Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 110 V 36



110 V 36

7. Auszug aus dem Urteil vom 10. Januar 1984 i.S. Renner gegen
Ausgleichskasse des Schweizer Hotelier-Vereins und Rekurskommission Uri
für die

AHV/IV/EO Regeste

    Art. 84 AHVG: Ordnungsgemässe Zustellung. Rechtsgültige Zustellung
einer eingeschriebenen Verfügung, die am Postschalter einem Dritten
ausgehändigt wird, der bloss eine sich aus den Umständen ergebende
stillschweigende Vollmacht besitzt (Erw. 3b).

    Art. 20 Abs. 3 VwVG: Berechnung der Frist. Diese Bestimmung ist
abschliessend. Keine Verlängerung einer Frist, wenn deren letzter Tag
auf den Vortag eines kantonal anerkannten Feiertags fällt (Erw. 3c).

Sachverhalt

    A.- Aufgrund einer Arbeitgeberkontrolle erliess die Ausgleichskasse
HOTELA am 7. Mai 1982 gegenüber Felix und Silvan Renner, Inhaber des
Hotels T., eine Nachzahlungsverfügung für die Jahre 1977 bis 1980.

    Auf die hiegegen eingereichte Beschwerde trat die Rekurskommission Uri
für die AHV/IV/EO wegen Verspätung nicht ein (Entscheid vom 17. Februar
1983).

    Mit der vorliegenden Verwaltungsgerichtsbeschwerde lassen Felix und
Silvan Renner beantragen, der Entscheid der Rekurskommission und die
Kassenverfügung seien aufzuheben und das Eidg. Versicherungsgericht habe
über die Höhe der geschuldeten Beiträge zu urteilen bzw. die Sache zu neuer
Verfügung an die Ausgleichskasse, eventualiter an die Rekurskommission
zurückzuweisen. Ausgleichskasse und Bundesamt für Sozialversicherung
schliessen auf Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde. Der
Instruktionsrichter hat beim Postamt A. eine Auskunft eingeholt und dem
Rechtsvertreter von Felix und Silvan Renner Gelegenheit zur Stellungnahme
gegeben. Dieser hält an den gestellten Anträgen fest.

Auszug aus den Erwägungen:

                      Aus den Erwägungen:

Erwägung 2

    2.- Nach Art. 84 Abs. 1 AHVG kann gegen Verfügungen der
Ausgleichskassen innert 30 Tagen seit der Zustellung Beschwerde
erhoben werden. Läuft die Frist unbenützt ab, so erwächst die
Verfügung in formelle Rechtskraft mit der Wirkung, dass der Richter
auf die verspätet eingereichte Beschwerde nicht eintreten kann. In
bezug auf die Berechnung, Einhaltung und Erstreckung der Fristen sowie
die Säumnisfolgen und die Wiederherstellung einer Frist gelten dabei im
kantonalen Beschwerdeverfahren ausschliesslich die Vorschriften der Art. 20
bis 24 VwVG, welche durch Art. 96 AHVG als direkt anwendbar erklärt werden
(BGE 105 V 106, 102 V 243 Erw. 2a; ZAK 1981 S. 523).

Erwägung 3

    3.- a) Die Vorinstanz stellt in ihrem Entscheid fest, dass die
Kassenverfügung den Beschwerdeführern am 10. Mai 1982 zugestellt worden
sei, dass die 30tägige Frist demnach am folgenden Tag zu laufen begonnen
und am 9. Juni 1982 geendet habe. Die erst am 11. Juni 1982 der Post
übergebene Beschwerde sei damit verspätet. Für den Beginn der Frist beruft
sich die Vorinstanz dabei zu Unrecht auf kantonales Recht, was allerdings,
da es mit dem Bundesrecht in diesem Punkt übereinstimmt, im Ergebnis ohne
Bedeutung ist.

    b) In der Verwaltungsgerichtsbeschwerde bringen die Beschwerdeführer
zunächst vor, die Kassenverfügung sei ihnen nicht ordnungsgemäss zugestellt
worden; die Post habe die Verfügung am 10. Mai 1982 "einem gewissen Franz
Lorber" ausgehändigt, der weder Angestellter des Hotels T. sei noch eine
Zeichnungsberechtigung für den Betrieb besitze; die Beschwerdeführer hätten
die Verfügung nach mehrtägiger Abwesenheit in jener Zeit erst am 15. Mai
1982 erhalten. Damit ziehen sie die Richtigkeit der vorinstanzlichen
Feststellung über den Zustellungszeitpunkt in Zweifel.

    Laut Akten übergab die Ausgleichskasse ihre Verfügung am 7. Mai
1982 eingeschrieben der Post in Montreux. Da der Postbote in A. beim
Zustellungsversuch anscheinend keine empfangsberechtigte Person
antraf, brachte er auf dem Briefumschlag den Vermerk "Frist 17.5." an
und hinterliess eine Abholungseinladung (vgl. Art. 157 Verordnung 1
zum Postverkehrsgesetz, SR 783.01). Wie das Postamt A. auf Anfrage am
5. September 1983 mitteilte, habe Franz Lorber diese Abholungseinladung
am 10. Mai 1982 am Schalter vorgewiesen und erklärt, von einem der
Beschwerdeführer mit der Abholung der Sendung beauftragt worden zu sein,
worauf ihm die Schalterbeamtin den Brief der Ausgleichskasse ausgehändigt
habe. Das Postamt fügte bei, dass Franz Lorber "zeitweise Postkommissionen
für das Hotel T." besorge. Dem halten die Beschwerdeführer im zweiten
Schriftenwechsel entgegen, Franz Lorber sei nicht empfangsbevollmächtigt
gewesen; zwar sei er in den Besitz der Abholungseinladung gekommen,
doch sei ihm diese nicht von den Beschwerdeführern ausgehändigt worden.

    Die Einwendungen der Beschwerdeführer sind nicht stichhaltig. Ob
Franz Lorber die Abholungseinladung von einem der Beschwerdeführer
oder - in ihrer Abwesenheit - allenfalls von einem Angestellten des
Betriebs erhalten hat, ist unerheblich; die Beschwerdeführer machen
jedenfalls nicht geltend, Franz Lorber sei unbefugterweise in den Besitz
der Abholungseinladung gelangt. Auch wird von ihnen nicht bestritten,
dass Franz Lorber für ihren Betrieb zuweilen Postkommissionen besorgt
und dass er in dieser Eigenschaft dem Personal des Postamtes in
A. bekannt ist. Wenn die Schalterbeamtin unter diesen Umständen gegen
die Vorweisung der Abholungseinladung die Sendung ohne schriftliche
Vollmacht der Beschwerdeführer aushändigte, so kann darin kein Verstoss
gegen einschlägige Vorschriften erblickt werden. Art. 149 Verordnung
1 zum Postverkehrsgesetz sieht die Schriftlichkeit nur als Regelfall
vor und schliesst eine stillschweigende Bevollmächtigung aufgrund eines
bestimmten Verhaltens des Adressaten nicht aus (TUASON/ROMANENS, Das Recht
der Schweizerischen PTT-Betriebe, 3. Aufl., S. 75 f.). Demnach ist davon
auszugehen, dass die Kassenverfügung vom 7. Mai 1982 den Beschwerdeführern
am 10. Mai 1982 rechtsgültig zugestellt worden ist.
   c) Gemäss Art. 20 Abs. 1 VwVG begann die Frist im vorliegenden
Falle am 11. Mai 1982 zu laufen. Der 30. Tag fiel somit auf den Mittwoch,
9. Juni 1982. Die Beschwerdeführer machen jedoch geltend, die Frist habe
erst am Freitag, 11. Juni 1982, geendet. Zur Begründung führen sie aus,
der Donnerstag, 10. Juni 1982, sei ein kantonal anerkannter Feiertag
(Fronleichnam) gewesen; der Vortag müsse darum wie ein ordentlicher
Samstag behandelt, d.h. einem anerkannten Feiertag gleichgestellt werden,
weil auch an solchen Vortagen Geschäfte, Postbetriebe sowie Industrie-
und Gewerbebetriebe ebenso frühzeitig schlössen. Dabei berufen sie sich
auf das Bundesgesetz über den Fristenlauf an Samstagen vom 21. Juni 1963
(SR 173.110.3).

    Laut dem hier gemäss Art. 96 AHVG anwendbaren Art. 20 Abs. 3
VwVG endigt eine Frist am nächsten Werktag, wenn ihr letzter Tag auf
einen Samstag, einen Sonntag oder einen am Wohnsitz oder Sitz der
Partei oder ihres Vertreters vom kantonalen Recht anerkannten Feiertag
fällt. Nach seinem klaren Wortlaut, von dem bei der Auslegung in erster
Linie auszugehen ist (BGE 109 V 33 Erw. 2b, 108 V 240 Erw. 4b, je mit
Hinweisen), zählt die erwähnte Gesetzesvorschrift die Tage abschliessend
auf, bei welchen eine Fristverlängerung bis zum nächsten Werktag in
Betracht kommt. Dabei werden die Vortage kantonal anerkannter Feiertage
nicht genannt. An einem solchen Vortag ablaufende Fristen werden daher
nicht von Gesetzes wegen verlängert. Etwas anderes lässt sich auch den
Materialien des Bundesgesetzes über den Fristenlauf an Samstagen nicht
entnehmen. Dieses Gesetz bezieht sich ausschliesslich auf Samstage
und trägt nach seinem Sinn und Zweck dem Umstand Rechnung, dass bei
einer Arbeitswoche von fünf Tagen Amtsstellen und private Unternehmen
an Samstagen ihre Büros und Schalter in der Regel geschlossen halten
(BBl 1962 II 982 f.).

    Auszugehen ist somit davon, dass die am 11. Mai 1982 eröffnete 30tägige
Frist am 9. Juni 1982 ablief. Die erst am 11. Juni 1982 der Post übergebene
Beschwerde erweist sich damit als verspätet, wie die Vorinstanz in ihrem
Entscheid zutreffend ausführt.