Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 111 IB 132



111 Ib 132

29. Auszug aus dem Urteil der I. öffentlichrechtlichen Abteilung vom
13. Juni 1985 i.S. G. und M. gegen Staatsanwaltschaft des Kantons Zürich
(Verwaltungsgerichtsbeschwerde) Regeste

    Rechtshilfevertrag mit den USA.

    Anspruch des Dritten auf Teilnahme an Rechtshilfehandlungen
(Beglaubigung von Urkunden; Einvernahme von Zeugen), sofern er durch
diese unmittelbar in seinen rechtlichen oder tatsächlichen Interessen
betroffen ist.

Sachverhalt

    A.- Das amerikanische Justizdepartement stellte am 9. August 1982
beim Bundesamt für Polizeiwesen (BAP) ein Begehren um Rechtshilfe in
einem Strafverfahren, das in den USA gegen D. und Mitbeteiligte wegen
Bestechung und weiterer Delikte geführt wird. Um den Verbleib der
Bestechungsgelder abzuklären, ersuchte es die Schweiz, Bankdokumente
herauszugeben, Auskünfte über Konten zu erteilen und Bankbeamte als
Zeugen abzuhören. In der Zeit vom 28. November bis 4. Dezember 1984 wurden
bei der Bezirksanwaltschaft Zürich ein Angestellter der Schweizerischen
Bankgesellschaft und zwei Angestellte der Schweizerischen Volksbank als
Zeugen befragt. Die Einvernahmen, an denen ein Vertreter des BAP, drei
Vertreter des amerikanischen Justizdepartementes, sieben amerikanische
Rechtsanwälte, zwei Angeklagte sowie ein Zürcher Rechtsanwalt teilnahmen,
erfolgten unter Mitwirkung von Dolmetschern in deutscher Sprache. Es
wurde ein Protokoll erstellt, das 95 Seiten umfasst.

    G. und M. hatten am 21. November 1984 bei der Staatsanwaltschaft
des Kantons Zürich Rekurs erhoben und unter anderem verlangt, es sei
ihrem Vertreter zu gestatten, bei den Einvernahmen anwesend zu sein. Mit
Verfügung vom 30. November 1984 wies die Staatsanwaltschaft den Rekurs
im Sinne der Erwägungen ab, soweit sie darauf eintrat. Gegen diesen
Entscheid haben G. und M. beim Bundesgericht Verwaltungsgerichtsbeschwerde
eingereicht.

Auszug aus den Erwägungen:

                      Aus den Erwägungen:

Erwägung 3

    3.- Die Beschwerdeführer rügen, es bedeute eine Verweigerung des
rechtlichen Gehörs, dass die Staatsanwaltschaft ihnen bzw. ihrem Vertreter
nicht gestattet habe, an den vom 28. November bis 4. Dezember 1984 von der
Bezirksanwaltschaft Zürich durchgeführten Zeugeneinvernahmen teilzunehmen.

    Die Staatsanwaltschaft hatte in der angefochtenen Verfügung
vom 30. November 1984 ausgeführt, bei den Einvernahmen gehe es
ausschliesslich um die Beglaubigung der den ersuchenden Behörden
überwiesenen Bankunterlagen entsprechend Art. 18 des Staatsvertrages
zwischen der Schweiz und den Vereinigten Staaten von Amerika über
gegenseitige Rechtshilfe in Strafsachen vom 25. Mai 1973 (abgekürzt:
RVUS). Diese Vorschrift räume lediglich dem Angeklagten das Recht
ein, bei der Beglaubigung von Schriftstücken anwesend zu sein, nicht
aber einem Dritten. Die Beschwerdeführer seien nicht Angeklagte im
amerikanischen Strafverfahren. Es stehe ihnen daher kein Recht zu,
vom Beglaubigungsverfahren Kenntnis zu erhalten, daran teilzunehmen
oder sich vertreten zu lassen. Der gleichen Auffassung ist das BAP. Die
Beschwerdeführer sind dagegen der Meinung, die Zeugenverhöre seien über
den Rahmen von Art. 18 RVUS hinausgegangen, und insoweit hätte ihnen
aufgrund der Bestimmungen, die bei einer gewöhnlichen Beweisverhandlung
zur Anwendung gelangen (Art. 12 RVUS in Verbindung mit Art. 26 des
Bundesgesetzes vom 3. Oktober 1975 zum Rechtshilfevertrag mit den USA,
im folgenden: BG-RVUS), ein Teilnahmerecht zugestanden. Sie machen ferner
geltend, selbst im Rahmen eines blossen Beglaubigungsverfahrens wären
sie berechtigt gewesen, an den Einvernahmen anwesend zu sein.

    a) Bei den Einvernahmen handelte es sich nicht ausschliesslich um
ein Beglaubigungsverfahren im Sinne von Art. 18 RVUS, d.h. den Zeugen
wurden nicht nur Fragen gestellt, die sich auf die Echtheit der vom
ersuchenden Staat herausverlangten Urkunden und deren Zulässigkeit als
Beweismittel bezogen. Das amerikanische Justizdepartement hatte in seinem
Rechtshilfebegehren vom 9. August 1982 unter anderem ersucht "um die
Zeugenaussagen verschiedener Bankbeamter, die Erklärungen abgeben können
über die mit den Banktratten verbundenen Transaktionen, und insbesondere
um Aussagen jener Bankbeamter, die den Herren M., G. und Z. und anderen
Herren geholfen haben". Die hier in Frage stehenden Einvernahmen erfolgten,
wie im Protokoll festgehalten ist, in Ausführung dieses Begehrens. Wohl
ging es dabei auch um die Beglaubigung der Bankunterlagen, die das BAP
den amerikanischen Behörden am 9. Mai 1984 überwiesen hatte. Indessen
kann nicht gesagt werden, die Zeugen seien nur über die Echtheit
dieser Dokumente und über deren Zulässigkeit als Beweismittel befragt
worden. Aus dem Einvernahmeprotokoll ergibt sich, dass den Zeugen auch
Fragen unterbreitet wurden, die sich - entsprechend dem eben erwähnten
Begehren - auf die Banktransaktionen der Beschwerdeführer sowie auf
Umstände und Gespräche im Zusammenhang mit der Eröffnung von Konten der
Beschwerdeführer bezogen. Die Zeugeneinvernahmen gingen demnach über den
Rahmen von Art. 18 RVUS hinaus.

    b) Die Beschwerdeführer machen geltend, zumindest an jenem Teil
des Zeugenverhörs, der über den Rahmen von Art. 18 RVUS hinausgegangen
sei, hätte man sie teilnehmen lassen müssen. Sie stützen sich dabei
vor allem auf die Art. 12 RVUS und 26 BG-RVUS, ferner auch auf die
Art. 18 VwVG, 4 BV und 6 Ziff. 3 lit. d EMRK. Die Berufung auf die
letztgenannte Vorschrift ist unbehelflich. Der Art. 6 Ziff. 3 lit. d
EMRK bezieht sich ausschliesslich auf das Strafverfahren. Er kann daher
im Rechtshilfeverfahren, das ein Verwaltungsverfahren ist, nicht zur
Anwendung kommen.

    Das BAP führt in der Beschwerdeantwort aus, auch wenn es sich um
eine gewöhnliche Zeugenbefragung bzw. Beweisverhandlung gehandelt hätte,
wären die Beschwerdeführer nicht teilnahmeberechtigt gewesen. Nach Art. 26
BG-RVUS könne sich zwar der Einspracheberechtigte dagegen zur Wehr setzen,
dass amerikanische Behördevertreter der Beweisverhandlung beiwohnen. Daraus
lasse sich jedoch nicht ableiten, dass er an der Verhandlung anwesend sein
dürfe. Die Beschwerdeführer seien im übrigen gar nicht einspracheberechtigt
gewesen, da nicht behauptet werden könne, sie seien durch die Einvernahmen
berührt gewesen.

    Dieser Argumentation kann nicht gefolgt werden. Art. 26
BG-RVUS verweist für den Begriff des Einspracheberechtigten auf
Art. 16 BG-RVUS. Danach kann Einsprache erheben, wer durch eine
Rechtshilfehandlung berührt ist und ein schutzwürdiges Interesse
hat. Diese Voraussetzung ist dann gegeben, wenn eine Person durch eine
solche Handlung unmittelbar in ihren rechtlichen oder tatsächlichen
Interessen betroffen ist. Bei den Einvernahmen hatten Bankangestellte
über die Bankkonten und Banktransaktionen der Beschwerdeführer Auskunft
zu geben. Es ist klar, dass diese dadurch unmittelbar in ihren Interessen,
nämlich in ihrer geschäftlichen Privatsphäre, betroffen wurden. Sie waren
somit einspracheberechtigt im Sinne der Art. 16 und 26 BG-RVUS. Das BAP
meint, daraus lasse sich nicht schliessen, dass die Beschwerdeführer an
den Einvernahmen hätten teilnehmen dürfen. Es hält dafür, ein Anspruch,
der Beweisverhandlung beizuwohnen, stehe nur den in Art. 12 Ziff. 2 und
3 RVUS genannten Personen zu, also dem Beschuldigten oder Angeklagten
und dem Vertreter der Behörde des ersuchenden Staates, nicht aber dem
Dritten. Eine solche Auslegung stünde jedoch im Widerspruch zu den
Grundsätzen, die im eidgenössischen Verwaltungsverfahren gelten. Art. 6
VwVG räumt demjenigen, dem ein Rechtsmittel gegen eine Verfügung zusteht,
Parteistellung ein. Die Rechtsmittelbefugnis nach Art. 48 lit. a VwVG
hängt von denselben Voraussetzungen ab wie die Einspracheberechtigung
nach Art. 16 BG-RVUS. Wer durch eine Verfügung berührt ist und ein
schutzwürdiges Interesse hat, kann somit aufgrund von Art. 6 VwVG
Parteirechte ausüben, d.h. er hat Anspruch auf rechtliches Gehör
(Art. 29 VwVG), auf Akteneinsicht (Art. 26 VwVG) sowie auf Teilnahme
an Zeugeneinvernahmen (Art. 18 VwVG). Das Rechtshilfeverfahren ist ein
Verwaltungsverfahren. Entsprechend den erwähnten Grundsätzen muss daher
auch einem Dritten, wenn er durch eine Rechtshilfehandlung unmittelbar
in seinen rechtlichen oder tatsächlichen Interessen betroffen ist, ein
Recht auf Teilnahme zustehen, jedenfalls sofern die Bestimmungen des
Rechtshilfevertrages und des zugehörigen Bundesgesetzes eine Teilnahme
des Dritten an der betreffenden Rechtshilfehandlung nicht ausdrücklich
ausschliessen. Dies tun die Vorschriften von Art. 12 RVUS und 26 BG-RVUS
für die Beweisverhandlung nicht. Die Beschwerdeführer hatten daher einen
Anspruch darauf, an den Zeugeneinvernahmen anwesend zu sein (oder sich
vertreten zu lassen) und an die Zeugen Ergänzungsfragen zu stellen. Die
Staatsanwaltschaft hat ihnen dadurch, dass sie das nicht gestattete,
das rechtliche Gehör verweigert.

    Der Anspruch auf rechtliches Gehör ist eine wesentliche
Verfahrensvorschrift. Wird er verletzt, so hat das in der Regel die
Ungültigkeit des betreffenden Verwaltungsaktes zur Folge. Im hier zu
beurteilenden Fall ist daher das Protokoll über die Zeugeneinvernahmen
als ungültig zu erklären, soweit diese über die blosse Beglaubigung der
im amerikanischen Rechtshilfebegehren vom 9. August 1982 verlangten
Urkunden hinausgehen. Es ist Sache des BAP, die Abgrenzung vorzunehmen
und zuhanden der amerikanischen Behörden jene Stellen des Protokolls zu
bezeichnen, die über diesen Rahmen hinausgehen.

    c) An sich wären die Beschwerdeführer auch teilnahmeberechtigt gewesen,
soweit es bei den Zeugeneinvernahmen um ein Beglaubigungsverfahren im
Sinne von Art. 18 RVUS ging. Auch durch diese Rechtshilfehandlung
wurde unmittelbar in die Interessensphäre der Beschwerdeführer
eingegriffen, bezogen sich doch die Urkunden, über deren Echtheit und
Zulässigkeit als Beweismittel die Zeugen befragt wurden, auf Bankkonten
und Banktransaktionen der Beschwerdeführer. Diesen stand somit - aus
den gleichen Überlegungen wie bei der gewöhnlichen Beweisverhandlung -
ein Recht auf Teilnahme zu; Art. 18 RVUS schliesst die Anwesenheit des
Dritten bei der Beglaubigung von Schriftstücken nicht ausdrücklich
aus. Indessen ist festzustellen, dass die Beschwerdeführer in der
Angelegenheit betreffend das amerikanische Rechtshilfebegehren vom
9. August 1982 schon zweimal an das Bundesgericht gelangt sind, nämlich
im Oktober 1983 mit einer Beschwerde gegen den Entscheid des BAP über die
Gewährung der Rechtshilfe und im Februar 1984 mit einer solchen gegen den
Ausführungsentscheid der Staatsanwaltschaft. Es war ihnen schon damals
genau bekannt, welche Dokumente das amerikanische Justizdepartement
herausverlangte. Sie haben in jenen Verfahren vor Bundesgericht
nie behauptet, diese Urkunden seien nicht echt oder als Beweismittel
unzulässig. Es erscheint unter diesen Umständen als rechtsmissbräuchlich,
wenn sie sich jetzt, nachdem das Beglaubigungsverfahren stattgefunden hat,
auf ihren Gehörsanspruch berufen und verlangen, die Zeugeneinvernahmen
seien auch insoweit als ungültig zu erklären, als es bloss um die Echtheit
der Urkunden und deren Zulässigkeit als Beweismittel ging. Soweit die
Rechtshilfe ein Beglaubigungsverfahren darstellte, kann deshalb die
Rüge der Gehörsverweigerung nicht geschützt und das Protokoll über die
Zeugeneinvernahmen nicht als ungültig erklärt werden.

    Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde ist im Sinne der Erwägungen
gutzuheissen und der angefochtene Entscheid der Staatsanwaltschaft des
Kantons Zürich aufzuheben.