Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 111 IA 318



111 Ia 318

54. Auszug aus dem Urteil der II. öffentlichrechtlichen Abteilung vom 5.
Dezember 1985 i.S. X. gegen Kanton Solothurn und Kantonale Rekurskommission
Solothurn (staatsrechtliche Beschwerde) Regeste

    Art. 46 Abs. 2 BV; Liegenschaftenhändler, Aufwandüberschuss in einem
Liegenschaftskanton.

    Der Wohnsitzkanton ist auch dann nicht verpflichtet, bei der Bemessung
des im Kanton steuerbaren Einkommens eines Liegenschaftenhändlers den
Aufwandüberschuss eines Liegenschaftskantons zu berücksichtigen, wenn
dieser Überschuss auf geschäftsmässig begründete hohe ausserordentliche
Abschreibungen zurückzuführen ist. Solche Aufwandüberschüsse sind dem
Liegenschaftskanton zur Verrechnung mit Erträgen und Veräusserungsgewinnen
späterer Steuerperioden zuzuweisen.

Sachverhalt

    A.- X. ist Inhaber eines Handwerksbetriebes im Kanton
Solothurn. Daneben betätigt er sich als Liegenschaftenhändler. Im
Geschäftsjahr 1978 nahm er auf ihm gehörenden Liegenschaften im Kanton
Basel-Landschaft geschäftsmässig begründete hohe ausserordentliche
Abschreibungen vor, die den dortigen Liegenschaftenertrag bei weitem
überstiegen.

    Der Kanton Solothurn besteuerte im Veranlagungsjahr 1979
(Bemessungsjahr 1978) den Reinertrag des Handwerksbetriebes sowie den im
Kanton erzielten Liegenschaftenertrag zum Satze des - wesentlich tieferen
- Gesamteinkommens. In seiner Steuerausscheidung wies er dem Kanton
Basel-Landschaft unter Berücksichtigung der dortigen Liegenschaftenerträge
einerseits sowie der Schuldzinsen, der Liegenschaftsunterhaltskosten und
der Abschreibung andererseits einen hohen Aufwandüberschuss zu.

    Das Bundesgericht weist die von X. geführte staatsrechtliche
Beschwerde, mit der dieser eine Verletzung von Art. 46 Abs. 2 BV geltend
macht, ab.

Auszug aus den Erwägungen:

                      Aus den Erwägungen:

Erwägung 4

    4.- a) Nach der 1953 eingeleiteten und seither mehrfach bestätigten
Rechtsprechung des Bundesgerichts (vgl. BGE 79 I 148) sind Gewinne aus
der Veräusserung von Geschäftsliegenschaften von Liegenschaftenhändlern -
zu denen der Beschwerdeführer offensichtlich und unbestritten gehört -
ausschliesslich und in vollem Umfang im Liegenschaftskanton steuerbar. Das
Bundesgericht befolgt damit den allgemeinen doppelbesteuerungsrechtlichen
Grundsatz, dass das Grundeigentum als einziges der Gebietshoheit
unentziehbar unterliegendes Gut dem Träger dieser Gebietshoheit zur
ausschliesslichen Besteuerung vorbehalten sein soll (BGE 111 Ia 123 E. 2a;
91 I 397, mit weiteren Hinweisen).

    Dafür hat der Liegenschaftskanton unabhängig von der Ausgestaltung
seiner Grundstückgewinnbesteuerung sämtliche Aufwendungen zu übernehmen,
die mit der Veräusserung zusammenhängen (BGE 95 I 434; 92 I 466/7,
mit weiteren Hinweisen; ASA 52, 172/3 E. 2b; 45, 140 E. 3b; HÖHN,
Interkantonales Steuerrecht, S. 470; LOCHER, Doppelbesteuerung,
§ 7, I D, Nr. 17 und viele weitere). Zu den Aufwendungen, die dem
Liegenschaftenhändler im Hinblick auf die Gewinnerzielung erwachsen und
die der Liegenschaftskanton spätestens bei der Ermittlung des steuerbaren
Gewinnes zu berücksichtigen hat, gehören unter anderem die Schuldzinsen
auf Fremdgeldern, die der Liegenschaftenhändler zur Finanzierung des
Geschäfts mit der im Kanton gelegenen Liegenschaft aufnahm. Abweichend
von dem für Nicht-Liegenschaftenhändler geltenden Grundsatz der
proportionalen Schuldzinsenverteilung hat der Liegenschaftskanton beim
Liegenschaftenhändler derartige Schuldzinsen objektmässig ausgeschieden
zum Abzug zuzulassen (BGE 88 I 341 ff.; bestätigt in 92 I 199 E. 2 und
467 E. 2a sowie in 95 I 434; HÖHN, aaO, S. 468 und S. 470; ZUPPINGER, Die
Besteuerung des Liegenschaftenhändlers im interkantonalen Verhältnis,
S. 28; DÄTWYLER, Die Behandlung von Unternehmungsliegenschaften im
interkantonalen Steuerrecht, Diss. St. Gallen 1969, S. 109). Solange
im Liegenschaftskanton keine genügenden Erträge erzielt werden,
von denen die ihm zugewiesenen Schuldzinsen und Unkosten abgezogen
werden können, sind diese zu seinen Lasten zu "aktivieren" (ASA 52,
172/3 E. 2b in fine; 39, 55/6 E. 3; HÖHN, aaO, S. 469; ZUPPINGER, aaO,
S. 28 und S. 30). Dementsprechend haben der Sitzkanton oder andere
Liegenschaftskantone Aufwandüberschüsse, die zufolge Überschüsse
der Gewinnungskosten und Schuldzinsen über den (laufenden) Ertrag
entstehen, nicht zu übernehmen. Bei der Abgrenzung der Steuerhoheiten
zwischen Sitzkanton und Belegenheitskanton hat das Bundesgericht bei
Liegenschaftenhändlern der Verrechnung von Aufwandüberschüssen in der
Zeit den Vorrang vor der Verrechnung als Verluste im Sitzkanton oder in
anderen Liegenschaftskantonen eingeräumt.

    Ein solcher bei einem Liegenschaftenhändler zulasten des
Liegenschaftskantons zu "aktivierender" Aufwandüberschuss stellt
keinen eigentlichen Ausscheidungsverlust dar. Die in der Literatur
geäusserte Kritik an der bundesgerichtlichen Rechtsprechung zu den
Ausscheidungsverlusten betrifft denn auch nicht Liegenschaftenhändler,
sondern Privatpersonen (HÖHN, aaO, S. 273) und Unternehmungen mit
ausserkantonalen Kapitalanlageliegenschaften (HÖHN, aaO, S. 459).

    b) Zu prüfen bleibt, ob ein Aufwandüberschuss auch insoweit
dem Liegenschaftskanton zuzuweisen ist, als er auf geschäftsmässig
begründeten Abschreibungen auf Liegenschaften beruht. Denn eine eigentliche
Aktivierung im kaufmännischen Sinne ist bei derartigen Aufwandüberschüssen
begrifflich-logisch ausgeschlossen.

    Unter dem Gesichtswinkel von Art. 46 Abs. 2 BV spricht nichts
dagegen, buchmässige oder realisierte Verluste auf Liegenschaften dem
Liegenschaftskanton zur Verrechnung mit Erträgen und Veräusserungsgewinnen
in derselben Bemessungsperiode zuzuweisen (vgl. bereits BGE 92 I
200 E. 3b). Es rechtfertigt sich - wie dies in BGE 92 I 200 E. 3b
bereits angedeutet wurde -, noch einen Schritt weiterzugehen und in
konsequenter Anwendung des bundesgerichtlichen Grundsatzes vom Vorrang
der Verlustverrechnung in der Zeit dem Liegenschaftskanton die mit dem
laufenden Ertrag und den Veräusserungsgewinnen in derselben Periode
nicht verrechenbaren Buchverluste infolge geschäftsmässig begründeter
Abschreibungen zur Verrechnung mit Erträgen und Veräusserungsgewinnen
späterer Perioden zuzuweisen. Auf die Dauer führt dies im allgemeinen
- und insbesondere dann, wenn bei der Veräusserung der betreffenden
Liegenschaft die vormals geschäftsmässig begründete Abschreibung
wieder eingebracht wird - zu einer auf die beteiligten Kantone richtig
verteilten Besteuerungsbefugnis. Anders entscheiden hiesse, den Sitzkanton
ungerechtfertigt benachteiligen, darf dieser doch bei der Veräusserung
einer ausserkantonalen Liegenschaft wiedereingebrachte Abschreibungen
nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung auch dann nicht besteuern,
wenn er diese in früheren Jahren zulasten des ihm zustehenden steuerbaren
Einkommens zum Abzug zugelassen hat (vgl. BGE 111 Ia 120 ff. sowie die
Ausnahme für Betriebsstätte-Liegenschaften von Unternehmungen, aaO,
S. 125 E. 2c).

    Offen bleiben kann im vorliegenden Fall die Frage, wie es sich verhält,
wenn nicht bloss auf Abschreibungen beruhende Aufwandüberschüsse, sondern
Verlustüberschüsse aus dem Verkauf von Liegenschaften bestehen. Lehre
und bisherige Rechtsprechung haben die Auffassung vertreten, solche
Verlustüberschüsse seien vom Sitzkanton zu übernehmen (BGE 92 I 200
E. 3b; HÖHN, aaO, S. 472, mit weiteren Nachweisen; der Hinweis auf einen
abweichenden neueren Entscheid ist unzutreffend).