Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 111 IA 201



111 Ia 201

37. Auszug aus dem Urteil der I. öffentlichrechtlichen Abteilung vom 2.
Oktober 1985 i.S. Heinz Wyss u. Mitbeteiligte gegen Grosser Rat des
Kantons Bern (staatsrechtliche Beschwerde) Regeste

    Art. 6 Ziff. 4 und Art. 26 Ziff. 12 bern. StV; Art. 85 lit. a OG;
Finanzreferendum, öffentliche Bauten.
   Überprüfungsbefugnis des Bundesgerichts bei Stimmrechtsbeschwerden
   (E. 2, 4).

    Referendumsvorlagen für öffentliche Bauten müssen die Gesamtkosten
(inkl. Landerwerb) umfassen (E. 3-7).

Sachverhalt

    A.- Mit Antrag vom 8. August 1984 unterbreitete der Regierungsrat
des Kantons Bern dem Grossen Rat ein Kreditbegehren für einen
Neubau der Französischsprachigen Schule in Bern. Die Gesamtkosten der
Schulanlage wurden auf Fr. 16'540'000.-- beziffert, wovon ein in Aussicht
gestellter Bundesbeitrag von Fr. 6'640'000.-- in Abzug gebracht wurde;
das Kreditbegehren belief sich demnach auf Fr. 9'900'000.--. Der Grosse
Rat bewilligte diesen Kredit an seiner Sitzung vom 14. November 1984 und
unterstellte seinen Beschluss dem fakultativen Finanzreferendum. Mit
staatsrechtlicher Beschwerde beantragen Heinz Wyss und Mitbeteiligte,
es sei dieser Beschluss, der dem fakultativen Referendum untersteht,
aufzuheben. Sie rügen eine Verletzung von Art. 6 Ziff. 4 der
Staatsverfassung des Kantons Bern (StV) sowie sinngemäss eine solche
des durch Art. 85 lit. a OG gewährleisteten politischen Stimmrechts. Das
Bundesgericht heisst die Beschwerde gut.

Auszug aus den Erwägungen:

                      Aus den Erwägungen:

Erwägung 2

    2.- Mit der Stimmrechtsbeschwerde gemäss Art. 85 lit. a OG kann gerügt
werden, ein kantonaler Erlass oder Kreditbewilligungsbeschluss sei zu
Unrecht der Volksabstimmung entzogen worden (BGE 105 Ia 373 E. 3a, 387
E. 1a mit Hinweisen). Bei Beschwerden dieser Art prüft das Bundesgericht
nicht nur die Auslegung von Bundesrecht und kantonalem Verfassungsrecht
frei, sondern auch diejenige anderer kantonaler Vorschriften, welche
den Inhalt des Stimm- und Wahlrechts normieren oder mit diesem in engem
Zusammenhang stehen. In ausgesprochenen Zweifelsfällen schliesst sich
das Bundesgericht der von der obersten kantonalen Behörde vertretenen
Auffassung an, sofern es sich dabei um das Parlament oder das Volk handelt
(BGE 109 Ia 47 E. 3b mit Hinweisen).

Erwägung 3

    3.- a) Im vorliegenden Fall steht einzig die Auslegung zweier
Bestimmungen der Staatsverfassung des Kantons Bern zur Diskussion,
nämlich diejenige von Art. 6 Ziff. 4 und von Art. 26 Ziff. 12. Diese
lauten wie folgt:

    "Art. 6

    Der Volksabstimmung unterliegen:

    ...

    4. Diejenigen Beschlüsse des Grossen Rates, welche für den gleichen

    Gegenstand eine neue, nicht gebundene Gesamtausgabe von mehr als 10

    Millionen Franken zur Folge haben; jährlich wiederkehrende Ausgaben,
die
   einer fortgesetzten Aufgabe oder einer ständigen Einrichtung dienen,
   werden nicht zusammengerechnet."

    "Art. 26

    Dem Grossen Rat, als der höchsten Staatsbehörde, sind folgende

    Verrichtungen übertragen:

    ...

    12. Die endgültige Bestätigung aller Verträge, durch welche der

    Staat Grundeigentum für einen 200'000 Franken übersteigenden Preis
   erwirbt oder veräussert."

    Der Regierungsrat hält dafür, Art. 26 Ziff. 12 StV gehe als
Ausnahmevorschrift der allgemeinen Bestimmung von Art. 6 Ziff. 4 StV
vor und sei daher allein anwendbar; dies habe zur Folge, dass die
Kosten des Baues der Schulanlage und diejenigen für den Landerwerb
nicht zusammengerechnet werden dürften. Demgegenüber vertreten die
Beschwerdeführer den Standpunkt. Art. 26 Ziff. 12 StV gelte nur für
den Kauf von Liegenschaften, die vorsorglich auf weitere Sicht erworben
würden, nicht jedoch dann, wenn der Erwerb in unmittelbarem Zusammenhang
mit einem öffentlichen Bauvorhaben erfolge.

    b) Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtes ist es unzulässig,
die in der Verfassung für das obligatorische und das fakultative
Referendum gegen Kreditbeschlüsse festgesetzten Grenzen durch Aufteilung
zusammengehörender Vorlagen zu umgehen (vgl. nachstehende E. 5a). Geht
man hiervon aus, so scheint auf den ersten Blick zwischen Art. 6 Ziff. 4
und Art. 26 Ziff. 12 StV ein nur schwer lösbarer Widerspruch zu bestehen;
denn es lässt sich nicht in Abrede stellen, dass der Landerwerb notwendige
Voraussetzung eines öffentlichen Bauvorhabens bildet.

    Das Bundesgericht hatte sich bereits im Jahre 1950 mit diesem Problem
zu befassen, wobei der Umstand, dass seither die für das Referendum
massgebenden Wertgrenzen erhöht wurden und in Art. 26 Ziff. 12 StV das
Wort "endgültig" eingefügt worden ist, in diesem Zusammenhang keine
wesentliche Bedeutung hat. Es ging damals um einen Kredit für die
Errichtung einer Bergbauernschule in Hondrich, der vom Grossen Rat des
Kantons Bern dem Referendum nicht unterstellt worden war, weil die damals
geltende Wertgrenze von einer Million Franken nicht erreicht war, wenn
der Grundstückkaufpreis ausser acht gelassen wurde. Das Bundesgericht
stellte in diesem Zusammenhang fest, für die Unterstellung eines
derartigen Kreditbeschlusses unter das Finanzreferendum spreche der
diesem Institut zugrundeliegende Zweck, dem Volk bei Ausgaben von einer
gewissen finanziellen Tragweite ein Mitspracherecht einzuräumen; dagegen
lasse sich aber immerhin der Wortlaut von Art. 26 Ziff. 12 StV ins Feld
führen. Es wies darauf hin, die Nichtberücksichtigung des Kaufpreises der
Liegenschaft bei der Berechnung des Baukredites scheine der bisherigen
bernischen Praxis zu entsprechen, und es stützte sich entscheidend auf
den der damaligen Rechtsprechung in Stimmrechtssachen zugrundeliegenden
Satz, wonach das Bundesgericht von der Auffassung der zuständigen obersten
kantonalen Behörde nicht ohne Not abweichen könne, auch wenn eine andere
Lösung als die richtigere erscheinen würde (Urteil vom 8. Februar 1950,
veröffentlicht in: Monatsschrift für bernisches Verwaltungsrecht und
Notariatswesen, MBVR 48/1950, S. 315 ff.).

    c) Die dem erwähnten Entscheid zugrundeliegende bernische Praxis ist
in der Literatur durchwegs auf Kritik gestossen. Schon ERNST BLUMENSTEIN
vertrat im Jahre 1943 die Auffassung, die Aufwendungen zum Erwerb
von Liegenschaften unterlägen grundsätzlich dem Ausgabenreferendum,
sofern damit - direkt oder indirekt - ein Zweck verfolgt werde, der
zu den Aufgaben der Verwaltung gehört, ohne Rücksicht auf eine etwaige
wirtschaftliche Rendite des Objekts (Das Ausgabenreferendum bei Erwerbung
oder Erstellung von Gebäuden durch den Staat, in: MBVR 41/1943, S. 1 ff.,
insbesondere S. 8). In der Dissertation von HANS ESCHER wird auf ein
Urteil des Bundesgerichtes aus dem Jahre 1899 betreffend den Bau der
Berner Hochschule verwiesen, in dem - allerdings bei komplizierterem
Sachverhalt - die bernische Praxis ebenfalls geschützt worden war (BGE
25 I 459 ff.). Der Autor führt aus, einmal müsse das Volk über eine
Ausgabe befragt werden. Es gehe nicht an, den Liegenschaftenkauf zuerst
dem Referendum zu entziehen mit der Begründung, die Liegenschaft stelle
einen realisierbaren Wert dar, und dann nochmals unter Hinweis darauf,
sie befinde sich bereits im Eigentum des Staates. Er bemerkt, das Urteil
des Bundesgerichts über den Hochschul-Baukredit habe "verheerend gewirkt"
(Das Finanzreferendum in den schweizerischen Kantonen, Diss. Zürich 1943,
S. 52/53). ALFRED RÖTHELI geht in seiner Arbeit über "Das Finanzreferendum
im Kanton Solothurn", die nicht nur diesen Kanton betreffende, sondern
allgemeine Ausführungen enthält, davon aus, beim Entscheid darüber,
ob eine Vorlage dem Referendum zu unterstellen sei oder nicht, komme es
auf die Einheit des Gegenstandes oder des Zweckes an. Er stellt fest,
diese Einheit sei gegeben, wenn die Sache ohne die eine oder ohne
die andere Ausgabe nicht bestehen könne, und er folgert daraus, im
"viel zitierten und kritisierten Entscheid betreffend Neubau der Berner
Universität" habe das Bundesgericht diese Grundsätze deutlich verkannt
(Festgabe für Max Obrecht, Solothurn 1961, S. 76/77). ERNST MARTIN LAUR
vertritt den Standpunkt, die Nichtberücksichtigung der Grundstückkosten
beim Kreditbegehren führe zu einer Täuschung der Stimmberechtigten,
da die Gesamtkosten einer Massnahme dadurch viel geringer erschienen,
als sie in Wirklichkeit seien (Das Finanzreferendum im Kanton Zürich,
Diss. Zürich 1966, S. 65). Im gleichen Sinne äussert sich RÉMI JÉQUIER:
"Ainsi, il semble que la jurisprudence du TF est trop restrictive et
qu'il faudrait admettre qu'une dépense existe dès qu'une affectation
d'éléments du patrimoine financier est décidée pour les besoins de
l'administration" (Aspects juridiques des finances publiques, in: Revue
de droit administratif et de droit fiscal, Bd. 25, S. 216). WALTER HALLER
führt aus, die für eine bestimmte Aufgabe notwendigen Geldmittel müssten
gesamthaft als ein Kredit behandelt werden; es sei also nicht angängig,
etwa beim Bau eines Schulhauses zwecks Vermeidung einer Abstimmung
je besondere Kreditposten für Landkosten, Schulgebäude, Turnhalle,
Installationen und Mobiliar aufzustellen (Das Finanzreferendum, in:
ZSR 90/1971 I S. 492/493). Schliesslich hat sich MARKUS SCHÄR in seiner
Arbeit über "Die verfassungsmässigen Finanzkompetenzen der Staatsorgane
im Kanton Bern" einlässlich mit der konkreten verfassungsmässigen Lage in
diesem Kanton befasst. Er bezeichnet den Entscheid des Bundesgerichtes
betreffend die Bergbauernschule Hondrich (MBVR 48/1950 S. 315 ff.) als
falsch, wobei er vor allem mit dem Zweck der Vorschrift von Art. 6
Ziff. 4 StV betreffend das Finanzreferendum argumentiert. Landerwerb und
Baukosten seien zur Errichtung eines Werkes gleichermassen unabdingbar;
sie gehörten daher untrennbar zusammen. Die entsprechenden Aufwendungen
seien als Gesamtausgabe zu behandeln, ohne Rücksicht darauf, ob der
Boden erst erworben werden müsse oder ob er lediglich vom Finanz- ins
Verwaltungsvermögen zu übertragen sei (Diss. Bern 1961, S. 100-103).

Erwägung 4

    4.- Es rechtfertigt sich, zunächst zu prüfen, ob dem bereits
zitierten Urteil des Bundesgerichtes vom 8. Februar 1950 betreffend die
Bergbauernschule Hondrich (MBVR 48/1950 S. 315 ff.) die Bedeutung eines
Präjudizes zukommt, von dem ohne triftige Gründe nicht abzuweichen wäre.
Dagegen spricht bereits die Tatsache, dass das Bundesgericht davon
abgesehen hat, seinen Entscheid in die amtliche Sammlung aufzunehmen
(ALFRED KÖLZ, Die staatsrechtliche Rechtsprechung des Bundesgerichts im
Jahre 1983, in: ZBJV 121/1985 S. 394). Wesentlich sind aber vor allem
zwei materielle Erwägungen, die miteinander in Zusammenhang stehen.

    a) Dem erwähnten Urteil liegt die frühere Rechtsprechung des
Bundesgerichtes zugrunde, wonach in Stimmrechtssachen der Auslegung
kantonaler Verfassungs- und Gesetzesvorschriften durch die oberste
kantonale Behörde besonderes Gewicht zukomme und das Bundesgericht ohne Not
von dieser Auslegung nicht abweichen dürfe (sogenannte "Ohne-Not"-Praxis;
vgl. BGE 81 I 196 E. 3 mit Hinweisen; 83 I 176 E. 2; 89 I 44 E. 3c,
454 E. 3). Ab 1963 begann indessen das Bundesgericht von dieser Formel
abzugehen und in Stimmrechtsfragen eine erweiterte Prüfungsbefugnis
für sich in Anspruch zu nehmen. Bereits in BGE 89 I 375 E. 2 wurde -
unter grundsätzlicher Aufrechterhaltung der "Ohne-Not"-Regel - betont,
diese bedeute nicht, dass das Bundesgericht die entsprechenden Normen des
kantonalen Rechts nur unter dem Gesichtswinkel der Willkür prüfe. BGE 91
I 319 E. 3 enthält eine die Kognition etwas ausdehnende Präzisierung;
in 92 I 355 E. 3 wird bereits von freier Prüfung des das Stimmrecht
betreffenden kantonalen Verfassungsrechtes gesprochen. In BGE 94 I 531
E. 7 verwendet das Bundesgericht eine für die damalige Übergangsphase
kennzeichnende Formulierung, die Elemente beider Auffassungen enthält. In
BGE 96 I 61 E. 3 erklärt das Bundesgericht soweit ersichtlich erstmals
klar, nicht nur die Auslegung des kantonalen Verfassungsrechts sei frei
zu prüfen, sondern auch diejenige anderer kantonaler Vorschriften, welche
das vom Bundesrecht gewährleistete Stimmrecht näher normierten oder damit
eng zusammenhingen. In BGE 97 I 32/33 E. 4a wurde beigefügt, nur bei
Zweifeln über zwei mögliche Auslegungen weiche das Bundesgericht nicht
von derjenigen der obersten kantonalen Instanz ab. Bei dieser Formulierung
ist es seither im wesentlichen geblieben, wobei seit BGE 99 Ia 181 E. 3a
in Weiterführung der dargelegten, die Kognition des Bundesgerichts in
Stimmrechtsfragen ausdehnenden Tendenz im allgemeinen gesagt wird, das
Bundesgericht schliesse sich in "ausgesprochenen" Zweifelsfällen der von
der obersten kantonalen Behörde vertretenen Auffassung an (BGE 109 Ia 47
E. 3b mit Hinweisen).

    Es ist offensichtlich, dass diese Entwicklung der Rechtsprechung in den
letzten 25 Jahren von erheblicher materieller Tragweite ist. Zu Recht führt
WALTER KÄLIN aus, die "Zweifelsfall"-Praxis beschränke die Prüfungsdichte
des Bundesgerichtes weit weniger als die frühere "Ohne-Not"-Formel, welche
sich im Ergebnis der Willkürprüfung stark angenähert habe (Das Verfahren
der staatsrechtlichen Beschwerde, Bern 1984, S. 206). Ein Entscheid wie
derjenige betreffend die Bergbauernschule Hondrich (MBVR 48/1950 S. 315
ff.) könnte heute somit jedenfalls mit der damals gegebenen Begründung
nicht mehr ergehen.

    b) Hinzu kommt, dass sich der Blick für die Bedeutung der unmittelbar
auszuübenden Volksrechte in den letzten Jahrzehnten geschärft hat und
das Bundesgericht strenger als früher darüber wacht, dass sie nicht durch
gewagte Interpretationen von Verfassung und Gesetz ausgehöhlt werden. Es
hat in verschiedenen Urteilen betont, die unbehinderte Ausübung des Stimm-
und Wahlrechtes auf der Ebene des Bundes, des Kantons und der Gemeinde
bilde eine unabdingbare Grundlage des demokratischen Staatswesens;
es sei deshalb darauf zu achten, dass auf diesem Gebiet die Rechte der
Bürger genau gewahrt würden, und es sei im Zweifelsfall eher zugunsten
der weitherzigeren Lösung zu entscheiden (BGE 108 Ia 3/4 E. 3a; 104 Ia
421 mit Hinweisen).

    c) Kann somit das Urteil aus dem Jahre 1950 betreffend die
Bergbauernschule Hondrich heute nicht mehr wegleitend sein, so verliert
auch die kantonale Praxis der letzten 35 Jahre viel von dem ihr nach der
bundesgerichtlichen Rechtsprechung (BGE 105 Ia 388 E. 2; 100 Ia 373) an
sich durchaus zukommenden Gewicht. Auf Grund der Erwähnung des genannten
Urteils in der Vernehmlassung des Regierungsrates darf davon ausgegangen
werden, dass dieses die seitherige kantonale Praxis stark beeinflusst
hat. Kann aber die Rechtsauffassung, welche diesem Entscheid zugrunde
lag, heute nicht mehr übernommen werden, sondern ist eine neue Prüfung
der Auslegung der massgebenden kantonalen Verfassungsbestimmungen im
Lichte der erweiterten Kognition des Bundesgerichtes erforderlich,
so muss notwendigerweise auch die gestützt darauf entwickelte oder
fortgeführte kantonale Praxis der nämlichen Prüfung unterliegen. Anders
zu entscheiden hiesse, die Durchsetzung neuerer Erkenntnisse auf dem
Gebiet des eidgenössischen Verfassungsrechtes auf unbestimmte Zeit
zu verschieben. Dass dies vor allem im Hinblick auf die notwendige
Gleichbehandlung aller Kantone nicht angeht, steht ausser Zweifel.

Erwägung 5

    5.- a) Betrachtet man die Referendumsklausel von Art. 6 Ziff.  4 StV
für sich allein, so ergibt sich aus dem bundesrechtlich geltenden Grundsatz
der Einheit der Materie, dass eine Kreditvorlage mit den Gesamtkosten
dem obligatorischen Referendum unterstellt werden muss. Die Kosten dürfen
nicht aufgespaltet werden, um eine Volksabstimmung zu vermeiden (vgl. die
in E. 3c angeführte Literatur sowie BGE 105 Ia 88/89 E. 7c; 104 Ia 427
E. 5a, mit Hinweisen). Die innere Rechtfertigung dieses Grundsatzes liegt
darin, dass die Stimmberechtigten in der Lage sein müssen, die Tragweite
eines Projektes in seiner Gesamtheit zu überblicken. Nur so können sie
sich ein Urteil darüber bilden, ob sie das Bauvorhaben als wünschbar
erachten, insbesondere auch unter Mitberücksichtigung der allgemeinen
Lage der Staatsfinanzen und der möglichen Auswirkungen auf die sie
künftig treffende Steuerbelastung. Dass ein Bauvorhaben ohne Bauland nicht
verwirklicht werden kann, bedarf keiner Begründung. Die Angabe der blossen
Baukosten kann somit bei den Stimmberechtigten zu einer durchaus falschen
Vorstellung führen. Es ergibt sich daher aus dem bundesrechtlichen Begriff
des politischen Stimmrechts, dass Referendumsvorlagen für öffentliche
Bauten die Gesamtkosten (einschliesslich des Landerwerbes) zu umfassen
haben. Ob das Baugrundstück sich bereits im Besitze der öffentlichen
Hand befindet oder gerade für den vorgesehenen Zweck erworben wird,
ist in diesem Zusammenhang ohne wesentliche Bedeutung. Im einen Fall
ist einfach der Kaufpreis in die Rechnung einzusetzen, im anderen
derjenige Wert, zu dem das Baugrundstück von den realisierbaren zu den
nicht realisierbaren Aktiven des Staates übertragen wird (vgl. dazu
BLUMENSTEIN (aaO S. 5), ESCHER (aaO S. 45 ff.), RÖTHELI (aaO S. 71),
LAUR (aaO S. 63 ff.), JÉQUIER (aaO S. 213 ff.), HALLER (aaO S. 484 f.),
SCHÄR (aaO S. 100 ff.) und PAUL-DIETER KLINGENBERG, Das Finanzreferendum
im Kanton Schaffhausen, Diss. Zürich 1957, S. 124 sowie HANS CHRISTIAN
OESTER, Das Finanzreferendum im Kanton St. Gallen, Diss. St. Gallen 1962,
S. 38/39). Die einhellige Lehre stützt sich darauf, dass der Erwerb eines
Grundstückes durch den Staat an und für sich keine Ausgabe (in Sinne einer
Verminderung des Staatsvermögens) darstellt, wohl aber die Inanspruchnahme
dieses Grundstücks für einen bestimmten öffentlichen Zweck, da es damit
jedenfalls für längere Zeit aus dem Verkehr ausscheidet und nicht mehr
als verwertbares Gut betrachtet werden kann. Weitere Ausführungen zu
dieser heute nicht mehr umstrittenen Frage dürften sich erübrigen. Der
Vollständigkeit halber sei lediglich noch bemerkt, dass die Übertragung
von Liegenschaften, die für öffentliche Bauten in Anspruch genommen werden,
und die Anforderung eines entsprechenden Kredites in den meisten Kantonen
die Regel bildet (vgl. beispielsweise BS: Gesetz betreffend Ausgaben-
und Vollzugskompetenzen vom 29. Juni 1978, § 9, und ZH: Gesetz über
den Finanzhaushalt des Kantons vom 2. September 1979, § 15, ferner die
allerdings wohl nicht mehr vollständig dem heutigen Stand entsprechende
Aufstellung bei HANS-RUDOLF MERZ, Finanz- und Verwaltungsvermögen
in öffentlich-rechtlicher und wirtschaftlicher Betrachtungsweise;
Diss. St. Gallen 1971, S. 53, Fussnoten 10 und 11).

    b) Für den Kanton Bern fällt nun allerdings in Betracht, dass Art. 26
Ziff. 12 StV die endgültige Genehmigung von Grunderwerbsverträgen
im Betrage von mehr als Fr. 200'000.-- dem Grossen Rat vorbehält,
diesbezüglich also sowohl das obligatorische als auch das fakultative
Referendum ausschliesst. Sollte sich ergeben, dass zwischen dieser
Bestimmung und Art. 6 Ziff. 4 StV in der vorstehend dargelegten
bundesrechtskonformen Auslegung ein echter Widerspruch besteht, so wäre
es für das Bundesgericht äusserst schwierig, einen Entscheid zu treffen;
um so mehr, als sich dieses nach einer auf beinahe 100 Jahre zurückgehenden
Rechtsprechung aus Gründen der Gewaltentrennung nicht für befugt erachtet,
von der Bundesversammlung gewährleistete Bestimmungen der kantonalen
Verfassungen zu überprüfen (BGE 104 Ia 219 ff. mit zahlreichen Hinweisen;
vgl. ferner WALTER KÄLIN, aaO S. 62 ff.). Allein dieser Fall liegt
nicht vor. Vielmehr lässt sich aus Art. 26 Ziff. 12 StV durch Auslegung
ein Sinn gewinnen, der mit Art. 6 Ziff. 4 StV durchaus vereinbar ist.

Erwägung 6

    6.- a) Nach seinem Wortlaut bezieht sich Art. 26 Ziff. 12 StV
ausschliesslich auf den Erwerb und die Veräusserung von Grundeigentum. Die
Inanspruchnahme von Grundstücken für öffentliche Bauten wird nicht
erwähnt. Vom Wortlaut her ist es daher keineswegs ausgeschlossen,
die Übertragung von Grundeigentum von Finanzvermögen zu den nicht
realisierbaren Vermögenswerten des Staates dieser Bestimmung nicht zu
unterstellen und hiefür die üblichen, sich aus Art. 6 Ziff. 4 StV und der
bundesgerichtlichen Rechtsprechung ergebenden Regeln anzuwenden. Erfolgt
der Grundstückerwerb - wie hier - erst in unmittelbarem Zusammenhang
mit der Einholung des Baukredites, so fallen der Erwerb eines an sich
realisierbaren Aktivums und dessen Übertragung zu den nicht realisierbaren
Aktiven zeitlich zusammen; am Grundsätzlichen ändert sich dadurch nichts.
Jedenfalls folgt aus dem Wortlaut von Art. 26 Ziff. 12 StV entgegen der
Meinung des Regierungsrates keineswegs zwingend, dass bei Kreditgesuchen
für öffentliche Bauvorhaben der Preis oder Wert des oder der Baugrundstücke
ausser Betracht fallen müsse.

    b) Der Regierungsrat des Kantons Bern legt in seiner Vernehmlassung
grosses Gewicht auf die Entstehungsgeschichte von Art. 26 Ziff. 12 StV. Er
weist darauf hin, anlässlich der Vorbereitung der Verfassungsrevision
vom 27. September 1970, welche die Referendumsbestimmungen betraf,
sei die Finanzdirektion zum Schlusse gekommen, es bestehe tatsächlich
ein Spannungsverhältnis zwischen der allgemeinen Vorschrift von Art. 6
Ziff. 4 und der speziellen von Art. 26 Ziff. 12 StV; sie habe deshalb
beantragt, die zweite dieser Bestimmungen aufzuheben. Über den Verlauf der
Beratungen der zuständigen grossrätlichen Kommission wird auf das Protokoll
verwiesen. Aus diesem ergibt sich, dass Grossrat Haltiner erklärte, es
solle an der bisherigen Praxis festgehalten und "Liegenschaftskaüfe in der
endgültigen Zuständigkeit des Grossen Rates belassen" werden. Dem Grossen
Rat solle kein ihm bisher zustehendes Recht entzogen werden. Haltiner wurde
von mehreren Kommissionsmitgliedern unterstützt, während der Sekretär der
Finanzdirektion rechtliche Bedenken vorbrachte. Schliesslich beantragte
der damalige Regierungspräsident und Finanzdirektor Moser, der Wille des
Grossen Rates, kein bisheriges Recht preiszugeben, sei zu respektieren und
in Art. 26 Ziff. 12 StV "endgültig" einzufügen, so dass diese Bestimmung
wie folgt laute:

    "(Dem Grossen Rat, als der höchsten Staatsbehörde, sind folgende

    Verrichtungen übertragen):

    ...

    12. die endgültige Bestätigung aller Verträge, durch welche der

    Staat Grundeigentum für einen hunderttausend Franken übersteigenden
Preis
   erwirbt oder veräussert."

    In der Folge wurde dieser Formulierung mit allen Stimmen bei
einer Enthaltung zugestimmt. Die spätere Erhöhung der Wertgrenze auf
Fr. 200'000.-- ändert am Sachverhalt in grundsätzlicher Hinsicht nichts.

    Am 10. und 11. November 1969 gelangte die Vorlage betreffend
Verfassungsänderung auf dem Gebiet des Finanzreferendums im Plenum
des Grossen Rates zur Beratung. Zu Art. 26 Ziff. 12 äusserte sich der
Kommissionspräsident, Grossrat Dr. Meyer, wie folgt:

    "Die Ergänzung von Ziffer 12 ist hauptsächlich damit zu begründen,
   dass wir nach der Annahme der eidgenössischen Verfassungsbestimmungen
   über die Landesplanung Verpflichtungen haben. Eine wirkungsvolle

    Planungstätigkeit im kantonalen Raum wird nur möglich sein, wenn wir,

    Regierung und Parlament, ein entsprechendes Instrument in der Hand
haben.

    Dazu gehört in erster Linie die Straffung der Kompetenzordnung für den

    Erwerb von Grundstücken. Eine wirkungsvolle Kontrolle wird sich aus der
   politischen Kraft und Wirksamkeit des Grossen Rates und schliesslich aus

    Artikel 43 des Gesetzes über den Finanzhaushalt ergeben, der
stipuliert,
   dass der Staat Grundstücke nur erwerben soll, wenn sie einem
   öffentlichen

    Zweck dienen oder ein öffentliches Interesse zu wahren ist."

    Von einer gewissen Bedeutung ist sodann eine Stelle des Votums
des Finanzdirektors, Regierungsrat Moser, der - allerdings nicht in
unmittelbarem Zusammenhang mit Art. 26 Ziff. 12 StV - zum finanzrechtlichen
Begriff der staatsrechtlichen Ausgabe ausführte:

    "Ausgabe ist jede Aufwendung des Staates aus eigenen Mitteln ohne
   entsprechende Mehrung des Vermögens. Eine entsprechende Mehrung fehlt
   insbesondere dann, wenn kein Gegenwert entsteht, der jederzeit frei
   realisierbar ist. Das also ist die Definition des Begriffes 'Ausgabe'."

    In der Detailberatung wurde lediglich noch darüber diskutiert, ob
die Zuständigkeit des Regierungsrates für den Erwerb von Grundstücken
statt auf Fr. 100'000.-- gleich auf Fr. 200'000.-- erhöht werden solle:
im übrigen finden sich keine Voten zur Neufassung von Art. 26 Ziff. 12 StV.

    Die Protokolle der vorberatenden Kommission und des Grossen Rates
beweisen also nichts anderes, als dass das Parlament seine Zuständigkeit
für Grundstückkäufe nicht aus der Hand geben, entsprechende Verträge
demnach weder dem obligatorischen noch dem fakultativen Referendum
unterstellen wollte. Diese Frage liegt aber gar nicht im Streit: Der
Beschluss des Grossen Rates vom 7. Februar 1985 über den Erwerb einer
Parzelle von 146,17 Aren für den Bau der Französischsprachigen Schule zum
Preise von Fr. 4'475'100.-- (unter Ausschluss des fakultativen Referendums)
ist nicht mit staatsrechtlicher Beschwerde angefochten worden. Die hier
allein entscheidende Frage ist die, ob der Wert von Bauland, das der
Grosse Rat verfassungskonform in eigener Zuständigkeit erworben hat
oder erwerben will, bei der Bezifferung des Kredites für ein darauf zu
errichtendes öffentliches Bauvorhaben mitzurechnen sei oder nicht. Diese
Frage wurde aber nach den dem Bundesgericht zur Verfügung gestellten
Protokollen bei der Vorbereitung der Verfassungsrevision von 1970 weder
in der Kommission noch im Plenum des Grossen Rates diskutiert. Dem
erwähnten Votum des Finanzdirektors, das unwidersprochen geblieben ist,
lässt sich einzig entnehmen, dass das Parlament des Kantons Bern bei der
Umschreibung des Ausgabenbegriffs nicht von der allgemein anerkannten
Unterscheidung zwischen realisierbaren und nicht realisierbaren Aktiven
abweichen wollte. Dies spricht aber eher gegen als für die heute von den
bernischen Behörden vertretene Auffassung. Bei dieser Sachlage erübrigt es
sich, auf die Frage einzugehen, welche Bedeutung den Materialien bei der
Auslegung von Verfassungs- oder Gesetzesbestimmungen überhaupt zukommen
könne (vgl. dazu BGE 109 Ia 303 mit Hinweisen).

    c) Prüft man schliesslich, welcher Zweck der Sonderbestimmung von
Art. 26 Ziff. 12 StV zukomme, so ergibt sich vor allem aus dem erwähnten
Votum des Kommissionspräsidenten im Grossen Rat, dass es die Behörden des
Kantons Bern wie diejenigen anderer Kantone (vgl. statt vieler: ALFRED
RÖTHELI, aaO S. 71/72) als wünschbar erachteten, den Grundstückerwerb
durch den Staat nicht allzu schwerfällig zu gestalten. Würde er wie
andere Staatsausgaben dem obligatorischen oder dem fakultativen Referendum
unterstellt, so bestünde die Gefahr, dass planerisch oder im Hinblick auf
einen bestimmten künftigen Verwendungszweck wünschbare Grundstückkäufe
nicht zustande kämen, sei es aus rein zeitlichen Gründen, sei es,
weil die Verkäuferschaft die mit einer volksabstimmung notwendigerweise
verbundene Publizität scheut. Diese Zielsetzung vermag voll zu überzeugen
und die fragliche Verfassungsbestimmung, in diesem Sinn verstanden, zu
rechtfertigen. Dafür, dass daneben auch eine Einschränkung der Volksrechte
auf dem Gebiet der öffentlichen Bauten beabsichtigt gewesen wäre, fehlt,
wie dargelegt, in den Materialien jeder Anhaltspunkt. Eine derartige
Absicht widerspräche dem aus dem Bundesrecht abzuleitenden Grundsatz der
Einheit der Materie (vgl. vorstehend E. 5a). Auch praktisch würde diese
Auslegung zu kaum verständlichen Ergebnissen führen. So unterstünde etwa
ein Kreditbeschluss über ein Verwaltungsgebäude, das unter Einschluss des
Bodenpreises auf 12 Millionen Franken zu stehen kommt, dem obligatorischen
Referendum, wenn der Landwert nicht mehr als zwei Millionen Franken
beträgt; derjenige über eine Sportanlage mit den gleichen Gesamtkosten
unterläge dagegen bloss dem fakultativen Referendum, weil dort ein
grösserer Anteil der Aufwendungen auf den Landerwerb und ein kleinerer
auf die Bauten entfällt. Eine derartige Ungleichbehandlung vergleichbarer
Sachverhalte würde dem Sinn der in Art. 6 Ziff. 4 und Art. 6b StV sowie
in der bundesgerichtlichen Rechtsprechung umschriebenen Mitwirkungsrechte
des Volkes offensichtlich nicht gerecht.

    d) Art. 26 Ziff. 12 StV kann somit nach allen anerkannten
Auslegungsmethoden ein Sinn beigemessen werden, der keinen Widerspruch
zu Art. 6 StV ergibt. Damit kann nur dieser Sinn der massgebende
sein. Das Vorgehen des Grossen Rates im hier streitigen Fall war demnach
unrichtig. Dies muss zur Gutheissung der Beschwerde führen.

Erwägung 7

    7.- Findet das Bundesgericht, ein kantonales Parlament habe einen
Kreditbeschluss zu Unrecht nicht dem obligatorischen oder dem fakultativen
Referendum unterstellt, so bleibt in der Regel der Parlamentsentscheid an
sich bestehen, und es wird einzig die Klausel betreffend Nichtunterstellung
aufgehoben (vgl. das nicht publizierte Dispositiv zum Urteil BGE 108 Ia 234
ff.). Hier führt dieses Vorgehen jedoch nicht zum Ziel; denn es muss noch
festgelegt werden, über welchen genauen Kreditbetrag die Volksabstimmung
zu erfolgen hat. Diese Festlegung kann mit Rücksicht auf die rein
kassatorische Wirkung des bundesgerichtlichen Urteils und auch deshalb,
weil für die Bemessung des Landwertes verschiedene Methoden denkbar sind
(Kaufpreis oder Zeitwert), nicht durch das Bundesgericht erfolgen. Demnach
bleibt einzig die Lösung, den angefochtenen Beschluss des Grossen Rates
des Kantons Bern vom 14. November 1984 als Ganzes aufzuheben.