auch Vermögen,
das dem Gemeinschuldner während des Konkursverfahrens anfällt. Mit
Ausnahme der Kompetenzstücke unterwirft das Gesetz sämtliches Vermögen
dem Konkursbeschlag, einer öffentlichrechtlichen Beschlagnahme, und
verschafft damit den Gläubigern das Recht, sich aus diesem Vermögen
zu befriedigen (BGE 93 III 107 E. 7 mit Hinweisen). Die Verfügungs-
und Verpflichtungsfähigkeit des Gemeinschuldners über das Vermögen in
der Konkursmasse geht mit der Konkurseröffnung auf die Konkursverwaltung
über, so dass Rechtshandlungen, die er zu derartigen Vermögensstücken nach
Konkurseröffnung vornimmt, den Konkursgläubigern gegenüber ungültig sind
(Art. 204 Abs. 1 SchKG).

Erwägung 3

    3.- a) Besondere Fragen stellen sich freilich im Zusammenhang mit
Forderungen, die der Gemeinschuldner vor Konkurseröffnung abgetreten hat.
Hat die Forderung zur Zeit ihrer Abtretung bereits bestanden, so ist sie
mit der Abtretung in das Vermögen des Zessionars übergegangen. Anders
ist die Rechtslage, wenn eine künftige Forderung abgetreten worden ist;
hier entfaltet die Abtretung nach herrschender Rechtsprechung und Lehre
ihre Wirkung erst im Zeitpunkt, wo die Forderung entsteht. Der Zedent
muss in diesem Zeitpunkt noch Verfügungsmacht über die Forderung besitzen
(BGE 61 II 331 E. 1, 57 II 540 Nr. 84; BECKER, N. 8 zu Art. 164 OR;
BUCHER, OR, S. 492; VON BÜREN, OR Allg. Teil, S. 325; GAUCH/SCHLUEP/JÄGGI,
3. Aufl., N. 2206; FROMER, Die Abtretung künftiger Forderungen, in ZSR
57/1938, S. 325; KELLER/SCHÖBI, Das Schweizerische Schuldrecht, 4. Bd.,
S. 46; LEEMANN, N. 16 zu Art. 835 ZGB; OSER/SCHÖNENBERGER, N. 4 zu
Art. 164 OR; ZOBL, Die Forderungszession im Konkurs des Zedenten, in
Festschrift Arthur Meier-Hayoz, Zürich 1972, S. 145 f.). Daraus zieht
die herrschende Lehre den Schluss, die Forderung falle, wenn sie erst
nach Konkurseröffnung entstehe, nicht in das Vermögen des Zessionars,
sondern in die Konkursmasse.

    b) Dieser Lehre ist vorliegend entgegen der Auffassung der Klägerin
zuzustimmen. Dass der Zessionar die Forderung nur erwerben kann, wenn
der Zedent im Zeitpunkt ihrer Entstehung noch Verfügungsmacht über sie
besitzt, verkennt, wer wie die Klägerin den Zessionar und nicht die
Konkursverwaltung als in jedem Fall forderungsberechtigt bezeichnet
(GUHL/MERZ/KUMMER, OR 7. Aufl., S. 235; JAEGER, Das Bundesgesetz
betreffend Schuldbetreibung und Konkurs, II. Bd., 3. Aufl., N. 1
zu Art. 197 SchKG, S. 4). Gewisse Autoren neigen allerdings nur
im Zusammenhang mit der Abtretung künftiger Lohnforderungen zu
dieser Auffassung (BÜHRLE, Die Lohnzession im schweizerischen Recht,
Diss. Zürich 1952, S. 209 ff.; NÄF, Die Sicherung von Gläubigerrechten
im Hinblick auf den Konkurs des Schuldners, Diss. Freiburg 1983, S. 13;
WALDER, Lohnabtretung und Zwangsvollstreckung, Zürich 1975, S. 75
f.). Da Lohnforderungen indes nicht zum Vermögen im Sinne von Art. 197
SchKG gehören, sind Regeln zur Lohnabtretung auf den vorliegenden Fall
nicht übertragbar. Die Klägerin, die das übersieht, beruft sich daher
zu Unrecht auf BGE 75 III 116 dieser Entscheid hielt klar fest, dass
Lohnforderungen ungeachtet einer Abtretung nicht in die Konkursmasse
fallen; über den Zeitpunkt und die Bedingungen der Entstehung künftiger
Forderungen ist jenem Entscheid nichts zu entnehmen. Dem in BGE 95 III
12 E. 1 veröffentlichten Urteil, wo eine Lohnpfändung mit einer zuvor
erfolgten Lohnabtretung konkurrierte und das Bundesgericht entschied,
die Pfändung könne nicht aufrecht erhalten werden, ist für die besondere
Situation des Konkurses nichts zu entnehmen. Dort ging es vor allem darum,
dass der Zedent einer künftigen Forderung die Rechte des Zessionars
nicht durch spätere gegenteilige Verfügung beeinträchtigen kann. Aus der
blossen Annahme, die künftige Forderung entstehe beim Zessionar, vermag
die Klägerin daher nichts für ihren Standpunkt zu gewinnen.

    c) Sinn und Zweck der konkursrechtlichen Ordnung gebieten es vielmehr,
Forderungen, die vor Konkurseröffnung zwar abgetreten worden, aber erst
nachher entstanden sind, in die Konkursmasse fallen zu lassen. Würde
der Zessionar auch noch nach Ausbruch des Konkurses Gläubiger, könnte
der Zedent durch Zessionen ohne weiteres die konkursrechtliche Ordnung
zu Lasten der Mehrheit der Gläubiger unterlaufen, indem er ihnen mittels
Vorauszessionen wesentliche Teile des Konkursvermögens entzöge, um es einem
einzelnen oder wenigen Gläubigern zuzuwenden, ohne dass er damit bereits
Anlass für eine Anfechtungsklage gemäss Art. 285 ff. SchKG geben müsste
(dazu BGE 101 III 92 ff.). Das Interesse der Gesamtheit der Gläubiger am
Konkursvermögen muss daher demjenigen einzelner Gläubiger, namentlich der
Kreditgeber an der Sicherung ihrer Forderungen, vorgehen. Nur diese Lösung
trägt dazu bei, dass die Konkursverwaltung nach Möglichkeit ein bestehendes
Gewerbe des Gemeinschuldners unter zumutbaren wirtschaftlichen Bedingungen
weiterführen kann (AMONN, in BlSchKG 43/1979, S. 137; FROMER, aaO,
S. 325; ZOBL, aaO, S. 146). Auch kann die Konkursverwaltung trotz aller
zwingenden Vorschriften des Konkursverfahrens erheblich Einfluss nehmen
auf die Entscheidung, ob die Forderung überhaupt entstehen soll, indem sie
beispielsweise einen beabsichtigten Kauf gar nicht abschliesst. Daraus
erhellt erneut, dass die abgetretene künftige Forderung nicht bereits
vor ihrer Entstehung aus dem Vermögen des Gemeinschuldners ausgeschieden
sein kann; selbst JAEGER (aaO), der eine abweichende Auffassung vertritt,
will in solchen Fällen zugunsten der Konkursverwaltung eine Ausnahme
machen. Keinen andern Standpunkt als die herrschende schweizerische
Lehre nimmt aus denselben Überlegungen die deutsche Rechtsprechung ein,
die sich freilich auf eine konkrete gesetzliche Bestimmung berufen kann
(§ 15 der deutschen Konkursordnung vom 10. Februar 1877; Entscheid des
BGH vom 5.1.1955, publiziert in NJW 1955 I S. 544 f.).