Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 111 IA 341



111 Ia 341

59. Auszug aus dem Urteil der I. öffentlichrechtlichen Abteilung vom 4.
Dezember 1985 i.S. S. gegen Staatsanwaltschaft sowie Anklagekammer und
II. Zivilkammer des Obergerichts des Kantons Zürich (staatsrechtliche
Beschwerde) Regeste

    Art. 4 BV, persönliche Freiheit, Art. 6 Ziff. 3 EMRK; Beaufsichtigung
des Kontakts zwischen Untersuchungsgefangenem und Verteidiger.

    1. Tragweite von Resolutionen und Empfehlungen des Ministerkomitees
des Europarates (E. 3a).

    2. Die Beaufsichtigung des Kontaktes zwischen Untersuchungsgfangenem
und seinem Verteidiger berührt nicht die persönliche Freiheit, sondern
die aus Art. 4 BV abgeleiteten Verteidigungsrechte (E. 3b).

    3. Anspruch auf freien unbeaufsichtigten Kontakt zwischen
Untersuchungsgefangenem und seinem Verteidiger aufgrund von Art. 4 BV
(E. 3c) und nach Art. 6 Ziff. 3 EMRK (E. 3d).

    4. Einschränkungen des freien und unbeaufsichtigten Kontaktes zwischen
Untersuchungsgefangenem und seinem Verteidiger (E. 3e).

    5. Im vorliegenden Fall stellt die Beaufsichtigung weder eine
Verfassungs- noch eine Konventionsverletzung dar (E. 3f, 3g und 4).

Sachverhalt

    A.- Die Bezirkanswaltschaft Winterthur führt eine Strafuntersuchung
gegen ein en grösseren Personenkreis, dem Sprengstoffdelikte,
Brandstiftungen und Sachbeschädigungen angelastet werden. Zum Kreis der
Verdächtigen gehört S. Er wird verdächtigt, u.a. am Sprengstoffanschlag
auf das Wohnhaus von alt Bundesrat Friedrich, an einem Brandanschlag auf
das Zivilschutzzentrum Ohrbühl in Winterthur, an der Unterwassersetzung
eines Geschäftshauses und an Brandanschlägen auf zwei Schützenhäuser in
Winterthur beteiligt gewesen zu sein.

    S. wurde am 30. März 1985 verhaftet. Nachdem die Strafverfolgung von
der Bundesanwaltschaft an die Behörden des Kantons Zürich delegiert worden
war, wurde S. am 28. Mai 1985 den zürcherischen Behörden überwiesen und
in Untersuchungshaft belassen.

    Auf Ersuchen von S. lehnte es Rechtsanwalt R. ab, dessen Verteidigung
zu übernehmen, empfahl aber seinen früheren Büropartner Rechtsanwalt
G. In der Folge bestelle S. Rechtsanwalt G. zum erbetenen Verteidiger. Mit
Verfügung vom 10. Juni 1985 ernannte der Präsident der Anklagekammer des
Obergerichts des Kantons Zürich Rechtsanwalt G. zum amtlichen Verteidiger
von S.

    Von Anfang an ergaben sich Meinungsdifferenzen darüber, ob
Rechtsanwalt G. mit S. unbeaufsichtigt verkehren dürfe. Am 31. Mai 1985
konnte sich der Angeschuldigte mit seinem Vertreter im Beisein eines
Polizeibeamten besprechen. Am 3. Juni 1985 erhob S. bei der Anklagekammer
des Obergerichts des Kantons Zürich Beschwerde und stellte den Antrag,
die Beaufsichtigung der Unterredung vom 31. Mai 1985 sei als ungesetzlich
zu erklären und es seien ihm ab sofort unbeaufsichtigte Verteidigerbesuche
zu gestatten. In einer weitern Eingabe beanstandete S. die Beaufsichtigung
der Besuche vom 7. und vom 14. Juni 1985.

    Die Anklagekammer des Obergerichts des Kantons Zürich wies
die Beschwerde am 27. Juni 1985 ab, und in der Folge wies auch die
II. Zivilkammer des Obergerichts des Kantons Zürich, welche für die
Behandlung entsprechender Rechtsmittel zuständig ist, den Rekurs von
S. am 26. Juli 1985 ab.

    Gegen die Entscheide der Anklagekammer und der II. Zivilkammer
des Obergerichts des Kantons Zürich reichte S. beim Bundesgericht
staatsrechtliche Beschwerde ein. Er macht u.a. eine Verletzung der
persönlichen Freiheit, der aus Art. 4 BV abgeleiteten Verteidigungsrechte
sowie von Art. 6 Ziff. 3 EMRK geltend. Das Bundesgericht weist die
Beschwerde ab, soweit darauf eingetreten werden kann.

Auszug aus den Erwägungen:

                  Auszug aus den Erwägungen:

Erwägung 2

    2.- Die zürcherischen Behörden stützten die umstrittene Massnahme,
mit der dem Beschwerdeführer der unbeaufsichtigte Kontakt mit seinem
Verteidiger verweigert wurde, auf § 18 der Strafprozessordnung des Kantons
Zürich (StPO). Diese Bestimmung hat folgenden Wortlaut:

    "1) Dem verhafteten Angeschuldigten ist schriftlicher und mündlicher

    Verkehr mit dem Verteidiger gestattet, soweit der Untersuchungszweck
   nicht gefährdet wird.

    2) Sobald der Verhaft über 14 Tage gedauert hat, soll dem

    Angeschuldigten die Erlaubnis, sich mit dem Verteidiger frei und
   unbeaufsichtigt zu beraten, ohne besondere Gründe, insbesondere

    Kollusionsgefahr, nicht verweigert werden. Nach Abschluss der

    Untersuchung steht dem Angeschuldigten dieses Recht unbeschränkt zu.

    3) ..."

    Die II. Zivilkammer des Obergerichts des Kantons Zürich ist bei der
Anwendung dieser Bestimmung davon ausgegangen, die dem Beschwerdeführer
zur Last gelegten Taten (Sprengstoff- und Brandanschläge) trügen "deutlich
konspirativen Charakter". Aufgrund des damaligen Untersuchungsstandes sei
zu vermuten, dass diese Straftaten in engem Zusammenwirken verschiedener
Personen mit gleichartigen Motiven begangen worden seien. Es sei deshalb
anzunehmen, die Konspiration werde im Strafverfahren mit allen möglichen
Mitteln weiter betrieben. Dies scheine auch einen wichtigten Grund dafür
darzustellen, dass der Beschwerdeführer bis anhin in der Untersuchung
jede Aussage verweigert habe. Mithin sei davon auszugehen, dass eine
hohe Kollusionsgefahr bestehe. Richtig sei zwar, dass der Kontakt
zwischen Angeschuldigtem und Verteidiger das Fundament jeder Verteidigung
darstelle, weshalb nach der angeführten Bestimmung nach vierzehntätiger
Haftdauer freie und unbeaufsichtigte Gespräche zwischen diesen beiden
Personen ohne besondere Gründe nicht verweigert werden dürften. Mit
dieser Bestimmung werde aber auch festgehalten, dass der Grundsatz des
unbeaufsichtigten Verkehrs der Einschränkung zugänglich sei. Nach Lehre
und Rechtsprechung stelle Kollusionsgefahr nur dann einen "besonderen
Grund" zur Einschränkung des freien Verkehrs mit dem Verteidiger dar,
wenn sie auch auf seiten des Verteidigers vorliege. Hierfür müssten
konkrete Anhaltspunkte gegeben sein, doch sei zu berücksichtigen, dass
dabei die Wahrscheinlichkeit eines künftigen Sachverhaltes zu beurteilen
sei, weshalb es sich um eine ausgesprochene Ermessensfrage handle. Es
folgen Erwägungen darüber, dass bei Rechtsanwalt G. Kollusionsgefahr
bestehe, und zwar vor allem wegen seiner engen persönlichen Beziehungen
zu Rechtsanwalt R., der als Verteidiger des neben dem Beschwerdeführer
am meisten belasteten Beschuldigten W. der nämlichen Gruppe amtet. Die
Gefahr sei deshalb nicht von der Hand zu weisen, dass die Verteidiger
nicht nur ihr taktisches und rechtliches Vorgehen absprechen, sondern
allenfalls auch die Wahrheitsfindung gewollt oder ungewollt beeinträchtigen
könnten. Solche Umstände stellten gerade bei Delikten der vorliegenden Art,
die als Angriffe auf die Staats- und Gesellschaftsordnung aufzufassen
seien, genügende Anhaltspunkte dar, um eine Kollusionsgefahr in der
Person des Verteidigers anzunehmen. Auch die Verhältnismässigkeit der
getroffenen Massnahme sei zu bejahen, und zwar im Hinblick auf Art und
Schwere der dem Beschwerdeführer zur Last gelegten Delikte.

Erwägung 3

    3.- Der Beschwerdeführer macht in seiner Beschwerde nicht geltend,
die Beaufsichtigung seines Verkehrs mit seinem Rechtsvertreter sei in
Verletzung von kantonalem Recht angeordnet worden. Er rügt vielmehr
eine Verletzung des Bundesverfassungsrechts sowie der Europäischen
Menschenrechtskonvention und beruft sich zudem auf eine Resolution des
Ministerkomitees des Europarates.

    a) Nach Art. 93 der Resolution (73) 5 des Ministerkomitees des
Europarates über Mindestgrundsätze für die Behandlung von Gefangenen soll
dem Untersuchungsgefangenen grundsätzlich der unbeaufsichtigte Verkehr
mit seinem Rechtsvertreter gewährt und es sollen hierfür die nötigen
Erleichterungen eingeräumt werden; in besonderen Fällen kann der Verkehr
zwar optisch, aber nicht akustisch durch einen Beamten kontrolliert
werden (vgl. Bericht der Europäischen Menschenrechtskommission i.S. Can
vom 12. Juli 1984, Ziff. 51, veröffentlicht in: Publications de la Cour
européenne des Droits de l'Homme, Série A vol. 96, S. 16, in deutscher
Übersetzung in: EuGRZ 1986 S. 277 f.; BGE 103 Ia 309). Diese Grundsätze
stellen für die Mitglieder des Europarates und damit für die Schweiz keine
bindenden Regeln dar. Sie sind zwar für die Auslegung und Konkretisierung
der Grundrechte heranzuziehen, da sie die gemeinsame Rechtsüberzeugung
der Mitglieder des Europarates zum Ausdruck bringen. Hingegen ist es nach
der bundesgerichtlichen Rechtsprechung ausgeschlossen, die Verletzung
einzelner Minimalgrundsätze mit staatsrechtlicher Beschwerde anzufechten
(BGE 106 Ia 281 E. c, 105 Ia 102, 103 Ia 309, 102 Ia 284, 102 Ia 307 E. 4a;
vgl. VPB 48/1984 Nr. 108).

    b) Der Beschwerdeführer rügt eine Verletzung des ungeschriebenen
Verfassungsrechts der persönlichen Freiheit. Es fragt sich zuerst, ob
die Beaufsichtigung des Verkehrs zwischen dem Beschwerdeführer und seinem
Rechtsanwalt den Geltungsbereich der persönlichen Freiheit berührt.

    Nach der neueren Praxis des Bundesgerichts schützt die persönliche
Freiheit nicht nur die Bewegungsfreiheit und die körperliche Integrität,
sondern darüber hinaus alle Freiheiten, die elementare Erscheinungen
der Persönlichkeitsentfaltung darstellen. Das Bundesgericht hat indessen
wiederholt zum Ausdruck gebracht, dass nicht jeder beliebige Eingriff die
Berufung auf das ungeschriebene Verfassungsrecht der persönlichen Freiheit
rechtfertige; namentlich habe die persönliche Freiheit nicht die Funktion
einer allgemeinen Handlungsfreiheit, auf die sich der Einzelne gegenüber
jedem staatlichen Akt, der sich auf seine persönliche Lebensgestaltung
auswirkt, berufen könne (BGE 109 Ia 279 f., 108 Ia 60 mit Hinweisen). Das
Bundesgericht hat demnach nicht nur die Anordnung von Untersuchungshaft
als solcher unter dem Gesichtswinkel der persönlichen Freiheit beurteilt
(BGE 107 Ia 257 E. 2, 105 Ia 29 E. 2, mit Hinweisen), sondern darüber
hinaus auch die Ausgestaltung des Vollzuges von Untersuchungshaft und
Freiheitsstrafen (BGE 106 Ia 139 E. 7, 277, 102 Ia 279, 299, 302, 99 Ia
266). Es hat insbesondere festgehalten, die sog. mise au secret, mit der
einem Untersuchungsgefangenen jeglicher Kontakt zu Angehörigen und zu
seiner sozialen Umwelt unterbunden wird, stelle einen Eingriff in die
persönliche Freiheit dar (BGE 103 Ia 295 f., 101 Ia 49 ff.).

    Die Verweigerung oder Einschränkung des freien Verkehrs zwischen dem
Untersuchungsgefangenen und seinem Rechtsvertreter betreffen demgegenüber
nach der neueren bundesgerichtlichen Praxis nicht die persönliche
Freiheit. Solche Beschränkungen berühren nicht elementare Erscheinungen
der Persönlichkeitsentfaltung, sondern greifen vielmehr in spezifischer
Weise in die Verteidigungsrechte des Untersuchungsgefangenen ein und sind
demnach im Lichte der aus Art. 4 BV abgeleiteten Grundsätze zu beurteilen
(BGE 107 IV 27 E. 4, 106 Ia 220 f., 105 Ia 380, 100 Ia 186 f.; anderer
Ansicht HANSJÖRG UTZ, Die Kommunikation zwischen inhaftiertem Beschuldigten
und Verteidiger, Basel und Frankfurt 1984, S. 42 ff.). Daran ändern auch
gewisse Formulierungen in einzelnen Entscheiden nichts (vgl. BGE 105
Ia 100 E. 2, nicht veröffentlichtes Urteil vom 10. Juni 1980 i.S. St.,
vgl. auch BGE 105 Ia 382). Demnach ist die vorliegende Beschwerde nicht
unter dem Gesichtswinkel der persönlichen Freiheit, sondern im Lichte
der aus Art. 4 BV abgeleiteten Grundsätze zu prüfen.

    c) Nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung ergibt sich aus Art. 4
BV der Anspruch des Verhafteten, grundsätzlich frei und unbeaufsichtigt
mit seinem Verteidiger verkehren zu können (BGE 105 Ia 380, vgl. auch 106
Ia 224). Ausnahmen werden indessen zugelassen, soweit sie auf gesetzlicher
Grundlage beruhen, im öffentlichen Interesse liegen und verhältnismässig
sind (BGE 105 Ia 380, vgl. unten E. 3e). In bezug auf die Frage, in welchem
Zeitpunkt und Stadium des Verfahrens Einschränkungen des unbeaufsichtigten
Kontaktes zulässig sind, hat das Bundesgericht ausgeführt, der
Angeschuldigte dürfe in seinem Anspruch nicht beeinträchtigt werden,
sich im Hinblick auf die gerichtliche Verhandlung im Hauptverfahren unter
Beizug seines Verteidigers hinreichend vorbereiten zu können (BGE 106
Ia 224, 105 Ia 380). Inwiefern und von welchem Zeitpunkt an der Anspruch
auf freien und unbeaufsichtigten Verkehr auch im Untersuchungsverfahren
gilt, geht aus der Rechtsprechung nicht klar hervor (vgl. STEFAN
TRECHSEL, Die Verteidigungsrechte in der Praxis zur Europäischen
Menschenrechtskonvention, in: ZStrR 96/1979 S. 389 ff.). Immerhin hat
das Bundesgericht dargelegt, dass eine Einschränkung des freien Verkehrs
nicht während der ganzen Dauer der Untersuchung aufrechterhalten werden
dürfe (BGE 106 Ia 223). Eine Bestimmung, nach welcher der Verteidiger
grundsätzlich erst nach Abschluss der Untersuchung zugelassen werde,
halte vor der Verfassung nicht stand (BGE 105 Ia 101 E. 2). Der Anspruch
nach Art. 5 Ziff. 4 EMRK, ein gerichtliches Verfahren zur Überprüfung
der Rechtmässigkeit von Untersuchungshaft zu beantragen, würde ferner
illusorisch, wenn der Angeschuldigte mit seinem Rechtsvertreter nicht schon
vor Abschluss der Untersuchung frei verkehren könnte (BGE 105 Ia 102). Das
Bundesgericht prüfte jeweilen im Einzelfall, ob mit Rücksicht auf den
Gang der Untersuchung oder die Sicherheit der Haftanstalt Einschränkungen
bestimmter Art auf eine gewisse Dauer zulässig seien.

    d) Zum andern beruft sich der Beschwerdeführer auf die Europäische
Menschenrechtskonvention (EMRK). Die Europäische Menschenrechtskommission
hat verschiedentlich erklärt, die Konvention garantiere - im Gegensatz
zu andern internationalen Abkommen - keinen ausdrücklichen Anspruch
auf unbeaufsichtigten Kontakt zwischen dem Angeschuldigten und seinem
erbetenen Rechtsvertreter. Ein solches Recht könne indessen aus den
Bestimmungen von Art. 6 Ziff. 3 lit. b und lit. c EMRK abgeleitet
werden, da der unbeaufsichtigte Verkehr ein grundlegendes Element im
Hinblick auf die Vorbereitung der Verteidigung darstelle (Entscheid
der Kommission i.S. Kröcher und Möller, DR 26 S. 38; Entscheid der
Kommission i.S. Schertenleib, DR 17 S. 203 f. = VPB 47/1983 Nr. 171,
mit Hinweis). Ziff. 3 von Art. 6 EMRK enthalte eine nicht abschliessende
Aufzählung von Garantien, welche Aspekte des Grundsatzes eines fairen
Gerichtsverfahrens darstellen und diesen für den strafrechtlichen Bereich
konkretisieren (Urteil des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte
i.S. Artico, Publications de la Cour européenne des Droits de l'Homme,
Série A vol. 37, Ziff. 32 = EuGRZ 1980 S. 664). Es stellt sich indessen
die Frage, ob und in welchem Ausmass die Garantien von Art. 6 Ziff. 3 EMRK
bereits im Untersuchungsverfahren anwendbar sind. Die Kommission liess sie
vorerst offen (zitierter Entscheid i.S. Kröcher und Möller, DR 26 S. 38
f.; Entscheid der Kommission i.S. Bonzi, DR 12 S. 187 f.). Seither hat die
Kommission ausgeführt, es sei in jedem einzelnen Fall im Hinblick auf das
ganze Verfahren und dessen Bedeutung zu entscheiden, ob einzelne in Art. 6
Ziff. 3 EMRK genannte (oder daraus abgeleitete) Garantien anwendbar und
allenfalls verletzt seien (vgl. TRECHSEL, aaO, S. 391 f.). Im Hinblick
auf das Untersuchungsverfahren nach der zürcherischen Strafprozessordnung
hat sie dargelegt, dieses sei für den Verlauf des ganzen Verfahrens von
derartiger Bedeutung, dass die Anwendung von Art. 6 Ziff. 3 EMRK nicht
ausgeschlossen werden könne (Entscheid der Kommission i.S. W., DR 33
S. 26 ff. = VPB 47/1983 Nr. 170 und Nr. 172).

    Entscheidendes Gewicht kommt schliesslich dem Fall Can zu. Die
Kommission hat in ihrem Bericht ausgeführt, die Garantien nach Ziff. 3
von Art. 6 EMRK seien unterschiedlicher Natur. Einzelne bezögen sich
hauptsächlich auf den Hauptprozess. Die Anwendung von Art. 6 Ziff. 3 lit. b
und lit. c EMRK sei indessen nicht auf das Hauptverfahren beschränkt;
angesichts der Bedeutung des Untersuchungsverfahrens (im österreichischen
Strafprozessrecht) hätten diese Garantien auch schon in diesem Stadium
Geltung (erwähnter Bericht der Kommission vom 12. Juli 1984 i.S. Can,
Ziff. 47 und 50 = VPB 48/1984 Nr. 87 = EuGRZ 1986 S. 277). Aufgrund von
lit. b der erwähnten Konventionsbestimmung habe der Angeschuldigte das
Recht, seine Verteidigung in angemessener Weise und ohne Einschränkung
vorzubereiten; in Anbetracht des Umstandes, dass der Betroffene während
eines Jahres vor dem Hauptverfahren unbeaufsichtigten Kontakt mit seinem
Rechtsvertreter hatte, lag diesbezüglich keine Konventionsverletzung vor
(erwähnter Bericht i.S. Can, Ziff. 53 = VPB 48/1984 Nr. 88 = EuGRZ 1986
S. 278). In bezug auf lit. c von Art. 6 Ziff. 3 EMRK hat die Kommission die
Wichtigkeit der effektiven Verteidigung schon im Untersuchungsverfahren
betont. Sie legte Gewicht darauf, dass der Verteidiger die Möglichkeit
haben müsse, die Rechtmässigkeit der vom Untersuchungsrichter angeordneten
Massnahmen zu überprüfen und insbesondere auch die Untersuchungshaft (in
bezug auf deren Berechtigung, Dauer und Umstände) zu beanstanden. Diese
Rechte könnten nicht vollwertig ausgeübt werden, solange dem Verteidiger
der unbeaufsichtigte Kontakt mit dem Untersuchungsgefangenen nicht
zugestanden werde. Aus diesem Grunde sei es mit der Garantie auf effektive
Verteidigung nach Art. 6 Ziff. 3 lit. c EMRK grundsätzlich nicht vereinbar,
den Verkehr zwischen dem Angeschuldigten und seinem Rechtsvertreter
(akustisch) zu überwachen. Die Kommission räumte indessen ein, dass unter
ausserordentlichen Umständen der Verkehr ausnahmsweise eingeschränkt werden
dürfe (siehe unten E. 3e). Mit Rücksicht darauf, dass im Falle Can keine
ausserordentlichen Umstände vorlagen und die Beschränkung drei Monate
dauerte, kamen sowohl die Kommission als auch der Gerichtshof zum Schluss,
dass die Konvention (lit. c von Art. 6 Ziff. 3 EMRK) verletzt worden sei
(erwähnter Bericht i.S. Can, Ziff. 55 ff. = VPB 48/1984 Nr. 89 = EuGRZ
1986 S. 278; Entscheid des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte
i.S. Can, Publications de la Cour européenne des Droits de l'Homme, Série
A vol. 96, Ziff. 17, in deutscher Übersetzung in: EuGRZ 1986 S. 276). Ob
in Anbetracht dieser neuesten Rechtsprechung der Strassburger Organe an
der Rechtsprechung des Bundesgerichts festgehalten werden kann, wonach
Art. 6 Ziff. 3 lit. c EMRK durch die Beschränkung des Kontaktes zwischen
dem Angeschuldigten und seinem Rechtsvertreter nicht verletzt werde
(BGE 105 Ia 101 E. 3a), erscheint demnach als fraglich.

    Soweit sich der Beschwerdeführer im vorliegenden Fall auf
Art. 6 Ziff. 3 lit. b EMRK beruft, liegt keine Konventionsverletzung
vor. Denn er macht selber nicht geltend, durch die Beaufsichtigung seiner
Kontakte mit seinem Rechtsvertreter werde die genügende Vorbereitung der
Hauptverhandlung, welche - im Falle einer Anklage - in weiter Ferne liegt,
beeinträchtigt. Hingegen stellt sich nach der dargelegten Rechtsprechung
der Strassburger Organe die Frage nach einer allfälligen Verletzung von
Art. 6 Ziff. 3 lit. c EMRK.

    e) Nach den Ausführungen der Europäischen Menschenrechtskommission
bedeutet der Anspruch des Untersuchungsgefangenen auf unbeaufsichtigten
Verkehr mit seinem Verteidiger nach Art. 6 Ziff. 3 lit. c EMRK nicht, dass
dieser unter allen Umständen und ohne jegliche Ausnahme gewährt werden
müsse. Eine allfällige Einschränkung müsse aber eine Ausnahme bleiben und
durch ausserordentliche Umstände gerechtfertigt werden. Im Fall Kröcher
und Möller - in dem die Kommission eine vierwöchige Beschränkung unter
dem Gesichtswinkel von Art. 6 Ziff. 3 lit. b EMRK beurteilt hatte -
seien den Beschuldigten schwerste Tötungsdelikte im Zusammenhang mit
terroristischen Anschlägen zur Last gelegt worden, weshalb sie als
ausserordentlich gefährlich bezeichnet werden konnten. Im Fall Can
hingegen seien keine ausserordentlich schwerwiegenden Vorwürfe, keine
besondere Kollusionsgefahr und keine Anzeichen dafür vorgelegen, dass der
Rechtsvertreter das Vertrauen missbrauchen oder gar zur Kollusion beitragen
könnte (erwähnter Bericht i.S. Can, Ziff. 57 ff. = VPB 48/1984 Nr. 89 =
EuGRZ 1986 S. 278; Entscheid der Kommission i.S. Kröcher und Möller, DR
26 S. 37 f.; vgl. JOCHEN ABR. FROWEIN/WOLFGANG PEUKERT, EMRK-Kommentar,
Kehl/Strassburg/Arlington 1985, N. 132 zu Art. 6).

    Demgegenüber hat das Bundesgericht zur Einschränkung der
Verteidigerrechte nach Art. 4 BV ausgeführt, Fälle, in denen den
Angeschuldigten schwerste Delikte zur Last gelegt werden und diese zu den
des Terrorismus dringend verdächtigten Kreisen zu zählen sind, stellten ein
besonderes Risiko dar. Angeschuldigte aus solchen Kreisen seien bereit,
zu den äussersten Mitteln zu greifen, um die Befreiung ihrer Mitglieder
zu bewirken. Zu denken sei sowohl an direkte Befreiungsaktionen als
auch an indirekte Mittel wie das der Geiselnahme oder der Anstiftung von
aussen zum Selbstmord. Das Bundesgericht hielt fest, es sei auch nicht
auszuschliessen, dass Dritte - Anwälte nicht ausgenommen - mit oder ohne
Wissen zu Komplizen der Gefangenen würden, indem sie zur Erleichterung
derartiger Versuche bestimmtes oder geeignetes Material in der einen
oder andern Richtung übermittelten. Bei Angeschuldigten von solcher
Gefährlichkeit seien daher auch besondere, einschränkende Massnahmen
bezüglich des Verkehrs mit dem Verteidiger zulässig, und zwar selbst dann,
wenn die Person des Verteidigers an sich in keiner Weise verdächtig sei.
Schliesslich könne auch der Anwalt in eine ernste Konfliktsituation
geraten, wenn ihn der Angeschuldigte um Weiterleitung eines Schriftstückes
an einen Gesinnungsfreund bittet oder wenn ihm ein solches von Dritten zur
Weiterleitung an den Untersuchungsgefangenen übergeben wird (BGE 106 Ia 221
E. b, unveröffentlichtes Urteil vom 7. Juni 1978 i.S. Kröcher und Möller).

    Im folgenden ist unter Berücksichtigung dieser Kriterien zu prüfen,
ob die vom Beschwerdeführer beanstandete Überwachung seiner Kontakte mit
seinem Rechtsvertreter vor der Verfassung und der Konvention standhalte.

    f) Der Beschwerdeführer wird beschuldigt, als Mitglied einer
Bande an zahlreichen Sprengstoff-, Brand- und ähnlichen Anschlägen in
Winterthur beteiligt gewesen zu sein, darunter einem Sprengstoffanschlag
auf das Wohnhaus von alt Bundesrat Friedrich, einem Brandanschlag auf
ein Zivilschutzzentrum, der Unterwassersetzung eines Geschäftshauses
und Brandanschlägen auf zwei Schützenhäuser. Zu diesen Anschlägen hat
sich eine Organisation mit der Bezeichnung "Autonome Zellen" bekannt. Es
ist schon heute ersichtlich, dass die Anschläge auf einer gemeinsamen
politischen Idee sowie auf dem Willen beruhen, diese in militanter
Weise auch unter Zerstörung oder Gefährdung wichtigster Rechtsgüter zu
verfechten. Die Annahme des Obergerichts, es handle sich um systematische
Angriffe auf die schweizerische Staats- und Gesellschaftsordnung, kann
mindestens nicht als willkürlich bezeichnet werden, vor allem nicht im
Hinblick auf die Wahl der angegriffenen Objekte. So gesehen erscheinen
die Beschuldigten als ausserordentlich gefährlich, und die Annahme ist
durchaus vertretbar, sie würden auch im Prozess nicht vor der Anwendung
unzulässiger Mittel zurückschrecken. Der vorliegende Fall lässt sich
damit auch nicht ohne weiteres mit dem erwähnten, von der Europäischen
Menschenrechtskommission beurteilten Fall Can vergleichen; dieser betraf
eine einmalige Brandstiftung ohne ideologischen Hintergrund und ohne
Gefahr für die österreichische Staats- und Gesellschaftsordnung. Der
vorliegende Komplex von Anschuldigungen liegt vielmehr näher bei
systematischen Terrorakten gegen die bestehende Gesellschaftsordnung, wie
sie das Bundesgericht in BGE 106 Ia 219 und im Fall Kröcher und Möller
(unveröffentlichtes Urteil vom 7. Juni 1978) zu beurteilen hatte. Daran
ändert auch die Tatsache nichts, dass bei den im vorliegenden Fall
erhobenen Anschuldigungen keine Todesopfer zu beklagen sind. Es handelt
sich daher beim Beschwerdeführer um einen Untersuchungsgefangenen von
besonderer Gefährlichkeit, welche besondere Einschränkungen rechtfertigt.

    Im vorliegenden Fall darf weiter berücksichtigt werden, dass im
Zeitpunkt des Entscheides der II. Zivilkammer noch ausgesprochene
Kollusionsgefahr bestand. Die gegen den Beschwerdeführer gerichtete
Untersuchung befand sich noch weitgehend im Anfangsstadium. Der
Beschwerdeführer selber und der weitere Angeschuldigte W. hatten bisher
jegliche Aussage verweigert; dies trifft ferner auch auf weitere, während
der Untersuchung einvernommene Angeschuldigte weitgehend zu. Angesichts des
Umstandes, dass sich alle Beschuldigten ausser dem Beschwerdeführer und
W. auf freiem Fuss befinden, wäre es für S. ein leichtes, die Beweislage
zu seinen Gunsten zu beeinflussen.

    Bei dieser Sachlage hält die beanstandete Überwachung unabhängig von
der Person des Rechtsvertreters sowohl vor der Verfassung als auch vor
der Europäischen Menschenrechtskonvention stand.

    g) Der Beschwerdeführer wendet ferner ein, die Beaufsichtigung seiner
Kontakte mit Rechtsanwalt G. richte sich gezielt gegen diesen.

    Wie der Beschwerdeführer zutreffend ausführt, gelten die zugelassenen
Anwälte als Personen des öffentlichen Vertrauens (BGE 105 Ia 381;
vgl. auch den erwähnten Bericht der Kommission i.S. Can, Ziff. 59 = VPB
48/1984 Nr. 89 = EuGRZ 1986 S. 279). Lassen sie sich Unregelmässigkeiten
zuschulden kommen, so ist es in erster Linie Sache der Disziplinarbehörden,
die notwendig erscheinenden Massnahmen zu treffen (vgl. ROBERT LEVI,
Schwerpunkte der strafprozessualen Rechtsprechung des Bundesgerichts
und der Organe der Europäischen Menschenrechtskonvention, in: ZStrR
102/1985 S. 355). Es ist, wie die II. Zivilkammer des Obergerichts
im angefochtenen Entscheid ausführt, auch nicht unzulässig, dass
sich Rechtsanwälte, welche verschiedene Angeschuldigte verteidigen,
miteinander besprechen. Das Bundesgericht hat indessen ausgeführt, dass
auch Rechtsanwälte bewusst oder unbewusst zu Komplizen der Angeschuldigten
werden und in eine ernsthafte Konfliktsituation geraten könnten (BGE 106
Ia 221 E. b). Dass sich diese Situation bei Rechtsanwalt G. umso eher
einstellen könne, als dieser in engem Kontakt mit Rechtsanwalt R. steht,
der den weitern Hauptangeschuldigten W. vertritt, lässt sich mit haltbaren
Gründen vertreten. Demnach liegt auch in dieser Hinsicht keine Verletzung
von Bundesverfassungs- und Konventionsrecht vor.

Erwägung 4

    4.- (Im Umstand, dass dem Beschwerdeführer einerseits der
unbeaufsichtigte Kontakt mit seinem Rechtsanwalt verweigert worden war und
dieser andererseits zum amtlichen Verteidiger ernannt worden ist, kann
entgegen der Auffassung des Beschwerdeführers weder ein Verstoss gegen
den Grundsatz von Treu und Glauben noch eine Verletzung der aus Art. 4 BV
und Art. 6 Ziff. 3 EMRK abgeleiteten Verteidigungsrechte erblickt werden.)