Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 111 IA 276



111 Ia 276

49. Auszug aus dem Urteil der II. öffentlichrechtlichen Abteilung vom 17.
Oktober 1985 i.S. X. gegen Regierungsrat und Verwaltungsgericht des
Kantons Basel-Landschaft (staatsrechtliche Beschwerde) Regeste

    Unentgeltliche Rechtspflege. Anspruch auf Bestellung eines
unentgeltlichen Rechtsbeistandes im Verwaltungsgerichtsverfahren.

    1. Der Entscheid über die Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege
bzw. die Bestellung eines unentgeltlichen Rechtsbeistandes ist ein
Zwischenentscheid (E. 2).

    2. Auch im Verwaltungsgerichtsverfahren ergibt sich für die bedürftige
Partei unmittelbar aus Art. 4 BV unter bestimmten Voraussetzungen ein
Anspruch auf Bestellung eines unentgeltlichen Rechtsbeistandes (E. 3).

Sachverhalt

    A.- X. gelangte mit einem Gesuch um Gewährung einer Restdefizitgarantie
zur Deckung der Kinderheim-Unterbringungskosten für sein behindertes Kind
an die Erziehungs- und Kulturdirektion des Kantons Basel-Landschaft. Das
Gesuch wurde abgewiesen, ebenso eine gegen diesen Entscheid gerichtete
Beschwerde an den Regierungsrat des Kantons Basel-Landschaft.

    X. zog den regierungsrätlichen Entscheid an das Verwaltungsgericht
weiter. In der Begründung seiner Beschwerde ersuchte er das Gericht um
Gewährung der unentgeltlichen Prozessführung und Verbeiständung. Das Gesuch
wurde durch gerichtliche Verfügung vom 9. Juli 1984 abgewiesen. Mit Urteil
vom 6. März 1985 wies das Verwaltungsgericht die Beschwerde von X. auch
in der Sache ab; das Gericht erhob keine Kosten, kam aber nicht auf die
Frage der unentgeltlichen Verbeiständung zurück.

    Mit rechtzeitiger staatsrechtlicher Beschwerde vom 17. Mai 1985
beantragt X., der Entscheid des Verwaltungsgerichts vom 9. Juli 1984
betreffend Abweisung des Gesuchs um unentgeltliche Prozessverbeiständung
sei aufzuheben; für das staatsrechtliche Beschwerdeverfahren sei die
unentgeltliche Prozessführung und die unentgeltliche Prozessvertretung
zu bewilligen.

    Das Verwaltungsgericht des Kantons Basel-Landschaft hat auf
eine Vernehmlassung verzichtet; der Regierungsrat beantragt unter
Hinweis auf den Bundesgerichtsentscheid vom 8. März 1985 i.S. G.R.,
die staatsrechtliche Beschwerde gutzuheissen und den angefochtenen
Entscheid betreffend unentgeltlichen Rechtsbeistand aufzuheben. Das
Verwaltungsgericht werde dann zu prüfen haben, ob die Voraussetzungen
für die Übernahme des Armenanwaltshonorars durch die Gerichtskasse
erfüllt seien.

    Das Bundesgericht heisst die staatsrechtliche Beschwerde gut.

Auszug aus den Erwägungen:

                  Auszug aus den Erwägungen:

Erwägung 2

    2.- Die staatsrechtliche Beschwerde wegen Verletzung von Art.
4 BV ist erst gegen letztinstanzliche Endentscheide zulässig, gegen
letztinstanzliche Zwischenentscheide nur, wenn sie für den Betroffenen
einen nicht wiedergutzumachenden Nachteil zur Folge haben (Art. 87 OG).

    a) Auf staatsrechtliche Beschwerden gegen selbständige
Gerichtsbeschlüsse, welche die unentgeltliche Rechtspflege bzw. die
Gewährung eines unentgeltlichen Rechtsbeistandes verweigern, wird
nach ständiger Praxis regelmässig eingetreten; das Bundesgericht lässt
dabei meist offen, ob solche Gerichtsbeschlüsse Endentscheide sind oder
Zwischenentscheide, die einen nicht wiedergutzumachenden Nachteil zur
Folge haben. Im vorliegenden Fall, in dem die Beschwerde nicht bereits im
Anschluss an die den unentgeltlichen Beistand verweigernde Verfügung vom
9. Juli 1984, sondern erst gegen den Endentscheid in der Sache selbst vom
6. März 1985 erhoben wurde, muss die Frage entschieden werden. War die
Verfügung vom 9. Juli 1984 ein Endentscheid, so ist die staatsrechtliche
Beschwerde verspätet; sie wurde hingegen rechtzeitig eingereicht, wenn
die betreffende Verfügung nur als Zwischenentscheid zu gelten hat. In
diesem Fall kann die staatsrechtlichen Beschwerde sinnvollerweise auch
noch im Anschluss an den materiellen Endentscheid erhoben werden; ein
irreversibler Nachteil trat nicht ein, da die Anwaltskosten immer noch
durch die Gerichtskasse übernommen werden können. Der nachträglichen
Gewährung einer vorher zu Unrecht verweigerten Rechtswohltat steht nichts
im Wege; denn es kann umgekehrt eine zu Unrecht erteilte unentgeltliche
Rechtspflege auch später noch rückwirkend entzogen werden (HEINRICH
HEUBERGER, Das Armenrecht der Aargauischen Zivilprozessordnung, Aarau 1947,
S. 91 ff.; KURT MEYER, Das zivilprozessuale Armenrecht im Kanton Zug,
Baar 1953, S. 170 ff.).

    b) Ob die vorgängige Verweigerung der unentgeltlichen Rechtspflege
ein Zwischenentscheid sei oder nicht, wurde in BGE 99 Ia 439 ausdrücklich
offengelassen, doch scheint das Gericht eher zur Ansicht geneigt zu haben,
es handle sich um einen Endentscheid. Nach neuerer Praxis gelten auch
Entscheide über vorsorgliche Massnahmen als Endentscheide (BGE 100 Ia
20 E. 1 mit Hinweisen). Es ist Begriffsmerkmal der Zwischenentscheide,
dass sie das Verfahren nicht abschliessen, sondern bloss einen Schritt auf
dem Weg zum Endentscheid darstellen (gleichgültig ob in einer Verfahrens-
oder einer materiellen Frage). Der Entscheid betreffend unentgeltliche
Rechtspflege bzw. unentgeltliche Verbeiständung bringt aber, anders
als etwa eine Beweisanordnung, das Verfahren nicht eigentlich seinem
Ziel näher, sondern scheint eher eine selbständige verfahrensrechtliche
Nebenfrage zu beantworten; begrifflich wäre daher die Qualifizierung
als Endentscheid nicht ausgeschlossen. Auf der andern Seite hat das
Bundesgericht die Verpflichtung zur Leistung eines Prozesskostenvorschusses
als Zwischenentscheid qualifiziert (BGE 77 I 46 E. 2). Die Freistellung
von diesem Vorschuss beseitigt eine Prozesserschwernis und bringt dadurch
in einem sehr allgemeinen Sinn das Verfahren vorwärts. Entsprechendes gilt
für unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung. Da Zwischenentscheide,
die einen irreversiblen Nachteil bewirken, anfechtbar sind, besteht
keine praktische Notwendigkeit, die Verweigerung der unentgeltlichen
Rechtspflege und Verbeiständung als Endentscheid einzustufen; dies
rechtfertigt sich um so weniger, als das eidg. Verwaltungsverfahrensgesetz
(SR 172.021; Art. 45 Abs. 2 lit. h) die Verweigerung der unentgeltlichen
Rechtspflege ausdrücklich zu den Zwischenentscheiden zählt (vgl. auch
P. LUDWIG, Endentscheid, Zwischenentscheid und Letztinstanzlichkeit im
staatsrechtlichen Beschwerdeverfahren, ZBJV 1974, 161 ff., bes. 176). Es
ist vielmehr angezeigt, Beschlüsse betreffend Verweigerung der
unentgeltlichen Rechtspflege oder Verbeiständung als Zwischenentscheide
zu betrachten. Sind sie mit einem nicht behebbaren Nachteil verbunden,
weil z. B. dem Gericht oder dem Anwalt innert kurzer Frist ein
Kostenvorschuss geleistet werden müsste, so unterliegt der diesbezügliche
Entscheid der letzten kantonalen Instanz direkt der staatsrechtlichen
Beschwerde. Bleibt ein solcher Nachteil aus, verbleibt die Beschwerde
gegen den letztinstanzlichen kantonalen Sachentscheid.

    Demnach ist die vorliegende staatsrechtliche Beschwerde zulässigerweise
im Anschluss an den Sachentscheid erhoben worden, dessen Dispositiv die
Verweigerung der unentgeltlichen Verbeiständung nicht widerrief, sondern
stillschweigend bestätigte. Auf die Beschwerde ist daher einzutreten.

Erwägung 3

    3.- a) Aus Art. 4 BV wurden Verfahrensgarantien (Anspruch auf
rechtliches Gehör, auf unentgeltliche Rechtspflege usw.) früher nur für
Zivil- und Strafprozesse abgeleitet, dagegen nicht oder nur in beschränktem
Mass für Verwaltungsverfahren. Die Rechtsprechung hat diese Differenzierung
schrittweise überwunden und das Verwaltungsstreitverfahren mehr und
mehr den Zivil- und Strafprozessen gleichgestellt, nicht nur bezüglich
des rechtlichen Gehörs, sondern auch hinsichtlich der unentgeltlichen
Rechtspflege. BGE 107 Ia 8 anerkannte im Licht von Art. 4 BV einen Anspruch
auf einen unentgeltlichen Rechtsbeistand für ein Administrativverfahren
vor einer Kantonsregierung in einer Vormundschaftssache. Im BGE vom
8. März 1985 i.S. G.R. erklärte das Bundesgericht, auch in einem von
der Offizialmaxime beherrschten Verwaltungsgerichtsverfahren bestehe -
unter bestimmten Voraussetzungen - ein Anspruch der bedürftigen Partei
auf einen unentgeltlichen Rechtsbeistand aufgrund der unmittelbar aus
Art. 4 BV fliessenden Verfahrensgarantien (publiziert in ZBl 86 (1985)
S. 412 ff. und EuGRZ 1985 S. 485 ff.).

    Der Anspruch hängt von folgenden Voraussetzungen ab: Die
gesuchstellende Partei muss bedürftig sein (BGE 110 Ia 27 E. 2) mit
Hinweisen; betr. die wirtschaftlichen Verhältnisse vgl. BGE 106 Ia 82;
die angestrebte Prozesshandlung darf nicht materiell aussichtslos (BGE
110 Ia 27 E. 2) oder prozessual unzulässig sein (BGE 104 Ia 73 E. 1); der
Entscheid muss für die gesuchstellende Partei eine erhebliche Tragweite
haben; die gesuchstellende Partei darf nicht selber rechtskundig sein;
schliesslich müssen sich im Prozess unausweichliche Fragen stellen, die
sich nicht leicht beantworten lassen (BGE 104 Ia 77 E. 3c mit Hinweisen).

    b) Die durch den angefochtenen Entscheid stillschweigend bestätigte
Verfügung vom 9. Juli 1984 lehnte die Gewährung eines unentgeltlichen
Rechtsbeistandes allein mit der Begründung ab, ein entsprechender Anspruch
ergebe sich weder nach kantonalem Recht, noch sei ein solcher bisher durch
das Bundesgericht aus Art. 4 BV abgeleitet worden, insbesondere nicht
für ein von der Offizialmaxime beherrschtes Verfahren. Diese Begründung
ist seit dem BGE vom 8. März 1985 i.S. G.R. nicht mehr haltbar. Ob die in
jenem Entscheid entwickelten und vorstehend erwähnten Voraussetzungen eines
Anspruches auf einen unentgeltlichen Rechtsbeistand erfüllt sind, wurde
im angefochtenen Entscheid nicht geprüft. Dieser ist daher aufzuheben.