Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 111 IA 17



111 Ia 17

6. Auszug aus dem Urteil der I. öffentlichrechtlichen Abteilung vom 15. Mai
1985 i.S. Gersbach gegen Politische Gemeinde Thal und Regierungsrat des
Kantons St. Gallen (staatsrechtliche Beschwerde) Regeste

    Art. 4 BV, Zonenplanänderung.

    Die Reduktion zu gross bemessener Bauzonen (Art. 15 RPG) muss innert
der vom Bundesrecht gesetzten Frist vorgenommen werden (Art. 35 Abs. 1
lit. b RPG). Die Erschliessungsverhältnisse sind dabei zu berücksichtigen
(Art. 15 lit. b RPG). Stehen für die Reduktion mehrere Möglichkeiten zur
Verfügung, kann es einer Gemeinde nicht verwehrt werden, eine Auszonung
baureifen Landes, für welche sie gemäss einem formell rechtskräftigen,
vom Bundesgericht nicht zu überprüfenden Entscheid Entschädigung leisten
müsste, rückgängig zu machen. Liegt kein eindeutiger Verstoss gegen
Planungsgrundsätze vor, so ist hiefür nicht erforderlich, dass die Gemeinde
in finanzieller Hinsicht in eine notstandsähnliche Situation geraten müsste
(Präzisierung der Rechtsprechung).

Sachverhalt

    A.- Tobias Gersbach ist seit Ende Oktober 1971 Eigentümer der in der
Gemeinde Thal im Gebiet Knüli, Ortsteil Buchen, gelegenen Parzelle Nr.
2247. Nachdem er im November 1972 einen Abschnitt verkauft hatte,
umfasste das grundstück noch 6235 m2. Gemäss dem früheren, vom 5. März
1963 datierten Zonenplan der Gemeinde Thal lag es in der Wohnzone für
dreigeschossige Bauten. Tobias Gersbach erhielt denn auch schon am
20. Januar 1972 Baubewilligung für drei Mehrfamilienhäuser, doch wurde
vorerst nur eines dieser drei Häuser erstellt.

    Im Jahre 1976 setzte der Gemeinderat Thal u.a. für den Dorfteil Buchen
einen neuen Zonenplan fest, den das Baudepartement des Kantons St. Gallen
am 13. Januar 1981 genehmigte. Der neue Plan wies die Tobias Gersbach
gehörende Parzelle Nr. 2247 namentlich wegen ihrer an die Nationalstrasse N
1 angrenzenden Lage dem übrigen Gemeindegebiet zu. Sowohl für das bereits
bestehende Haus als auch für die geplanten weiteren Wohnbauten erachteten
die Behörden den Verkehrslärm als untragbar.

    Wegen der Auszonung seiner Parzelle machte Tobias Gersbach eine
Forderung aus materieller Enteignung geltend. Mit Beschluss vom
14. Dezember 1982 hiess der Regierungsrat des Kantons St. Gallen das
Entschädigungsbegehren grundsätzlich gut, und zwar u.a. aufgrund
eines vom Grundstückseigentümer eingereichten Gutachtens über die
Lärmimmissionen. Der Regierungsrat schloss sich den Folgerungen
des Expertenberichts an, wonach sich durch bauliche Massnahmen an
den Wohnbauten sowie durch die Anordnung der Wohnräume im südlichen
Gebäudeteil die Lärmimmissionen auf die zumutbaren oder sogar auf die
wünschbaren Grenzwerte vermindern liessen. Er sprach daher dem Grundstück
Baulandcharakter zu.

    Aufgrund des Entscheids des Regierungsrats beschloss der Gemeinderat
Thal, das in Frage stehende Areal wieder einzuzonen. Die Tobias
Gersbach gehörende Parzelle Nr. 2247 teilte er der Wohn-Gewerbe-Zone für
zweigeschossige Bauten (WG 2) zu, währenddem er das abgetrennte Grundstück
Nr. 2653 der Wohn-Gewerbe-Zone für dreigeschossige Bauten (WG 3) zuwies.

    Tobias Gersbach war mit der Wiedereinzonung seiner Parzelle nicht
einverstanden. Er zog es vor, die Entschädigung wegen materieller
Enteignung zu erhalten. Sowohl der Gemeinderat mit Entscheid vom
15. September 1983 als auch der Regierungsrat mit Entscheid vom 13. Juni
1984 wiesen indessen sein dahingehendes Begehren ab.

    Am 16. August 1984 erhob Tobias Gersbach staatsrechtliche Beschwerde
an das Bundesgericht mit dem Antrag, der Entscheid des Regierungsrates vom
13. Juni 1984 sei aufzuheben, unter Kosten- und Entschädigungsfolge. Er
rügt eine Verletzung von Art. 4 BV und macht im wesentlichen geltend,
die Wiedereinzonung seiner Parzelle liege nicht im öffentlichen Interesse
und sei widersprüchlich sowie willkürlich erfolgt. Sie verstosse zudem
gegen die Planungsgrundsätze des eidgenössischen Raumplanungsgesetzes
und verletze überdies die Grundsätze der Rechtssicherheit sowie von Treu
und Glauben. Sie diene allein der Wahrung der finanziellen Interessen
der Gemeinde, was unzulässig sei. Die Gemeinde sei in der Lage, die
Entschädigung zu bezahlen, ohne dass ihr finanzielles Gleichgewicht so
stark gestört würde, dass sie in eine notstandsähnliche Situation gerate.

Auszug aus den Erwägungen:

                      Aus den Erwägungen:

Erwägung 2

    2.- Die Wiedereinzonung erfolgte in Anwendung kantonalen Rechts. Gegen
das Willkürverbot des Art. 4 BV würde sie nur verstossen, wenn der
Entscheid des Regierungsrats offensichtlich unhaltbar wäre, mit der
tatsächlichen Situation in klarem Widerspruch stünde, eine Norm oder einen
unumstrittenen Rechtsgrundsatz krass verletzen oder in stossender Weise
dem Gerechtigkeitsgedanken zuwiderlaufen würde (BGE 108 Ia 120 E. 2c;
107 Ia 114 E. 2, je mit Verweisungen).

    a) Der Beschwerdeführer machte im Verfahren betreffend materielle
Enteignung mit Hilfe einer Expertise geltend, sein Grundstück, welches
baureifes Bauland sei, könne trotz der angrenzenden Autobahn N 1 in einer
Weise überbaut werden, dass die Bewohner des Neubaues keinen unzumutbaren
Lärmimmissionen ausgesetzt seien. Wenn die Gemeinde hieraus die Konsequenz
gezogen hat, die Parzelle Nr. 2247 wieder einzuzonen und in die WG 2
einzuweisen, um der von ihr nicht erwarteten Entschädigungspflicht zu
entgehen, so kann sie sich für dieses Vorgehen auf die ausdrückliche
Vorschrift des Art. 125 Abs. 3 des kantonalen Gesetzes vom 6. Juni 1972
über die Raumplanung und das öffentliche Baurecht (BauG) stützen. Diese
Vorschrift gibt dem entschädigungspflichtigen Gemeinwesen die Möglichkeit,
"innert Jahresfrist entweder die Eigentumsbeschränkung aufzuheben oder das
Verfahren zum Erwerb des dinglichen Rechtes und zur Festsetzung der Höhe
der Entschädigung nach der Gesetzgebung über die Enteignung einzuleiten".

    Ein gegen Art. 4 BV verstossendes widersprüchliches Verhalten kann bei
dieser Rechtslage weder der Gemeinde noch dem Regierungsrat vorgeworfen
werden. Ebensowenig kann von einer Verletzung der Rechtssicherheit
und des hieraus fliessenden Gebots der Beständigkeit der Nutzungspläne
gesprochen werden, wenn die Gemeinde von einer im Baugesetz vorgesehenen
Wahlmöglichkeit Gebrauch macht. Der von einer enteignungsgleich wirkenden
Eigentumsbeschränkung Betroffene muss vielmehr damit rechnen, dass
die Gemeinde die Beschränkung rückgängig macht, anstatt die von ihr
nicht erwartete Entschädigung auszurichten. Aus demselben Grunde liegt
auch keine Verletzung von Treu und Glauben vor, selbst wenn sich die
Gemeinde im vorangegangenen Verfahren betreffend materielle Enteignung
für die von ihr als richtig erachtete Auszonung eingesetzt hat. Der
Beschwerdeführer macht denn auch nicht geltend, die Gemeinde habe ihm
verbindlich zugesichert, sie werde von ihrem Wahlrecht keinen Gebrauch
machen, falls ihre Entschädigungspflicht festgestellt werden sollte.

    b) Der Vorwurf des widersprüchlichen Verhaltens trifft weit eher
den Beschwerdeführer, hat er doch im Jahre 1980 selbst ein Gesuch um
"Rückzonung" gestellt und geltend gemacht, sein von ihm erschlossenes
Grundstück könne trotz der nahen Autobahn überbaut werden, polizeiliche
Gründe stünden einer Überbauung nicht entgegen. Es ist daher schwer
verständlich, wenn er sich nun darüber beklagt, dass die Gemeinde aufgrund
des von ihm veranlassten Entscheids des Regierungsrats die Wiedereinzonung
und Einweisung seiner Parzelle in die WG 2 beschlossen hat.

    c) Die Berufung des Beschwerdeführers auf BGE 107 Ia 240 ff. geht
fehl. In jener Sache hatte die kantonale Regierung das Vorgehen der
Gemeinde wegen klaren Verstosses gegen wichtige Anliegen der Raumplanung
nicht gebilligt. Im hier zu beurteilenden Fall genehmigte jedoch der
Regierungsrat die Wiedereinzonung der Parzelle des Beschwerdeführers
und deren Einweisung in die Wohn-Gewerbe-Zone 2 in der Meinung, dieser
Zoneneinteilung stünden die zu beachtenden Planungsgrundsätze nicht
zwingend entgegen.

    Diese Folgerung des Regierungsrates könnte das Bundesgericht bei der
ihm gebotenen Zurückhaltung bei der Würdigung der örtlichen Verhältnisse
nur bei offensichtlicher Unhaltbarkeit und klarem Widerspruch zur
tatsächlichen Situation zurückweisen. Nachdem jedoch der Beschwerdeführer
sein im Jahre 1972 bewilligtes Bauvorhaben mit der Erstellung des
dreigeschossigen Wohnhauses auf der von ihm abgetrennten Parzelle Nr. 2653
zum Teil verwirklicht hat, durfte der Regierungsrat, ohne in Willkür zu
verfallen, die an sich unerwünschte Bauzoneninsel genehmigen, trug er
doch damit der vom Beschwerdeführer eingeleiteten Überbauung Rechnung.

    Diese Sachlage unterscheidet sich deutlich von derjenigen, die in
BGE 107 Ia 240 ff. zu beurteilen war. Dort ging es um die Einzonung einer
kleinen Parzelle von 560 m2, die inmitten eines rein landwirtschaftlich
genutzten unerschlossenen Gebiets lag und von der nächsten Bauzone rund
200 m entfernt war. Im hier zu beurteilenden Fall setzt die Bauzone
Buchen mit der in der Zone W 2 befindlichen Parzelle Nr. 278 in einer
Distanz von rund 120 m ein, und die "Bauzoneninsel" auf den Grundstücken
Nrn. 2247 sowie 2653, die gemäss der Darstellung des Beschwerdeführers
erschlossen ist, grenzt an den Weiler Buchsteig an, der zwar im übrigen
Gemeindegebiet liegt, jedoch - wie dem Zonenplan entnommen werden kann -
locker überbaut ist. Es ist daher nicht unhaltbar, wenn der Regierungsrat
in seinen Erwägungen ausführt, es sei damit zu rechnen, dass dieser Weiler
zu einem späteren Zeitpunkt einer Bauzone zugewiesen werde. Von einem
klaren Widerspruch zur tatsächlichen Situation kann unter diesen Umständen
ebensowenig gesprochen werden wie von einem eindeutigen Verstoss gegen
Planungsgrundsätze, ist doch das Gebiet, das in Übereinstimmung mit den
früheren Überbauungsabsichten des Beschwerdeführers wieder einer Bauzone
zugewiesen wird, bereits teilweise überbaut.

    Freilich ist einzuräumen, dass die von der Gemeinde Thal beschlossene
und vom Regierungsrat bestätigte Wiedereinzonung aus der Sicht des
Umweltschutzgesetzes vom 7. Oktober 1983 aufgrund der bestehenden
Lärmimmissionen fragwürdig erscheint. Sie erging allerdings vor dessen
Inkrafttreten am 1. Januar 1985, wie sich auch der vom Regierungsrat am
14. Dezember 1982 gefällte Entscheid, wonach der dem Beschwerdeführer
gehörenden Parzelle Baulandcharakter nicht abzusprechen sei, noch nicht
nach der Umweltschutzgesetzgebung auszurichten hatte. Die sich für die
Wiedereinzonung aufgrund des Umweltschutzgesetzes ergebenden Probleme,
auf welche die Beschwerde im übrigen gar nicht Bezug nimmt, können daher
nicht Gegenstand des vorliegenden Verfahrens bilden. Aber ebenfalls der
Entscheid des Regierungsrats vom 14. Dezember 1982 kann hier nicht geprüft
werden, da er - leider - von der Gemeinde Thal nicht weitergezogen wurde,
so dass er, unangefochten geblieben, in Rechtskraft erwachsen ist.

    d) Dass die Auszonung der Liegenschaft des Beschwerdeführers
bei der Revision des Zonenplanes im Jahre 1976 auch mit allgemeinen
ortsplanerischen Erwägungen begründet wurde, ändert am Ergebnis
nichts. Richtig ist zwar, dass die Kantone und Gemeinden verpflichtet sind,
zu gross bemessene Bauzonen auf den voraussichtlichen Bedarf der kommenden
15 Jahre zu begrenzen (Art. 15 RPG). Doch ist bei der entsprechenden
Grenzziehung der Beurteilungsspielraum der Gemeinden zu respektieren
(Art. 2 Abs. 3 RPG). Stehen für die Reduktion mehrere Möglichkeiten zur
Verfügung, wie dies im Regelfall zutrifft, kann es einer Gemeinde nicht
verwehrt werden, eine Auszonung baureifen Landes, für welche sie gemäss
einem formell rechtskräftigen, vom Bundesgericht nicht zu überprüfenden
Entscheid Entschädigung leisten müsste, rückgängig zu machen. Liegt kein
derart eindeutiger Verstoss gegen Planungsgrundsätze vor, wie er in BGE
107 Ia 240 ff. gegeben war, so ist hiefür nicht erforderlich, dass die
Gemeinde in finanzieller Hinsicht in eine notstandsähnliche Situation
geraten müsste.

    In der vorliegenden Sache enthält der angefochtene Entscheid allerdings
keine näheren Angaben über die Grösse der Bauzone der Gemeinde Thal und
das Ausmass der in den kommenden 15 Jahren voraussichtlich benötigten
Bauzonenfläche. Doch weist der Regierungsrat in seiner Vernehmlassung
darauf hin, dass die Einweisung der Parzelle des Beschwerdeführers in
die Wohn-Gewerbe-Zone 2 dem Gemeinwesen keine Erschliessungsaufwendungen
verursache und dass die mit der Einzonung verbundene Erweiterung der
Bauzone flächenmässig nicht bedeutend sei. Diese sich aus den Akten
ergebenden Feststellungen genügen, um seinen Entscheid in bezug auf
das Grundstück Nr. 2247 des Beschwerdeführers als nicht willkürlich
erscheinen zu lassen, sind doch auch nach Art. 15 lit. b RPG bei der
Begrenzung der Bauzonen die Erschliessungsverhältnisse zu berücksichtigen.
Die Verpflichtung, die Bauzonen auf den voraussichtlichen Bedarf von
15 Jahren zu begrenzen, besteht freilich unabhängig von der Haltbarkeit
des angefochtenen Genehmigungsentscheids. Sollte die Gemeinde Thal auch
nach der im Jahre 1976 vorgenommenen Revision des Zonenplanes über zu
ausgedehnte Bauzonen verfügen, so müsste deren Reduktion innert der vom
Bundesrecht gesetzten Frist vorgenommen werden (Art. 35 Abs. 1 lit. b RPG).

    Die staatsrechtliche Beschwerde erweist sich somit in allen Punkten
als unbegründet, so dass sie abzuweisen ist.