Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 111 III 21



111 III 21

5. Auszug aus dem Entscheid der Schuldbetreibungs- und Konkurskammer
vom 14. März 1984 i.S. Actimon SA (Rekurs) Regeste

    Anmeldung des Drittanspruchs auf verarrestierte Vermögensgegenstände.

    Der Dritte, der mit der Anmeldung seiner Eigentumsansprache auf
verarrestierte Gegenstände ohne beachtlichen Grund längere Zeit zuwartet,
obwohl ihm bewusst sein muss, dass er damit den Gläubiger zu überflüssigen
Rechtshandlungen veranlasst oder, im Gegenteil, von notwendigen Schritten
abhält, verwirkt sein Recht zur Geltendmachung der Ansprache (E. 2).

    In casu Verneinung einer rechtsmissbräuchlich verspäteten Anmeldung,
da der Rechtsvertreter der Drittansprecherin über eine grosse räumliche
Distanz und in einer fremden Sprache abklären musste, ob seine Mandantin
und die Arrestschuldnerin identische juristische Personen sind oder nicht
(E. 3).

    Rechtsmissbrauch von seiten der Drittansprecherin ist auch deshalb
zu verneinen, weil die Arrestgläubigerin Kenntnis von einer möglichen
Drittansprache hatte und dementsprechend die Opportunität ihres
Arrestbegehrens abschätzen konnte (E. 4).

Sachverhalt

    A.- Am 2. Februar 1984 stellte die Actimon SA, Genf, ein Arrestbegehren
gegen die Libysche Arabische Sozialistische Volks-Jamahirija, d.i. die
Republik Libyen. Als Arrestgegenstand wurden sämtliche Guthaben der
Arrestschuldnerin in Schweizerfranken oder fremden Währungen bei der
Schweizerischen Bankgesellschaft, der Schweizerischen Kreditanstalt, dem
Schweizerischen Bankverein und der Schweizerischen Nationalbank, alle in
Zürich, bezeichnet. Die Arrestgläubigerin verlangte, dass "insbesondere
auch sämtliche Ansprüche und sonstigen Vermögenswerte, die auf den Namen
der Central Bank of Libya oder die National Oil Company (of Libya),
bzw. Übersetzungen dieser Bezeichnungen, lauten" mit Arrest belegt würden.

    Der Einzelrichter im summarischen Verfahren des Bezirksgerichts
Zürich wies mit Verfügung vom 15. Februar 1984 das Arrestbegehren ab,
soweit die Arrestgläubigerin auf den Namen der Central Bank of Libya
bzw. Übersetzungen dieser Bezeichnung lautende Vermögenswerte als
Arrestgegenstand bezeichnet hatte. Auf Rekurs hin hob das Obergericht
des Kantons Zürich am 30. April 1984 diese Verfügung auf und wies den
Einzelrichter an, den Arrestbefehl auch bezüglich der vorstehend erwähnten
Vermögenswerte zu erteilen.

    Am 8. Mai 1984 erliess der Einzelrichter im summarischen Verfahren des
Bezirksgerichts Zürich den Arrestbefehl in dem von der Arrestgläubigerin
Actimon SA gewünschten Sinn. Das Betreibungsamt Zürich 1 vollzog den bei
ihm am 10. Mai 1984 eingegangenen Arrestbefehl Nr. 62 noch gleichentags
am Sitz der Schweizerischen Nationalbank in Zürich. Einem Schreiben des
Bundesamtes für Polizeiwesen vom 20. August 1984 ist zu entnehmen, dass
der Arrestbefehl mit Note Nr. 57/1984, datiert vom 6. August 1984, im
"Bureau Populaire de Liaison Etrangère de la Jamahiriya Arabe Libyenne
Populaire Socialiste" auf diplomatischem Weg übergeben wurde.

    Am 28. Mai 1984 bevollmächtigte die Central Bank of Libya
Rechtsanwalt Dr. X. mit der Vertretung ihrer Interessen. Dieser liess das
Betreibungsamt Zürich 1 am 3. August 1984 wissen, dass seine Mandantin
Eigentum an den verarrestierten Wertschriften beanspruche, und ersuchte
das Betreibungsamt, der Actimon SA Frist zur Widerspruchsklage gemäss
Art. 109 SchKG anzusetzen. Das Betreibungsamt entsprach diesem Ersuchen
am 6. August 1984.

    B.- Die Actimon SA erhob gegen die Fristansetzung durch das
Betreibungsamt Zürich 1 am 17. August 1984 Beschwerde beim Bezirksgericht
Zürich als unterer kantonaler Aufsichtsbehörde über Schuldbetreibung und
Konkurs. Gleichwohl leistete sie der Fristansetzung durch Erhebung der
Widerspruchsklage Folge.

    Mit Beschluss vom 10. Oktober 1984 wies das Bezirksgericht Zürich
die Beschwerde der Actimon SA ab. Ebenso erkannte das Obergericht
(II. Zivilkammer) des Kantons Zürich, an welches die Actimon SA den
erstinstanzlichen Entscheid weiterzog, mit Beschluss vom 4. Februar 1985
auf Abweisung.

    C.- Gegen den Entscheid der kantonalen Aufsichtsbehörde rekurrierte die
Actimon SA an die Schuldbetreibungs- und Konkurskammer des Bundesgerichts.

Auszug aus den Erwägungen:

                      Aus den Erwägungen:

Erwägung 2

    2.- Der Dritte, der mit der Anmeldung seiner Eigentumsansprache auf
gepfändete oder verarrestierte Gegenstände ohne beachtlichen Grund längere
Zeit zuwartet, obwohl ihm bewusst sein muss, dass er damit den Gang des
Betreibungsverfahrens hemmt und den Gläubiger zu unnötigen Schritten
veranlasst, verwirkt sein Recht zur Geltendmachung der Ansprache (BGE 109
III 19f. E. 1, 60f. E. 2c; 104 III 46ff. E. 4; 102 III 143f. E. 3). Doch
ist die verspätete Anmeldung des besseren Rechts in der Regel nicht
rechtsmissbräuchlich, wenn der Drittansprecher nicht persönlich von der
gegen seine Güter gerichteten Massnahme Kenntnis erhalten hat (BGE 109
III 20, 106 III 57, 102 III 144; FRITZSCHE/WALDER, Schuldbetreibung und
Konkurs nach schweizerischem Recht, § 26 Rz. 17; AMONN, Grundriss des
Schuldbetreibungs- und Konkursrechts, § 24 N. 20).

    Es muss deshalb festgestellt werden, zu welchem Zeitpunkt der
Drittansprecher Kenntnis von der Pfändung oder vom Arrest bekommen
hat. Nur wenn bekannt ist, wieviel Zeit zwischen diesem Moment und der
Anmeldung des besseren Rechts verstrichen ist, lässt sich beurteilen, ob
der Dritte in rechtsmissbräuchlicher Weise den Gläubiger zu überflüssigen
Rechtshandlungen veranlasst oder, im Gegenteil, von notwendigen Schritten
abgehalten hat.

Erwägung 3

    3.- a) Im vorliegenden Fall fehlt es an einer Feststellung des
Zeitpunktes, wo die Central Bank of Libya Kenntnis von dem gegen die
Republik Libyen gerichteten Arrest wie auch davon erhalten hat, dass von
diesem Gegenstände erfasst wurden, die sie zu Eigentum beansprucht. Doch
kann in Übereinstimmung mit der kantonalen Aufsichtsbehörde davon
ausgegangen werden, dass die Central Bank of Libya von dieser Tatsache
spätestens am 28. Mai 1984, als sie Rechtsanwalt Dr. X. mit der Wahrung
ihrer Interessen betraute, erfahren hat, also noch vor dem Zeitpunkt,
wo der Arrestbefehl auf diplomatischem Weg der Republik Libyen zukam.

    Es stellt sich deshalb die Frage, ob der Central Bank of Libya ein
Vorwurf daraus zu machen ist, dass sie vom 28. Mai 1984 bis zum 3. August
1984 mit der Anmeldung ihrer Eigentumsansprache zuwartete. Insbesondere
fragt sich, ob die Central Bank of Libya damit die Actimon SA wider Treu
und Glauben zu rechtlichen Schritten veranlasst hat, von welchen diese im
Wissen um das behauptete Eigentum abgesehen hätte, oder ob sie damit die
Actimon SA rechtsmissbräuchlich davon abgehalten hat, andere Schritte zu
unternehmen, um die Forderung gegenüber der Republik Libyen durchzusetzen
und zu sichern.

    b) Mit der Einleitung des Arrestverfahrens ist die Frage aktuell
geworden, ob die Central Bank of Libya eine von der Arrestschuldnerin,
der Republik Libyen, zu unterscheidende juristische Person sei oder
nicht. Sollte diese Frage (über welche der Richter im Widerspruchsverfahren
zu entscheiden haben wird) verneint werden, so wird sich die von der
Central Bank of Libya angemeldete Eigentumsansprache selbstverständlich als
gegenstandslos erweisen; denn die Arrestschuldnerin kann der Gläubigerin
nicht einen Arrestgegenstand dadurch entziehen, dass sie eine mit ihr
identische juristische Person veranlasst, Eigentum daran geltend zu machen.

    Bezüglich dieser Fragen der personalen Identität musste
der Rechtsvertreter der Central Bank of Libya Abklärungen treffen,
bevor er für seine Mandantin tätig werden konnte. Diese Abklärungen
mussten über eine grosse räumliche Distanz vorgenommen werden, wobei -
wie die kantonale Aufsichtsbehörde festgestellt hat und es im übrigen
notorisch ist - als zusätzliches Hindernis die sprachlichen Schwierigkeiten
hinzukamen. Die Eigentumsansprache konnte erst angemeldet werden, als die
eigene Identität der Central Bank of Libya in solcher Weise feststand, dass
gestützt auf diesen rechtserheblichen Sachverhalt die Auseinandersetzung
im Widerspruchsverfahren gewagt werden konnte.

    Vergeblich macht die Rekurrentin zu diesem Punkt geltend, einziges
Beweisstück für die vom Staat getrennte Rechtspersönlichkeit der Central
Bank of Libya sei der Auszug aus dem Banking Law Nr. 4 von 1963, dessen
Übersetzung von der Schweizerischen Botschaft in Tripolis am 21. Juni
1984 beglaubigt wurde, und durch offensichtliches Versehen (im Sinne von
Art. 63 Abs. 2 OG) habe die kantonale Instanz diesem Beweisstück keine
Beachtung geschenkt. Das genannte Datum sagt nichts über die Zeit aus,
welche verstrichen ist, bis dem Rechtsvertreter der Central Bank of Libya
die Übersetzung des Auszugs zukam. Es steht damit auch die Zeit nicht fest,
welche Rechtsanwalt Dr. X. benötigte, um dem Auszug die erforderliche
Information über die Rechtspersönlichkeit seiner Klientin zu entnehmen;
einige Wochen für das Studium dieser zentralen Frage dürfen ihm ohne
weiteres eingeräumt werden.

Erwägung 4

    4.- Hinzu kommt, dass die Actimon SA bis zum 3. August 1984, als
die Central Bank of Libya ihren Eigentumsanspruch anmeldete, nicht
völlig unwissend bezüglich allfälliger Drittansprachen war. Schon
als die Gläubigerin ihr Arrestbegehren stellte, wusste sie, dass der
Arrestgegenstand im Namen der Central Bank of Libya bei der Schweizerischen
Nationalbank hinterlegt war. Sie konnte deshalb jedenfalls in Kenntnis
der vordergründigen Sach- und Rechtslage abwägen, ob sie die bei der
Schweizerischen Nationalbank liegenden Vermögenswerte mit Arrest belegen
oder durch eine andere geeignete Massnahme ihre Forderung gegenüber der
Republik Libyen sichern wollte. Die Gläubigerin konnte das - nicht zuletzt
auch finanzielle - Risiko abschätzen, welches mit der Verarrestierung
dieser Vermögenswerte und der Möglichkeit, dass die Central Bank of Libya
Eigentum daran geltend machen würde, verbunden war.

    Unter diesen Umständen lässt sich nicht behaupten, die Central
Bank of Libya habe mit der Anmeldung ihrer Eigentumsansprache wider
Treu und Glauben zugewartet und damit die Gläubigerin daran gehindert,
die Entscheidungen zu treffen, die sich hinsichtlich des Arrestes und der
übrigen gegen die Schuldnerin zu ergreifenden Massnahmen aufdrängten. Zwar
mag man sich fragen, ob der Dritte, dessen mögliches Eigentum im Augenblick
des Arrestvollzuges sichtbar wird, nicht rechtsmissbräuchlich handelt,
wenn er nicht auf der Stelle sein besseres Recht deutlich kundtut und
damit den Arrestgläubiger in der Meinung bestärkt, er verzichte auf
dessen Geltendmachung. Dem lässt sich im vorliegenden Fall jedoch die
Frage entgegenhalten, ob es der Arrestgläubigerin nicht ihrerseits möglich
gewesen wäre, sich bei der - ihr bekannten - möglichen Drittansprecherin
zu erkundigen, ob sie die Absicht hege, Eigentum zu beanspruchen. Wie dem
auch sei, erscheint die Frist von kaum mehr als zwei Monaten zwischen
dem Zeitpunkt, wo die Central Bank of Libya Kenntnis vom Arrestvollzug
erhalten hat, und dem Zeitpunkt, wo sie ihre Eigentumsansprache angemeldet
hat, als nicht ungebührlich lang - dies, wie oben E. 3b dargelegt, im
Hinblick darauf, dass der Rechtsvertreter der Drittansprecherin sich über
eine grosse räumliche Distanz und in fremder Sprache verständigen musste
und die nicht leichte Aufgabe hatte, die Rechtsbeziehungen zwischen der
Drittansprecherin und der Arrestschuldnerin abzuklären.