Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 110 V 339



110 V 339

55. Urteil vom 18. Dezember 1984 i.S. Bundesamt für Industrie, Gewerbe
und Arbeit gegen Bonetti und Kantonale Rekurskommission Uri für die
Arbeitslosenversicherung Regeste

    Art. 45 Abs. 1 AVIG, Art. 69 Abs. 1 und 2 AVIV:
Schlechtwetterentschädigung.

    - Die Fristen zur erstmaligen Meldung des Arbeitsausfalls infolge
Schlechtwetters und zu deren wöchentlicher Erneuerung (Art. 45 Abs. 1
AVIG) sind Verwirkungsfristen mit der Folge, dass der Arbeitsausfall bei
verspäteter Meldung - sofern dafür kein entschuldbarer Grund vorliegt -
erst vom Tag der Meldung bzw. ihrer Erneuerung an anrechenbar ist. Art. 69
Abs. 1 und 2 AVIV sind gesetzmässig (Erw. 2a).

    - Die "wöchentliche" Erneuerung der Meldung hat alle 7 Tage zu erfolgen
(Erw. 2b). Sie ist bei länger dauerndem ununterbrochenem Arbeitsausfall
auch dann unerlässlich, wenn die Schlechtwetterlage stabil zu sein scheint
und mit einer Wiederaufnahme der Arbeit in nächster Zeit nicht gerechnet
zu werden braucht (Erw. 2c).

Sachverhalt

    A.- Die Bauunternehmung Bonetti meldete dem Kantonalen Industrie-,
Gewerbe- und Arbeitsamt Uri am 20. Dezember 1983, dass die Arbeit auf vier
Baustellen in Andermatt und Hospental ab 9. Januar 1984 witterungsbedingt
eingestellt werde. Das kantonale Amt wandte gegen die Auszahlung der
Schlechtwetterentschädigung nichts ein. Hingegen erhob es Einspruch
gegen die weitere Ausrichtung der Entschädigung, welche mit Meldung
vom 23. Januar 1984 für den vom 16. bis 21. Januar 1984 dauernden
Arbeitsausfall geltend gemacht wurde, mit der Begründung, bei länger
dauerndem ununterbrochenem Arbeitsausfall sei die Meldung wöchentlich zu
erneuern; da die erstmalige Meldung nicht am 16. Januar 1984 erneuert
worden sei, könne der Ausfall in der Zeit vom 16. bis 21. Januar 1984
nicht entschädigt werden (Verfügung vom 24. Januar 1984).

    B.- Die Kantonale Rekurskommission Uri für die Arbeitslosenversicherung
hiess eine hiegegen erhobene Beschwerde mit Entscheid vom 5. April 1984
gut und wies das kantonale Amt für Industrie, Gewerbe und Arbeit an,
eine neue Verfügung zu erlassen.

    C.- Das Bundesamt für Industrie, Gewerbe und Arbeit (BIGA) führt
Verwaltungsgerichtsbeschwerde und beantragt Aufhebung des vorinstanzlichen
Entscheides.

Auszug aus den Erwägungen:

       Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:

Erwägung 1

    1.- Gemäss Art. 45 Abs. 1 AVIG muss der Arbeitgeber der kantonalen
Amtsstelle unverzüglich melden, wenn er für seine Arbeitnehmer
Schlechtwetterentschädigung geltend machen will. Die Meldung ist auch
erforderlich, wenn der Arbeitsausfall den Karenztag (Art. 43 Abs. 3 AVIG)
nicht übersteigt. Bei länger dauerndem ununterbrochenem Arbeitsausfall
ist die Meldung wöchentlich zu erneuern.

    Hat die kantonale Amtsstelle Zweifel an der Anrechenbarkeit des
Arbeitsausfalles, so nimmt sie die geeigneten Abklärungen vor. Erachtet
sie den Arbeitsausfall als nicht anrechenbar oder ist er zu spät gemeldet
worden, so erhebt sie durch Verfügung Einspruch gegen die Auszahlung
der Schlechtwetterentschädigung. Sie benachrichtigt in jedem Fall den
Arbeitgeber und die von ihm bezeichnete Kasse (Art. 45 Abs. 4 AVIG).

    Laut Art. 69 Abs. 1 AVIV muss der Arbeitgeber den wetterbedingten
Arbeitsausfall spätestens am folgenden Werktag, ausgenommen Samstag,
auf dem Formular des BIGA melden. Hat er den wetterbedingten Ausfall ohne
entschuldbaren Grund verspätet gemeldet, so ist dieser erst vom Tag der
Meldung an anrechenbar (Abs. 2).

Erwägung 2

    2.- a) Die Bestimmung von Art. 45 Abs. 1 AVIG, wonach der Arbeitgeber
der kantonalen Amtsstelle unverzüglich melden muss, wenn er für seine
Arbeitnehmer Schlechtwetterentschädigung geltend machen will, stellt keine
blosse Ordnungsvorschrift, sondern eine formelle Anspruchsvoraussetzung
dar mit der Folge, dass der ohne entschuldbaren Grund verspätet gemeldete
wetterbedingte Arbeitsausfall erst vom Tag der Meldung an anrechenbar ist
(Art. 69 Abs. 2 AVIV). Denn jene Vorschrift bezweckt weder die speditive
Abwicklung der Auszahlung von Schlechtwetterentschädigungen noch die
Wahrung der Dispositionsmöglichkeiten der Arbeitgeber. Im Vordergrund
steht vielmehr die Sicherung der Kontrollmöglichkeiten der kantonalen
Amtsstellen (insbesondere hinsichtlich der meteorologischen Verhältnisse),
wie sich schon aus dem Randtitel zu Art. 45 AVIG ("Meldung und Überprüfung
des Arbeitsausfalls") ergibt. Wenn der Bundesrat gestützt auf Art. 45
Abs. 1 AVIG in Art. 69 Abs. 1 AVIV anordnete, dass der Arbeitgeber den
wetterbedingten Arbeitsausfall spätestens am folgenden Werktag melden muss,
so erweist sich diese Ordnung nach dem Sinn und Zweck der unverzüglichen
Meldepflicht (Gewährleistung der Kontrolle) als sachlich gerechtfertigt
und die erwähnte Verordnungsbestimmung demnach als gesetzmässig (vgl. in
diesem Zusammenhang BGE 109 V 141 Erw. 2b, 218 Erw. 5a, 108 V 116
Erw. 3a). Daraus folgt auch, dass die Regelung, nach der bei unentschuldet
verspäteter Meldung der wetterbedingte Arbeitsausfall erst vom Tag der
Meldung an angerechnet wird (Art. 69 Abs. 2 AVIV) und der Anspruch auf
Schlechtwetterentschädigung für die vor der Meldung liegenden Ausfalltage
somit verwirkt ist, sich im Rahmen des Gesetzes hält, zumal Art. 45 Abs. 4
AVIG den Einspruch der kantonalen Amtsstellen gegen die Auszahlung von
Schlechtwetterentschädigung wegen verspäteter Meldung ausdrücklich
vorsieht. Wie das BIGA in seiner Verwaltungsgerichtsbeschwerde
zutreffend ausführt, ist in diesem Zusammenhang zu beachten, dass die
Schlechtwetterentschädigung zeitlich unbegrenzt ausgerichtet werden kann
(Art. 44 Abs. 2 AVIG). Der Missbrauchsgefahr kann nur dann wirksam begegnet
werden, wenn einerseits die Erfüllung sämtlicher Anspruchsvoraussetzungen
(vgl. Art. 42 und 43 AVIG) genau überprüft wird und anderseits die
Möglichkeiten der Schadensminderung durch Zuweisung einer geeigneten
zumutbaren Zwischenbeschäftigung (Art. 50 in Verbindung mit Art. 41 AVIG)
für die Arbeitslosenversicherung rechtzeitig erkennbar sind.

    b) Dies gilt nicht nur für die erstmalige Meldung des wetterbedingten
Arbeitsausfalls, sondern sinngemäss auch für die bei länger dauerndem
ununterbrochenem Arbeitsausfall nach Art. 45 Abs. 1 Satz 3 AVIG
erforderliche wöchentliche Erneuerung der Meldung. Dabei ist unter
der "wöchentlich" ("settimanalmente" in der italienischen Fassung)
zu erneuernden Meldung im Sinne dieser Bestimmung nicht eine solche
"pro Woche, ungeachtet des Wochentages" zu verstehen. Zwar liesse der
Wortlaut des französischen Textes ("l'avis sera répété chaque semaine")
diese Interpretation an sich zu. Aufgrund einer solchen wörtlichen
Auslegung müsste aber bei einer z.B. am Montag erstatteten Meldung eine
Erneuerung am Freitag der darauffolgenden Woche trotz der dazwischen
liegenden Zeitspanne von elf Tagen als rechtzeitig erachtet werden - ein
Zeitraum, welcher für eine zuverlässige und regelmässige Überprüfung des
wetterbedingten Arbeitsausfalls als zu lang und daher als unzweckmässig
erachtet werden muss. Einzig eine Erneuerung der Meldung "alle sieben Tage"
vermag den gesetzlich vorgesehenen Kontrollzweck zu erfüllen.

    c) Vom Arbeitgeber wird nicht unverhältnismässig viel verlangt,
wenn er - rechtzeitig und allenfalls wöchentlich - ein einfaches
Formular des BIGA ausfüllen und der kantonalen Amtsstelle zustellen muss
(Art. 69 Abs. 1 AVIV). Dieser bescheidene administrative Aufwand ist dem
Arbeitgeber selbst dann zuzumuten, wenn die Schlechtwetterlage stabil zu
sein scheint und mit einer Wiederaufnahme der Arbeit in nächster Zeit
nicht gerechnet zu werden braucht. Denn die Verhältnisse können sich
gelegentlich unvorhergesehen ändern, namentlich jeweils in den saisonalen
Übergangsperioden. Auch wenn einzuräumen ist, dass sich in gewissen Fällen
aufgrund der geographischen Lage eines Arbeitsplatzes, z.B. in Hochtälern
wie im Urserental oder bei eigentlichen Hochgebirgsbaustellen, im Hinblick
auf die Überprüfbarkeit des wetterbedingten Arbeitsausfalls Ausnahmen
von der wöchentlichen Meldepflicht rechtfertigen liessen, so muss auf
die beträchtliche, rechtlich kaum befriedigend zu lösende Schwierigkeit
hingewiesen werden, praktikable Abgrenzungskriterien zu formulieren, anhand
welcher zuverlässig zwischen wetterbedingten Arbeitsausfällen mit und
solchen ohne gesetzliche Meldepflicht unterschieden werden könnte. Sodann
würde die Rechtssicherheit, die einheitliche Rechtsanwendung und damit
auch die rechtsgleiche Behandlung der Versicherten gefährdet, wenn der
Zeitpunkt der Meldung oder ihre regelmässige Erneuerung ins Belieben des
Arbeitgebers gestellt und der Anspruch auf Schlechtwetterentschädigung
allein aufgrund der materiellen Voraussetzungen der Anrechenbarkeit des
Arbeitsausfalls beurteilt würde.

Erwägung 3

    3.- Entgegen der Auffassung der Vorinstanz lässt sich im
vorliegenden Fall allein aus dem Umstand, dass das neue, am 1. Januar
1984 in Kraft getretene Recht strengere Formvorschriften als das alte
Recht kennt, nichts zugunsten der Beschwerdegegnerin ableiten. Auch
spielt es keine Rolle, ob die erstmalige Meldung des wetterbedingten
Arbeitsausfalls noch vor oder nach dem 1. Januar 1984 erfolgte, da sie
sich auf den ab 9. Januar 1984, d.h. unter der Geltung des neuen Rechts
entstandenen Arbeitsausfall bezog, und überdies gegen die Auszahlung der
Schlechtwetterentschädigung für den mit dieser (rechtzeitigen) Meldung
angezeigten Arbeitsausfall gar kein Einspruch erhoben wurde. Sodann stellt
die Tatsache, dass die Pflicht zur wöchentlichen Erneuerung der Meldung
unmittelbar nach Inkrafttreten des neuen Rechts verletzt wurde, keinen
entschuldbaren Grund im Sinne von Art. 69 Abs. 2 AVIV dar. Ferner ergibt
sich die Verwirkungsfolge bei Nichteinhaltung der Meldefristen klar aus
Art. 69 Abs. 2 AVIV. Schliesslich besteht kein Grund zur Annahme, dass
Formvorschriften im Sozialversicherungsrecht weniger genau eingehalten
werden müssten als in anderen Rechtsgebieten.

    Somit liegt kein Anlass vor, vom Grundsatz abzugehen, wonach
die Meldepflicht des Arbeitgebers (erste Meldung wie wöchentliche
Folgemeldungen) keine blosse Ordnungsvorschrift darstellt, sondern wonach
die Verletzung dieser Meldepflicht - sofern dafür wie im vorliegenden Fall
kein entschuldbarer Grund im Rechtssinne gegeben ist - zur Folge hat, dass
der wetterbedingte Arbeitsausfall erst vom Tag der Meldung bzw. deren
Erneuerung, d.h. vom 23. Januar 1984 an als anrechenbar gilt. Die
Verwaltungsgerichtsbeschwerde des BIGA erweist sich folglich als begründet.

Entscheid:

        Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:

    In Gutheissung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird der Entscheid
der Kantonalen Rekurskommission Uri für die Arbeitslosenversicherung vom
5. April 1984 aufgehoben.