Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 111 IA 329



111 Ia 329

57. Auszug aus dem Urteil der I. öffentlichrechtlichen Abteilung vom 10.
Dezember 1985 i.S. Politische Gemeinde Urdorf gegen Regierungsrat des
Kantons Zürich (staatsrechtliche Beschwerde) Regeste

    Gemeindeautonomie; Nichtgenehmigung kommunaler Bau- und
Zonenvorschriften durch die kantonale Behörde.

    Es bedeutet keine Verletzung der Gemeindeautonomie, wenn eine kommunale
Vorschrift, die in der Industriezone Handels- und Dienstleistungsbetriebe
zulässt, Einkaufszentren jedoch ausschliesst, wegen Verstosses gegen § 56
des zürcherischen Planungs- und Baugesetzes nicht genehmigt wurde. Diese
kantonale Bestimmung lässt sich ohne Willkür dahin auslegen, dass die
Gemeinden Handels- und Dienstleistungsbetriebe in der Industriezone
entweder generell zulassen oder nicht zulassen dürfen, es ihnen aber
nicht erlaubt ist, bestimmte Arten solcher Betriebe auszuschliessen (E. 3).

    Verneinung der Autonomie der zürcherischen Gemeinden in bezug auf die
Regelung der Frage, ob und inwieweit eine Bepflanzung oder Begrünung von
Anlagen verlangt werden darf (E. 4).

Sachverhalt

    A.- Die Gemeindeversammlung Urdorf beschloss am 4. April 1984 eine
neue Nutzungsplanung. Diese besteht aus einer Bau- und Zonenordnung, einem
Zonenplan und sieben weiteren Plänen. Der Gemeinderat Urdorf ersuchte
in der Folge den Regierungsrat des Kantons Zürich um Genehmigung der
neuen kommunalen Nutzungsplanung. Der Regierungsrat genehmigte sie mit
Beschluss vom 2. Mai 1985 unter Vorbehalt verschiedener Bestimmungen. Er
schloss Art. 9 der Bauordnung wegen eines hängigen Rekurses, die Art. 21
Abs. 1, 22, 24 Abs. 3 und die Verweisung auf Art. 25 in Art. 24 Abs. 1
der Bauordnung wegen Verstosses gegen das kantonale Recht von der
Genehmigung aus.

    Die Politische Gemeinde Urdorf führt gegen diesen Entscheid des
Regierungsrates des Kantons Zürich beim Bundesgericht staatsrechtliche
Beschwerde wegen Verletzung der Gemeindeautonomie. Sie beantragt, der
angefochtene Beschluss sei insoweit aufzuheben, als damit die Art. 21
Abs. 1, 22 und 24 Abs. 3 der Bauordnung nicht genehmigt wurden. Das
Bundesgericht weist die Beschwerde ab.

Auszug aus den Erwägungen:

                      Aus den Erwägungen:

Erwägung 1

    1.- Mit dem angefochtenen Entscheid des Regierungsrates des Kantons
Zürich wurde die neue Bau- und Zonenordnung der Gemeinde Urdorf
zum Teil nicht genehmigt. Er trifft somit diese Gemeinde in ihrer
Eigenschaft als Trägerin hoheitlicher Gewalt. Sie ist daher legitimiert,
mit staatsrechtlicher Beschwerde eine Verletzung ihrer Autonomie zu
rügen. Ob die Gemeinde im betroffenen Bereich tatsächlich autonom ist,
bildet Gegenstand der materiellen Beurteilung (BGE 110 Ia 198/199 E. 1 mit
Hinweisen). Im einleitenden Abschnitt der Beschwerde wird neben Art. 48 der
zürcherischen Kantonsverfassung, welche Vorschrift die Gemeindeautonomie
gewährleistet, auch Art. 22ter BV angeführt. In der Beschwerdebegründung
hält die Gemeinde Urdorf jedoch ausdrücklich fest, dass sie ausschliesslich
eine Verletzung ihrer Autonomie rüge. Sie wäre übrigens nicht befugt,
sich auf die Eigentumsgarantie zu berufen, da der Regierungsrat die hier
in Frage stehenden Bestimmungen der kommunalen Bau- und Zonenordnung nicht
wegen Verletzung der Eigentumsgarantie, sondern wegen Unvereinbarkeit mit
dem übergeordneten kantonalen Recht von der Genehmigung ausschloss. Auf
die Beschwerde kann nach dem Gesagten eingetreten werden.

Erwägung 2

    2.- Eine Gemeinde ist in einem Sachbereich autonom, wenn das kantonale
Recht für diesen Bereich keine abschliessende Ordnung trifft, sondern
ihn ganz oder teilweise der Gemeinde zur Regelung überlässt und ihr
dabei eine relativ erhebliche Entscheidungsfreiheit einräumt (BGE 110
Ia 199 E. 2 mit Hinweisen). Ist diese Voraussetzung erfüllt, so kann
sie sich mit staatsrechtlicher Beschwerde dagegen zur Wehr setzen, dass
die kantonale Behörde im Rechtsmittel- oder im Genehmigungsverfahren
ihre Prüfungsbefugnis überschreitet oder dass sie bei der Anwendung
der kommunalen, kantonalen oder bundesrechtlichen Normen, die den
betreffenden Sachbereich ordnen, gegen das Willkürverbot verstösst oder,
soweit kantonales oder eidgenössisches Verfassungsrecht in Frage steht,
dieses unrichtig auslegt oder anwendet (BGE 111 Ia 132 E. 4a; 110 Ia 200
E. 2b mit Hinweisen).

    Der Regierungsrat hat mit dem angefochtenen Entscheid die Art. 21
Abs. 1, 22 und 24 Abs. 3 der von der Gemeinde Urdorf am 4. April
1984 beschlossenen Bau- und Zonenordnung nicht genehmigt. Nach der
bundesgerichtlichen Rechtsprechung steht den zürcherischen Gemeinden beim
Erlass einer Bau- und Zonenordnung im Sinne der §§ 45 ff. des Planungs-
und Baugesetzes des Kantons Zürich vom 7. September 1975 (PBG) ein weiter
Gestaltungsraum zu; sie sind insoweit grundsätzlich autonom (BGE 111 Ia
132/133 E. 4b mit Hinweis). Es ist im folgenden zu prüfen, ob die Gemeinden
auch in jenen Bereichen autonom sind, die von den nicht genehmigten
Bestimmungen der Bau- und Zonenordnung berührt werden. Ist diese Frage
zu verneinen, so erweist sich die Autonomiebeschwerde als unbegründet.

Erwägung 3

    3.- Art. 21 Abs. 1 der Bau- und Zonenordnung der Gemeinde Urdorf vom
4. April 1984 (BauO) regelt die Nutzweise in der Industriezone und lautet
wie folgt:

    "Handels- und Dienstleistungsbetriebe sind zugelassen; ausgenommen
   jedoch Einkaufszentren."

    Der Regierungsrat hat diese Vorschrift mit der Begründung nicht
genehmigt, gemäss § 56 PBG könne die Bau- und Zonenordnung Handels- und
Dienstleistungsgewerbe entweder gesamthaft zulassen oder ausschliessen.
Detailliertere Unterscheidungen seien daher nicht zulässig. Die
Beschwerdeführerin macht geltend, die Nichtgenehmigung von Art. 21 Abs. 1
BauO bedeute eine Verletzung ihrer Autonomie, denn sie habe mit dieser
Vorschrift "lediglich von ihrer nach § 56 Abs. 2 und § 294 lit. c PBG
bestehenden Freiheit, in der Industriezone differenzierende Vorschriften
für Handels- und Dienstleistungsbetriebe zu erlassen, Gebrauch gemacht".

    Das Bundesgericht prüft bei Autonomiebeschwerden den angefochtenen
Entscheid nur unter dem Gesichtswinkel der Willkür, sofern es - wie
hier - nicht um die Auslegung und Anwendung von Normen des kantonalen
oder eidgenössischen Verfassungsrechts geht (BGE 110 Ia 200/201 E. 4 mit
Hinweisen). Von Willkür kann nicht schon dann die Rede sein, wenn sich
eine andere Lösung ebenfalls vertreten liesse oder sogar vorzuziehen
wäre. Ein Verstoss gegen das Willkürverbot liegt erst dann vor, wenn der
angefochtene Entscheid offensichtlich unhaltbar, mit sachlichen Gründen
schlechthin nicht mehr vertretbar ist (BGE 107 Ia 114; 105 Ia 176 99 Ia
346, je mit Hinweisen). Dies trifft im hier zu beurteilenden Fall nicht zu.

    Gemäss § 46 Abs. 1 PBG regelt die Bau- und Zonenordnung die
Überbaubarkeit und die Nutzweise der Grundstücke, soweit diese nicht
abschliessend durch eidgenössisches oder kantonales Recht bestimmt
sind. Hinsichtlich der Nutzweise in den Industriezonen legt das kantonale
Recht folgendes fest:
      § 56 PBG "Industriezonen sind in erster Linie für die Ansiedlung
   industrieller und gewerblicher Betriebe der Produktion und der

    Gütergrossverteilung bestimmt.

    Die Bau- und Zonenordnung kann auch Handels- und

    Dienstleistungsgewerbe zulassen.

    Wohnungen für standortgebundene Betriebsangehörige sind gestattet;
   für vorübergehend angestellte Personen kann die Bau- und Zonenordnung
   provisorische Gemeinschaftsunterkünfte zulassen."

    Dieser Vorschrift ist zu entnehmen, dass das kantonale Recht Handels-
und Dienstleistungsgewerbe in den Industriezonen grundsätzlich nicht
gestattet. Es ermächtigt jedoch in § 56 Abs. 2 PBG die Gemeinden,
in ihren Bau- und Zonenordnungen derartige Gewerbe zuzulassen. Der
Regierungsrat legt die Vorschrift dahin aus, dass die Gemeinden Handels-
und Dienstleistungsbetriebe in der Industriezone entweder generell zulassen
oder nicht zulassen dürften, es ihnen aber nicht erlaubt sei, bestimmte
Arten solcher Betriebe, also z.B. Einkaufszentren, auszuschliessen. Die
Beschwerdeführerin bringt nichts vor, was geeignet wäre, diese Auslegung
als unhaltbar erscheinen zu lassen. Aus den von ihr angeführten Stellen
aus der Entstehungsgeschichte des PBG ergibt sich nicht eindeutig,
ob bei der Zulassung von Handels- und Dienstleistungsbetrieben in der
Industriezone Differenzierungen gestattet sein sollen. Hingegen sprechen
sowohl der Wortlaut als auch der Sinn des § 56 PBG für die Auslegung, wie
sie der Regierungsrat vorgenommen hat. Die kantonale Behörde durfte mit
sachlichen Gründen erwägen, es gehe hier um die grundsätzliche planerische
Frage, ob gewisse Gebiete für industrielle und gewerbliche Betriebe
der Produktion und der Gütergrossverteilung reserviert bleiben oder ob
in Industriezonen generell auch Handels- und Dienstleistungsbetriebe
zulässig sein sollen. § 57 PBG, wonach die Bau- und Zonenordnung
"Industriezonen unterschiedlicher Einwirkungen" ausscheiden kann, steht
dem nicht entgegen. Diese Vorschrift bezieht sich auf den Störungsgrad der
industriellen Betriebe. Die Gemeinden dürfen Zonen bezeichnen, in denen
ein bestimmtes Mass an Einwirkungen nicht überschritten wird. Darunter
ist nicht der Ausschluss gewisser Dienstleistungsbetriebe zu verstehen,
auch wenn diese z.B. hinsichtlich der Erschliessung besondere Probleme
aufwerfen. Diesen besonderen Problemen ist mit entsprechend strengen
Anforderungen an die Erschliessung zu begegnen, und das zürcherische
Recht enthält denn auch spezielle Vorschriften darüber, wo bzw. unter
welchen Erschliessungsvoraussetzungen Einkaufszentren, Grossläden und
Begegnungsstätten mit grossem Publikumsverkehr zulässig sind (vgl. die
Verordnung über die Verschärfung oder die Milderung von Bauvorschriften für
besondere Bauten und Anlagen vom 26. August 1981/Besondere Bauverordnung
II).

    Der Regierungsrat durfte demnach ohne Willkür annehmen, gemäss §
56 PBG hätten die Gemeinden nur die Freiheit, in der Industriezone
Handels- und Dienstleistungsgewerbe entweder generell zuzulassen oder
auszuschliessen; detailliertere Unterscheidungen dürften sie nicht
vornehmen. Es ist fraglich, ob insoweit von einer relativ erheblichen
Entscheidungsfreiheit und damit von einem Autonomiebereich der Gemeinden
gesprochen werden kann oder ob nicht eher gesagt werden müsste, das
kantonale Recht enthalte diesbezüglich eine abschliessende Ordnung, so dass
die Gemeinden nicht autonom seien. Die Frage kann jedoch dahingestellt
bleiben, da die Rüge der Autonomieverletzung so oder so fehlgeht. Wird
angenommen, die Beschwerdeführerin sei in jenem Bereich, der durch Art. 21
Abs. 1 BauO berührt wird, nicht autonom, dann konnte der Regierungsrat
mit der Nichtgenehmigung dieser Vorschrift keine Autonomieverletzung
begehen. Bejaht man die Autonomie der Gemeinde Urdorf im betroffenen
Bereich, so wurde sie durch den angefochtenen Entscheid nicht verletzt,
da der Regierungsrat in vertretbarer Auslegung des kantonalen Rechts zum
Schluss gelangen konnte, Art. 21 Abs. 1 BauO verstosse gegen § 56 PBG und
könne daher nicht genehmigt werden. Die Beschwerde erweist sich somit in
diesem Punkt als unbegründet.

Erwägung 4

    4.- Die Art. 22 und 24 BauO lauten:

    Art. 22 Vorgartengebiete

    "Die Vorgartengebiete (Gebiet zwischen Strassengrenze und Baulinie)
   in Industriezonen, die durch eine Strasse von der benachbarten Wohnzone
   getrennt sind, müssen als Grünanlage gestaltet werden. Dasselbe
   ist erforderlich innerhalb des freibleibenden Streifens des
   bauordnungsgemässen Grenzabstandes gegenüber benachbarten Wohnzonen. Die

    Anordnung weiterer Bepflanzung, Grünflächen usw. gemäss § 238,
Abs. 3 PBG
   bleibt vorbehalten."

    Art. 24 Terrain, Überdeckung

    "Die zu errichtenden Anlagen dürfen nicht über das gewachsene

    Terrain (die heutige Terrainlinie) hinausragen, ausgenommen solche
gemäss

    Art. 25; Terrainveränderungen sind gestattet, wenn sie sich der
Umgebung
   gut einfügen.

    Mit Ausnahme der Ostfassade dürfen Fassaden nicht freigelegt werden.

    Die Anlagen sind mit Humus zu überdecken und mit standortgemässen

    Pflanzen und Sträuchern zu bepflanzen; diese sind entsprechend den

    Anforderungen des Landschaftsschutzes zu unterhalten."

    Der Regierungsrat schloss Art. 22 und Art. 24 Abs. 3 BauO von der
Genehmigung aus mit der Begründung, die Vorschriften verstiessen gegen §
238 Abs. 3 PBG, wonach Möglichkeit und Bedürfnis hinsichtlich Begrünung
im einzelnen Bewilligungsfall zu prüfen seien. Auch in diesem Punkt kann
der Genehmigungsbehörde keine unhaltbare Auslegung des kantonalen Rechts
vorgeworfen werden. § 238 PBG legt folgendes fest:

    "Bauten, Anlagen und Umschwung sind für sich und in ihrem

    Zusammenhang mit der baulichen und landschaftlichen Umgebung im ganzen
   und in ihren einzelnen Teilen so zu gestalten, dass eine befriedigende

    Gesamtwirkung erreicht wird; diese Anforderung gilt auch für
Materialien
   und Farben.

    Auf Objekte des Natur- und Heimatschutzes ist besondere Rücksicht zu
   nehmen; sie dürfen auch durch Nutzungsänderungen und Unterhaltsarbeiten
   nicht beeinträchtigt werden, für die keine baurechtliche Bewilligung
   nötig ist.

    Wo die Verhältnisse es zulassen, kann mit der baurechtlichen

    Bewilligung verlangt werden, dass vorhandene Bäume bestehen bleiben,
neue

    Bäume und Sträucher gepflanzt werden sowie der Vorgarten als Grünfläche
   hergerichtet wird."

    Gemäss § 238 Abs. 3 PBG darf die Bepflanzung und die Anlage von
Grünflächen nur verlangt werden, "wo die Verhältnisse es zulassen". Der
Regierungsrat konnte mit sachlichen Gründen erwägen, damit werde
abschliessend geregelt, dass jeweils im Einzelfall unter Würdigung der
betreffenden Verhältnisse darüber befunden werden müsse, ob und inwieweit
eine Bepflanzung oder eine Anlage von Grünflächen verlangt werden dürfe,
und es den Gemeinden daher nicht gestattet sei, ganz allgemein in dieser
Hinsicht strengere Anforderungen zu stellen. Verhält es sich so, dann ist
die Beschwerdeführerin in jenen Bereichen, die durch Art. 22 und Art. 24
Abs. 3 BauO betroffen werden, nicht autonom, weshalb die Nichtgenehmigung
dieser Vorschriften durch die kantonale Behörde keine Verletzung der
Gemeindeautonomie bedeutet. Die Beschwerde geht somit auch insoweit fehl.