Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 111 III 66



111 III 66

16. Auszug aus dem Urteil der II. Zivilabteilung vom 14. Oktober 1985 i.S.
Einwohnergemeinde Kölliken gegen P. S. und Obergericht des Kantons Aargau
(staatsrechtliche Beschwerde) Regeste

    Insolvenzerklärung (Art. 191 SchKG).

    Die Annahme, die Gläubiger seien zur Anfechtung der aufgrund einer
Insolvenzerklärung erfolgten Konkurseröffnung nicht legitimiert, ist
nicht willkürlich.

Sachverhalt

    A.- Mit Entscheid vom 6. März 1985 eröffnete das Bezirksgericht Aarau
über P. S. gestützt auf dessen Insolvenzerklärung in Anwendung von Art. 191
SchKG den Konkurs. Gegen diesen Entscheid legte die Einwohnergemeinde
Kölliken beim Obergericht des Kantons Aargau Berufung ein. Sie machte im
wesentlichen geltend, die Insolvenzerklärung sei als rechtsmissbräuchlich
zu betrachten. Das Obergericht trat indessen mit Entscheid vom 19. Juni
1985 auf die Berufung nicht ein, mit der Begründung, die Gemeinde
Kölliken sei als Gläubigerin zur Ergreifung der Berufung gegen die
aufgrund der Insolvenzerklärung des Schuldners erfolgte Konkurseröffnung
nicht legitimiert. Gegen diesen Entscheid hat die Einwohnergemeinde
Kölliken staatsrechtliche Beschwerde wegen Verletzung von Art. 4 BV
erhoben. P. S. und das Obergericht beantragen in ihren Vernehmlassungen
die Abweisung der Beschwerde.

    Das Bundesgericht weist die Beschwerde ab.

Auszug aus den Erwägungen:

                      Aus den Erwägungen:

Erwägung 2

    2.- Das Obergericht hat der Beschwerdeführerin die Legitimation zur
Berufung deswegen abgesprochen, weil sie im Konkurseröffnungsverfahren
aufgrund einer Insolvenzerklärung des Schuldners nicht Partei sei
und weil sie als Drittperson von der Konkurseröffnung nur mittelbar
betroffen werde. Diese Begründung ist zumindest nicht willkürlich.
Die Konkurseröffnung aufgrund einer Insolvenzerklärung erfolgt in der
Tat auf einseitigen Antrag des Schuldners hin. Eine Konkursverhandlung
findet nicht statt, wie auch die Beschwerdeführerin einräumt. Die Gläubiger
werden somit vom Konkursrichter nicht angehört, und das Konkursdekret wird
ihnen auch nicht mitgeteilt. Unter diesen Umständen lässt sich sehr wohl
die Auffassung vertreten, sie seien zur Berufung gegen das Konkursdekret
nicht legitimiert. Aus Art. 174 SchKG, der nach Art. 194 SchKG auch auf
die ohne vorgängige Betreibung erfolgten Konkurseröffnungen anwendbar ist,
ergibt sich nichts anderes. Zwar sagt diese Bestimmung nicht ausdrücklich,
dass nur die Parteien des erstinstanzlichen Konkurseröffnungsverfahrens als
Berufungskläger in Frage kommen. Sie schreibt aber auch das Gegenteil nicht
vor. Der Wortlaut von Art. 174 SchKG, wonach gegen den Entscheid über das
Konkursbegehren binnen zehn Tagen seit dessen Mitteilung Berufung eingelegt
werden kann, spricht eher gegen die Ausweitung der Berufungslegitimation
auf weitere Beteiligte, da diesen der Entscheid über das Konkursbegehren
nicht mitgeteilt wird und deshalb nicht feststünde, wann für sie die
Berufungsfrist zu laufen beginnen würde. Es kann auch nicht gesagt werden,
Art. 174 SchKG habe im Verfahren nach Art. 191 SchKG gar keinen Sinn,
wenn er nicht im Sinne der Beschwerdeführerin ausgelegt würde. Immerhin
räumt er dem Schuldner das Recht ein, gegen die Abweisung seines
Konkursbegehrens Berufung zu erheben. Aber auch gegen die Gutheissung des
Konkursbegehrens ist eine Berufung ausnahmsweise denkbar, dann nämlich,
wenn der Schuldner geltend machen will, die Insolvenzerklärung habe nicht
seinem Willen entsprochen (JAEGER, N. 3 zu Art. 191 SchKG; FRITZSCHE,
Schuldbetreibung und Konkurs, 2. Aufl., Bd. II, S. 33). Zuzugestehen ist
der Beschwerdeführerin, dass die Auffassung des Obergerichts zur Folge
haben kann, dass ein Konkurs aufgrund einer offenbar rechtsmissbräuchlichen
Insolvenzerklärung eröffnet wird, da der Konkursrichter ohne Mitwirkung der
Gläubiger kaum in der Lage ist, einen Rechtsmissbrauch zu erkennen. Diese
Überlegung spricht jedoch nicht zwingend dafür, die Legitimation zur
Berufung auf die Gläubiger auszudehnen. Hätte der Gesetzgeber nämlich
Wert darauf gelegt, dass allfälligen Einwendungen der Gläubiger gegen die
Insolvenzerklärung Rechnung getragen wird, so hätte er zweifellos schon
das erstinstanzliche Verfahren anders organisiert. Nachdem er das nicht
getan hat, darf ohne jede Willkür angenommen werden, solche Einwendungen
seien auch im Berufungsverfahren nicht zu berücksichtigen.

    Die Annahme des Obergerichts, die Legitimation zur Berufung sei
der Beschwerdeführerin auch deswegen zu versagen, weil sie durch den
aufgrund der Insolvenzerklärung über den Beschwerdegegner eröffneten
Konkurs nur mittelbar betroffen werde, ist ebenfalls haltbar. Wohl
hat der Konkurs mannigfache Auswirkungen auf die Rechte der Gläubiger
(vgl. Art. 208 ff. SchKG). Dabei handelt es sich jedoch bloss um eine
Reflexwirkung der Konkurseröffnung. Die Voraussetzungen, unter denen
nach den Ausführungen von GULDENER (Schweizerisches Zivilprozessrecht,
3. Aufl., S. 492) ausnahmsweise am Verfahren nicht beteiligte Dritte
zur Ergreifung eines Rechtsmittels legitimiert sind, sind daher für die
Gläubiger im Verfahren nach Art. 191 SchKG nicht erfüllt, sowenig wie
für die Gläubiger im ordentlichen Konkurseröffnungsverfahren, die nicht
selber das Konkursbegehren gestellt haben. Auch diese können gegen die
ohne ihre Beteiligung erwirkte Konkurseröffnung kein Rechtsmittel erheben,
obwohl sich der Konkurs mittelbar auch auf ihre Rechte auswirkt.

    Im übrigen steht der angefochtene Entscheid sowohl mit der
kantonalen Rechtsprechung als auch mit der Lehre in Einklang (JdT
1962 II S. 126/127; ZBJV 86/1950 S. 535; JAEGER, N. 3 zu Art. 191
SchKG; JAEGER/DAENIKER, N. 3 zu Art. 191 SchKG; BLUMENSTEIN, Handbuch
des schweizerischen Schuldbetreibungsrechtes, S. 605/606; FRITZSCHE,
aaO, S. 33; W. BAUMANN, Die Konkurseröffnung nach dem Bundesgesetz über
Schuldbetreibung und Konkurs, Diss. Zürich 1979, S. 141/142; B. ZAHNER,
Die Berufung gegen Erkenntnisse über Konkursbegehren, Diss. Zürich 1959,
S. 56; R. GENTINETTA, Die Konkurseröffnung ohne vorgängige Betreibung,
Diss. Freiburg 1928, S. 81). Die Beschwerdeführerin weist freilich
darauf hin, das Bundesgericht habe in BGE 32 I 31 im gegenteiligen
Sinn entschieden. Das Bundesgericht hatte indessen in diesem Entscheid
nur zu prüfen, ob es willkürlich sei, den Gläubigern im Verfahren nach
Art. 191 SchKG das Rechtsmittel der Revision zuzugestehen. Wenn es in
diesem Zusammenhang ausführte, es dürfe ohne Willkür angenommen werden,
dass auch die Gläubiger die aufgrund einer Insolvenzerklärung erfolgte
Konkurseröffnung mit Berufung anfechten könnten, so kann daraus nicht
abgeleitet werden, dass umgekehrt die Versagung der Berufung willkürlich
wäre. Abgesehen davon lagen damals insofern besondere Verhältnisse
vor, als der Schuldner die Insolvenzerklärung nicht an seinem Wohnsitz
abgegeben hatte und der Konkurs deshalb nicht am richtigen Ort eröffnet
worden war. Die Regeln über den Ort der Konkurseröffnung sind aber auch
im Interesse der Gläubiger aufgestellt und daher zwingender Natur. Im
ordentlichen Konkursverfahren gilt deshalb eine von einem unzuständigen
Betreibungsamt ausgestellte Konkursandrohung als nichtig (BGE 96 III
33/34 E. 2). Da im Verfahren nach Art. 191 SchKG naturgemäss keine
vorgängige Betreibung stattfindet und keine Konkursandrohung erlassen wird,
mag es gerechtfertigt sein, den Gläubigern zu gestatten, ihr Interesse an
der Durchführung des Konkurses am richtigen Ort auf dem Weg der Berufung
zur Geltung zu bringen (in diesem Sinne JAEGER, N. 3 zu Art. 191 SchKG;
W. BAUMANN, aaO, S. 142 Anm. 1). Darum geht es hier jedoch nicht. Auf
jeden Fall kann unter diesen Umständen nicht gesagt werden, das Obergericht
habe gegen einen klaren und unumstrittenen Rechtsgrundsatz verstossen,
wenn es der Beschwerdeführerin die Legitimation zur Berufung absprach. Die
Beschwerde ist daher abzuweisen.