Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 111 IB 102



111 Ib 102

24. Auszug aus dem Urteil der I. öffentlichrechtlichen Abteilung
vom 24. April 1985 i.S. NAGRA gegen Storrer und Mitbet., Gemeinde
Siblingen, Regierungsrat und Verwaltungsgericht des Kantons Schaffhausen
(Verwaltungsgerichtsbeschwerde) Regeste

    Bewilligungen für vorbereitende Handlungen zur Erstellung eines Lagers
für radioaktive Abfälle; Kompetenzordnung; Art. 4 AtG, Art. 10 BB AtG,
V über vorbereitende Handlungen im Hinblick auf die Errichtung eines
Lagers für radioaktive Abfälle.

    Für vorbereitende Handlungen zur Erstellung eines Lagers für
radioaktive Abfälle bedarf es ausser der nach Art. 1 der V über
vorbereitende Handlungen vom Bundesrat zu erteilende Bewilligung auch der
kantonalen Bewilligungen raumplanungsrechtlicher und baupolizeirechtlicher
Natur.

Sachverhalt

    A.- Am 24. Juni 1980 reichte die Nationale Gesellschaft für
die Lagerung radioaktiver Abfälle (NAGRA) beim Eidgenössischen
Verkehrs- und Energiewirtschaftsdepartement (EVED) zwölf Gesuche um
Bewilligung vorbereitender Handlungen ein, um mögliche Standorte für
die Lagerung radioaktiver Abfälle zu ermitteln. Die Gesuche betreffen
ein zusammenhängendes Tiefbohrprogramm, welches die geologischen
Kenntnisse über das kristalline Grundgebirge und die dieses überlagernden
Sedimentgesteine unter dem nördlichen Mittelland und Jura vervollständigen
sollen. Eines dieser Gesuche bezieht sich auf das Gebiet der Gemeinde
Siblingen (SH). Es sieht die Ausführung eines lokalen reflexionsseismischen
Messprogramms und anschliessend eine Probebohrung auf ca. 1400 m unter
Terrain vor. Die Arbeiten sollen ungefähr zwölf Monate dauern.

    Das Gesuch der NAGRA wurde gestützt auf die Verordnung vom 24. Oktober
1979 über vorbereitende Handlungen im Hinblick auf die Errichtung eines
Lagers für radioaktive Abfälle (SR 732.012) im Bundesblatt 1980 II 1092
ff. publiziert, wobei die Ziele der Bohr- und Messkampagne umschrieben
und der sachliche Zusammenhang der zwölf Bohrungen dargelegt wurden.

    Die dem Gesuch beigefügten Pläne und Berichte wurden bei den
Staatskanzleien und den Gemeindekanzleien der betroffenen Kantone und
Gemeinden zur Durchführung des Einspracheverfahrens öffentlich aufgelegt.
Gleichzeitig holte das EVED die Stellungnahme der Kantone und der
Fachstellen des Bundes ein. Dabei bemerkte es in seinem Schreiben vom
23. Juli 1980 an den Regierungsrat des Kantons Schaffhausen, dass neben dem
Verfahren auf Bundesebene zur Bewilligung der vorbereitenden Handlungen
die kantonalen Bewilligungsverfahren (insbesondere gemäss Raumplanungs-
und Baupolizeirecht) durchzuführen seien. Mit Beschluss vom 17. Februar
1982 wies der Bundesrat die gegen die vorbereitenden Handlungen in der
Gemeinde Siblingen eingereichten Einsprachen ab und erteilte der NAGRA die
Bewilligung, die im Gesuch vom 24. Juni 1980 umschriebenen vorbereitenden
Handlungen durchzuführen.

    In der Folge ersuchte die NAGRA den Gemeinderat Siblingen um eine
Baubewilligung für einen Installationsplatz für die Probebohrung auf
dem Grundstück Nr. 471 in Siblingen. Der Gemeinderat überwies das
Baugesuch zur Weiterbehandlung an den Regierungsrat. Er beantragte,
die Baubewilligung sei nicht zu erteilen, und verwies auf das Ergebnis
einer in der Gemeinde Siblingen durchgeführten Konsultativabstimmung,
in welcher sich eine eindeutige Mehrheit der Stimmbürger gegen eine
Probebohrung ausgesprochen hatte. Mit Verfügung vom 21. März 1983 erteilte
die Baudirektion des Kantons Schaffhausen der NAGRA gestützt auf § 3
der kantonalen Verordnung vom 14. Dezember 1982 zum Bundesgesetz über
die Raumplanung die Bewilligung, den geplanten Installationsplatz zu
errichten. Das Bauvorhaben der NAGRA wurde anschliessend im kantonalen
Amtsblatt publiziert. Innert der Rekursfrist gingen fünf Rekurse ein.

    Die Stimmberechtigten des Kantons Schaffhausen nahmen am 4. September
1983 mit 13'332 Ja gegen 12'823 Nein eine Volksinitiative an, welche die
Behörden des Kantons Schaffhausen verpflichtet, "mit allen rechtlichen
und politischen Mitteln darauf hinzuwirken, dass auf Kantonsgebiet keine
Lagerstätten für radioaktive Abfälle errichtet und keine vorbereitenden
Handlungen vorgenommen werden".

    Am 27. September 1983 hiess der Regierungsrat des Kantons Schaffhausen
die fünf Rekurse gegen die von der Baudirektion erteilte Bewilligung für
die vorbereitenden Handlungen in Siblingen gut und hob die Bewilligung
gestützt auf Art. 24 des eidgenössischen Raumplanungsgesetzes (RPG)
auf. Der Regierungsrat bejahte die Standortgebundenheit der vorbereitenden
Handlungen, nahm jedoch an, dem Vorhaben stünden überwiegende Interessen
entgegen. Seinen Entscheid versah er mit der Rechtsmittelbelehrung,
es könne gestützt auf § 3 Abs. 4 der kantonalen Raumplanungsverordnung
Verwaltungsgerichtsbeschwerde beim Obergericht des Kantons Schaffhausen
erhoben werden. Mit Beschwerde vom 19. Oktober 1983 gelangte die NAGRA an
das Verwaltungsgericht mit dem Antrag, den Entscheid des Regierungsrates
aufzuheben und ihr die Bewilligung zu erteilen, den fraglichen
Installationsplatz in Siblingen zu errichten. Das Verwaltungsgericht trat
jedoch mit Beschluss vom 17. Februar 1984 auf die Beschwerde nicht ein,
da über die raumplanungsrechtlichen Fragen schon mit der bundesrätlichen
Bewilligung entschieden worden sei und Art. 24 RPG hier nicht zur Anwendung
komme. Gegen diesen Beschluss hat die NAGRA Verwaltungsgerichtsbeschwerde
eingereicht.

Auszug aus den Erwägungen:

                      Aus den Erwägungen:

Erwägung 5

    5.- Zur Beurteilung der umstrittenen Kompetenzfrage ist von der
Rechtslage auszugehen, wie sie für den Bau von Atomanlagen gemäss
Bundesgesetz vom 23. Dezember 1959 über die friedliche Verwendung der
Atomenergie und den Strahlenschutz (AtG) besteht, und anschliessend zu
prüfen, ob sich für die vorbereitenden Handlungen aus dem Bundesbeschluss
zum Atomgesetz eine besondere Regelung ergebe.

    a) Das Bundesgericht hat wiederholt die umfassende Kompetenz des
Bundes festgestellt, gestützt auf Art. 24quinquies BV auf dem Gebiet
der Atomenergie über Atomanlagen abschliessend zu legiferieren. Den
Kantonen steht in dem von der Atomgesetzgebung des Bundes geregelten
Bereiche keine Rechtsetzungsbefugnis mehr zu (BGE 99 Ia 256 E. 5b; 102
Ia 135 E. 4; 103 Ia 336 E. 3b). Dies gilt gemäss Art. 1 Abs. 2 AtG auch
für Einrichtungen zur Aufbereitung, Lagerung oder Unschädlichmachung von
radioaktiven Kernbrennstoffen und Rückständen; diese sind Atomanlagen im
Sinne des Gesetzes.

    Gemäss Art. 4 Abs. 1 lit. a AtG bedürfen die Erstellung und der Betrieb
sowie jede Änderung des Zwecks, der Art und des Umfanges einer Atomanlage
einer Bewilligung des Bundes. Mit dem Bau von Atomanlagen verbundene
Fragen, die im bundesrechtlichen Bewilligungsverfahren zu prüfen oder zu
entscheiden sind - oder von welchen nach der bundesrechtlichen Ordnung die
Erteilung einer Bewilligung nicht abhängig gemacht werden darf - können
nicht Gegenstand eines zusätzlichen kantonalen Bewilligungsverfahrens
bilden. Der Kanton kann daher den Bau oder Betrieb einer Atomanlage nicht
verbieten unter Geltendmachung öffentlicher Interessen, deren Wahrung ins
bundesrechtliche Bewilligungsverfahren verwiesen ist oder die nach der
gesetzlichen Ordnung nicht massgebend sein sollen (BGE 103 Ia 340 E. 5b;
102 Ia 135 f. E. 4; 99 Ia 257 E. 5c).

    Von den bundesrechtlich abschliessend geregelten Fragen sind hingegen
die der kantonalen Kompetenz nach wie vor unterstehenden Befugnisse,
insbesondere die Beurteilung der raumplanungsrechtlichen, baupolizeilichen
und gewässerschutzrechtlichen Belange, zu unterscheiden. Art. 4 Abs. 3
AtG behält - wie der Wortlaut sagt - die polizeilichen Befugnisse des
Bundes und der Kantone, insbesondere mit Bezug auf die Bau-, Feuer-
und Gewässerpolizei, ausdrücklich vor. Das Bundesgericht hat in BGE
103 Ia 341 f. E. 5d klargestellt, dass sich dieser Vorbehalt auch auf
die kantonale Zonenordnung - die Nutzungsplanung im Sinne der heutigen
Terminologie - bezieht. Die Raumplanung ist im Rahmen der bundesrechtlichen
Prinzipien gemäss Art. 22quater BV durch die Kantone zu schaffen. Der
Bund hat die Bestrebungen der Kantone zu fördern, zu koordinieren
und mit ihnen zusammenzuarbeiten (Art. 22quater Abs. 2 BV). Aus dem
Vorbehalt der Nutzungsplanung ergibt sich zwingend, dass die Grundsätze
des eidgenössischen Raumplanungsgesetzes zu wahren sind, d.h. dass ein
Vorhaben nur bewilligt werden kann, wenn es als zonenkonform im Sinne
von Art. 22 RPG erscheint oder eine Ausnahmebewilligung nach Art. 24 RPG
erteilt werden kann.

    Der Bau von Atomanlagen ist gemäss dem Willen des Bundesgesetzgebers
keine Aufgabe des Bundes (BGE 103 Ia 336 f. E. 3b und 339 E. 4b). Es steht
dem Bund daher nicht zu, verbindlich und abschliessend den Standort einer
Atomanlage festzulegen. Er hat es gemäss Art. 4 Abs. 1 AtG dabei bewenden
zu lassen, eine Polizeibewilligung zur Gewährleistung der nuklearen
Sicherheit zu erteilen. Im Rahmen dieses Verfahrens werden die Kantone
angehört (Art. 7 Abs. 2 AtG), doch schliesst dies bestehende kantonale
Kompetenzen nicht aus. Aus einer positiven Stellungnahme des Kantons im
atomrechtlichen Bewilligungsverfahren kann auch nicht gefolgert werden,
der Anlage stehe kein kantonalrechtliches Hindernis entgegen (BGE 103 Ia
338 E. 3c).

    b) An dieser Kompetenzaufteilung zwischen Bund und Kantonen hat
der Bundesbeschluss vom 6. Oktober 1978 zum Atomgesetz (SR 732.01)
grundsätzlich nichts geändert. Mit dem Beschluss ist das atomrechtliche
Bewilligungsverfahren ausgebaut und die Rahmenbewilligung eingeführt
worden, welche nun auch die - in der Praxis schon früher verlangte
(vgl. BGE 103 Ia 335) - Standortbewilligung umfasst. Die Erteilung der
Rahmenbewilligung obliegt dem Bundesrat und bedarf der Genehmigung der
Bundesversammlung (Art. 8 BB AtG). Auch bei dieser Bewilligung ist der
Gesetzgeber davon ausgegangen, es handle sich um eine - in mancher Hinsicht
freilich besonders gelagerte - Polizeibewilligung für die grundsätzlich
auf privatwirtschaftlicher Basis zu lösende Aufgabe der Energieerzeugung
und -versorgung (Botschaft des Bundesrates, BBl 1977 III S. 330; HERIBERT
RAUSCH, Schweizerisches Atomenergierecht, Zürich 1980, S. 45; ULRICH
FISCHER, Die Bewilligung von Atomanlagen nach schweizerischem Recht,
insbesondere S. 103 ff.).

    Der Bundesrat hatte zwar beabsichtigt, mit der Rahmenbewilligung
den Standort der Atomanlage in einer die Kantone bindenden Weise
festzulegen (BBl 1977 III S. 337 sowie Entwurf zum BB Art. 1 Abs. 4:
"Die Rahmenbewilligung bindet auch die Kantone und Gemeinden"). In
den Beratungen der Eidgenössischen Räte wurde jedoch dieser Vorbehalt
gestrichen in der Meinung, "dass am Rechtszustand, wie er durch
das Urteil Verbois festgestellt worden ist, nichts geändert werden
soll. Kantonale Bau-, Planungs- und Wasserrechtskompetenzen haben also
nach wie vor Bestand" (so der Berichterstatter der nationalrätlichen
Kommission, REINIGER, wie auch der Berichterstatter französischer Sprache,
PEDRAZZINI, Amtl.Bull. 1978 N 521). Mit der Streichung des vom Bundesrat
vorgeschlagenen Vorbehaltes sollte auch ein Widerspruch zu Art. 4 des
Atomgesetzes vermieden werden (vgl. PEDRAZZINI, S. 522). Selbst die
Kommissionsminderheit, welche den beantragten Absatz 4 beibehalten
wollte, strebte damit keine Änderung der Kompetenzordnung zwischen
Bund und Kantonen an; auch nach ihrer Auffassung sollte es bei der
Regelung gemäss bundesgerichtlicher Rechtsprechung bleiben, doch sollte
mit der umstrittenen Bestimmung Missbräuchen - insbesondere auch der
missbräuchlichen Verhinderung von Endlagerstätten - entgegengetreten werden
(vgl. Votum LEO WEBER, S. 522). Die Mehrheit war jedoch der Meinung,
hiezu bedürfe es der Vorschrift nicht.

    Der Ständerat beschloss freilich, an dem vom Bundesrat beantragten
Absatz 4 festzuhalten. Allerdings gehe es nicht darum, in bestehende
Kompetenzen der Kantone und Gemeinden einzugreifen; erreicht werden
sollte vielmehr, dass allfällige Kompetenzstreitigkeiten vermieden oder
doch in einem frühen Stadium des Verfahrens erledigt werden könnten und
dass die Bewilligungsbehörde in Kenntnis einer klaren raumplanerischen
Lage in Kanton und Gemeinde entscheiden könne (Berichterstatter
LUDER, Amtl.Bull. 1978 S 274). Der Nationalrat hielt indessen im
Differenzbereinigungsverfahren am Antrag auf Streichung von Absatz 4 fest
in der Meinung, die Rechtslage sei klar. Das Planungsrecht der Kantone
gelte, ob dieser Absatz im Gesetz stehe oder nicht, und finde seine Grenze
am Rechtsmissbrauch (Berichterstatter REINIGER, Amtl.Bull. 1978 N 1030,
1036). Der Ständerat schloss sich dieser Argumentation an (Amtl.Bull. 1978
S 419).

    Aus diesen Materialien ergibt sich, dass die Raumplanungskompetenzen
der Kantone auch bei Einrichtungen für die Lagerung oder Unschädlichmachung
von radioaktiven Kernbrennstoffen oder Rückständen - solche gelten,
wie erwähnt, als Atomanlagen (Art. 1 Abs. 2 AtG) - zu respektieren sind
(übereinstimmend CHARLES ALBERT MORAND, Répartition des compétences
dans le domaine de la production centralisée d'énergie de réseau, in:
Problèmes juridiques de l'énergie, Fribourg 1982, S. 218, DENIS BRIDEL,
Procédures d'autorisation de centrales nucléaires, Diss. Lausanne
1984, S. 214 ff., 248; anderer Meinung FISCHER, aaO, S. 157/158, und
zweifelnd RAUSCH, aaO, S. 102 f., 214). Dass der Bundesrat Gutachten
einzuholen hat, die sich "über wichtige Rechtsgüter einschliesslich der
Erfordernisse des Umweltschutzes, des Natur- und Heimatschutzes sowie der
Raumplanung auszusprechen haben" (Art. 6 Abs. 2 BB AtG), beseitigt die
kantonalen Zuständigkeiten auf diesen Gebieten nicht. Auch Lagerstätten
für radioaktive Abfälle bedürfen daher ausser der Rahmenbewilligung
und der weiteren atomrechtlichen Bau- und Betriebsbewilligungen
der sonstigen vom Bundesrecht geforderten Spezialbewilligungen
(z.B. Rodungsbewilligungen) sowie der von den Kantonen zu erteilenden
planungs- und baupolizeirechtlichen Bewilligungen.

    Nach wie vor gilt aber - was in den parlamentarischen Beratungen
besonders hervorgehoben wurde -, dass die im bundesrechtlichen
Bewilligungsverfahren abschliessend beurteilten Fragen im kantonalen
Verfahren nicht wieder aufgeworfen werden können und dieses nicht als
Instrument zur Verhinderung der Errichtung von Atomanlagen missbraucht
werden darf. Aus diesem Grunde kann einem Volksentscheid, wonach in
einem bestimmten Gebiet keine Atomanlagen zugelassen werden sollten, ohne
dass hiefür sachliche, insbesondere raumplanerische oder baupolizeiliche
Gründe gegeben wären, im kantonalen Bewilligungsverfahren kein Gewicht
zukommen. Ein solcher Volksbeschluss steht mit dem Bundesrecht, das das
öffentliche Interesse vor allem an Lagerstätten für radioaktive Abfälle
klar bejaht, offensichtlich in Widerspruch.

Erwägung 6

    6.- Aus dieser Rechtslage für die Bewilligung von Atomanlagen ergibt
sich noch nicht ohne weiteres die Beantwortung der Frage, ob auch für
vorbereitende Handlungen zur Erstellung eines Lagers für radioaktive
Abfälle ausser der vom Bundesrat zu erteilenden Bewilligung weitere
Bewilligungen, namentlich kantonale Bewilligungen raumplanungsrechtlicher
und baupolizeilicher Natur, erforderlich sind.

    Der Bundesrat ging entsprechend der grundsätzlich
privatwirtschaftlichen Lösung der friedlichen Nutzung der Kernenergie davon
aus, dass auch das Problem der radioaktiven Abfälle durch deren Erzeuger
selbst zu lösen sei (BBl 1977 III S. 319). Angesichts des öffentlichen
Interesses an der sicheren Beseitigung der radioaktiven Abfälle behielt
er jedoch in seinem Antrag das Recht des Bundes vor, diese Abfälle
auf Kosten der Erzeuger selbst zu beseitigen. Im Nationalrat wollte
eine Minderheit die Abfallbeseitigung gänzlich zur Bundessache machen.
Die Mehrheit schloss sich der Auffassung des Bundesrates an, verstärkte
jedoch im Sinne eines Kompromisses die Hilfestellung des Bundes. Dieser
soll in einem besonderen Verfahren die Bewilligung für vorbereitende
Handlungen erteilen und nötigenfalls den Erzeugern radioaktiver Abfälle
das Enteignungsrecht übertragen können; die Einzelheiten sind durch den
Bundesrat zu regeln (Art. 10 Abs. 2-4 BB; Berichterstatter Reiniger zu
Art. 10, Amtl.Bull. 1978 N 543). Der Ständerat folgte dieser Lösung ohne
Diskussion (Amtl.Bull. 1978 S 281).

    Der Bundesrat hat hierauf in der Verordnung über vorbereitende
Handlungen im Hinblick auf die Errichtung eines Lagers für radioaktive
Abfälle vom 24. Oktober 1979 (Verordnung über vorbereitende Handlungen)
im einzelnen umschrieben, was unter vorbereitenden Handlungen zu verstehen
sei und welche Angaben und Beilagen das Bewilligungsgesuch zu enthalten
habe. Im weiteren wird festgelegt, dass das Gesuch den Kantonen und
zuständigen Fachstellen des Bundes zur Vernehmlassung zu unterbreiten
sowie öffentlich aufzulegen sei mit der Aufforderung an die interessierten
Privaten, allfällige Einsprachen und Einwände geltend zu machen.

    Leider wurde vom Gesetzgeber die Frage nicht ausdrücklich
beantwortet, ob mit der bundesrätlichen Bewilligung für vorbereitende
Handlungen sämtliche Voraussetzungen für deren Vornahme gegeben seien
und insbesondere ein kantonales Baubewilligungsverfahren, in welchem
auch über raumplanungsrechtliche Gesichtspunkte zu entscheiden wäre,
entfalle. Eine solche Lösung wäre zwar angesichts der umfassenden
Kompetenz des Bundes auf dem Gebiete der Atomenergie möglich, müsste sich
jedoch ausdrücklich oder sinngemäss aus dem Gesetz ergeben, da sie vom
Grundsatz abwiche, wonach beim Zusammentreffen verschiedener Kompetenzen
von Bund und Kantonen die Zuständigkeiten zu respektieren sind. Hätte
der Bundesgesetzgeber für die Durchführung der vorbereitenden Handlungen
die kantonalen Kompetenzen beseitigen wollen, müsste dies somit aus dem
Bundesbeschluss zum Atomgesetz klar hervorgehen. Das ist jedoch nicht
der Fall, wie sich im folgenden zeigt:

    a) Es fragt sich zunächst, ob der Ausschluss kantonaler Kompetenzen
in der Nennung eines "besonderen Verfahrens" für die Bewilligung
vorbereitender Handlungen erblickt werden könne. Der Wortlaut des Art. 10
BB würde dies wohl nicht ausschliessen. Indessen spricht bereits die
Systematik des das Atomgesetz ergänzenden befristeten Bundesbeschlusses
gegen eine solche Auslegung, wird doch das im zweiten Abschnitt des
Beschlusses genannte "besondere Verfahren" - der Abschnitt handelt von den
radioaktiven Abfällen und dem Stillegungsfonds - dem im ersten Abschnitt
geregelten Rahmenbewilligungsverfahren für Atomanlagen gegenübergestellt.

    Für vorbereitende Handlungen braucht es, was ohne weiteres einleuchtet,
keine Rahmenbewilligung, wohl aber mit Rücksicht auf die zentrale Tragweite
des Problems der radioaktiven Abfälle einen Bundesratsbeschluss. Man
beachte, dass die im ersten Abschnitt geregelte Rahmenbewilligung für
Kernreaktoren nur erteilt wird, wenn die dauernde sichere Entsorgung und
Endlagerung der radioaktiven Abfälle gewährleistet ist (Art. 3 Abs. 2
BB AtG). Es ist daher verständlich, dass dem Bundesrat die Kompetenz
und damit auch die Mitverantwortung überbunden wurde, zu prüfen, ob
die vorbereitenden Handlungen in ihrer gesamten Anlage und Durchführung
geeignet sind, zur Erstellung sicherer Lagerstätten zu führen.

    Dass die bundesrätliche Bewilligung im Sinne einer Baubewilligung alle
Detailfragen abschliessend und unter Ausschluss eines Rechtsmittelwegs
regle, kann aus der Nennung eines "besonderen Verfahrens" nicht
geschlossen werden. Der Zweck dieses Verfahrens liegt darin, die
vorbereitenden Handlungen gegenüber dem naturgemäss langwierigeren
Rahmenbewilligungsverfahren zu erleichtern und allenfalls auch
gegenüber einem rein emotional bedingten Widerstand zu ermöglichen. Die
Regelung aller Detailfragen gemäss den zum Zuge kommenden weiteren
Bewilligungsverfahren kann jedoch ohne Gefährdung des Zwecks der
vorbereitenden Handlungen den hiefür zuständigen Behörden überlassen
bleiben, die sich an die ihnen gesetzten Grenzen zu halten haben.

    b) Auch aus der Vorschrift des Art. 10 Abs. 2 BB AtG, wonach das
Gesuch für die Bewilligung der vorbereitenden Handlungen dem Kanton,
auf dessen Gebiet die Handlungen erfolgen sollen, zur Vernehmlassung
zu unterbreiten ist, kann nicht auf einen Ausschluss der kantonalen
Bewilligungskompetenz geschlossen werden. Die Stellungnahme des
Kantons ist vor jeder atomrechtlichen Bewilligung des Bundes einzuholen
(Art. 7 Abs. 3 AtG). Durch die Anhörung der Kantone wird das kantonale
Baubewilligungsverfahren und insbesondere die planungsrechtliche Prüfung
der Standortfrage nicht ersetzt (vgl. nicht publ. Entscheid i.S. Aero-Club
der Schweiz vom 4. Juli 1979 E. 2c in fine zu Art. 37 Abs. 3 LFG).

    c) Ebensowenig kann ein solcher Ausschluss aus der Bestimmung
hergeleitet werden, der Bundesrat könne für die Ausführung vorbereitender
Handlungen nötigenfalls das Enteignungsrecht an Dritte übertragen. Zwar
hat das Bundesgericht im eben zitierten Entscheid i.S. Aero-Club
der Schweiz die Frage, ob für den Bau von Flugfeldern nicht nur eine
baupolizeirechtliche, sondern auch eine raumplanerische Bewilligung
benötigt werde, unter anderem deshalb bejaht, weil für Flugfelder im
Gegensatz zu den Flughäfen kein Enteignungsrecht bestehe (vgl. auch
BGE 103 Ia 137). Der Umstand allein, dass für ein öffentliches Werk das
Enteignungsrecht zur Verfügung steht, ändert indessen noch nichts an der
verfassungsrechtlichen Kompetenzordnung. Auch der Bund ist für seine Werke
grundsätzlich an das kantonale und kommunale Raumplanungs- und Baurecht
gebunden, soweit ihn seine Spezialgesetzgebung hievon nicht befreit, wie
etwa bei militärischen Anlagen, bei Nationalstrassen oder - wenigstens
zum Teil - bei Flugsicherungseinrichtungen (vgl. BGE 110 Ib 262 E. 2c,
nicht publ. Entscheid i.S. Schnyder vom 1. Februar 1982 E. 2 sowie das
bereits zitierte Urteil i.S. Bundesamt für Zivilluftfahrt c. Regierungsrat
Schaffhausen E. 3a, publ. in ZBl 84/1983 S. 368).

    Die Möglichkeit der Gewährung des eidgenössischen Enteignungsrechtes
für vorbereitende Handlungen bringt besonders deutlich die unterstützende
Rolle, die der Bund nach dem Willen des Gesetzgebers ausüben soll,
zum Ausdruck. Diese Rolle wurde bei der Beratung des Bundesbeschlusses
hervorgehoben (Voten der Berichterstatter Reiniger und Pedrazzini,
Amtl.Bull. 1978 N 543 zu Art. 10 des Entwurfs). Aus der Äusserung
Pedrazzinis im Differenzbereinigungsverfahren, durch die Streichung des
vom Bundesrat vorgeschlagenen Art. 1 Abs. 4 über die bindende Wirkung
der Rahmenbewilligung werde das in Art. 10 vorgesehene Enteignungs-
und Bewilligungsrecht des Bundesrates für vorbereitende Handlungen
nicht berührt (Amtl.Bull. 1978 N 1031), ergibt sich nichts anderes. Eine
ausschliessliche Bewilligungskompetenz des Bundesrates lässt sich hieraus
nicht ableiten. Immerhin wird mit der durch Bundesbeschluss geschaffenen
Möglichkeit der Übertragung des Enteignungsrechts an Dritte unterstrichen,
dass die vorbereitenden Handlungen zur Erstellung eines Lagers für
radioaktive Abfälle im Interesse der Eidgenossenschaft liegen (Art. 1
und 3 Abs. 2 EntG) und die den Handlungen entgegenstehenden Interessen
nicht leichtfertig als überwiegend betrachtet werden dürfen.

    d) Schliesslich kann auch aus den recht weitgehenden Anforderungen,
welche die Verordnung über vorbereitende Handlungen an ein
Bewilligungsgesuch stellt, nicht hergeleitet werden, dass die Kantone und
Gemeinden zum Projekt nichts mehr zu sagen hätten. Wie sich im vorliegenden
Fall zeigt, entspricht das Bewilligungsgesuch trotz der von der Verordnung
verlangten Informationen über Gewässerschutz- und Raumplanungsfragen nicht
den üblichen Baugesuchen. Bei den Planbeilagen handelt es sich zum Teil um
schematische Darstellungen, zum Teil um kartographische Übersichten. Auch
die Pläne, die eine grobe Vorstellung von der Lage und Gestaltung des
Bohrplatzes in Siblingen vermitteln, werden in Massstäblichkeit und
Ausführung den geltenden kantonalen Vorschriften nicht gerecht.

    Die NAGRA hat denn auch bezeichnenderweise bei der Gemeinde Siblingen
ein den Anforderungen des kantonalen Baurechts entsprechendes Baugesuch
eingereicht. Auch nach ihrer Meinung bleiben kantonale Kompetenzen
vorbehalten, doch sollen sich diese "auf untergeordnete Auflagen
polizeilicher Art" beschränken, während die Standortfrage offenbar durch
die Bundesbewilligung abschliessend beantwortet werden soll. Das trifft
jedoch - wie dargelegt - nicht zu. Allerdings könnte aus dem Dispositiv
des Bundesratsentscheides vom 17. Februar 1982, nach welchem "die im
Gesuch der NAGRA vom 24. Juni 1980 beantragten vorbereitenden Handlungen"
bewilligt werden, herausgelesen werden, dass hiemit der Standort der
Probebohrung dem Gesuch entsprechend auf Parzelle Nr. 471 in Siblingen
festgelegt sei. Indessen hat das Bundesamt für Energiewirtschaft in seiner
Vernehmlassung vom 11. Oktober 1984 ausgeführt, im Rahmen der Bewilligung
für vorbereitende Handlungen werde vor allem geprüft, ob die vorgesehenen
Arbeiten die Eignung des Standortes für ein allfälliges späteres
Endlager gefährden könnten und ob die vorgesehenen Untersuchungsprogramme
wissenschaftlich vertretbar seien. Raumplanerische Gesichtspunkte würden
dagegen, soweit sie nicht den Naturschutz berührten, in der Bewilligung
des Bundesrates nicht berücksichtigt. Auch aus diesem Grunde ist ein
zusätzliches Bewilligungsverfahren gemäss Art. 24 RPG durchzuführen.

    e) Die Notwendigkeit, für Probebohrungen Standorte zu wählen, die
den raumplanungsrechtlichen Anforderungen entsprechen, führt übrigens
nicht zu einer unzumutbaren Erschwerung dieser vorbereitenden Handlungen,
vor allem wenn, wie hier, aus geologischen Gründen nicht nur ein einziger,
parzellengenau bestimmter Standort für die Proben in Frage kommen kann. Wie
das Bundesamt für Energiewirtschaft in seiner Vernehmlassung festhält, ist
vom Untersuchungsprogramm der NAGRA her nur eine regionale Ortsgebundenheit
gegeben und kann innerhalb der Region Klettgau grundsätzlich auch ein
anderer Standort geeignet sein. Es ist daher nicht auszuschliessen,
dass sich aufgrund einer Interessenabwägung im Sinne von Art. 24
Abs. 1 lit. b RPG ein anderer Standort als der nunmehr gewählte als
geeigneter erweist, doch werden sich die kantonalen Behörden nicht über
die geologischen Gegebenheiten und das gewichtige öffentliche Interesse
an der Verwirklichung des Untersuchungsprogrammes hinwegsetzen können,
das eine Probebohrung im Klettgau offenbar erheischt.

    Sollte die NAGRA an einem vom Kanton als besser geeignet bezeichneten
Standort die Zustimmung der Grundeigentümer nicht erlangen können, so
kann sie wie erwähnt um das Enteignungsrecht ersuchen.

Erwägung 7

    7.- Die Prüfung der strittigen Kompetenzfrage führt somit unter allen
Gesichtspunkten zum Ergebnis, dass das Verwaltungsgericht zu Unrecht
glaubt, Art. 24 RPG sei im vorliegenden Verfahren nicht anzuwenden. Der
Vorbehalt des Art. 4 Abs. 3 AtG gilt vielmehr auch für die vorbereitenden
Handlungen zum Zwecke der Errichtung von Lagerstätten für radioaktive
Abfälle. Der Entscheid des Gerichts ist deshalb nicht nur aus formellen,
sondern auch aus materiellen Gründen aufzuheben. Das Verwaltungsgericht
wird prüfen müssen, ob der NAGRA die nach Art. 24 RPG erforderliche
Bewilligung für den vorgesehenen Standort in Siblingen erteilt werden
kann. Die gegen den Nichteintretensentscheid gerichtete Beschwerde ist
daher gutzuheissen, soweit auf sie eingetreten werden kann, und die Sache
zum materiellen Entscheid an das Verwaltungsgericht zurückzuweisen.