Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 111 IB 227



111 Ib 227

44. Auszug aus dem Urteil der I. öffentlichrechtlichen
Abteilung vom 3. Juli 1985 i.S. X gegen Eidg. Militärdepartement
(Verwaltungsgerichtsbeschwerde) Regeste

    Art. 55 EntG; Zuständigkeit zur Beurteilung von Einsprachen gegen
die Enteignung.

    Das Eidg. Militärdepartement ist nach Art. 55 EntG zuständig
zum Entscheid über Einsprachen, die sich gegen Enteignungen für
Waffenplatz-Projekte richten (E. 2a). Diese Regelung steht mit Art. 6
Ziff. 1 EMRK nicht in Widerspruch, da der Entscheid des Departementes im
Verwaltungsgerichtsverfahren der Rechts- und Sachverhaltskontrolle durch
das Bundesgericht unterstellt werden kann (E. 2e).

Sachverhalt

    A.- Im Enteignungsverfahren für den Waffenplatz Rothenthurm
übermittelte der Präsident der Eidg. Schätzungskommission, Kreis
9, die gegen das Projekt erhobenen Einsprachen nach Abschluss der
Einigungsverhandlungen dem Eidgenössischen Militärdepartement (EMD)
zum Entscheid. Verschiedene Einsprecher bestritten hierauf dessen
Kompetenz. Nachdem sich das EMD selbst in einer Zwischenverfügung als zum
Einspracheentscheid zuständig bezeichnet hatte, ersuchten die Einsprecher
das Bundesgericht festzustellen, dass die erstinstanzliche Behandlung
der Einsprachen gegen die Enteignung und die Begehren nach Art. 7-10
EntG im Zusammenhang mit dem geplanten Waffenplatz nicht durch das EMD
erfolgen dürfe; es sei ein anderes Departement mit der Beurteilung der
Einsprachen zu betrauen. Das Bundesgericht weist das Begehren ab, soweit
darauf eingetreten werden kann.

Auszug aus den Erwägungen:

                      Aus den Erwägungen:

Erwägung 2

    2.- Die Beschwerdeführer machen im wesentlichen geltend, das EMD könne
zur Beurteilung der Einsprachen nicht zuständig sein, da es selbst die
Einleitung des Enteignungsverfahrens veranlasst und in Vertretung der
Eidgenossenschaft faktisch selber als Enteigner gehandelt habe. Würde
das Departement sowohl als Partei als auch als entscheidende Instanz
auftreten, würde gegen elementarste Grundsätze der Rechtsstaatlichkeit
und der Gewaltentrennung verstossen. Wohl könne der Einspracheentscheid
vor Bundesgericht angefochten werden, doch verfüge dieses nicht über
volle Kognition, da es die Angemessenheit nicht überprüfen könne. Dadurch
werde der Anspruch auf ein gerechtes Verfahren, wie er in Art. 6 Ziff. 1
EMRK garantiert werde, verletzt. Aus den Materialien zur Revision des
Enteignungsgesetzes von 1970/71 ergebe sich, dass der Gesetzgeber bei der
Neufassung von Art. 55 Abs. 1 EntG, wonach "das in der Sache zuständige
Departement" über Einsprachen zu entscheiden hat, offensichtlich nicht
an den Fall gedacht habe, in dem wie hier das in der Sache zuständige
Departement selber Enteigner oder Vertreter des Enteigners sei. Art. 55 sei
vielmehr auf jene Fälle zugeschnitten, in denen ausserhalb der Verwaltung
stehende Unternehmungen oder weitgehend autonome, aus den Departementen
ausgegliederte Anstalten wie die SBB oder die PTT das Enteignungsrecht
ausübten. Insofern liege hier eine Lücke vor, die vom Bundesgericht zu
füllen sei.

    Dieser Argumentation ist jedoch nicht zu folgen.

    a) Nach Art. 55 Abs. 1 EntG in der Fassung vom 18. März 1971 (in Kraft
seit 1. August 1972) entscheidet über die im Einigungsverfahren streitig
gebliebenen Einsprachen gegen die Enteignung sowie über Begehren nach
den Art. 7-10 das in der Sache zuständige Departement ("le département
compétent en l'espèce", "il dipartimento competente per materia"). Wortlaut
und Sinn dieser Bestimmung sind klar. Aus ihr ergibt sich, dass die
Zuständigkeit zur Beurteilung von Einsprachen, die sich gegen militärische
Werke richten, beim Eidgenössischen Militärdepartement liegt. Die Frage,
wer über Einsprachen gegen militärische Anlagen zu befinden habe,
steht übrigens entgegen dem angefochtenen Entscheid mit der Frage, ob
das EMD gestützt auf Art. 98 des Bundesversammlungsbeschlusses über die
Verwaltung der schweizerischen Armee von sich aus die Einleitung einer
Enteignung verlangen könne (so BGE 109 Ib 133 E. 2) oder es hiefür eines
Beschlusses des Bundesrates bedürfe (vgl. Art. 3 Abs. 1 EntG), in keinem
Zusammenhang. Die Kompetenzzuweisung erfolgt in Art. 55 EntG unabhängig
von der im Einzelfall vorgeschriebenen Art und Weise der Erteilung des
Enteignungsrechtes und der Verfahrenseröffnung.

    Die in Art. 55 EntG getroffene Regelung ist entgegen der Meinung
der Beschwerdeführer nicht lückenhaft, insbesondere liegt keine echte
Lücke vor, die der Richter in analoger Anwendung von Art. 1 Abs. 2 ZGB
füllen dürfte und müsste (BGE 108 Ib 82 E. 4b, 107 Ib 106, E. 6b, 103 Ia
502 f.). Die Beschwerdeführer machen eigentlich auch nicht geltend, der
Gesetzgeber habe etwas zu regeln unterlassen, was er hätte regeln sollen,
sondern beanstanden vielmehr die vom Gesetzgeber getroffene Lösung. Somit
läge aber höchstens eine unechte Lücke, eine unter rechtspolitischen
Gesichtspunkten unbefriedigende Vorschrift vor, die allein vom Gesetzgeber
zu verbessern wäre und welche jedenfalls das Bundesgericht, das die
von der Bundesversammlung erlassenen Gesetze anzuwenden hat, ob sie
verfassungsmässig seien oder nicht (Art. 113 Abs. 3 BV), nicht durch eine
Auslegung contra legem korrigieren könnte.

    Dies allein genügte, um die Beschwerde insoweit abzuweisen. Wie sich
zeigen wird, sind aber auch die weiteren, in diesem Zusammenhang von den
Beschwerdeführern vorgebrachten Rügen unbegründet.

    b) Die Beschwerdeführer gehen davon aus, dass die Kompetenz zum
Einspracheentscheid, die nach der alten Fassung des Art. 55 EntG vom
20. Juni 1930 beim Bundesrat lag, mit der Revision des Enteignungsgesetzes
vom 18. März 1971 auf die Departemente übergegangen seien. Zu Unrecht. Die
Zuständigkeit des Bundesrates fiel - obschon die Art. 50 und 55 EntG
zunächst unverändert blieben - bereits am 1. Oktober 1969 mit dem
Inkrafttreten des revidierten Bundesgesetzes über die Organisation der
Bundesrechtspflege vom 20. Dezember 1968 dahin. Dieses Gesetz erklärte
nämlich neu die Verwaltungsgerichtsbeschwerde auch gegen Verfügungen
über Pläne als zulässig, soweit sie Einsprachen gegen Enteignungen oder
Landumlegungen betreffen (Art. 99 lit. c OG). Dadurch wurde Art. 23
Abs. 2 des damals geltenden Bundesgesetzes über die Organisation
der Bundesverwaltung vom 26. März 1914 anwendbar, wonach die durch
Verwaltungsgerichtsbeschwerde ans Bundesgericht weiterziehbaren Geschäfte
an Mittelinstanzen zur selbständigen Erledigung zu übertragen sind,
das heisst an die Departemente, soweit der Bundesrat nichts anderes
auf dem Verordnungswege verfügt (vgl. Art. 23 Abs. 4). Schon ab 1.
Oktober 1969 haben deshalb - wie übrigens in der Botschaft des Bundesrates
betreffend die Revision des Enteignungsgesetzes ausdrücklich erwähnt wird
(BBl 1970 I 1016 f.) - anstelle des Bundesrates die sachlich zuständigen
Departemente über Einsprachen gegen Enteignungen entschieden (vgl. auch
VEB 38/1974 Nr. 59 S. 63 E. 1, BGE 98 Ib 215 lit. C). Die Revision des
Enteignungsgesetzes von 1971 brachte in dieser Hinsicht nichts anderes
als eine Anpassung des Textes an eine bereits bestehende, dem Gesetzgeber
wohlbekannte Rechtslage.

    Zu Gunsten der von den Beschwerdeführern angestrebten Lösung kann
allerdings angeführt werden, dass früher, als noch der Bundesrat erst-
und letztinstanzlich über die Einsprachen entschied, das Eidg. Justiz-
und Polizeidepartement und nicht das zuständige Fachdepartement mit
der Instruktion der Einsprachen und der Vorbereitung des Entscheides
betraut war. Damals bestand aber - und das ist ausschlaggebend - die
Möglichkeit nicht, die Rechtmässigkeit der Enteignung durch eine von
der Verwaltung unabhängige richterliche Instanz überprüfen zu lassen,
so dass sich das Bedürfnis ergab, im Rahmen der verwaltungsinternen
Kontrolle verfahrensmässige Garantien zum Schutze der Interessen der
Enteigneten zu schaffen. Dieses Bedürfnis hat mit der Ausweitung der
Verwaltungsgerichtsbarkeit an Dringlichkeit verloren. Ausserdem lässt sich
für die Lösung, den Einspracheentscheid im verwaltungsinternen Verfahren
dem Fachdepartement zu übertragen, ein objektiver Grund anführen: Im
erstinstanzlichen Verfahren ist nicht nur über Rechtsfragen, sondern auch
über die Notwendigkeit und Tauglichkeit des projektierten Werkes sowie
über die Angemessenheit und Zweckmässigkeit der vom Enteigner vorgesehenen
Massnahmen zu befinden, über Fragen also, die das in der Sache zuständige
Departement aufgrund seiner Stellung und seines Fachwissens am besten
beantworten kann.

    c) Es spielt im weiteren keine Rolle, dass hier die
Verwaltungsgerichtsbehörde, welcher der Einspracheentscheid zusteht, auch
selbst beim Präsidenten der Eidg. Schätzungskommission um Eröffnung des
Enteignungsverfahrens ersucht hat. Beschliesst der Bundesrat oder eine
andere Behörde, das Enteignungsrecht in Anspruch zu nehmen oder an einen
Dritten zu verleihen, so ergeht dieser Entscheid zwar in der Annahme,
die Expropriation erfolge rechtmässig, doch ist er bloss vorläufiger
Natur und dient zunächst einzig der Eröffnung des Verfahrens, in dem
nach öffentlicher Auflage der Pläne und Anhörung der Betroffenen
erst über die Gesetzmässigkeit und Angemessenheit des Eingriffs
befunden wird, bevor allenfalls in einer zweiten Phase die geschuldete
Entschädigung festzusetzen ist. Der Entscheid, ein Enteignungsverfahren
durchführen zu lassen, ist somit immer (falls nicht schon ein separates
Einspracheverfahren stattgefunden hat) mit dem Vorbehalt verbunden, dass
sich das Enteignungsgesuch im Einspracheverfahren nicht als rechtswidrig
oder unangemessen erweise; die Verfahrenseröffnung kann daher grundsätzlich
den Einspracheentscheid nicht präjudizieren (vgl. VPB 38/1974 Nr.
39 S. 63 E. 2, BGE 98 Ib 420 f. E. 3b; s. auch BGE 109 Ib 133 E. 2,
108 Ib 376 f. E. 2). In diesem Zusammenhang darf daran erinnert werden,
dass die im Enteignungsgesetz vorgesehene Einsprache keine Einsprache
im eigentlichen Sinne ist, das heisst ein Rechtsmittel, mit dem die
Behörde zur nochmaligen Überprüfung der bereits von ihr erlassenen
Verfügung aufgefordert wird, sondern ein blosses Mittel zur förmlichen
Erhebung von Einwendungen gegen den in Aussicht genommenen, noch nicht
gefällten Entscheid (vgl. GYGI, Bundesverwaltungsrechtspflege, 2. A.,
S. 33, GRISEL, Traité de droit administratif, Bd. II S. 939 f., SALADIN,
Das Verwaltungsverfahrensrecht des Bundes, S. 165).

    d) Die Behauptung der Beschwerdeführer, die umstrittene
Verfahrensregelung stehe in Widerspruch zum Gewaltenteilungsprinzip,
wird in keiner Weise näher begründet. Auf diese Rüge ist deshalb nicht
einzutreten. Im übrigen ist nicht ersichtlich, inwiefern die Ersetzung
einer Verwaltungsbehörde durch eine andere Verwaltungsbehörde zur
Verwirklichung des Gewaltenteilungsgebotes beitragen könnte.

    e) Fehl geht schliesslich auch die Meinung der Beschwerdeführer,
die im Enteignungsgesetz festgelegte Kompetenz- und Verfahrensordnung
halte vor Art. 6 Ziff. 1 EMRK insoweit nicht stand, als diese Bestimmung
jedermann garantiert, dass seine Sache von einem unabhängigen und
unparteiischen, auf Gesetz beruhenden Gericht gehört werde, das über
zivilrechtliche Ansprüche und Verpflichtungen zu entscheiden hat. Es
trifft zu, dass Art. 6 Ziff. 1 EMRK nicht nur auf das Verfahren
zur Festsetzung der Enteignungsentschädigung, sondern auch auf das
vorangegangene Enteignungsverfahren Anwendung finden muss, in welchem
über die Zulässigkeit des vorgesehenen Eingriffs in zivile Rechte
im Sinne dieser Bestimmung entschieden wird (vgl. die Entscheide des
Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte i.S. Sporrong und Lönnroth
vom 23. September 1982, Publications de la Cour Européenne des Droits
de l'Homme, Série A, Vol. 52, §§ 79-83, i.S. Le Compte, van Leuven und
De Meyere vom 23. Juni 1981, Vol. 43, § 44, i.S. König vom 28. Juni
1978, Vol. 27, § 94, und i.S. Ringeisen vom 16. Juli 1971, Vol. 13, §
94). Beide Verfahren werden indessen den Anforderungen von Art. 6 Ziff. 1
EMRK vollauf gerecht.

    Zunächst ist festzuhalten, dass für das Bundesgericht kein Anlass
besteht, von der auslegenden Erklärung der Schweiz abzuweichen, nach
welcher die in Art. 6 Ziff. 1 EMRK enthaltene Garantie eines gerechten
Prozesses nur eine letztinstanzliche richterliche Prüfung der Akte oder
Entscheidungen der öffentlichen Gewalt über zivilrechtliche Rechte und
Pflichten zusichert (Art. 1 lit. a des Bundesbeschlusses vom 3. Oktober
1974 über die Genehmigung der Konvention, AS 1974 S. 2149, vgl. hiezu
die Botschaft des Bundesrates vom 4. März 1974, BBl 1974 I S. 1045 ff.;
BGE 108 Ia 315, 107 Ia 167).

    Was nun das Verfahren zur Kontrolle der Rechtmässigkeit
des Enteignungseingriffes anbelangt, so kann der Entscheid der
Verwaltungsbehörde über die Einsprachen mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde
ans Bundesgericht gezogen werden. Dieses überprüft den angefochtenen
Entscheid nicht nur auf Rechtsfehler einschliesslich Überschreitung und
Missbrauch des Ermessens hin (Art. 104 lit. a OG), sondern untersucht auch
den Sachverhalt ohne Einschränkung (Art. 104 lit. b, Art. 105 OG). Die
Garantie eines gerechten Prozesses ist damit offensichtlich gewährt,
selbst wenn man jener Lehre folgen wollte, die anzunehmen scheint,
ein reines Kassationsverfahren, in welchem das Gericht keine Tatfragen
überprüfen könne, vermöge den Anforderungen von Art. 6 Ziff. 1 EMRK
nicht zu genügen (vgl. RAYMOND, La Suisse devant les organes de la CEDH,
ZSR 98/1979 II S. 67-69). Daran ändert nichts, dass das Bundesgericht -
was die Beschwerdeführer besonders unterstreichen - die Angemessenheit
des Einspracheentscheides nicht kontrollieren kann: Art. 6 Ziff. 1 EMRK
verlangt keineswegs, dass der Richter ermächtigt werde, sein eigenes
Ermessen an Stelle desjenigen der Verwaltung zu setzen und damit materiell
Verwaltung zu treiben.

    Auch das Verfahren zur Bestimmung der Entschädigung, das hier an sich
nicht umstritten ist, kann als faires Verfahren im Sinne von Art. 6 Ziff. 1
EMRK gelten, da sowohl die Eidgenössischen Schätzungskommissionen wie auch
das in zweiter Instanz entscheidende Bundesgericht unabhängige richterliche
Behörden sind, denen in Rechts- und Sachfragen volle Überprüfungsbefugnis
zusteht. Beide Teilverfahren der Enteignung bieten demnach dem Betroffenen
Gewähr für einen gerechten Prozess.