Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 110 V 369



110 V 369

60. Auszug aus dem Urteil vom 19. November 1984 i.S. K. gegen
Ausgleichskasse des Kantons Zürich und AHV-Rekurskommission des Kantons
Zürich Regeste

    Art. 23 Abs. 4 AHVV.

    - Überprüfung der Steuerfaktoren im Beitragsstreit als zulässig
erklärt, da mangels relevanten Streitwertes der Anlass für ein
Steuerjustizverfahren fehlte.

    - Der rechtserhebliche Sachverhalt muss lückenlos abgeklärt sein,
damit über die Frage entschieden werden kann, ob für die Bemessung
des Erwerbseinkommens und des Eigenkapitals von der rechtskräftigen
Steuertaxation zufolge klar ausgewiesenen Irrtums abzuweichen
ist. Massgebend sind die Steuerakten, nicht die Beschwerdeakten in der
AHV-Sache.

Sachverhalt

    A.- K. übt die Tätigkeit eines Immobilienberaters aus und ist
als Selbständigerwerbender der Ausgleichskasse des Kantons Zürich
angeschlossen. Im März 1981 meldete die kantonale Steuerbehörde, K. habe
aus selbständiger Erwerbstätigkeit 1977 einen Verlust von Fr. 15'687.--
erlitten und 1978 ein Einkommen von Fr. 238'261.-- (einschliesslich
Grundstückgewinn von Fr. 145'350.-- auf der am 15. Dezember 1977 verkauften
Eigentumswohnung in Z.) erzielt. Aufgrund dieser Steuermeldung ermittelte
die Kasse ein beitragspflichtiges Erwerbseinkommen im Durchschnitt
der Jahre 1977/78 von Fr. 109'200.-- und setzte gestützt darauf die
persönlichen Sozialversicherungsbeiträge pro 1980/81 auf jährlich
Fr. 10'264.80 fest (Verfügung vom 18. September 1981).

    B.- Beschwerdeweise liess der Beitragspflichtige die
Berechnungsgrundlagen dieser Verfügung rügen, wobei er eine
Wehrsteuertaxation für die 20. Periode 1979/80 sowie eine Aufstellung
über erzielten Verkaufspreis und eigene Anlagekosten der Eigentumswohnung
einreichte. Mit Entscheid vom 26. August 1982 wies die AHV-Rekurskommission
des Kantons Zürich die Beschwerde ab.

    C.- Mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde lässt K. beantragen, dass
für die Beitragsberechnung von einem gegenüber der Steuerveranlagung
reduzierten Gewinn aus dem Verkauf der Eigentumswohnung Z. ausgegangen
werde (Fr. 46'937.-- statt Fr. 145'350.--).

    Die Ausgleichskasse schliesst auf Abweisung der
Verwaltungsgerichtsbeschwerde. Das Bundesamt für Sozialversicherung
beantragt, bezüglich des Erwerbseinkommens aus dem Grundstückverkauf
sei die Verwaltungsgerichtsbeschwerde gutzuheissen und die Sache an die
Ausgleichskasse zurückzuweisen, damit sie ergänzende Abklärungen vornehme.

Auszug aus den Erwägungen:

                      Aus den Erwägungen:

Erwägung 2

    2.- a) Nach Art. 23 Abs. 1 AHVV obliegt es in der Regel den
Steuerbehörden, das für die Berechnung der Beiträge Selbständigerwerbender
massgebende Erwerbseinkommen aufgrund der rechtskräftigen Veranlagung
für die direkte Bundessteuer (vor 1983: Wehrsteuer) und das im Betrieb
investierte Eigenkapital aufgrund der entsprechenden rechtskräftigen
kantonalen Veranlagung zu ermitteln. Die Angaben der Steuerbehörden
hierüber sind für die Ausgleichskassen verbindlich (Art. 23 Abs. 4 AHVV).

    Nach der Rechtsprechung begründet jede rechtskräftige Steuerveranlagung
die nur mit Tatsachen widerlegbare Vermutung, dass sie der Wirklichkeit
entspreche. Da die Ausgleichskassen an die Angaben der Steuerbehörden
gebunden sind und der Sozialversicherungsrichter grundsätzlich nur die
Kassenverfügung auf ihre Gesetzmässigkeit zu überprüfen hat, darf von
rechtskräftigen Steuertaxationen bloss dann abgewichen werden, wenn diese
klar ausgewiesene Irrtümer enthalten, die ohne weiteres richtiggestellt
werden können, oder wenn sachliche Umstände gewürdigt werden müssen, die
steuerrechtlich belanglos, sozialversicherungsrechtlich aber bedeutsam
sind. Blosse Zweifel an der Richtigkeit einer Steuertaxation genügen
hiezu nicht; denn die ordentliche Einkommensermittlung obliegt den
Steuerbehörden, in deren Aufgabenkreis der Sozialversicherungsrichter
nicht mit eigenen Veranlagungsmassnahmen einzugreifen hat. Der
selbständigerwerbende Versicherte hat demnach seine Rechte, auch im
Hinblick auf die AHV-rechtliche Beitragspflicht in erster Linie im
Steuerjustizverfahren zu wahren (BGE 106 V 130 Erw. 1, 102 V 30 Erw. 3a;
ZAK 1983 S. 22 Erw. 5).

    Die absolute Verbindlichkeit der Angaben der Steuerbehörden für
die Ausgleichskassen und die daraus abgeleitete relative Bindung des
Sozialversicherungsrichters an die rechtskräftigen Steuertaxationen sind
auf die Bemessung des massgebenden Einkommens und des betrieblichen
Eigenkapitals beschränkt. Diese Bindung betrifft also nicht die
beitragsrechtliche Qualifikation des Einkommens bzw. Einkommensbezügers und
beschlägt daher die Frage, ob überhaupt Erwerbseinkommen und gegebenenfalls
solches aus selbständiger oder aus unselbständiger Tätigkeit vorliegt
und ob der Einkommensbezüger beitragspflichtig ist, nicht. Somit haben
die Ausgleichskassen ohne Bindung an die Steuermeldung aufgrund des
AHV-Rechts zu beurteilen, wer für ein von der Steuerbehörde gemeldetes
Einkommen beitragspflichtig ist.

    Auch hinsichtlich der Beurteilung, ob selbständige oder unselbständige
Erwerbstätigkeit vorliegt, sind die Ausgleichskassen nicht an die Meldungen
der kantonalen Steuerbehörden gebunden. Allerdings sollen sie sich bei der
Qualifikation des Erwerbseinkommens in der Regel auf die Steuermeldungen
verlassen und eigene nähere Abklärungen nur dann vornehmen, wenn sich
ernsthafte Zweifel an der Richtigkeit der Steuermeldung ergeben. Diese
Beurteilungskompetenz der Ausgleichskassen gilt um so mehr dann,
wenn bestimmt werden muss, ob ein Versicherter überhaupt erwerbstätig
ist oder nicht. Daher rechtfertigt es sich, die Ausgleichskassen auch
selbständig beurteilen zu lassen, ob ein von der Steuerbehörde gemeldetes
Kapitaleinkommen als Erwerbseinkommen zu qualifizieren ist (BGE 102 V 31
Erw. 3b mit Hinweisen).

    b) Nach der Rechtsprechung darf der Sozialversicherungsrichter selbst
dann nicht von einer rechtskräftigen Steuertaxation abweichen, wenn
die Abklärung ergibt, dass die Veranlagung für die direkte Bundessteuer
wahrscheinlich korrigiert worden wäre, wenn sie rechtzeitig mit einem
gesetzlichen Rechtsmittel angefochten worden wäre. Denn einmal hat jede
rechtskräftige Steuertaxation die Vermutung für sich, sie entspreche
dem wirtschaftlichen Sachverhalt. Zum andern ist zu beachten, dass der
Sozialversicherungsrichter zum Steuerrichter würde, wenn er beurteilen
sollte, ob bei rechtzeitiger Erhebung der gesetzlichen Rechtsmittel die
Veranlagung für die direkte Bundessteuer mit praktischer Sicherheit
korrigiert würde. Dies widerspräche indessen offensichtlich der vom
Gesetz vorgenommenen Kompetenzabgrenzung zwischen den Steuer- und
Sozialversicherungsorganen (Art. 23 Abs. 1 AHVV), an der festzuhalten ist
(ZAK 1971 S. 212).

Erwägung 3

    3.- a) Nicht im Streite liegt, dass der Verkauf der Eigentumswohnung
Z. (am 15. Dezember 1977) im Rahmen der selbständigen Erwerbstätigkeit
des Beschwerdeführers (Immobilienberatung) erfolgte. Streitig ist dagegen
die Bemessung des dabei erzielten massgebenden Erwerbseinkommens.

    Der rechtskräftig veranlagte Grundstücksgewinn von Fr. 145'350.--
resultiert als Differenz zwischen einem "Verkaufspreis netto" des Objektes
von Fr. 615'350.-- und dessen "Buchwert" von Fr. 470'000.--. Diese
Zahlenangaben gemäss Steuertaxation sind - abgesehen von ihrer
AHV-rechtlichen Qualifikation - nach der Rechtsprechung im Beitragsstreit
für die Einkommensbemessung grundsätzlich verbindlich (vgl. Erw. 2a
hievor).

    Beschwerdeweise wurde im kantonalen Prozess beanstandet, der in der
Steuertaxation eingesetzte Buchwert der Eigentumswohnung bilde einen
beitragsrechtlich unerheblichen Vermögenssteuerfaktor, weshalb sich
das Erwerbseinkommen nicht nach dem hier veranlagten Grundstücksgewinn
bemesse. Entscheidend komme es vielmehr auf die im Zusammenhang mit
dem Objekt tatsächlich erwachsenen Anlagekosten an, die vorliegend
aus dem vom Beschwerdeführer dafür selbst entrichteten Kaufpreis,
wertvermehrenden Aufwendungen und aus Handänderungskosten bestünden und
die sich abzüglich Liegenschaftensteuern im Ergebnis auf Fr. 637'741.--
beliefen. Abschreibungen auf dem Objekt während der Besitzesdauer seien
nie zum Abzug gekommen. Aus dem Verkauf der Eigentumswohnung resultiere
demnach nicht etwa ein Gewinn, sondern ein Verlust (erzielter Verkaufspreis
Fr. 615'350.--; eigene Anlagekosten Fr. 637'741.--).

    In der Verwaltungsgerichtsbeschwerde rückt der Versicherte indes von
seinem Standpunkt ab, er habe aus dem Grundstückverkauf einen Verlust
erlitten. Vielmehr sei ein - gegenüber der Steuermeldung allerdings stark
reduzierter - aus Anlagekosten von Fr. 573'063.-- und einem Verkaufspreis
von Fr. 620'000.-- resultierender Veräusserungsgewinn von Fr. 46'937.--
erzielt worden. Zur Begründung macht der Beschwerdeführer geltend, er
habe im vorinstanzlichen Verfahren bei der Berechnung der Anlagekosten
einen anteilsmässig auf das Verkaufsobjekt umgerechneten Betriebsverlust
von Fr. 64'678.-- sowie Liegenschaftensteuern von Fr. 1'450.-- mit
einbezogen, welche Beträge jedoch für die Belange der Wehrsteuer und der
AHV richtigerweise ausgeklammert werden müssten, weil sie bereits früher
vom steuerbaren Einkommen abgezogen worden seien.

    b) Der kantonale Richter führt aus, die Steuerveranlagung des
Grundstücksgewinns sei rechtskräftig. Der Beschwerdeführer habe dieselbe
sogar - aus welchen Gründen auch immer - unterschriftlich anerkannt. Daher
sei auf seine Argumentation bezüglich Bemessung des Erwerbseinkommens
aus Verkauf der Eigentumswohnung im Beitragsverfahren nicht mehr
einzutreten, zumal ein derartiges Vorgehen des urteilenden Richters einer
kompetenzwidrigen Veranlagungsmassnahme gleichkäme. Demzufolge sei für die
Bemessung des Erwerbseinkommens auf den kraft Steuertaxation ermittelten
Grundstücksgewinn abzustellen.

    Nach der unter Erwägung 2b hievor dargelegten Rechtsprechung hat
es bei einer rechtskräftigen Steuertaxation auch dann sein Bewenden,
wenn sie im Falle eines rechtzeitig dagegen ergriffenen Rechtsmittels
wahrscheinlich korrigiert worden wäre.

    Der Beschwerdeführer gibt zu, dass er gegen die Steuertaxation
nicht Beschwerde geführt hat, obwohl ihm schon damals deren angebliche
Fehlerhaftigkeit bekannt war. Er macht jedoch geltend, dass sich das
steuerbare Einkommen 1979/80 wegen Verrechnung von Verlusten aus den
Vorjahren auf Fr. 24'500.-- vermindert habe, was einer Jahressteuer von
nur Fr. 195.80 entsprochen habe. Es könne einem Steuerpflichtigen und
auch dem Staat als Beschwerdegegner nicht zugemutet werden, in einem
Einschätzungsverfahren, das zu keinem oder einem nur unbedeutenden
Wehrsteuerbetrag führe, ein Steuerjustizverfahren durchzuführen,
nur weil in der Einschätzung einzelne Faktoren enthalten seien, die
später zu einer Benachteiligung bei der Festsetzung der AHV-Beiträge
führen könnten. Insbesondere bei Verrechnung von Verlusten aus den
Vorjahren, die nur für die Wehrsteuer, nicht aber für die AHV-Beiträge
berücksichtigt würden, könnten sich bei einer andern Betrachtungsweise
Steuerjustizverfahren ergeben, die einen reinen Leerlauf bedeuten
würden. Dieser Auffassung ist in Fällen der vorliegenden Art
beizupflichten. Der ermittelte Steuerbetrag von nur Fr. 195.80 ist in
der Tat derart gering, dass man die ihm zugrundeliegenden und erst
in diesem Verfahren angefochtenen Steuerfaktoren im Hinblick auf
das steuerrechtliche Endergebnis als faktisch belanglos bezeichnen
darf. Es ist daher in einem solchen Fall gleich zu halten wie dort, wo
sachliche Umstände gewürdigt werden müssen, die steuerrechtlich belanglos,
sozialversicherungsrechtlich aber bedeutsam sind. Dies rechtfertigt sich
hier um so mehr, als der Beschwerdeführer in guten Treuen annehmen durfte,
dass der AHV-Beitrag nicht aufgrund der fraglichen Wehrsteuerveranlagung,
sondern im ausserordentlichen Verfahren gemäss Art. 25 Abs. 2 AHVV
festgesetzt werde. Das Vorliegen einer rechtskräftigen Steuertaxation
schliesst somit im hier zu beurteilenden Beitragsstreit eine Überprüfung
des dort angegebenen Grundstücksgewinns auf klar ausgewiesene Irrtümer
hin nicht aus.

    c) Ob die der Festsetzung der AHV-Beiträge zugrundeliegende
rechtskräftige Steuerveranlagung "klar ausgewiesene Irrtümer" enthält,
lässt sich nur aufgrund der entsprechenden Steuerakten beurteilen. Im
AHV-Beitragsstreit genügt es daher nicht, dass diese Irrtumsfrage lediglich
aufgrund der vorhandenen Beschwerdeakten geprüft wird, wenn diese Akten
bezüglich der massgebenden steuerrechtlichen Unterlagen unvollständig
sind. Vielmehr sind gegebenenfalls noch die erforderlichen Steuerakten
beizuziehen, und zwar im erstinstanzlichen Beschwerdeverfahren von Amtes
wegen (Art. 85 Abs. 2 lit. c AHVG). Anderseits kann von "klar ausgewiesenen
Irrtümern" insoweit nicht die Rede sein, als deren Nachweis aufgrund der
entsprechenden Steuerakten allein nicht möglich ist, sondern zusätzlicher
Beweismassnahmen bedürfte.

    Der Beschwerdeführer macht sinngemäss geltend, dass die der
Steuerveranlagung zugrundeliegende Gewinnberechnung aus dem Verkauf der
fraglichen Eigentumswohnung anstatt vom effektiven Anlagewert von einem
niedrigeren sog. Buchwert bzw. Steuerwert ausgegangen sei, als ob vom
ursprünglichen Anlagewert steuerwirksame Abschreibungen gemacht worden
wären, was jedoch nicht der Fall sei. Aus der Differenz zwischen diesem
zu niedrigen Buchwert und dem Verkaufspreis habe sich ein zu hoher Gewinn
ergeben. Diese im Prinzip schon im vorinstanzlichen Verfahren erhobene
Rüge ist von der Vorinstanz, welche - wie schon die Ausgleichskasse -
allein auf die rechtskräftige Steuerveranlagung als solche abgestellt hat,
nicht geprüft worden. Insoweit ist daher der Sachverhalt von der Vorinstanz
unvollständig und damit für das Eidg. Versicherungsgericht nicht in
verbindlicher Weise abgeklärt worden (Art. 105 Abs. 2 OG). Die Sache ist
daher zu näherer Abklärung - nötigenfalls unter ergänzendem Beizug von
Steuerakten - und zu neuem Entscheid an die Vorinstanz zurückzuweisen.